(20) Wie Motten das Licht
Aiden
Ich wusste, dass sie anders war, kurz nachdem ich sie zum ersten Mal, mit eigenen Augen gesehen hatte.
Schlagartig kam mir Eleonora Davis' graziöse Gestalt in den Sinn.
Die schlanke Frau mit ihren dennoch weiblichen Rundungen, wirbelte vor mir herum, drehte Pirouetten und wollte um keinen Preis der Welt meinen Kopf wieder verlassen. Es war ein ungewolltes und lästiges Unterfangen, welchem ich still ausgeliefert schien.
Genervt warf ich ihre verführerische Erscheinung nun erneut aus meinen Gedanken, denn dort hatte sie nichts zu suchen. Geh' raus aus meinem Kopf, verdammt nochmal!
Obwohl ich wusste, dass es nichts Ungewöhnliches war, wenn Dämonen nach menschlichen Bedürfnissen verlangen oder ihnen sogar erlagen. Wobei hierzu im Durchschnitt eher der Alkohol- und Zigarettenkonsum zählten.
Mehr als nur oft, kam es vor, dass wir aßen (obwohl wir es nicht mussten), uns fortpflanzten oder uns gar' in die Spielothek begaben, um uns dem Schicksal des Roulettes hinzugeben, wenn wir es unbedingt wollten.
Allerdings änderte sich nichts an dem Fakt, dass wir uns selten den sexuellen Reizen eines Menschen hingaben und diese begehrten.
Wir „trieben es" stattdessen lieber mit unseresgleichen.
Dies traf wohl vor allem wohl auf mich zu.
Ganze sechzehn Jahre beherbergte mich schon dieser Körper und bisher hatte er sich nie schlecht auf mein Umfeld ausgewirkt.
Eher im Gegenteil, die Frauenwelt lag mir zu Füßen. Um genauer zu sein war meine Hülle ein verdammter „Ladies-Magnet". Doch Weiber, - ob Dämonen oder auch nicht, interessierten mich nicht die Bohne.
Als sogenanntes "Sexobjekt auf zwei Beinen" hatte man es leicht, ich zog daraus meine Vorteile, zum Beispiel zugunsten eines Auftrages.
Automatisch drifteten meine Gedanken zurück auf meinen Letzten. In diesem Blumenladen namens „Frenzies Flowers" hatte ich probiert eine betörende Unterhaltung mittels meines grenzenlosen Charmes zu führen. Zwischen wilder Blumen und roter Rosen hatte ich mich tatsächlich... blamiert.
Ein Desaster!
Noch immer konnte ich es kaum fassen.
Ich scheiterte. I-c-h. Tatsächlich.
Hinzufügend auch ein weiteres Mal.
Einen zweiten Anlauf hatte ich gewagt, in einem American Diner, „Donuts & Friends".
Und dann... Ein erneuter Fehlschlag.
Wie konnte mir so etwas nur passieren?
Wo lagen meine Fehler?
Fragen, welche ich mir gar nicht mehr stellen wollte. Erniedrigend.
Doch diese Frau konnte sich wirklich kontrollieren.
Sie war anders. Zweifelsfrei ein harter Brocken.
Eleonora Davis schien gegen mein attraktives Selbst irgendwie „immun" zu sein.
Es nervte mich. Vor allem im Hinblick darauf, dass Eleonora nun stattdessen reizende Flick-Flaks in meinem Kopf vollführte.
Es war weitaus mehr als nur „nicht geplant".
Es machte mich rasend.
Hinzu kam, dass mich die weiblichen Attribute einer sterblichen Frau bisher noch nie gereizt hatten. Während meines übernatürlichen Daseins hatte ich lediglich eine Schwäche für Nikotin entwickelt. In meiner Lederjacke steckte immer ein Päckchen und ein Feuerzeug.
Da war eine Menschen-Frau, welche mein Interesse weckte, garantiert die letzte Option einem humanen Bedürfnis zu erliegen.
Doch Eleonora Davis schien weitaus mehr, als das zu sein. Für die Gattung Mensch war sie zwar tatsächlich ein überdurchschnittlich schöner Anblick, aber in erster Linie trug sie für mich das Gesicht eines Phänomens. Ein Antlitz, in welchem nicht nur das Quecksilber um ihre Pupillen und die natürlichen Sommersprossen um ihre Nase, hingehörten.
Ihr menschliches Sein schien nur die Hülle eines „großen und vollkommenen Ganzen" zu sein.
Das spürte ich. Irgendwie.
Doch der Kern ihrer Existenz ist weitaus bedeutungsvoller, flüsterte eine innere Stimme und ich wusste diese sprach die Wahrheit.
Zu meiner Entrüstung, stellte Nora sich nämlich auch als den einzigen Menschen heraus, bei welchem meine dämonischen Kräfte nicht langfristig wirkten. (Selbst wenn diese ihr volles Ausmaß erreichten.)
Ich erinnerte mich daran, wie Nora aus eigenem Willen, die Macht meiner Gedankenverschleierung außer Gefecht gesetzt hatte. Einfach so.
