(32) Luft voller Elektrizitäten
Eleonora
Ich ignorierte sein erwartungsvolles Gesicht und rasselte an ihm vorüber. Fast hatte ich unsere letzte Auseinandersetzung zu vergessen gewagt. Ich hatte gesagt, ich zitierte gedanklich: „Verschwinde endlich!".
Und was war geschehen? - Nichts.
Er war nicht „verschwunden".
Er erinnerte mich an ein Kaugummi, welches sich tückischer Weise immer wieder an der Fußsohle festsaugte.
»Heute habe ich leider kein Foto für dich. Ciao Ciao, Aiden,« ich ließ ihn am Ende des Flures stehen. Zum Abschied schenkte ich dem Dämon noch ein selbstbewusstes Lächeln.
Für Dämonen habe ich heute wirklich keine Zeit. Sorry.
»Nicht so schnell, Heidi Klum,« er heftete sich an meine Fersen. »Oder sollte ich wohl eher sagen: Möchtegern?« Es war nicht anders zu Erwarten gewesen.
Los. Ich muss weiter.
Versehentlich rempelte ich jemandes Schulter. Knapp murmelte ich ein: »Sorry«.
Ich schien für die anderen Studenten wohl nicht länger unsichtbar zu sein.
»Wen suchst du?« grätschte Aiden dazwischen.
Er benahm sich gerade, als hätte ich ihm nicht vor wenigen Stunden befohlen mich „in Ruhe zu lassen".
Mit einer nahezu falschen Selbstverständlichkeit, beugte er sich zu mir, »Wen du suchst, hab ich gefragt.«
Lässig, wie immer, sah er aus.
Diesmal gekleidet in leichten Bomberjacke, einer dunklen Jeans und dem Dreitagebart, im dennoch junggebliebenen Gesicht.
Nach knapper Beurteilung könnte er kurzerhand als Psychologie Student durchgehen.
Vorbeilaufende Studenten bestätigten mir, dass ich mit meiner Vermutung Recht behielt.
Niemand beäugte ihn kritisch. Absolut Niemand. Tatsächlich wirkte er nicht einmal „Fehl am Platz". Unfair. Es ist einfach unfair.
Immer noch trottete er hinter mir her.
Und sofort dachte ich daran, dass nicht einmal der Hund von Mom und Dad es für nötig gehalten hatte, mit mir „Beifuß zu gegen".
Mommy, Daddy. Das ist aber nicht der Hund, den ich schon immer wollte.
»Du hattest gesagt, du würdest mich in Ruhe lassen,« zischte ich.
»Und ich sagte, - ich werde dich beschützen, wenn Gefahr droht,« betonte Aiden.
Ich antwortete mit einem Ausdruck, welcher bedeuten sollte: Ich bin in der Universität, wie fast jeden Tag auch. Wo steckt die Gefahr?
Doch Aiden wirkte davon wenig imponiert.
»Rys,« gab ich zu meiner Verärgerung preis, »Ich suche meinen besten Freund, Riley Summers. Und bald beginnt meine Vorlesung. Es bleiben mir nur noch wenige Minuten.«
Ein Runzeln legte sich auf seine Stirn. Er schien von seinem Namen wohl nicht beeindruckt zu sein. Doch Aiden folgte mir auch weiterhin.
»Wir wohnen zusammen im Gasthaus. Das hört sich vielleicht ein wenig übertrieben an, aber er ist zwei Nächte lang nicht nach Hause gekommen und ich habe das ungute Gefühl, dass da etwas nicht stimmt...«
»Du kümmerst dich aber sehr... sorgfältig um deinen besten Freund.« Er hält es also wirklich für übertrieben.
»Ja, wir sind schon ewig miteinander befreundet. Wir-« erklärte ich locker.
»Du hast also Angst, dass er in fremden Bettchen schläft, hm?« platzte es plötzlich aus einem viel zu schönen Mund.
Ich starrte ihn an. »Was, wie bitte?«
Damit taktierte ich ihn unbewusst und sein Rücken krachte gegen den nächsten Spind.
Aiden's Augen fanden mich. Jedoch lag nicht das belustigte Funkeln darin, wie ich vermutet hätte.
Sein Ausdruck war hart, seine Lippen jetzt eine stramme Linie. Er meinte das tatsächlich ernst...
»Schläfst du mit ihm?« schoss er hinterher. Woher weiß er davon?
Hitze pumpte durch meine Wangen und ich wandte den Blick ab. Und warum war mir das plötzlich so sehr unangenehm?
»Wie kommst du darauf?«
»Also... ja,« er schloss die Augen.
Was bildete er sich eigentlich ein? Versuchte er hier gerade den Lover zu spielen?
Meine Stille taute und wurde dann zu feuriger Wut: »Was? Ich wüsste nicht, was zum Teufel dich das eigentlich angeht?!«
»Sorry. Ich wollte dir nicht... zu nahe treten.«
»Das ist auch besser so,« und ich fand zurück zum Thema. »Nun ja, ich erhoffe mir... ich erhoffe mir einfach das kleinere Übel, dass Rys nämlich bestenfalls mit einer neuen Studentin durchgebrannt ist.« wenn diese Studentin hoffentlich menschlich ist...
