(0) Aufgang des dunklen Mondes - Die Geschichte des Hisarlık
[Bevor Nora's Geschichte begann...]
Etwa im Jahre 1135 vor Christus rüsteten sich die Griechen, sowie auch die Römer zum Kampf. Der trojanische Krieg lag den verfeindeten Positionen mehr als nur auf der Zunge.
Allerdings errichteten die Griechen (Trojaner) zu ihren Gunsten eine undurchdringbare Festung hinter dicken Mauern, an welchen sich ihre Feinde bislang nur die Zähne ausgeschlagen hatten. Jahrelang trachteten die Römer nach dessen Fall und sahen sich bis dahin gezwungen, ihren Feind zu belagern.
In der Landschaft Troas, im Nordwesten der heutigen Türkei, lag die von meterdicken Mauern geschützte Stadt „Troja". Bekannt als das Fleckchen auf dem 15-Meter hohen Siedlungshügel namens „Hisarlık". Übersetzt nannte man ihn auch „den großen Burghügel".
Dieser lag direkt an den Dardanellen, der Meerenge im Mittelmeer und verknüpfte die angrenzenden Meere miteinander in einer Linie. Dort verband sich das Ägäische mit dem Marmarameer und über den anschließenden Bosporus mit dem Schwarzen Meer.
Die trojanische Siedlung an Bergesspitze kontrollierte somit die Zugänge aller Meere.
Das Volk selbst nannte sich deswegen auch „das Heer über Wasser und Flut".
Allerdings konnten die trojanischen Schiffers Leute zum genannten Jahrhundert nicht gegen den Wind kreuzen, daher warteten sie im Hafen der Festung auf günstige Winde. Betroffen hiervon waren unter anderem der Wegzoll, sowie auch die Lotsen- und Schutzgebühren, welche die Schiffe an Troja entrichten mussten.
Doch die Lüfte bewegten sich immer zu ihrem Vorteil, brachten der Stadt Reichtum, machten sie größer und auch immer sicherer.
Das „wohlhabende Troja". Es war ein friedlicher Fleck gewesen. Manche sagten auch „dies sei der sicherste Ort der Welt". Hinsichtlich der zwei Siedlungsschichten, welche es dort gab, sowie der inneren und äußeren Mauer.
Es waren Wände, welche die Stadt vor äußeren Einwirkungen und vor allem auch vor den Römern schützen sollten.
Die äußeren Stadtmauern um Troja waren mächtig. Sie waren etwa zehn Meter hoch und neun Mal so dick. Man sagte, dass nicht einmal ein millionenschweres Kriegsheer sie durchbrechen könnte. Reisende schafften es nur mit Mühe durch den ersten Stein, ins Innere der Stadt. Da gab es wenige Schmuggler, welche für einen normalen Gefolgsmann eine fast unbezahlbare Summe verlangten, um sie unbemerkt durch die äußere Mauer zu schleusen. Doch die Innenseite des Steinringes um den Kern der Königssiedlung hatte, die Bediensteten davon ausgenommen, bisher nur Adelsblut gesehen.
Der zentrale „Palast des Priamos" war eine undurchdringbare Festung, erbaut aus massivstem Stein, bewacht von mindestens 1000 Mann. Man nannte die männlichen Wächter auch die „schlaflosen Krieger", da diese einen Eid leisteten und damit schworen ihr Leben lang dort zu verharren. In ihren Ausguckhöhen hatten sie vor allem ein Auge auf die Belagerungsdörfer der Römer, welche mehrere Meilen nahe dem Rande der Stadt, nun seit etwa ein Dutzend Jahren Besetzung fanden. Diese warteten auf einen gefährlichen Fehler, oder bestenfalls auf die Vernachlässigung von Wachposten innerhalb des städtischen Schutzes. Es brauchte nur ein Leck in der noch so perfekten Panzerung und mehrere tausend Römer standen umgehend bereit zum Kampf. Die Feindbesatzung war ein Heer, welches jederzeit fähig zu sein mochte, die Festung und deren Reichtümer zu Stürmen.
