(15) Eine sexy Steinmaske aus dem Schaufenster
Eleonora
Nun stand ich vor dem Blumenladen, das Geschäft von „Frenzie'" oder eher gesagt „Francine", wie ich sie bei ihrem vollen Vornamen nannte.
Ich betrachtete die steinerne Außenfassade des stillen und kleinen Lädchens. Bildschön war es. Francine hatte die äußeren Fensterbänke diesmal mit hellen Maiglöckchen bestückt. Es duftete herrlich nach Frühling.
Der Laden befand sich direkt neben einer kleinen Bäckerei und einem noch kleineren Mehrfamilienhaus.
Es lag geradezu im Zentralen von Greenville.
Dazu musste man aber auch sagen, dass Greenville eine sehr kleine Stadt war. Zwar größer als Windsor, aber dennoch klein. Im Umkreis gab es natürlich noch weitere Geschäfte, trotzdem musste man hierzu mehrere Straßenüberwege nutzen und bis zur nächsten Lokalität dauerte es ca. 10 Minuten.
Ich legte meine Hand um die Klinke der Eingangstür. Dessen bekannte Kühle schenkte mir Beruhigung und ich hieß meine Ablenkung herzlich willkommen.
Das Ladenglöckchen klingelte, als ich durch die Tür trat.
»Hallo Nora,« begrüßte mich Francine, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu nehmen.
Die Inhaberin von ‚Frenzie's Flowers' stand, wie gewöhnlich, an ihrer Arbeitsplatte und richtete ein paar Blumensträuße zurecht. Dann eilte sie in einem Bogen um die Platte herum und zog ein paar der Straußverschönerungen, unter anderem ein paar Blumenstecker in Form von Schmetterlingen, aus einem Fach hervor.
Sie liebte Kitsch. Und wer dies nicht sofort beim Hineingehen bemerkte, würde dies spätestens, wenn er sich im Laden einmal um die eigene Achse drehte.
Alle Wände waren in einem hauchblassen gelb gestrichen. Eine davon hatten wir, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, mit großen Blumen bemalt. Sie hatte gemeint, „ein Raum voller eintöniger Wände, würde ziemlich kalt wirken". Als wäre eine Trostlosigkeit, wie die, die sie beschrieb, in einem so farbenfrohen Raum überhaupt möglich gewesen.
Doch sie steckte so voller Tatendrang und ihr machte die Idee so viel Freude, da hatte sie mich nicht lange von ihrem Vorhaben überzeugen müssen und schließlich schnell motiviert einen Pinsel in die Hand zu nehmen.
Der nahezu von Farben durchtränkte Raum bot mittig eine große Arbeitsfläche aus Holz. Des Weiteren einen Tresen mit Kasse, (für welche ich meistens verantwortlich war), zwei Präsentierbereiche der Gesteck- und Topfblumen mit dazugehörigen Preisschildern, davon einen im Herzen des Ladens und einen unmittelbar nahe dem Schaufenster. Außerdem existierte eine kleine Hintertür, welche in eine Abstellkammer führte, wo Francine beispielsweise Erde und Ware lagerte. Manchmal verschwand sie aber auch stundenlang darin, um neue Strauß- und Blumentopf-Variationen auszuprobieren.
Abgesehen von der vielfältigen Deko, welche hier und dort aus allen Schubladen lugte, wirkten die vielen Farben an Ort und Stelle, wie „ein aufgeräumtes Chaos". So nannte Francine es oft.
Wie die meisten Studenten war ich zwar durch mein Stipendium nicht unbedingt auf einen Teilzeitjob angewiesen, doch ich arbeitete gern hier. Außerdem fühlte es sich einfach nicht gut an „anders" zu sein. „Anders" war ich schon mein ganzes Leben gewesen.
Auch glichen die mir zugeteilten Schichten selten einer Zeit. Francine war alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, ein geregelter Plan war daher nahezu unmöglich. Also musste meine Arbeitszeit streng eingehalten werden, vor allem da ich auch noch Francine's einzige und damit kostbarste Aushilfe darstellte. Deshalb konnte ich ihr einfach nie böse sein.
Ausgenommen davon, dass Frenzie eine zwar recht bestimmte Chefin sein konnte, brachte sie mich nicht selten zum Lachen. Wenn die Hektik einkehrte (dies traf auf fast jeden Tag der Woche zu), fegte sie oft wie ein Frühlingssturm durch den Laden und riss im Eifer des Gefechts, so manch' teuren Tontopf mit sich. Im Angesicht der Scherben, forderte sie von mir stets „maximale Stille". Ein ausgesprochener Befehl, welcher meist alle meiner Dämme brechen ließ und sie ansteckte, bis wir glaubten zusammen vor Gelächter fast umzukommen.
Im Großen und Ganzen war der Laden eine weitere Wohlfühloase meines Lebens geworden. Denn trotz Francines stürmischen und manchmal wirren Art, mochte ich sie sehr und hatte schon innerhalb kürzester Zeit gemerkt, dass ich diesen farbenfrohen Laden und die eigenartige Frau in mein Herz geschlossen hatte.
Die inzwischen Mitte 30-jährige, aber „immer noch junggebliebene Singlefrau", wie sie sich selbst nannte und oft betonte, trug ihr dunkelblondes Haar zu ihrem üblichen, wirren Knoten hochgesteckt, in welchem sich schon einige Strähnen gelöst hatten.
Sie arbeitete hart und dass fast jeden Tag im zwölf Stunden Takt, bis auf Sonntag.