Im Diner hatten wir gesessen.
Es war tatsächlich eine Erinnerung, welche ich nicht gerne abrief. Weggewischt wurde meine Kraft, als wäre sie die eines niederen- und tief rangieren Dämons gewesen.
Ein gereiztes Schnauben entfuhr mir.
Unbeabsichtigt. Komisch, denn in Selbstkontrolle und dem Verstecken von Emotionen hatte ich mich doch geübt...
Von außen hatte es wohl eben wie ein strenges „Luft-Holen" ausgesehen. Doch im Angesicht der Tatsachen, ärgerte ich mich sogar weitaus mehr, - mehr als ich es vor jemandes Augen zugeben würde.
Doch in mehr als nur einem Punkt war ich mir bereits sicher:
1. Diese Frau konnte kein gewöhnlicher und harmloser Mensch sein.
2. Diese Frau war wichtig.
- Und genau deswegen sollte ich sie so schnell wie möglich mit mir nehmen.
Allerdings war dies einfacher "gesagt als getan".
Normalerweise war es auch gar nicht meine Art, mir nicht sofort zu nehmen, was ich wollte.
„Normalerweise" - Nora war die Ausnahme.
Denn ich wusste nur zu gut, dass ein freier Wille von Nöten war, wenn man auf eine unbekannte Macht traf.
Hinzufügend war es geradezu undenkbar, eine Energie, welche womöglich nicht einfach zu bändigen schien, auch noch zu „entführen".
Und außerdem eine so gewaltige Energie...
Plötzlich dachte ich an das Gestern zurück, an den gnadenlosen Moment des Zufalles, indem ich diese mysteriöse Frau aufgespürt hatte.
Ich hatte eine gewaltige Welle der Energie gespürt. Da war diese freigesetzte Macht, welche mich bis ans andere Ende von Greenville gezogen hatte.
Ein schwebender Strudel kleinster Teilchen, ein Leuchten, welches für die Menschen wohl als „unsichtbar" galt. Er wirbelte vor mir auf und führte mich. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich nämlich noch mehrere Kilometer, nahe dem Rande der Stadt, aufgefunden. Dort lag mein nächstes Ziel, welches ich zu verfolgen hatte. Da gab es nämlich diese endlos lange Liste mit einer Vielzahl von lästigen Aufgaben.
Blutleere Dämonenleichen. Irgend so ein abgedrehter Typ hatte ihnen das Blut abgezapft und schien es seinen Mitmenschen als "Droge" zu verkaufen. Dieser Irre wusste wahrscheinlich gar nicht, was er mit seinen wilden Erschaffungen von „Blutwandlern" so anrichtete.
Auf jeden Fall sollte dieser Geisteskranke irgendwo in dieser Gegend noch herumschwirren und ich sollte mir die Hände schmutzig machen. Wieder einmal. Für sie. Es war unfassbar, wie weit sie mich bereits gebracht hatten.
Bis ich die Mitteilung bekam, dass eine weitere Bedrohung in Form eines gefährlichen Dämons sich in unserem Greenville aufhalten sollte. Dieser war zwar bloß ein weiterer Auftrag einer dieser ewig langen Aufzählung gewesen, doch man sagte mir, dessen Vernichtung habe nun den nötigsten Vorrang.
Allerdings wusste ich nur zu gut, dass auch Prioritäten sich gnadenlos ändern konnten.
Die Machtquelle zog mich also mit sich. Wie ein Magnet zeigte diese mir den Weg. Ich wich ab von meinem eigentlichen Fixpunkt.
Ein imaginäres Seil spannte sich quer durch Greenville und Nora stand am Ende der Leine und zog daran. Es leitete mich bis in den einzigen Park der Kleinstadt und da sah ich sie. In ihren Augen das lilafarbene Mal dieser Hexen.
Schatten umringten die junge Studentin, beobachteten ihr neues Angriffsopfer.
Dieses war verhüllt in einem übermenschlichen Geruch. Verdammt, dieser Geruch.
Nora hatte plötzlich dieser betörende Duft umgeben, der jeden meiner dämonischen Sinne reizte und auf Anschlag trieb.
Unsichtbare Faustschläge hatten mich gepackt. Verloren war der Dämon, welcher nun seit mehreren Jahrzehnten „Kontrolle" zu seinem zweiten Namen gemacht hatte. Meister der "Selbstbeherrschung" war ich gewesen, jemand der nur "tötete" aus „Lust" oder einem „strengen Kommando" heraus.
Doch ich konnte nichts dagegen tun.
Ich spürte, wie im nahtlosen Übergang meine Antennen Feuer schlugen. Bis ich zurück zu meiner Fassung gefunden hatte. Nein, - ich hatte mich dazu gezwungen.
Ich vertrieb die herumlungernden Schatten, kurz bevor ich selbst den Kampf gegen mein Verlangen verlieren konnte und rettete das Opfer der Hexen. Dabei hielt ich mich im Verborgenen. Wobei „Opfer" wohl doch der falsche Begriff sein mochte. Sie hatten ihr etwas „geschenkt". Gleichzeitig schien es Fluch und Segen zu sein. Das Mädchen strahle es geradezu aus.