Vor wenigen Tagesenden, war unter Einfall des Mondes, sogar eine Mehrzahl von römischen Kriegern gezählt worden. Lediglich die trojanischen Mauern und deren Späherplätze schienen der Stadt ihren großen Vorteil, gegenüber ihrer gegnerischen Angriffshand, zu bringen. Doch noch nie hatte jemals einer von ihnen das Innere von Troja gesehen.
Unerreichbar schien die ummantelte Stadt, die so voller sorgloser Menschen und schön war, dass man sich glatt hätte in sie verlieben können.
Sie war ein Rückzugsort voller Hoffnung.
Was jedoch niemand ahnte war, dass selbst das friedlichste und sicherste Häufchen Erde einmal Zeuge einschneidender Kriegsszenen werden würde.
Eines Tages brachte ein Handelsschiff in ganzer Linie, bis hin über die Meeresenge besonderes Erz. Das trojanische Königspaar Hekabe und Priamos akzeptierten eine geforderte Audienz. Sie öffneten die Tore, zum ersten Mal seit einem vergangenen Jahrzehnt, denn das Erz war selten und somit sehr kostbar. Es würde gutes Geld bringen und mehr Kapital machte einen König größer. Das wusste Priamos, sowie ihm auch der bisherige Reichtum der Stadt bewusst war. Doch er war auch gierig und wie die meisten gierigen Könige es taten, sehnte er sich nach mehr Macht. Den Erwerb würde er von dem besten Markthändler schätzen lassen, die Tore und Mauern um die Stadt würde er ausbauen und weiter verstählen. Im Anbetracht des römischen Feindes konnten diese nicht massiv genug sein. Allerdings verliebte sich Hekabe still und heimlich in den schönsten Mann der Handelsflotte. Die Frau des Königs war wunderschön, so war der Blick des Handelsmanns voller Erwiderung. Ihre Liebe geschah hinter jedermanns Rücken und war voller Verlangen. Doch endete sie in einer kurzen Affäre, denn beide wussten nur zu gut, dass ihre Leidenschaft keinerlei Zukunft hatte.
Der König kaufte das Erz und noch bevor die Flotte abreiste, wurde Hekabe ungewollt schwanger. Sie gebar ein schönes Kind, ein Mädchen mit hellem Teint und gräulichen Augen. Jedoch war sie, nur Hekabe wusste es, die Tochter des unbekannten und reisenden Handelsmannes.
So hoffte die Königin auf ein Wiedersehen ihres Geliebten, denn dann müsste sie die Wahrheit ihrem König weiterhin nicht unterschlagen. Sie würde die Zukunft des Mädchens in die Hände des Handelsmannes legen, bevor Priamos es vielleicht beendete.
Hekabe wartete also mehrere Monde, doch das Schiff der Handelsflotte trat nicht an das trojanische Ufer. Nachdem Hekabe nicht mehr an die Rückkehr ihres unbekannten Liebhabers glaubte, verlängerte sie ihr Schweigen ins Unermessliche. Sie wusste, es gab keine Zukunft für die fremde Aussaat, da diese niemals von König Priamos akzeptiert werden würde. Abgesehen davon, dass Hekabe bislang so getan hatte, als wäre das Mädchen sein eigenes gewesen. Also behielt sie es weiterhin für sich, bewahrte das Geheiminis eine noch viel längere Zeit. Im genauen Betracht vergingen ganze sechzehn Jahre, in welchem das Kind namens „Kassandra", - "die Tochter des trojanischen Königs Hekabe und Priamos" gerufen wurde.
Der Vater ihres wahren Blutes blieb allerdings verschollen, so dass Kassandra ohne Verdacht zu schöpfen, Troja, „ihr zu Hause" nannte.
