30
Beat
Als es Zeit zum Schlafengehen ist, hat das Unwetter draußen noch immer nicht aufgehört zu wüten. Mittlerweile zuckt keiner mehr von uns zusammen, wenn ein besonders greller Blitz von einem grollenden Donner gefolgt wird. Wenn ich mir das Spektakel so ansehe, bin ich ein ums andere Mal froh, dass Lane und ich hier geblieben sind. Wer weiß, was passiert wäre, hätten wir uns tatsächlich ins Auto gesetzt...
»Irgendwo in einem der Kartons oben habe ich bestimmt noch ein altes T-Shirt, das ich dir zum Schlafen geben kann... sofern das okay ist für dich«, bietet er an. Ich nicke lächelnd. »Na klar, das wäre wirklich super, danke.« Er nickt nur kurz und verschwindet dann in seinem alten Zimmer. Ich bleibe etwas unschlüssig vor dem Badezimmer rechts daneben stehen, da ich mir nicht sicher bin, ob gerade jemand drinnen ist. Kurz später höre ich jedoch Rissas, Toms und Frans Stimmen unten, sodass sich diese Bedenken damit erledigt haben.
In den letzten zwei bis drei Stunden hatten wir einen echt witzigen Spieleabend. Verschiedene Spiele wurden gespielt, doch am meisten war es vermutlich Monopoly. Ich kann mich nicht an das letzte Mal erinnern, das gespielt zu haben. Es war ein gleichzeitig ein tolles und auch melancholisches Gefühl, welches ich dabei verspürt habe.
Irgendwann wurde mehr gegähnt, als geredet, sodass wir uns dazu entschieden haben, langsam schlafen zu gehen. Lanes Mutter sagte mir, dass sie uns im Gästezimmer am anderen Ende des Flurs im ersten Stock einquartiert hat. Ich habe nur lächelnd genickt, doch innerlich schrillten bei mir die Alarmglocken los – und das tun sie noch immer.
Werden wir zwei separate Betten haben, oder gemeinsam in einem schlafen?
Ich vermute ja leider letzteres. Nicht, dass ich Lanes körperliche Nähe überhaupt nicht ertragen könnte, oder dergleichen. Aber es würde definitiv komisch werden, darauf möchte ich wetten.
Lane taucht wieder auf, ein anthrazitfarbenes T-Shirt in der Hand, und kommt auf mich zu. Er hält mir den Stoff hin und sagt: »Schau mal, ob das okay ist.« Ich lache leise. »Es wird sicher passen, keine Sorge.« Ich tue ihm jedoch den Gefallen und falte das Shirt auf. Vorne ist ein glühender Ball, der sich in einer Art Halterung zu drehen scheint, zu sehen. Es trägt die Überschrift ›Parachutes‹.
»Oh, ist das ein Bandshirt?«, frage ich. Lane nickt. »Ja, ich war mal auf einem Coldplay-Konzert und hab es da gekauft. Die ersten paar Alben sind die besten.« Ich stimme ihm zu. »Definitiv, das kann ich nur unterschreiben. Ich wusste gleich, dass mir dieses Motiv bekannt vorkommt.«
Lane erklärt mir kurz, wo ich im Bad die Duschtücher und sonstige Hygieneartikel finde, danach gehe ich rein. Etwa eine halbe Stunde später komme ich wieder raus, was daran liegt, dass ich Schwierigkeiten hatte, mein Make-up zu entfernen. Am Ende habe ich es irgendwie mit Wattepad und Bodylotion bewerkstelligen müssen, doch es ging.
Mit geputzten Zähnen und frisch geduscht trete ich barfuß auf den Gang hinaus, leicht fröstelnd. Vielleicht hätte ich mir noch eine Jogginghose geben lassen sollen, da mir in diesem T-Shirt, welches mir knapp unter den Hintern reicht, doch ein wenig kalt ist.
Eilig tapse ich zum Ende des Ganges, wo sich das Gästezimmer befindet, und trete durch die angelehnte Tür. Das Erste, was mir ins Auge fällt, ist die breite Luftmatratze, die aufgepumpt auf dem Korkboden liegt. Auf ihr liegen zwei Kissen und eine zurückgeschlagene Decke. Lane steht, die Hände in die Seiten gestemmt, da und starrt stirnrunzelnd auf das Teil herunter. Er guckt kurz hoch, als er meine Anwesenheit registriert, dann fährt er damit fort, auf den dunkelblauen Kunststoff zu starren.
»Steht da irgendeine Gleichung geschrieben, die du lösen musst und für Normalsterbliche wie mich nicht sichtbar ist?« Er verdreht gutmütig die Augen, erklärt dann aber nachdenklich: »Das nicht, es ist nur so, dass... naja. Du siehst es selber. Wir müssen in einem Bett schlafen. Meine Mom würde den Braten garantiert riechen, wenn ich ihr sage, dass wir das nicht wollen. Oder sie würde denken, wir haben gestritten, was jetzt auch nicht so toll ist–«
Behutsam lege ich ihm eine Hand auf den Arm. »Ich glaube, du überdenkst das alles etwas. Wir finden schon eine Lösung. Und ganz nebenbei: Für mich wäre es kein Problem, wenn wir auf der gleichen Matratze schlafen.«
Verwundert wendet er sich mir zu. »Nicht?«
»Wäre es nicht«, bestätige ich feierlich. Nachdenklich legt er den Kopf leicht schief, dann hebt er eine Schulter. »Gut, dann ziehen wir das durch.«
»Bei dir klingt das ja gerade, als würden wir in eine Schlacht ziehen.«
»Naja, ich weiß ja nicht, wie du schläfst, ob du zum Beispiel im Schlaf kickst, oder sowas. Würde auf jeden Fall zu dir passen.« Ich rolle mit den Augen. »Ha, ha, wirklich sehr witzig. Pass bloß auf, dass du dir keine von mir fängst, meine Fäuste sind hart wie Stahl!«
»Ich zittere vor Angst, wirklich«, spottet er.
