(50) Der Kreis schließt sich
[eine Woche später]
Aiden
Ich trat durch einen Schattenwink, die einzige Verknüpfung zwischen der irdischen- und der Dämonenwelt.
Ein toter Winkel und Schlupfloch zugleich.
Viele von ihnen fanden ihren Eingang an gewöhnlichen Orten, Gegenständen oder sogar Gewächsen und führten an einem anderen Punkt in der irdischen Welt wieder hinaus.
Gerade trat ich aus einer Straßenlaterne hervor.
Manche von ihnen wiederum, fanden ihren Anfang auf der Erde und endeten im Nexus. Es gab unendlich viele dieser Verbindungen.
Es war eben ein großer Vorteil sich binnen von Sekunden von A nach B zu bewegen.
Es war jedoch nicht einfach.
Zunächst musste man die Verknüpfung des Winkes kennen, das war das Eine. Und einen Dämon, wie mich, zum rastlosen Keuchen zu bringen, war das Andere.
Dies glich fast einer unmöglichen Seltenheit.
Ich kannte viele der Schlupflöcher, jedoch nicht alle. Direkt an dieser Straßenlaterne, nahe der Gaststätte, hielt ich mich und tatsächlich kam mein Atem kaum zur Ruhe.
Der Grund solch' einer körperlichen Belastung war, dass manche dieser unsichtbaren Wege wohl länger waren als andere. Eventuell verliefen sie länger durch die Räumlichkeiten der Unterwelt, bis diese schließlich wiederum auf der Erde endeten. Vermutlich.
Auf jeden Fall raubten sie viel mehr Kraft.
Doch dieser Schattenwink hier war wichtig, denn mir lief gerade die Zeit davon.
Uns Dämonen, sowie auch den Menschen war es möglich jeden dieser Wege zu nutzen. Allerdings war die Todesrate der Sterblichen im Benutzen eines „längeren" Schattenwinks weitaus höher.
Jemand, wie ich, fürchtete sich jedoch vor keinem dieser Wege. Selbst wenn ich, wie gerade, dadurch ins Schwitzen kam.
Doch wie bereits gesagt, mir lief die Zeit davon.
Das Moe's & Beer's.
Ich konnte immer noch nicht glauben, dass Nora in so einem Ranz-Schuppen wohnte und... er.
Hoffentlich würde „er" heute, einmal den Vernünftigen von uns spielen.
Ich kletterte auf das Vordach der Veranda hinauf, als wäre es das Leichteste der Welt. Die gläserne Tür zu seinem Apartment stand leicht geöffnet, doch mit einem Stoß half ich nach.
»Hallo, Riley,« raunte ich durch die Dunkelheit.
Das Aufschlagen der Tür hatte einen Knall los gelöst, doch er schaute nicht einmal auf.
Abgesehen davon, dass er hier mitten im Dunklen saß, sah es innerhalb seiner vier Wände so aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen.
Die Essenreste auf den Tellern türmten und fraßen sich beinahe durch den Tisch, während alte Klamotten den Fußboden überwucherten, sowie die Bücher hier und dort. Außerdem stank es und das durfte etwas heißen, wenn ein Dämon das behauptete.
Ich trat einen Schritt ins Innere, doch leere Whiskey-Flaschen klirrten unter meiner Sohle. Er trank. Dabei hatte er sich doch geschworen, er würde es niemals seinem Vater gleich tun.
Doch das Ganze hier ähnelte schon der Wohnung eines depressiven Alkoholikers, der alles und jeden vernachlässigte.
Und mittendrin...
da war Riley. Er hatte sich in einen dieser durchgesessenen Sessel geworfen.
Gerade tat er einen Blick über das Buch, das er gerade las: »Verschwinde.«
»Ist schwierig Buchstaben zu erkennen, wenn's Licht aus ist, hm?« ließ ich mich jedoch nicht beirren. Wem machte er hier bitte etwas vor?
