24
Beat
Ich bin wütend.
Mit Wut bin ich vertraut, sie ist wie ein alter Sweater, den ich mir hin und wieder überstreife. Nicht dass er bequem oder besonders weich wäre, aber... er ist vertraut.
Doch diese anderen Gefühle, die sich zu der Wut gesellt haben, kenne ich nicht besonders gut. Sie machen mich nervös.
Neben dem überwältigenden Verlangen, meine Faust in Lanes kantiges Gesicht krachen zu lassen, verspüre ich plötzlich auch das Bedürfnis, mich zu einer Kugel zusammenzurollen und zu weinen. Dann ist da noch dieser wirklich fette Kloß in meinem Hals, der beim Schlucken wehtut. Und aus einem mir unbegreiflichen Grund ist da auch Scham. Ich weiß, es ist irgendwie verdreht, mich dafür zu schämen, für Lane scheinbar eine größere Belastung darzustellen, als gedacht, aber... trotzdem tue ich es. Ich schäme mich dafür – was mich wiederum wütend macht, sodass der ganze Zirkel von vorne beginnt.
Lane räuspert sich irgendwann. »Hör zu, ich wollte nicht –« Abwehrend hebe ich meine Hand und unterbreche ihn.
»Halt einfach den Rand«, murmle ich seufzend.
»Aber –«
»Sei still!«, zische ich aufgebracht. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie seine Hände sich um das Lenkrad verkrampfen. Ich nehme einen tiefen Atemzug, um etwas zur Ruhe zu kommen. Schließlich sage ich so gelassen wie möglich: »Mach dir keine Sorgen, ich werde meinen Teil der Abmachung einhalten und eine gute Vorstellung abliefern. Nur... halt einfach die Klappe und tu nie wieder so, als würdest du mich mögen. Ich hasse es, angelogen zu werden.«
»Es war nicht gelo –«
»Hey!«, schreie ich jetzt, woraufhin wir beide zusammenzucken. Meine Ohren klingeln noch immer ein wenig von meiner eigenen Stimme, als ich wütend fortfahre.
»Ich will dein Mitleid nicht! Hast du eine Vorstellung davon, wie scheiße es ist, wenn man herausfindet, dass man die ganze Zeit über lediglich geduldet wurde, dabei aber selber angefangen hat, die andere Person sympathisch zu finden? Nein? Das dachte ich mir. Also, bitte tu mir den Gefallen, Lane Rye, und halt einfach deine beschissene Fresse!« Gegen Ende meiner Ansprache bricht meine Stimme etwas, wofür ich mich vermutlich noch morgen hassen werde. Aber ich kann nichts dagegen tun, dass die Wahrheit weit mehr wehtut, als sie sollte.
Als Lane daraufhin endlich schweigt, weiß ich nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll.
...
Natürlich rast mein Herz immer noch von all den aufgewühlten Emotionen in mir, die sich nicht so schnell verflüchtigen wollen, als wir ankommen. Doch ich reiße mich zusammen und grinse seinen Eltern durch die Windschutzscheibe zu, weil ich zu meinem Wort stehe.
Lane stellt den Motor ab und scheint für eine Sekunde zu zögern. Doch dann steigt er aus und ich tue es ihm gleich. Gut so, auf eine Diskussion vor den Augen seiner Familie hätte ich nicht im geringsten Lust.
Ich schiebe meinen inneren Aufruhr ganz weit nach hinten, als wäre mein Herz ein überfüllter Kleiderschrank, der eigentlich keine weitere Daunenjacke mehr aufnehmen kann. Unter hohem Kraftaufwand schaffe ich es schließlich, die Türen zu meinem Herzen zu verschließen. Doch ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Inhalt in einer fulminanten Explosion ans Tageslicht treten wir. Meinen Gefühlsausbruch werde ich jedoch auf heute Abend verschieben müssen, wenn ich allein bin.
»Ist sie das? Mein Gott, du hast gar nicht gesagt, wie hübsch sie ist!«, ruft die Frau mittleren Alters aus, die aller Wahrscheinlichkeit nach seine Mutter ist. Ich spüre, wie ich prompt rot werde und lächle verlegen.
Der Mann neben ihr ist in etwa so groß wie sie und damit ein ganzes Stück kleiner als Lane. Doch abgesehen davon ist er ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Augen hat er jedoch von seiner Mutter, das erkenne ich selbst auf die Entfernung hin. »Endlich lernen wir die mysteriöse Frau mal kennen«, sagt er breit lächelnd.
Es rumpelt leicht, als die Tür hinter ihnen aufgeht und seine Eltern drehen sich um. Ein junger Mann mit pfirsichfarbenem Haar tritt auf die Veranda und stellt sich mit verschränkten Armen und schief gelegtem Kopf neben sie. Als unsere Blicke sich treffen, heben sich seine dunkelblonden Brauen kaum merklich. Dann lacht er auf und wirft Lane neben mir einen undefinierbaren, vielsagenden Blick zu, den ich nicht genau lesen kann.
Doch der Moment ist schneller vorbei als ein Wimpernschlag. Ich gehe davon aus, dass das sein kleiner Bruder sein muss. Es ist offensichtlich, dass die beiden verwandt sein müssen. Lane scheint zwar mehr nach seinem Vater zu gehen, während Fran mehr wie seine Mutter aussieht, doch das Lächeln ist definitiv das gleiche.
