(34) Sie glauben diese Geschichte ist wahr?
Eleonora
Herzklopfen. Schnelle Beine trugen mich durch den Flur. Es war wie, als würde mein Körper sich im Takt eines Instinktes bewegen. Ein Trieb, der mich zu dem wahrscheinlich einzigen Ort befehligte, an welchem ich Rys noch vermutete.
Unverzüglich stellte ich mir vor, wie ich ihn sitzend zwischen Bücherstapeln vorfand. Mein Kopf malte sich aus, wie dieser viel zu vertieft gewesen war, um auch nur für eine Sekunde auf sein Handy zu blicken.
Irrbilder meiner Vorstellungskraft.
Doch auch Bilder, welche mich mit großer Wahrscheinlichkeit durchdrehen ließen, wenn diese nicht real wurden.
Da ist sie, die Tür. Hier bin ich richtig.
Lange war ich nicht mehr hier gewesen. Ohne dabei zu lügen, konnte ich mich nur an zwei vergangene Male erinnern, in denen ich durch sie hindurchgegangen war.
Ein paar Studenten zogen geradewegs an mir vorbei und ein Gespräch über „psychosomatische Störungen" drang zu mir herüber.
Das Öffnen des zwei Meter hohen Holzes nahmen sie mir vorweg und ein altes Klackern ertönte, als dessen Seiten über die Bodendielen entlang schliffen.
Sofort zwang sich mir der Geruch alter Bücher und Holzpolitur in meine Nasenflügel.
Die riesige Räumlichkeit eröffnete sich mir zu allen Seiten und ich versank, wie auch nicht anders zu erwarten, in Massen von Bücherregalen.
Das dunkle Holz der Regale reflektierte im Glanz der Kronleuchter Kerzen. Ich verlor und fand mich in einer fremden und älteren Zeit Epoche wieder. Ein Teppich bereitete mir den Weg. Die rote Linie führte an mehreren Sitzgelegenheiten vorbei und durch regalartige Bögen hindurch, welche auch wiederum mit dicken Wälzern befüllt waren. Kuschelig. In jeder Richtung ergaben sich Leseecken. Sie bestanden aus mehreren Sitzkissen, welche wohl das Herz jedes Bücherwurmes höherschlagen lassen würden.
Wow.
Im Anblick dessen wurde ich mir bewusst, dass ich meine Bibliotheksbesuche, bloß an einer Hand abzählen konnte.
Abgesehen davon konnte man hier nicht mal mehr eine Stecknadel fallen hören. Mich erreichte ein befremdlicher Geräuschpegel, welcher abseits jeder Bibliotheksnorm zu sein schien. Unterhaltungen und Gekicher. Diese gingen weit über ein "Geflüster" hinaus und hatten sogar schon nach meiner Beurteilung, längst die Graustufe des Störfaktors erreicht.
Gesprächsfetzen von Studierenden erreichten mich. Ich hörte, wie sie über Stoff einer vergangenen Vorlesung debattierten.
Diese Streber... nicht einmal hier konnten sie einfach nur ein Buch lesen!
Im Großen und Ganzen erschien es mir der lokale Brennpunkt des Psychologie Studiums zu sein. Ein Vergnügen, an dem ich so gut wie nie teilgenommen hatte.
Ich trat in den mächtigen Büchersaal, dem wahrscheinlich größten Raum des gesamten Gebäudes.
Sofort flog mein Blick über die Gesichter der Insassen. An einem davon blieb ich jedoch hängen und meine Glieder gefroren zu Eis.
Der Schlag meines Herzens setzte einen Moment aus, als ich tatsächlich meinen besten Freund am Rande eines Tisches sitzen sah. Im genauen Betrachten lag sein Kopf eher auf der Platte des Holzes. Das brünette Haar unordentlich zerzaust.
»Gott. Rys,« stieß ich beinahe atemlos hervor und eilte zu ihm.
Sein Gesicht ruhte inmitten mehrerer Bleistift Skizzen. Es war die reinste Papier-Party.
Und er mitten drin sah aus, wie "das schlafende Murmeltier".