Nachdem nun, wie bereits geschrieben, sechzehn friedvolle Jahre vergangen waren, ging Kassandra eines Tages am Rande der inneren Stadtmauern spazieren. Sie schlenderte durch die Palastgärten, so wie sie es fast jeden Tag tat. Neben dem Lesen mythologischer Bücher, war dies nämlich tatsächlicher Weise einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen.
Natürlich interessierte sie sich für weitaus mehr als das Innere eines Buches oder das Erblühen von Naturgewächsen. Ihr Wissensdurst war größer und verlangte mehr, als der königliche Palast es ihr bieten konnte.
So war es hier, wie sie fand, einfach viel zu eng. Ein zu kleiner Raum für eine große Mentalität, denn Kassandra begeisterte sich vor allem für die griechische Mythologie und die Sagen, welche ihr Volk verehrte und erzählte.
Gerade überlegte sie, ob sie nicht doch ihren Weg zurück in die Bibliothek finden mochte, da stieß sie auf einen fremden Mann. Die Königstochter verfiel ins Staunen, denn es war mehr als nur ungewöhnlich im isolierten Kern von Troja auf eine Person zu treffen, welche man nicht kannte.
Der Fremde war großgewachsen und schön. Sein Haar war dunkel, dennoch erwachte aus seinen Augen ein strahlendes Azurblau.
Auffällig war dazu noch das Brandmal, welches an seinem rechten Handgelenk haftete. Das dunkle Symbol hatte die Form einer Schlange, welche so aussah, als würde sie sich in ihrem eigenen Körper verheddern.
»Wer bist du?« hatte Kassandra gefragt, »und wie bist du durch die Mauern und hier hereingekommen?«
Sie kam dem Mann automatisch näher. Die Königstochter war sich nicht sicher, ob sie es aus reiner Neugier tat oder es die Anziehungskraft des Schönlings gewesen war.
Doch plötzlich wurde ihr Sein starr, denn sie erkannte dunkle Schattenabsonderungen, welche hinter dem großen Körper hervortraten und in eine dunkle Aura tauchten. Augen erfassten sie, die durch den Dunst hindurch leuchteten.
»Herr im Himmel,« stellte sie erschrocken fest, denn es glich den Erscheinungen, von welchen sie bislang nur in ihren Lehrbüchern gelesen hatte, »Du musst einer der Heiligen sein. Sag' was bist du für ein Gott?«
Da antwortete er tief und ausdruckslos: »Ich bin Apollon, der Verkünder. Die Mauern werden fallen und Troja wird brennen.«
Unausweichlich füllten sich Kassandra's Augen mit Tränen. Sie schenkte ihm Glauben, denn sie kannte Apollon, den „weisen Gott des Lichts", vor allem aus den Überlieferungen ihres Volkes und sank auf die Knie.
Ein Anblick der sich darbot, wie der Gott ihn bereits mehrere Jahrzehnte nicht mehr erlebt hatte. Das Mädchen ängstigte sich nicht vor ihm. Viel mehr erkannte er das ergebene Haupt. Selten war solch ein Handeln aus Ehrfurcht.
Im Anbetracht ihres Mitgefühls und Klugheit fand Apollon auf einmal sogar an ihr Gefallen. Ungewöhnlich lange blieben die Beiden ungestört. Kassandra bemerkte, dass die Wachposten wie vom Erdboden verschluckt waren. Da die Zeit jedoch schnell schwand, versprachen sie sich, auch den nächsten Spätmittag miteinander zu verbringen.
Am Morgen darauf, erinnerte sich Kassandra sofort an ihren neuen Tageshöhepunkt, völlig abseits ihres sonst so eintönigen Lebens.
Jeden Tag der Woche fanden die beiden nun ein ruhiges Plätzchen am Rande der Stadtmauern. Fast wagte die Königstochter zu glauben, der Gott würde mit jedem weiteren Mal aus einer anderen, noch dunkleren Ecke auftauchen. Beinahe so, als wäre er Herr über Schatten und Licht.