Nachdem ich Lane dabei geholfen habe, die Kissen und die Decke wegzuräumen und das ›Bett‹ erstmal mit einem Laken zu beziehen, sieht er mich irgendwie merkwürdig an. »Was?«, will ich wissen. Er räuspert sich. »Hm, ich habe mich nur etwas gefragt.«
»Na dann, raus damit! Oder muss man dir alles aus der Nase ziehen?«
Als er jetzt weiterspricht, weicht er meinem Blick aus. »Ich habe mich gefragt, wie es in letzter Zeit mit dir und den anderen so läuft auf dem Campus. Du weißt schon...«
»Ob ich das Bedürfnis verspürt habe, jemandem eine reinzuhauen, meinst du?«
»Äh, ja. So in etwa.«
Ich zucke die Schultern. »Es geht. Tanya und Konsorten haben mich glücklicherweise in Ruhe gelassen.«
»Das ist, ähm, gut. Mir ist nur aufgefallen, dass wir uns noch nicht mit meinem Teil der Abmachung beschäftigt haben. Ich habe mich ja bereit erklärt, dir zu helfen.« Ich klopfe ihm auf die Schulter. »Das wird schon, Lane. Jetzt kümmern wir uns erstmal darum, dass dieser Familienbesuch sauber über die Bühne geht, dann schauen wir weiter. Okay?« Er nickt, wenn auch etwas widerwillig.
Langsam spüre ich, wie meine Beine kalt werden und empfinde die fluffige Daunendecke vor mir als sehr einladend. Wir gehen beide gleichzeitig einen Schritt auf die Matratze zu, sodass wir zusammenprallen. Mit ironisch verzogenem Mund überlässt er mir den den Vortritt und ich schlüpfe schnell unter die noch kühle Decke. Als Lane sich neben mich legt, neigt sich die Matratze kurz zur Seite.
»Ähm, gute Nacht dann«, sagt er und knipst die kleine Stehlampe neben uns aus.
»Ja, gute Nacht«, murmle ich und drehe mich zur Seite, obwohl ich eigentlich immer auf dem Bauch schlafe. Lane rutscht so nah an den Rand seiner Seite, dass es mich nicht wundern würde, wenn er gleich von der Kante purzelt. ›Mach dich mal locker‹ würde ich am liebsten sagen, doch da ich selbst unendlich verkrampft bin und es nicht einmal hinbekomme, mich bequem hinzulegen, halte ich den Mund.
Als ich langsam beginne, mich an die Situation zu gewöhnen, durchbricht seine leise Stimme die Stille: »Hast du gewusst, dass der Geruch von Regen auf trockenem Boden ›Petrichor‹ genannt wird?«
Stirnrunzelnd wälze ich mich herum und merke dann an Lanes Körperwärme, dass ich ihm etwas näher gekommen bin, als beabsichtigt. Sehen kann ich ihn allerdings nicht, aber ich denke, das ist auch ganz gut so. Das hier ist schon so peinlich genug.
»Äh, nein?«, antworte ich irritiert. Er schnaubt. »Das war jetzt sehr random. Ist mir nur so durch den Kopf gegangen.« Ich spüre seinen Atem als leichten Lufthauch auf meinem Gesicht. Verdammt, wir sind uns wirklich nah.
»Interessant. Ich werd's mir merken«, flüstere ich und rutsche ein wenig zurück. Ich höre es rascheln, als er sich seinerseits ebenfalls etwas wegbewegt. Obwohl jetzt etwas Abstand zwischen uns liegt, kann ich immer noch einen schwachen Nachhall seines Geruchs riechen. Er ist schwer zu beschreiben. Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus Weichspüler, irgendwas Herbem und einer ganz eigenen Note, die ich nicht ganz zuordnen kann. Nicht, dass ich mich sonderlich viel damit beschäftigt hätte. Es ist mir nur so aufgefallen.
Ich drehe mich doch auf den Bauch und lege meine Wange so aufs Kissen, dass mein Gesicht seiner Seite zugewandt ist. »Hey, Beat«, flüstert er. »Ja?«, flüstere ich zurück. »Danke.« Verwundert hebe ich die Brauen. »Wofür denn? Ist ja nicht so, als hätte ich irgendwas Kompliziertes oder super Anstrengendes machen müssen. Ich mag deine Familie und hatte eine gute Zeit.«
Als er weiterspricht, höre ich das Lächeln aus seiner Stimme. »Das ist schön zu hören. Trotzdem will ich dir danken. Du hättest nach meinen unüberlegten Worten im Auto auf dem Hinweg auch alles abblasen können, hast es aber nicht getan, sondern im Gegenteil noch dein Bestes gegeben. Also: Danke, Beat.«
Ich grinse in die Dunkelheit hinein. »Sehr gerne, Lane.«
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Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich liebe die beiden zusammen einfach. 😂
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