Umringt wurde er von mehreren Büchertürmen und aufgeschlagenen, dicken Wälzern. Er lag auf der Seite, so dass es mir die Sicht auf seinen zerknautschten Ausdruck erlaubte. Ein leicht geöffneter Mund, verschlossene Lider. Er schien wirklich zu schlafen. So seelenruhig und tief, dass er sich sogar an dem Chaos und der Unruhe, um ihn herum nicht störte.
Zu gut kannte ich dieses Gesicht. Es war das Ergebnis einer langen Nacht, einem Tag, der nicht enden wollte. Der bekannte Ausdruck des Serienjunkies, am nächsten Morgen.
Doch mein Schmunzeln löste sich direkt wieder von mir, denn ein Schnauben drang aus seinem Mundhöhle.
Sanft versuchte ich ihn wachzurütteln: »Hey, du Schlafmütze.« Rys. Er ist doch nicht fort. Er ist hier. Genau hier.
Mein Freund antwortete mit einem weiteren Grummeln. Schließlich flackerten langsam seine Lider.
»Das sieht ein bisschen heftiger aus als der Morgen nach der letzten Staffel Supernatural. Geht's dir gut?«
»Mhmm,« blinzelte er nun und nachdem er mich zu erkennen schien, schlugen seine Augen vollends auf, »Nora!«
Ein Ruck durchfuhr ihn und innerhalb weniger Sekunden zwang er sich zur Aufrichtung, dabei blieb ihm ein loses Blatt Papier an einem Mundwinkel hängen.
»Ähm. Du sabberst,« ich unterdrückte ein Grinsen.
Als wäre es eine lästige Fliege, schlug er es von sich. Mein Rys!
Die ganze Wut, welche ich ihm gegenüber empfunden hatte, verpuffte innerhalb einer Millisekunde. Pure Erleichterung durchströmte mich. Da ist er. Endlich.
Riley trug einen gemütlichen zimtfarbenen Hoodie, die Art von Pullover die er für gewöhnlich am Wochenende bevorzugte. Es ergab ein ungewöhnliches Bild.
Sein Ausdruck blieb an einem Bücherstapeln haften. Entsetzen stahl sich auf seine Miene, »Wie spät ist es?«
»16 Uhr. Es ist Nachmittag.«
Sorgsam besah ich seine Miene und konnte die Zahnräder nur erahnen, welche sich in seinem Kopf gerade drehen mussten.
Nun rieb er sich die Schläfen. Eine Bewegung, die den Stoff seines Pullovers zurück rutschen ließ. Sie legte dutzende, spitzenscharfe Einstiche auf seinen Handgelenken frei.
Um Himmelswillen.
Die Röte brannte sich mir direkt ins Blickfeld. »Was ist das?« Die Droge?
Bilder der Hetzjagd tauchten vor meinem inneren Auge auf. Mein Thriller. Der Jäger, der gegen Victoria Blake gekämpft hatte. Er hatte den Kampf verloren.
Ich hatte es nicht richtig sehen können, doch irgendetwas war ihm verabreicht worden.
Eine Spritze?
Er. Es war Rys gewesen. Es passte.
Die ganze Zeit hatte ich es mir ausgeredet.
Sofort fiel sein Blick auf die Stelle der Haut, die ich musterte. »Das ist gar nichts,« ein wenig zu eilig krempelte er die Ärmel wieder nach unten, »ich meine, es ist... nicht wichtig.«
Ausdruckslosigkeit durchzog schlagartig seine Miene. Es war zu verdächtig. Auch erkannte ich, dass die Kälte seine Augen nicht erreichte. Förmlich war greifbar, dass er nur den Gleichgültigen spielte.
Hältst du mich wirklich für so dämlich, Summers?
Ungläubig starrte ich ihn an. Einen kurzen Kontrollblick warf ich jedoch über die Schulter. Zum Glück unterhielten sich die Studenten in unserem Umkreis immer noch eifrig.
Niemand schien sich für uns zu interessieren.