»Ich sagte es doch bereits: Verpiss dich.«
»Wie bitte?" ich strich mir eine lose Strähne von der Stirn, übertünchte damit die Flut aus Wut.
»Okay... Ich mach's kurz. Du musst zurückkommen, zurück zur Zuflucht. Sie haben Nora.« Und es ist meine Schuld...
Die Zuflucht. Er war lange nicht mehr dort gewesen, denn er hatte uns ausgiebig erklärt, dass er seine Arbeit am besten von Nahem verrichten konnte. Seit seinem sechsten Lebensjahr diente er dem Odium. Und er hatte sich seither schon um Nora's Schutz bekannt.
Doch seine Aufgabe war nun kläglich gescheitert.
Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, wusste er das bereits: »Nora? Ist mir doch egal.«
Doch ich glaubte ihm kein Wort. In Sekundenschnelle flitzte ich über den Holzboden und zerrte ihn an der Schulter nach oben. »Riley. Ich weiß es. Ich weiß, was da zwischen Nora und dir gelaufen ist. Spiel jetzt bloß nicht das Unschuldslamm!«
Riley's Unterkiefer mahlten. Er war sauer. Und ich konnte den Gestank von Whiskey nicht leugnen, der jetzt aus seiner Kehle trat.
»Lass los. Sofort,« knurrte er, nachdem er sich aus meinem Griff drückte.
Seine Schultern waren mager geworden, seine Reaktion träger. Er hatte sich wohl ziemlich gehen lassen... seitdem.
»Viele Grüße von deinem damaligen Schulfreund, Andrew Allister,« säuselte ich und sank in das gegenüberstehende Polster.
„Riley und Nora" - Diese Information hätte mir schlichtweg auch erspart werden können.
»Was interessiert es dich? Vor allem dich, du dreckiger Dämon. Du kümmerst dich doch nur um dich selbst und die lächerlichen Aufgaben, die sie dir geben. Also sag' mir, was kümmert dich Nora?« Riley's Worte waren bitter.
Doch ich konnte es ihm nicht verdenken, es lag ja quasi auf der Hand: Er liebt sie.
»Tatsächlich habe ich...« ich blickte ins Leere.
»Ich habe einen Fehler gemacht, einen sehr Großen und sie etwas Schlimmes glauben lassen... Sie... Sie soll so nicht sterben.«
Einen Moment, wirkte Riley wie abwesend. Doch dann: »Was sollen wir denn schon tun? Sie retten? Sie vor ihrem unüberwindbaren Schicksal bewahren? Du kennst doch die Regeln.«
»Es gibt Regeln, aber es gibt auch Schlupflöcher.«
Jetzt horchte Riley auf: »Okay. Wie ist der Plan?«
Wahrscheinlich hatte er sich deswegen jeden Tag und Nacht betrunken und las sich durch einen Haufen dicker Bücher: Er suchte selbst nach einer Lösung, einem Weg sie zu retten.
»Also mein Plan ist zunächst das Odium und den Kopf dessen, also „Archibald" davon zu überzeugen, Nora dem Rat erst einmal vorzuenthalten.«
»Okay. Aber wie sollen wir das anstellen? Außerdem bestimmen sie heute ihre terminliche Zusammenkunft mit dem Rat... und wir sind nur zu zweit. Zu zweit gegen das gesamte Odium der Schatten. Unmöglich.«
»Wir können einen Schattenwink benutzen. Den am Stadtpark, aber ich glaube nicht, dass du ihn packst. Er ist geheim und wurde, soweit ich weiß, noch nie von Menschen genutzt.«
»Mach' dir da um mich keine Sorgen. Ich schaffe das,« Riley erhob sich, doch er torkelte.
Er sollte vielleicht vorher erst einmal etwas essen.
Sofort dachte ich an diese Nacht-und-Nebel-Aktion mit Victoria Blake. Er wäre während seines Auftrages fast gestorben. Alle Aussichten gingen gleich null, aber dennoch hatte er es überlebt.