Apollon erzählte ihr Geschichten aus der Mythologie. Jede davon versetzte Kassandra ins Staunen. Wohingegen er irgendwann ihr begeistertes Gesicht segnete. Der Gott schenkte dem Antlitz voller kühner Schönheit, die Gabe der Vorhersehung und Weissagung. Er mochte sie, war geradezu in Kassandra vernarrt.
Als sie jedoch feststellte, dass „ihr Gott des Lichts" für das Verschwinden der Wachposten verantwortlich gewesen war und sie sogar ermordet hatte, wies sie dessen Verführungsversuche zurück.
Daraufhin wurde Apollon zornig und aus seinen Händen sprühten Funken. Er konnte sich nicht beherrschen. Unkontrollierte Wut traf das Auge der Königstochter und durchstach die Ummantelung der Pupille. Aus Kassandra's Kehle quälte sich ein schmerzverzerrter Schrei.
Nachdem das Feuer abgeklungen war, bemerkte die Königstochter, dass sie nicht, wie vermutet, ihre Sehkraft verloren hatte.
Im genaueren Betracht hatte sich die verletzte Iris verfärbt. Verwirrtheit blickte Apollon an, sowie das natürliche Blau ihres einen Auges und das fremde Magenta des Anderen.
»Mein Geschenk sei' nun dein größtes Leid,« waren die letzten Worte des Apollon, bevor dieser in einem Nebeldunst verschwand.
Er kehrte nicht mehr zurück.
Der Gott des Lichts hatte seinen Segen in einen Fluch verwandelt, so dass Kassandra zukünftig niemand und auch nicht ihrer Nachkommenschaft, den mystischen Ahnungen Glauben schenken würde.
Mehrere Male hatte die Sonne dem Mond Platz geschaffen, Tage verstrichen, schenkten Kassandra Reife, bis diese gemächlich zu Jahren wurden. Die Königstochter war nun fast in das Alter von achtzehn herangewachsen.
Sie selbst erinnerte sich nicht mehr an den ungewöhnlichen Tag am Rande der Stadtmauern und auch nicht an Apollon, den Gott der sie einst verfluchte. Im Spiegel betrachtete sie oft die ungewöhnliche Farbe ihres einen Auges. Das Staunen packte sie jedes Mal wieder aufs Neue, denn es war der einzige Beweis für einen Teil ihrer Erinnerungen, welchen sie unergründlicher Weise verloren haben musste. Doch tief in ihr steckte der Glaube, dass Troja bald ein Unheil ereilte. Immer wenn der Schlaf sie holte, fiel sie in schleierhafte Albträume, welche ihr fast lebhafter als die Realität erschienen.
Dort sah sie Menschen auf grauenvollste Weise sterben, oder sah wie neues Leben geschah und dann verdarb. Es mochten Vorahnungen sein, doch Kassandra wusste nicht um dessen Bedeutung.
Schließlich bat sie in ihren eigenen Hallen um Rat. Im Königshaus allerdings mochte niemand ihr glauben. Es war gewesen wie Apollon es prophezeite.
Auf Wunsch des Königs verbat man ihr sogar den Mund, so dass sie zukünftig niemand der „Hexerei" beschuldigen konnte.
Kassandra begann an sich zu Zweifeln. Eine lange Zeit hasste sie sich sogar dafür, dass keine Seele ihr Gehör schenkte. Irgendwann erkannte sie Zusammenhänge und ungewöhnliche Zufälle.
Allerdings bemerkte Kassandra auch, wie ihre Vorahnungen hin und wieder doch keinen Sinn zu haben schienen.
Weitere Sonnen verschwanden am Himmel.
Kassandra glaubte schon gar nicht mehr an eine Erlösung. Heilung lag in weiter Ferne.
Doch auch mit jeder weiteren, schlaflosen Nacht, schien sie immer mehr ihre Träume zu akzeptieren und Teil ihres Lebens werden zu lassen.