»Eine neue Studentin? Wer?« der Themenwechsel tat ihm scheinbar einen Gefallen.
»Victoria. Eine Blondine, ist schlank, hat ein schönes Gesicht, sieht aus wie ein Model.«
Und ab und zu auch wie Graf Dracula. Hihi.
»Eine sexy Blondine, ja? Vielleicht sollten wir zuerst die suchen und befragen,« die Belustigung fand Aiden's Gesicht wieder.
„Wir"? Träum weiter.
»Wirklich?! Nur wirklich das hast du dir behalten. Oh man,« ich fasste mir an die Stirn,
»aber ja klar, warum wundert mich das überhaupt noch?«
»Hm. Vielleicht hatten es die Dämonen ja auch auf deinen Freund abgesehen und ihn sogar entführt. Diese Victoria, ist sie hier irgendwem aufgefallen?«
Sofort dachte ich an die Aussage von Agatha. »Nein. Niemand erinnert sich an sie.«
Ein überhebliches Grinsen zeichnete sich auf Aiden's Gesicht, doch im Gehen blieb er kurz stehen, »Hm. Schlechte Karten. Sieht mir ganz nach dämonischer Gehirnwäsche aus.«
»Was?«
»Der Tarnmantel von dem ich dir erzählt hab? Eine kurzlebige Identität, die sich irgendwann selbst zerstört und jeder vergisst, dass man mal war.«
»Die Dämonen haben es also auch auf Rys abgesehen,« stellte ich fest. Hoffentlich hatten sie ihn nicht entführt oder... Schlimmeres!
»Oder vielleicht war es sogar der Rat selbst?«
»Ein Rat?«
Er bemerkte meinen missmutigen Blick.
»Oh. Da hab ich wohl zu viel gesagt.«
»Ich muss gestehen, der Gruselfaktor war eben da gewesen, als du im Flur schon auf mich gewartet hast. Aber das - das toppt jetzt alles!«
»Ich hab' was?« kurz hielt er inne, »Hab' ich nicht. Ich meine, - das war ich nicht!«
»STOPP JETZT. Der Rat, oder wer auch immer, sollen sie ruhig kommen! Ich habe nicht das geringste Problem damit!« unterbrach ich jetzt ihn, »Vielleicht sind die ja WENIGER AUFDRINGLICH. Ich kann mir beim besten Willen nämlich nicht vorstellen, dass sie NERVEN oder JAMMERN. Die KLAMMERN bestimmt auch nicht solange, bis man sich ENDLICH dazu entschließt, mit ihnen mitzukommen. SCHLIMMER ALS DU, - können die gar nicht sein,« ich stemmte die Hände in die Hüften.
Okay. Das hatte raus gemusst.
Ha! Schluck das, du Dämon!
»Das hier ist kein Witz, Eleonora,« urplötzlich stand ihm die Ernsthaftigkeit ins Gesicht geschrieben.
Es machte seine Züge nur noch schärfer. Seine Kiefermuskeln spannten sich an.
„Eleonora", hallte es in meinem Kopf wider.
»Ich hab ihn dir noch nie gesagt, meinen vollen Namen. Woher weißt du-«
»Ich sagte es bereits... Ich weiß so Einiges.«
Anders als zu vermuten war, schien sich mein innerer Vulkan nicht weiter zu zürnen.
Er entflammte nicht. Stattdessen spannte sich die Luft voller Elektrizität und Inbrunst.
Aiden. Voller Faszination musterte ich ihn.
Jedes Detail seines Antlitzes betrachtete ich genaustens und versuchte es mir einzuprägen, als sei es das höchste Gebot.
Ein Teil von mir, welchen ich nur schwer zu kontrollieren vermochte, verlor sich in seiner ernsten Miene und dem lodernden Feuer darin. Das heuchlerische Ich verfiel den Flammen und fühlte sich dem Gefährlichen hingezogen.
»Ich muss jetzt gehen,« ich flüchtete. Doch er folgte mir noch immer. »Willst du mich jetzt etwa bis in die Vorlesung begleiten oder was? Was ist der Plan?!«
»Klar. Außer du bestätigst mir natürlich, dass du umgehend mit mir mitkommst.«
Bevor ich der nächsten, giftigen Erwiderung freien Lauf lassen konnte, verschränkten sich wieder unsere Blicke miteinander.
»Das kannst du vergessen,« meine Stimme war jetzt schwach.
Doch seine Miene blieb hart.
»Egal was ich sage, du wirst nicht gehen, oder?«
Mein Blick bedeutete: Nein.
Mit einem attraktiven Schmunzeln schüttelte er den Kopf.
»Ach ja,« er wurde erneut Eins mit dem Dunklen, »tu' mir bitte noch einen Gefallen und halt dich von diesem Professor fern, ja?«
Wenige Sekunden später verschwand Aiden in einem Ansturm aus Schatten.
»Welcher Professor?« hörte ich mich sagen.
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