Ich mochte es zwar ungern zugeben, aber Riley war für einen Menschen, ein ziemlich harter Brocken. »Alles klar.«
»Aber da wir wären immer noch nur zu zweit.«
»Nein, nein. Wir sind nicht allein.«
Aus allen Ecken krochen jetzt die Schattenwandler hervor, die mich bis hier her begleitet, sich aber bislang zurückgehalten hatten. Isabella Underwood, Cain Neville und sogar Severin Creed...
»Wir sind alle bereit für Eleonora's Überleben zu kämpfen.«
𖥸
Die Türen öffneten sich wie dunkle Schwingen, ohne jegliche Berührung. Wir traten ein in den Saal, der nun voller Abgesandte des Odiums war.
Sie alle waren schwarz gekleidet. Jedermann trug ein fließendes Gewand, darunter die gepanzerte Lederkluft - „allzeit und für den Kampf bereit".
So, wie es auch üblich war.
Augen starrten uns an als wären wir wandelnde Sünden Satans. Na gut, wer würde auch solch' eine Sitzung jemals derart stören? - Ach ja, stimmt: meine dämonische Wenigkeit.
»Ich glaube nicht, dass Eleonora ein Halbdämon ist,« warf ich dazwischen, mitten in die Runde.
Meine Stimme verhallte scharf in der großen Halle. Wo war Nora? - Auf jeden Fall nicht hier.
Sie mussten sie in eine ihrer Kammern eingesperrt haben. Ich hoffte, nicht im Verlies.
Archibald war der Kopf der ganzen Gesellschaft. Noch immer hielt er seine Hand in die Höhe, es war die Pose die er einnahm, um für gewöhnlich „irgendetwas" zu demonstrieren.
Er schien plötzlich Eis zu sein.
»Ich habe meinen Auftrag erledigt, wie verlangt. Aber jetzt, habe ich etwas zu bemängeln.«
Bei letzterem Wort schien sich seine Starre zu lösen. Kurzerhand wandte sich Archibald mir zu. Nur wenige Millimeter trennten unsere Köpfe.
»Zu bemängeln, sagst du?« wache, dunkelbraune Augen taktierten mich.
Unterwerfung. Sie forderten das gleiche Gebot, wie damals als ich dem Odium, unter Anderem die höchste Treue geschworen hatte. Lange Zeit, bevor ich der Dämonenwelt gänzlich den Rücken gekehrt hatte...
»Nein, Archibald. Wir alle haben etwas zu bemängeln,« Summer's Stimme drang jetzt zwischen uns.
Tatsächlich jagte es unsere Körper auseinander.
Ich besah den jungen Mann, der augenscheinlich einen komplizierteren Schattenwink hinter sich hatte. Sein brünettes Haar war matt, die Haut in seinem Gesicht eingefallen. Er wirkte älter.
Und sah damit auch noch schlechter aus, als ich ihn heute Morgen vorgefunden hatte.
»Riley? Ich verstehe, dass du sauer bist. Wir hätten auch niemals vermutet, dass hinter den bewachten Kindern auch ein Halbdämon stecken könnte. Aber-«
»Sie ist kein Halbdämon. Eleonora ist eine Reinkarnation, die Wiedergeburt der Seherin Kassandra,« wiederholte er meine Worte.
Und das alles machte schließlich wirklich einen Sinn.
»Das kann nicht sein. Die Letzte dieser Art liegt mehrere Jahrhunderte zurück.«
»Hier ist der Beweis, hier ist eine der sieben Hexen. Hier ist Agatha,« stellte ich nun vor und dass mit Pauken und Trompeten, denn eine beängstigende Unruhe fegte jetzt durch den Saal.
Agatha trat still und leise hervor.
Auch sie war fast gänzlich verhüllt in einem Gewand, denn Hexen verbargen lieber ihre Gesichter. Sie hielten sich üblicherweise im Verborgenen.