Er kommt auf mich zu und streckt mir die Hand hin, welche ich etwas nervös schüttle. »Hey, ich bin Fran! Freut mich, dich endlich kennenzulernen. Lane ist verschlossener als ein Tresor, aber das müsstest du mittlerweile gemerkt haben.« Er schießt einen ironischen Blick in Richtung seines großen Bruders, welcher lediglich die Schultern zuckt. Ich mag Fran jetzt schon.
»Ich bin Beat, freut mich auch!« Er stutzt. »Du heißt echt Beat?«
»Nicht ganz. Mein voller Name ist Beatrice, aber so nennt mich keiner.«
»Beat klingt richtig cool. Als wärst du so eine Schlägerbraut«, sagt er lachend und boxt in der Luft zwischen uns herum. Bei seinen Worten bleibt mir fast der eigene Atem im Hals stecken, doch ich überspiele es mit einem leisen Räuspern. Lane neben mir dagegen, wird fast ohnmächtig.
Doch unser komisches Verhalten fällt unter den Tisch, als seine Eltern sich in dem Moment ebenfalls zu uns gesellen. »Hi, ich bin Tom«, sagt sein Vater und wir schütteln ebenfalls Hände. Seine Mom breitet die Arme aus. »Ich bin Marissa!«, ruft sie erfreut und lässt ihre Augen über mein Gesicht wandern, als könnte sie es kaum glauben, dass ich vor ihr stehe. Ich bin zwar verdammt sauer auf Lane, habe aber für einen kurzen Augenblick fast so was wie Mitleid mit ihm, weil seine eigene Mutter es ihm nicht zuzutrauen scheint, eine Frau abzukriegen. Vielleicht missinterpretiere ich das aber auch nur.
Ich sinke in ihre weiche Umarmung, die nach zu viel Weichspüler und einem Hauch gemähtem Gras riecht. »Ich heiße Beatrice, aber Sie können mich Beat nennen, Ma'am.« Mit weit aufgerissenen Augen schnellt sie zu Lane herum. »Hast du das gehört?! Sie nennt mich Ma'am!« Als sie sich mir wieder zuwendet, reibt sie mir wohlwollend über den Oberarm. »Ich weiß das durchaus zu schätzen, aber wir sind hier doch Familie. Rissa reicht vollkommen.«
»Okay, dann... Rissa. Vielen Dank für die Gastfreundschaft.« Sie winkt ab. »Hör mir doch auf, meine Liebe! Das ist mehr als selbstverständlich.«
Gemeinsam gehen wir ins Haus, wo ich direkt ins Wohnzimmer geleitet werde, während Tom in der Küche verschwindet. Rissa sieht ihm lächelnd hinterher. »Heute ist er für das Essen zuständig. Ich hoffe, du magst Brokkoli-Nudelauflauf?«, will sie an mich gewandt wissen. Ich nicke. »Oh ja, ich liebe es!«
»Sehr schön, der Auflauf braucht noch in etwa eine halbe Stunde, bis dahin kannst du dich gern schon mal an den gedeckten Apfelküchlein auf dem Esstisch bedienen. Ich bin gleich wieder da!«
Nachdem Rissa den Raum verlassen hat, ist es, als hätte jemand die Luft aus einem Ballon gelassen. Fran boxt Lane wild lachend gegen die Schulter und zischt: »Was zur Hölle?! Du hast nicht erzählt, dass deine Freundin so ist!« Etwas irritiert blicke ich zwischen den beiden hin und her. Lane sieht aus, als würde er es nicht schlecht finden, wenn sich der gemusterte Teppichboden unter seinen Füßen auftun und ihn verschlucken würde.
Fran scheint zu merken, dass seine Aussage etwas falsch aufgefasst werden könnte, denn er beschwichtigt mich prompt. »Das war definitiv als Kompliment an dich gemeint! Ich habe nur irgendwie damit gerechnet, dass mein Bruder eher eine... andere Art Person mitbringen würde. Seine letzte Freundin war –«
»Wie habe ich das jetzt zu verstehen?«, brummt Lane mit heißen Wangen. Es war zwar ein Kompliment an mich, aber definitiv keines an ihn. Ich kann verstehen, dass er von der Aussage seines Bruders verletzt ist. Doch um Lane zu verteidigen, bin ich noch zu sauer auf ihn.
Fran zieht eine zerknirschte Miene. »Sorry, Lane. Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Das war mein Versuch, deiner Freundin ein Kompliment zu machen. Meine Feinfühligkeit ist manchmal mit der eines Elefanten vergleichbar.«
Lanes Züge entspannen sich augenblicklich und er lächelt. »Schon klar, du Saftnase.« Ein halbherziges Gerangel bahnt sich zwischen den beiden an und während ich ihnen dabei zusehe, finde ich es fast schade, ein Einzelkind zu sein.
Fran nimmt sich irgendwann einen der Apfelküchlein und stopft es sich auf einmal in den Mund. »Also...«, murmelt er beim Kauen undeutlich. »Wie habt ihr euch kennengelernt?«
•
Na, auf die Antwort bin ich mal gespannt... ihr auch? 🌚
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro