(44) Weich wie Butter
Eleonora
Die erste Blässe des Morgengrauens legte sich in leichter Schicht auf den noch immer dunklen Nachthimmel.
Der Übergang vom Dunklen zum Tageshellen wurde wahr. Es war ein schleichender Prozess, in welchem sich die Finsternis gemächlich verzog, um dem Sonnenaufgang den Platz zu bereiten.
Den Blick weiterhin nach oben gerichtet, erkannte ich jedoch, dass es noch ein paar Stunden bis dahin dauern würde.
Vor Kurzem hatten wir den alten Wasserturm hinter uns gelassen und Aiden hatte mich zurück zum Gasthaus gebracht. Nun standen wir beide vor der Türschwelle des Moes & Beers, meinem zu Hause und starrten uns an.
Ein unangenehmes Schweigen schwang zwischen uns und ich spürte, dass hierin noch so viele unausgesprochene Worte lagen, welche förmlich um Aussprache flehten.
Wie Aiden es bereits vorhergesagt hatte, waren die Nebelgespinste oder auch „menschliche Seelen", wie er sie genannt hatte, wieder verblasst.
Nun sah ich diese abgefahrenen Geschöpfe nicht mehr geisterhaft umherwandern. Ich gab es zu. Ein wenig hatten sie mir Angst gemacht. Aber ein noch größerer Teil von mir, war über ihr Verschwinden ziemlich... traurig.
Nur zu gerne wollte ich diesen mysteriösen Schemen dabei zu sehen, wie sie wieder von Nahem durch die Straßen der Stadt wanderten.
Direkt vor mir stand er nun. Aiden.
Beide Handflächen hatte er in die Hosentaschen seiner löchrigen Jeans gesteckt. Unausweichlich wagte ich zu glauben, dass er sie mehr vor sich selbst, als vor mir verstecke.
Vielleicht erging es ihm ja genauso, wie mir. Vielleicht geschah es ja auch im Hinblick eines Verlangens, welches nahezu unkontrollierbar erschien und er sich gerade deswegen fürchtete.
Vielleicht, weil es ihm auch so sehr in den Fingerspitzen brannte.
Die Dunkelheit um uns herum, bildete nur noch einen dünnen Vorhang, welcher nahezu durchsichtig über der Stadt lag. Noch leuchtete der Mond der letzten Nacht am Himmel.
Aiden's Haar glänzte ein wenig im Schein der neben uns stehenden Straßenlaterne und ich erkannte, dass er mich ausgiebig und ohne Pause musterte.
»Okay... also-,« und doch presste er wieder Ober- und Unterlippe fest aufeinander.
Sein Mund formte sich zu einer ernsten Linie.
Auf seiner Stirn erkannte ich ein Runzeln, als läge vor ihm eine unüberwindbare Aufgabe.
Viel mehr noch, als wäre ich genau, dieses schwere und unlösbare Rätsel.
Herzklopfend wartete ich auf den Einsatz seiner Stimme, doch er zog nur scharf den Atem ein. Erleichtert atmete ich ihn wieder aus.
Stille begleitete uns weiter.
Sie war unser bester Freund. Nein, Feind.
Herr im Himmel, dass ist ja nicht mehr zum Aushalten!
Blut meines rasenden Pulses rauschte nun in meinen Ohren, denn es stimmte: Auch ich konnte diese intensive Schwingung zwischen uns nicht leugnen... Und die Wärme, die mich durchschoss, wenn ich in diese grünen murmelartigen Smaragde sah.
Es war eine Art der Verbundenheit, welche so tief erschien, dass es mir fast die Sinne raubte.
...Doch das hieß noch lange nicht, dass ich sie auch akzeptierte...
»Na dann.« Ich gab ein erschöpftes Seufzen von mir, »Es war ein schöner Abend. Danke, dass du mir die Nebellichter gezeigt hast und danke für die,-« kurz suchte ich nach dem passenden Wort, »Geschichte. Ich weiß es wirklich zu schätzen. Eine gute Nacht, wünsche ich dir.«
Mit einem sofortigen Umschwung wandte ich mich meiner Rettung zu, nämlich der Haustür, welche nur wenige Stufen weiter, auf mich wartete.
Kaum hatte ich den Türgriff umfasst, da drang seine Stimme tief zu mir herüber. Es ließ mich unverzüglich in meiner Bewegung innehalten. »Nett von dir. Aber ich werde nirgendwohin gehen.« Wie bitte?
Erneut wirbelte mein Körper herum, so, dass wir einander wieder ansahen.
»Nicht solange ich nicht versichert bin, dass du hier auch wirklich sicher bist,« ein schmerzliches Funkeln trat nun in seine Augen, »Ich hatte dir die Frage ja schon gestellt und da du ja eh nicht mit mir mitkommen willst-«
»Was?!« Der ist doch vollkommen übergeschnappt!
Doch ein Blick in diese Mimik, welche so beharrlich und ehrlich wirkte, reichte aus, da vergaß ich meine Zurechtweisung.
Eben hatte meine Stimme im Kopfe noch laut geklungen, doch jetzt war sie leise: »Du willst also die ganze Nacht lang vor meiner Tür Wache stehen?«
»Ja.«
»Das ist doch vollkommen verrückt.«
»Naja, zumindest werde ich ja nicht müde. Ich bin ja immerhin ein Dämon,« still lächelte er selbst über das anscheinend einzige Argument, welches er auf die Schnelle aufbringen konnte.
»Du glaubst also wirklich, dass ich nicht mal mehr in meinen eigenen vier Wänden sicher bin?« eine gefährliche Frage.
Und eine unbehagliche Pause entstand, welche mir schon genug Auskunft über seine Antwort gab.
Dennoch war ich mir ziemlich sicher, dass das einzig Schauderhafte, was mich heute Nacht heimsuchen würde, meine Thriller sein würden.
»Du kannst sagen, was du möchtest. Ich werde hierbleiben und dich auf jeden Fall nicht allein lassen.«
»Na gut,« willigte ich ein, mit der geistigen Begründung, dass ich ihn ja ohnehin nie von seinen Vorhaben abbringen konnte.
Abgesehen davon, fing ich an die Idee und die Vorstellung, dass er still und heimlich über mich wachen würde, zu mögen.
»Sag mir,« setzte er aus dem Nichts hinzu und seine Stimme wurde weich wie Butter, »wie kann ich dich dazu überreden, dass du endlich mit mir kommst? Es ist zu deinem Schutz.«
Er meinte es tatsächlich ernst.
Er lässt einfach nicht locker.
Völlig unerwartet versetzte es mich doch in vollkommene Sprachlosigkeit.
»Wäre dem vielleicht so, wenn du wüsstest ich halte meine Versprechen? Würdest du mitkommen, wenn ich dir heute, also diese eine Nacht versprechen könnte, nicht schlecht zu träumen?«
Aus meiner Kehle drang jetzt nichts mehr. Kein winziger Mucks drang aus meiner Kehle.
Eine ruhige Nacht? Eine Nacht voller süßem Schlaf?
Ich fragte mich, ob Aiden wirklich über eine solche Fähigkeit verfügte?
Eine stumme Frage, welche still in mir brannte und mir im Halse stecken blieb, denn ich fürchtete mich vor dessen Beantwortung und dem Brand, welcher sich dann in mir entfachen würde.
»Lass mich es dir beweisen,« riss er mich aus meiner Vermutung.
Doch dann.
Ich spürte einen weichen Druck auf den Lippen. Urplötzlich kam es über mich und ließ meinen ganzen Körper erbeben.
Ein Luftzug wehte mir durchs Haar und nachdem ich die Augen wieder öffnete, sah ich, wie wir beide miteinander verschmolzen.
Aiden küsste mich.
Die Wärme seiner Lippen umschloss ganz die Meinen. Eine Mischung aus Emotionen, Ehrfurcht und Verlangen, durchdrang und erreichte mich in vollkommener Intensität.
Für eine Kürze gab ich mich dem Zauber hin. Ich ergab mich dem magischen Reiz und auch der Zunge, welche nun das Innere meiner Mundhöhle zu erkunden versuchte.
Das Grün seiner Augen war so nah, so plötzlich, dass ich bangte ich würde mich nun vollends darin verlieren.
Und das für immer.
Mein Atem wurde schwerer.
Niemals... Nein!
Ich brach ab. »Was? Was sollte das?!« entsetzt schob ich ihn von mir, »Wieso hast du das gemacht!?«
Ich griff mir an die Lippen, als könnte ich die vergangene Zärtlichkeit wieder von mir nehmen. Doch vergeblich. Die Resonanz dessen war noch immer zu spüren.