Eine fremde Macht.
Zu aller erst hatte ich gehofft, diese Hexe würde nicht dieser kranke Psychopath sein, den ich die ganze Zeit über gesucht hatte. Denn wenn dem so gewesen wäre, hätte ich dieses Mädchen zur Strecke bringen müssen, bevor sie sich in einen dieser Blutwandler verwandelte.
Doch sie hatte nichts an sich, was nach einem Austausch von dämonischen Blut schrie.
Was genau es auch war, selbst ich konnte es mit meinem dämonischen Spürsinn nicht erkennen.
Nach meinem Einsatz zog ich mich jedoch zurück. Ich widmete mich wieder meinem eigentlichen Auftrag. Erneut folgte ich der Fährte dieses Dämons und änderte die Spur.
Allerdings dauerte es nur wenige Stunden, bis mein ganzes Selbst nach neuem Kontakt verlangte.
Nora. Immer wieder dachte ich an sie.
Wer war sie? Was war sie?
Was war das für eine geraume Macht?
Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
Schlagartig änderte sich zu meinen Gunsten auch das Auftragsziel. Zum Glück.
Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn dem nicht so gewesen wäre.
Informationen drangen an die Oberfläche. Endlich kannte ich ihren Namen, ihr genaues Alter, ihre Herkunft.
Neue Prioritäten rückten, wie bereits erwartet in den Vordergrund: Eleonora Davis.
Dieses Mädchen. Ich brauche sie.
Also musste ich meinen Charme spielen lassen, um sie für mich zu gewinnen. Doch nicht nur für mich. Sie war zudem auch Teil dieses einen großen Auftrages.
Ich musste Eindruck hinterlassen.
Also verfolgte ich sie unbemerkt.
Mithilfe dämonischer Gedankenbeeinflussung hinterließ ich sogar Spuren in ihrem Kopf. Ich verankerte mich in ihrem Unterbewusstsein und ließ sie von mir träumen.
Kurze Zeit später spürte ich sie auf. Weitere Stunden - Nein, zu lange hatte es gedauert, bis ich ihr in diesem Blumenladen begegnet war.
Dann endlich. Mein Dämonenblut hatte bereits vor Unvernunft gekocht. Völlig unerwartet schien meine Selbstbeherrschung erneut zu wanken. Doch ich erlangte die Kontrolle zurück.
Ich flirtete mit ihr. Bewusst.
Ich wollte unbedingt, dass sie mit mir geht.
Und dann dieser Fehlschlag...
Gedanklich rieb ich mir die Schläfen.
Da war dieser Mensch, diese Inhaberin des Blumenladens, welche ich außer Acht gelassen und uns beobachtet hatte. Meine gewöhnliche Tarnung war gefallen, dabei durfte ich mich von irdischen Augen nicht erwischen lassen.
Ein blöder Fehler, ein ganz blöder.
Nora's gefährlicher Geruch hatte mich vollends eingewickelt und wohl alle wichtigen Instinkte betäubt.
Warten musste ich also auf einen neuen Versuch, einen besseren Zeitpunkt. Dann würde sie mir nicht entrinnen. Nein... nicht noch einmal.
𖥸
Gerade war es früher Morgen und ich sah Nora wieder einmal aus dieser schäbigen Gaststätte eilen. Wie konnte sie nur in so einem Drecksladen wohnen?
Ich saß auf dem Dach dieser wirtschaftlichen Bruchbude, welche Nora wohl ihr „zu Hause" nannte.
Es war ihr gewöhnlicher Alltagslook, den sie trug, wenn sie sich auf zur Universität machte. Allerdings sah sie heute, selbst für ihre müden Verhältnisse, entsetzlich fertig aus.
Ihr Gesicht machte kein Geheimnis daraus. Leicht war es zu erkennen, dass ihr die Albträume nicht gut bekamen. Von Nacht zu Nacht machten sie ihr mehr zu schaffen.
Wie lange wirst du das noch durchstehen, Nora?
Ich rauchte eine Zigarette und Qualm dessen trat in die Höhe. Zwar war ich nicht nikotinsüchtig, doch hin und wieder kam ich auf den Genuss. Mich überzeugte der Tabak, welcher im hohen Konsum, Gift für das Leben eines Menschen darstellte, doch uns Dämonen einfach nichts anzuhaben schien. Diese Überlegenheit schmeckte einfach zu köstlich. Vielleicht war es aber auch nur der bittere Nachgeschmack des Nikotins, welcher herrlich auf der Zunge zerging? Was auch immer.
Lieber beäugte ich weiterhin die Situation, denn Nora entfernte sich weiter von ihrem brüchigen Heim. Sie trat ihren gewohnten Weg an und ich wusste, ich musste ihr folgen, um nicht vollends die Kontrolle zu verlieren.
Ich drückte den Rest meiner Zigarette auf einem der Dachziegel aus, Wer oder was bist du, Eleonora Davis?
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