Es zeigte sich ein voller Mond über den Türmen des trojanischen Palastes. Hinter Kassandra's flimmernden Augenlidern erwachte ein neuer Traum aus Feuer und Flammen, gesplittertem Holz und stürmenden Kriegern.
Aus brennendem Dunst trat Apollon hervor. Der Gott des Lichts weckte alle abhanden gekommenen Erinnerungen.
In diesem Augenblick jedoch wirkte er verändert, denn er steckte in einem Gewand des Krieges. Durch die Mauer war der Kriegsgott gedrungen und ließ den Nebel in Kassandra's Geist verschwinden.
Nun wusste sie wieder, dass er sie zu dem gemacht hatte, was sie nun war.
Plötzlich. Ein weiterer Schatten huschte durch ihr Hirngespinst und eine weitere Stimme flüsterte: Noch jemand anderes wird bald durch die Stadtmauern dringen.
Das Dunkle verwischte. Ein Gesicht, welches Kassandra's Mimik glich und dasselbe Haar.
Das Funkeln einer Krone blitzte auf dem Haupt des Mannes, welcher aus den Schatten hervorgetreten war. Über alle Meere war er gesegelt. Kassandra erkannte ihren leiblichen Vater und somit auch, dass ihr Rang im Königshaus jahrelang eine Lüge gewesen war.
Jedoch floss in ihm nicht nur das selbe Blut, sondern er war der Sohn des römischen Königs selbst: „Kind, nicht mehr lange wird es dauern und dann werde ich dich nach Hause holen!"
Noch bevor die Stunde zu Kassandra's achtzehnten Geburtstag „Mitternacht" geschlagen hatte, schreckte diese nachts aus ihrem Albtraum. Nun war ihr die Wahrheit bekannt, welche ihr all die Jahre abhanden gekommen war. Das verlorene Puzzleteil war gefunden. Etwas, was sie nicht mehr so schnell zu vergessen wagte. Sowie auch, dass durch ihren Traum eine Schiffsflotte gesegelt war. Ein riesiges Holzpferd hatten sie hinterlassen. Ein hölzernes „Geschenk der Götter". Doch inmitten dessen versteckt waren tausende von römischen Kriegern. Es war eine gut durchplante Farce und der starke Glaube des Volkes, würde das Pferd bis ins Innerste der Stadtmauern bringen lassen. Die Krieger würden nach außen treten und die Stadt befallen. Unter ihnen, ihr leiblicher Vater und dies im Auftrag, zu holen was ihm zustand, nämlich: „Sie", - seine eigene Tochter.
„Troja würde brennen, von innen heraus,"
es waren die Worte des Apollon gewesen, Kassandra erinnerte sich.
Die göttliche Prophezeiung würde sich erfüllen. Die Stadt würde fallen, direkt aus dem Herzen der Festung.
Die falsche Königstochter warnte die Wachen, verlangte erneut das Vertrauen ihres offiziellen Vaters. Sie erzählte vom hölzernen Pferd. Die Lüge ihrer Mutter kam ihr jedoch nicht über die Lippen. Kassandra wusste, dessen Ausspruch wäre nur ein weiterer Grund gewesen ihr zu misstrauen. Trotzdem schenkte ihr niemand Gehör, denn sie war, wie es alle bereits wussten, „jemand, dem man besser keinen Glauben schenken sollte". Jemand der besser schwieg.
Und als eines Tages tatsächlich das Holzpferd im Sande stand, hielt man es für reinen Zufall. Man deutete es lieber als Segen der Götter.
Man erfreute sich so sehr an dem Geschenk, denn was sollte es auch anderes sein, als eine Gabe an den ehrbaren König?
Schnell lag es im Volke in aller Munde und man brachte es ohne Umwege durch die Stadtmauern in den Palast des Priamos.
Es geschah wie prophezeit.