Trotz ihrer immer mit Erde besudelten Schürze und sturer Eile, versuchte sie ihre Rastlosigkeit zu verstecken, aber es gelang ihr selten.
Wie es schien auch nicht heute.
Zunächst vermutete ich, dass ich mich, wie sonst auch nach unserer Begrüßung, sofort vor ihren Augen in Luft aufgelöst hatte. Aber sie warf ihren Kopf wieder zurück und musterte mich mit fremder Skepsis: »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Sie hielt jedoch den Blickkontakt nicht lange aufrecht. Ihre Aufmerksamkeit widmete sie direkt wieder dem Strauß, welchen sie wohl farblich abzustimmen versuchte, »Du siehst aus als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Alles bestens,« log ich und beendete somit das Gespräch.
Ich war gerade dabei mich abzulenken und wollte nicht mit Fragen gelöchert werden. Fragen, welche mich an meine beängstigende Blitz-Zeichenkunst und meinen damit verbundenen „Erkenntnissen" von heute Mittag erinnerten.
Also wand ich mich zur Kasse und zog mir die Schürze um. Hauptsächlich stand ich zwar für den Verkauf hinter dem Tresen, aber ab und an kam es auch einmal vor, dass ich Erde, auf Wunsch des Kunden, umtopfen musste.
Die Zeit verging und nur wenige Kunden fanden den Weg in Frenzie's Flowers. Francine war in der Nebenkammer verschwunden, da sie, wie sie bereits erwähnte, ohnehin nicht mehr mit großer Kundschaft rechnete.
Im Laufe meines heutigen Daseins hatte ich drei Kunden bedient. Eine bittere Ausbeute, insbesondere für Freitagabend.
Ich schnaufte vor mich hin und wickelte mir meine Schürze geistesabwesend um die Handfläche, während ich aus dem Schaufenster blickte. Vor lauter Langeweile zählte ich schon die Menschen, die daran vorbei gingen. Seit Schichtbeginn waren schon zwei Stunden verstrichen und ich zählte 23 Straßenpassanten.
»Wenn du möchtest, kannst du schon Schluss machen,« ertönte Francines Stimme aus dem Abstellraum, ohne auch nur einen Hauch vorwurfsvoll zu klingen, »es ist ohnehin nicht viel los. Das kriege ich bis zum Ladenschluss auch allein hin.«
»Nein, danke. Diese eine Stunde kriege ich auch noch rum. Keine Sorge, Frenzie.«
»Wie du meinst, Liebes.«
Die nächste Passantin lief am Schaufenster entlang, blieb sogar kurzzeitig stehen, um die Blumenpracht vor ihren Augen zu bewundern.
Zähneknirschend erwartete ich das erfreuliche Klingeln des Ladenglöckchens, doch vergebens. Müde gab ich meine Schaufenster Statistik auf und fing an das Geld in der Kasse zu zählen. Dies musste ich sowieso vor Schließung des Ladens unternehmen, also konnte ich auch schon früher damit anfangen und meine Zeit sinnvoller totschlagen. Ich zählte also Schein für Schein. Doch dann hielt ich Inne, als ich aus dem Augenwinkel, die Anwesenheit einer Person außerhalb des Schaufensters bemerkte. Ich linste hinaus.
Tatsächlich. Ein unglaublich gutaussehender Mann gekleidet in lässigen Klamotten, am auffälligsten die tiefschwarze Lederjacke, lugte durch die Scheibe und betrachtete den Rosenstock direkt vor mir.
Nein. Vielmehr sah es aus, als starrte er geradewegs mich an!
Ach. Quatsch.
Völliger Nonsens!
Doch er bestätigte meine Vermutung mit einem schiefen Grinsen durch das Glas.
Mein Herz sprang in die Höhe, denn ich kannte dieses Lächeln. Dieses markante Gesicht hatte ich schon einmal gesehen, genauso bekannt wie das schwarze, etwas zurückgekämmte Haar.
Wunderschön, hallte es in meinem Gedächtnis wider, ähnlich einer alten Erinnerung. Ähnlich einer vergangenen Träumerei.
Ein Sternenhimmel in dunkler Nacht, zog sich durch meine Vorstellung.
Es holte mich ein wie ein Blitz.
»Moment. Dich kenn' ich doch,« stammelte ich vor mich hin.
In Sekundenschnelle, noch schneller sogar als ein Flügelschlag, war die Heimkehr der Erkenntnis jedoch wieder erloschen. Kaum war die Erinnerung förmlich greifbar gewesen, wollte sie mir nun plötzlich nicht mehr einfallen.
Was wollte ich gerade nochmal sagen?
Mit dem Unbekannten vor dem Laden hatte es zu tun. Ganz sicher. Verwundert rieb ich mir die Augen. Der Unbekannte war verschwunden. Vor dem Schaufenster stand niemand mehr.
Ich halluzinierte wohl. »Zu wenig Schlaf bekommt dir nicht gut, Nora.«
Ich schüttelte das entrüstete Gefühl von mir, etwas völlig Wichtiges vergessen zu haben.
Und richtete wieder meine Sinne auf meine eigentliche Mission, „dem Zählen der Kasse".
Ein leises, aber raues: »Hey,« unterbrach mein Tun.
Es ließ mich aufzucken.
Münzen fielen mit einem Klirren zu Boden. Während mein erschrockenes Herz eine Sekunde lang still zu stehen schien.
Ich folgte der Stimme und blickte ihr direkt in die Augen. Grüne Augen. Wie leuchtende Smaragde, dachte ich.
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