»Sie war der Dämonin „Victoria Blake" selbst auf der Spur. Sie gab sich als ihre Freundin auf der Universität in Greenville aus. Sie lauerte Eleonora bereits im Stadtpark in Greenville auf und ließ sie... erwachen,« erklärte ich, wohlwissend dass ich die Anderen im Rücken hatte.
Isabella, Cain, Severin und Riley. Sie alle hatten schon lange Nachforschungen angestellt.
»So ist es,« bestätigte die Hexe.
Und ich musste vergessen, was sie im Gegenzug für ihren Auftritt hier verlangt hatte...
»So so. Die Hexen, jaja. Sie wussten schon immer vor uns Bescheid, nicht wahr? ...Erwachen? Ihre Kräfte wurden also freigesetzt?«
»Ja, in der Tat. Der Grund, weswegen ich niemals einen richtigen Einfluss auf sie hatte. Der Grund, weswegen Nora meinen dämonischen Kräften trotzte... Und das nicht, weil sie eine Halbdämonin war.«
Archibald überlegte.
»Deswegen ist sie so stark. Du weißt, was das heißt, Aiden. Dann müssen wir sie auf jeden Fall dem Rat vorführen. Sie ist der Schlüssel.«
Sie ist der Schlüssel.
»Sie ist der Schlüssel des Höllenuntergangs. Jeder wird sich um sie reißen. Die Unterwelt, sowie auch die der Menschen,« führte der Kopf des Odiums fort.
»Ich weiß. Aber genau deshalb darf der Rat sie eben nicht kriegen.«
»Und was ist mit Richard? Du sagtest bereits, er hätte euch gesehen.«
Der Rat. Umgehend dachte ich an den ersten ihrer Anhänger, „Richard Dean Stanford" und an unsere Begegnung. Ich hoffte, dieser würde es nicht schon längst ahnen. Ich hoffte er würde nicht schon längst wissen, was Eleonora war.
»Das war gelogen,« und dies der nächste Schwindel, denn ich musste Archibald diese Information, um jeden Preis, vorenthalten.
Wir brauchten Zeit.
»Deshalb müssen wir zuerst herausfinden, wozu sie fähig ist. Wir können sie im Kampf gegen den Höllenkönig gut gebrauchen. Das sagte ich doch bereits,« Bella trat hervor, so taff wie immer.
Ihr blondes, gelocktes Haar erinnerte an eine Löwin. Doch jeder wusste, dass sie auch giftig sein konnte, wie ein Viper.
Archibald kniff die Augen zusammen und atmete langsam aus. »Also gut. Ihr kümmert euch um einen Platz in unseren Unterrichtshallen. Sie wird die Grundlagen der Schattentheorien erlernen, sowie auch den Umgang mit den Waffen. Sie wird lernen was es heißt gegen das dunkle Reich zu kämpfen. Sie wird aber auch lernen, was es heißt ein ganz gewöhnlicher Schattenlehrling in den Hallen des Odiums zu sein. Demnach wird sie auch so behandelt. Bis zu ihrer Novizen-Prüfung, möchte ich Informationen haben. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Lautes Getuschel füllte jetzt den Saal.
»Die Sitzung ist hiermit beendet,« Archibald's Hand tauchte unter seinem Gewand auf.
Die Menge im Saal wurde immer weniger.
Es war Zeit zu gehen.
»Aiden,« hielt Archibald mich doch an, »ich weiß zwar, warum du es getan hast... Es geht um den Tod ihrer Eltern. Ich weiß warum, du es ihr auf diese Weise erzählt hast. Aber-«
»Es musste so sein,« unterbrach ich, während eine fremde Schwere meine Brust füllte.
»Sie wird dich hassen, Aiden,« seine letzten Worte fanden mich und ich machte umgehend auf dem Absatz Halt. »Du bist ein Dämon, vergiss das nicht.«
Und damit schaffte er es.
Damit schaffte Archibald Donald Walton es, ein nicht vorhandenes Herz in Zwei zu schlagen.
»Ja... Ich weiß.«
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