Trotzdem flüsterte ich: »Sag mal, nimmst du etwa Drogen?«
Plötzlich brannten sich mir Bilder in den Schädel. Tränen aus Asche. Dunkler Nebel.
Der Obdachlose vor Madame Couture's Haus. Der Student auf dem Campus.
Sie alle hatten Eines gemeinsam.
Sie alle waren von diesen Stichen übersät gewesen. Und jetzt... Bitte nicht auch noch Rys.
»Ich war Blutspenden!« unterbrach er fast meine Frage. Auch er sah nun mehrmals um sich, doch erkannte keine unerwünschten Zuhörer.
»Blutspenden!?« wiederholte ich immer noch misstrauisch. Was war wirklich mit ihm passiert?
Doch eine vernünftigere Antwort kam nicht.
»Riley Summers, wenn du irgendwelche Probleme hast, dann sag es mir. Jetzt. Ich habe mir wirkliche Sorgen um dich gemacht,« ich holte mein Smartphone aus der Hosentasche hervor und hielt es ihm knapp vor das Gesicht.
Es war die Liste der ganzen unbeantworteten Anrufe, welche ich in seiner Abwesenheit getätigt hatte.
Ein paar Mal blinzelte er, bevor sich der Mund zu einer Antwort formte.
Doch ich ließ ihn nicht zu Worte kommen: »Plötzlich warst du weg und nicht mehr zu erreichen,« meine Stimme brach nun.
»Tut mir leid, Nora... Wirklich. Ich habe mein Handy geschrottet. Ich werde es wieder gut machen. Versprochen,« ein entschuldigender Ausdruck betrat sein Gesicht.
Von Gleichgültigkeit keine Spur.
"Geschrottet". Es war eine Lüge. Offensichtlich.
Doch er fühlte sich schuldig.
Das allein reichte mir, um ihn in beide Arme schließen zu wollen. Wortlos.
Meine Hände glitten entlang seiner breiten Seiten und ich zog den geliebten Rys-Duft in meine Nase. Ich hoffte, ich würde diesen dezenten Geruch von süßlichem Zedernholz nie wieder missen müssen.
Wärme umschloss auch mich, denn er fiel geradezu in meine Umarmung. Erleichtert.
Er strich mir durchs Haar und zog mit einer Hand beruhigende Kreise auf meinen Rücken. Ich hörte, wie er tief den Atem einsog.
Da war er wieder, einer dieser wertvollen Momente, in denen wir uns auch ohne Worte verstanden und ich innerhalb weniger Sekunden wusste, dass alles wieder gut zwischen uns war.
Wir ließen voneinander ab.
Doch er musterte mich mit nussbraunen Augen, welche traurig funkelten und meine untergegangene Besorgnis wieder an die Oberfläche auftauchen ließ.
»Hat es vielleicht mit Victoria zu tun? Bist du wegen ihr so durcheinander?«
»Das könnte man so ausdrücken,« seufzte er, »wir hatten ein... Date.«
»Was ist passiert?«
»Es ist kompliziert. Sie muss sich... noch ein paar Gedanken über uns machen.«
»Oh, das tut mir leid. Wo steckt sie jetzt?«
»Wenn ich das nur wüsste,« warf Rys murmelnd ein.
»Was?« Er war wohl im Glauben gewesen, ich könnte es nicht hören.
Dann wurde die Stimme deutlicher, »Irgendwo hier in der Universität, schätze ich.«
»Irgendwo?«
»Ja, irgendwo, Nora, du stellst viele Fragen,« fast wirkte er gereizt.
Er rieb sich den Nacken und eine unangenehme Pause entstand.
Doch ich ließ nicht locker, »Weswegen bist du letzte Nacht nicht nach Hause gekommen?« jetzt besah ich wieder das Papierchaos um uns herum.
Gerade wollte eine Hand nach einer der Bleistiftskizzen greifen, als jemand mich in meiner Bewegung unterbrach: »Dass er nicht zu Hause gewesen war, lag genau daran, weil er mir netterweise ausgeholfen hat.«
Zu meiner großen Überraschung tauchte Neville aus dem Nichts auf.
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