In Kassandra's Augen spiegelte sich der Albtraum und er wurde zur Wahrheit. Noch ein aller letztes Mal, so schwor sie, wollte sie ihr Volk warnen. Priamos jedoch war der Aufruhr ein Dorn im Auge, also schloss man sie in ihr Gemach. Damit wurde sie mundtot gemacht.
Noch viele weitere Monde war der Stadt Frieden geschenkt und Kassandra hinter verschlossener Tür gehalten worden. Am einundfünfzigsten Tag jedoch wagten es die römischen Krieger im Inneren des Holzes nicht mehr auszuhalten.
In den Farben des Nachmittages färbte sich der Himmel über Troja. Stille kehrte ein und niemand, ahnte den Schrecken, welcher im Innenraum des Pferdes steckte.
Niemand bis auf Kassandra.
Nachdem der letzte Sonnenstrahl versiegt war, öffneten sich die Pforten der hölzernen Hülle. Der letzte Funken der Vorhersehung schwand und wurde Realität. In der Stadt voller sicherem Frieden herrschte nun Krieg. Kassandra, welche an diesem Tag durch eine List, das Schloss ihres Zimmers knackte und schon auf vollstem Wege war zu entfliehen, erstach ein Pfeil. Die Spitze ragte direkt aus ihrem Auge. Das gewöhnliche Grau um ihre Pupille verfärbte sich und sprühte Funken.
»Hexerei,« Priamos Augen waren voller Flammen, als er seinen Bogen senkte und die Lüge unter ihm erstarb.
Die Ähnlichkeit mit dem römischen Prinzen, gegen welchen der König kämpfte war unfehlbar. Hassdurchtrieben war sein Gesicht. Wie Hekabe es vorausgesehen hatte, hatte eine fremde Aussaat für Priamos keinen Platz im Königreich.
Doch im nächsten Augenblick dichteten sich die Wolken am Himmel unnatürlich. Sie verwandelte die Mittagsstunde zur Nacht. Ein Einschlag vollkommener Finsternis. Aus ihr formten sich jedoch dunkle Bälle, welche sich gar bewegten, denen Schnäbel und sogar Flügel wuchsen. Gefiederte Vögel aus Schatten. In mitten der wirbelnden Schwärze, thronte der Gott Apollon. Sein Licht war von Dunkelheit getrübt, denn in dessen Augen brannte die Rache Kassandra's.
»Bei allen Göttern, wir sind verloren,« es waren des Königs Worte.
Troja geriet in Panik. Doch kaum jemand konnte sich retten, als das tödliche Schwarz auf die Gefolgschaft herabregnete. Ein mickriger Rest des trojanischen Heeres versuchte zu fliehen. Darunter auch ihr König. Doch noch bevor die Schar den mächtigsten Mann im Umkreis erreichte, erfasste ihn ein Sturm aus römischen Kriegern. Vollkommen unerwartet. Der Feind kroch wie aus unsichtbaren Mauselöchern. Sie waren hier und dort, und doch trotzdem überall. Priamos kämpfte, stach sich durch die Menge hindurch, bis zu den Pforten seines Palastes. Dieser lag nun in Trümmern. Er kannte sein letztes Ziel. Priamos fand Hekabe. Die Königsfrau hatte sich in ihrem Gemach verscharrt und wartete bereits auf ihren Tod. Doch Priamos erdolchte Hekabe, bevor diese die tödliche Flucht vor ihrer Strafe finden konnte. Liebe kannte keinen Verrat, also kannte der König auch für seine Frau keinen Platz mehr.
Nachdem Priamos die Fehltritte des Königshauses ausgemerzt hatte, ergab er sich den römischen Flammen und Troja verschwand in Schatten. Die Stadt brannte nieder und es war wie einst der Gott der Weissagung es offenbarte. Und es sprach niemand mehr von einem Ort, umgeben von Mauern, welche so sicher waren, dass nicht einmal ein millionenschweres Kriegsheer sie bezwingen könnte...
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