»Warum küsst du mich aus heiterem Himmel?«
»Geküsst? Von was sprichst du da? Ich habe nichts dergleichen getan,« er beäugte mein aufgelöstes Ich mit ruhiger Miene.
Kann das sein?
Seine Stimme wirkte gelassen, als würde er sich selbst jedes Wort davon glauben und so ernsthaft, dass man es für möglich halten könnte, dass jede einzelne Silbe davon stimmte, »Dass musst du dir eingebildet haben, Eleonora.«
Schockiert starrte ich in seine gleichgültige Mimik. Auch ich wollte nicht mehr glauben, dass dieser gefühlslose Dämon mich geküsst hatte. Also hoffte ich inbrünstig, dass mich eine neue Erkenntnis wie der Blitz traf.
Doch es passierte nichts.
Stattdessen konnte ich spüren, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
»Allerdings musst du mir jetzt Eines versprechen. Wenn dir heute Nacht kein Albtraum widerfährt, musst du mit mir kommen. Direkt in der Frühe, im Morgengrauen brechen wir auf.«
Kalt liefen seine Worte mir den Rücken hinab. Es verschlug mir die Sprache. Unausweichlich erreichte es meine weichen Knie. Meine Wangen hatten sich verwandelt und wurden zu glühendem Eisen, während sich mein Herz gefangen fühlte, in einem Knebelgriff.
In diesem Moment zwang ich mich. Ich quälte meinen Blick in seine grünen Augen und hoffte darin die Lüge zu lesen, welche dort geschrieben stehen musste.
Nichts. Es gelang mir nicht.
Die Augen, in welche ich mich so sehr verliebt hatte, waren jetzt gesperrtes Territorium.
Ich konnte ihn nämlich nicht mal mehr ansehen.
Aiden, sein Gesicht und dessen Lippen, bei welchen ich mir auf peinlichster Weise eingebildet hatte, dass diese mit Meinen in Berührung gekommen waren.
Der Kuss musste einfach ein weiteres dummes Hirngespinst gewesen sein. Ein dummer Thriller.
Peinlich. Ich bin einfach so dumm. So dumm, so dumm.
Das Gefühl wuchs mich nur noch in eine einsame Ecke verkriechen zu wollen. Gedankenverloren im Bett liegen und vergessen, wollte ich.
Sollen die Albträume doch kommen und mich heimsuchen! Ich lebe doch praktisch schon in einem!
Mehrmals versuchte ich die Tränen hinwegzublinzeln, welche meine Augenhöhlen fluten wollten. Ein Kampf.
Schnell nickte ich Aiden zu, denn ich wollte nicht dass er es sieht, wie ich diesen verlor.
»Abgemacht.«
»Wir sehen uns dann morgen,« dabei senkte er leicht den Kopf, »gute Nacht, schlaf gut.«
Ruckartig und ohne Weiteres, schlug ich die Haustür hinter mir zu, nur wenige Millimeter vor seiner Nase.
Keuchend sank ich auf die Knie. Schluchzend hielt ich mir die Hände vor den Mund, während ich die Tür im Rücken spürte. Es war der gleiche Mund, von welchem ich geglaubt hatte, dass Aiden ihn geküsst hatte.
»Nora, du bist so gottverdammt und unverschämt dämlich,« beschimpfte ich mich selbst, »ich will sie nicht mehr, diese bescheuerten Träume! Ich will sie nicht mehr!!!«
Noch immer spürte ich das fieberhafte Brennen auf meinen Wangen, während ich in den dunkelverhangenen Raum hineinblickte und mich auf eigenartigste Weise, direkt mit ihm verbunden fühlte.
Nun hatte ich keine Angst mehr vor der Dunkelheit, denn ich wusste jetzt, dass so jemand, wie Aiden, in ihr innewohnen konnte.
Er würde über mich wachen.
Laut seufzte ich auf über mein inneres Gefühlschaos, während ich mir behutsam die Klamotten vom Leib zog und in mein Bett krabbelte. Wie ein Baby.
Es würde für wohl für immer ein Ort sein, in welchem ich wohl nie die volle Erholung finden würde. Trotzdem legte ich mich nieder und anders als erhofft, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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