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Lane
Als ich das Licht der Welt erblickte, hätten meine Eltern sich ruhig einen besseren Namen für mich einfallen lassen können. Dass ich einundzwanzig Jahre später einmal Stay-In-Your-Lane – also ›Bleib in deiner Spur‹ – genannt werden würde, konnten sie natürlich nicht voraussehen, wie ich fairerweise anmerken muss.
Trotzdem: Ein wenig kreativer hätten sie dennoch sein dürfen. Oder zumindest etwas bedachter.
Es hat alles damit begonnen, dass ich Marcus, den Leiter des Polo-Clubs, vor einigen Wochen im Gang angerempelt habe, sodass ihm alle Bücher aus der Hand gefallen sind und sich quer über den Boden verstreut haben. Zu sagen, er ist ein wenig wütend geworden, wäre eine Untertreibung.
Aus irgendeinen Grund hat sich dieser Vorfall dann im ganzen College herumgesprochen.
Es kann daran liegen, dass hier alle Spieler der Polo-Mannschaft wie Halbgötter behandelt werden und sich dementsprechend auch das Recht herausnehmen, auf so armen Arschlöchern wie mir herumzutrampeln – keine Ahnung. Jedenfalls wurde auf die Weise mein verfluchter Spitzname geboren und haftet seitdem an mir, wie ein ranziger Kaugummi an einer Schuhsohle.
Mit einem donnernden Knall gehen die Bibliothekstüren plötzlich auf. »Laney-Baby! Alter, das musst du dir ansehen!«, schallt eine Stimme vom Eingang der Bibliothek zu mir herüber.
Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich Träger mehrerer Spitznamen bin. Zu meinen Leidwesen, wohlgemerkt. Noch nie habe ich mir so sehr gewünscht, einfach nur John zu heißen...
Resigniert schließe ich die Augen und drehe mich ergeben zu dem Ursprung der Stimme um. Natürlich ist es Drew. Er ist jemand, der einem Freund hier auf dem Campus noch am nächsten kommt. Ihm macht es nichts aus, dass ich nicht gerade das bin, was man outgoing nennt. Kurz: Ich gehöre zum Club der Introvertierten. Dafür ist er aber für uns beide extrovertiert genug.
Der leicht untersetzte, ein Jahr ältere Sportwissenschaften-Student kommt auf mich zugejoggt und scheint sich keinen Deut darum zu scheren, dass wir uns in einer Bibliothek befinden. Böse Blicke und vereinzeltes »Pscht!«-Zischen folgen ihm auf seinem Weg zu mir.
Mit einem irren Grinsen kommt er schließlich vor mir zum Stehen und keucht, als wäre er den ganzen Weg hierher gerannt. Vermutlich ist er das sogar.
Ich klappe meinen Laptop zu und widme ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Nach dieser Unterbrechung kann ich mich ohnehin nicht mehr auf meine Analysis-Aufgaben konzentrieren.
Drew hebt die Hände und ruft: »Du wirst nicht glauben, was gerade draußen abgeht!« Ich zucke die Schultern. »Kann schon sein, aber ehrlich gesagt juckt es mich auch nicht.« Er hält sich gar nicht damit auf, die Augen zu verdrehen, sondern packt mich nur beim Kragen und zerrt mich von meinem Stuhl hoch. Auch wenn er um einiges kleiner ist als ich, hat er deutlich mehr Muskelmasse vorzuweisen.
»Was zur Hölle?«, entfährt es mir, während ich mir mein T-Shirt wieder an Ort und Stelle zerre. Doch Drew schert sich keinen Deut um den Mangel an Begeisterung, den ich an den Tag lege. Er packt mich einfach am Arm und zieht mich weiter mit sich dem Ausgang der Bibliothek entgegen, wobei es ihm vollkommen egal ist, dass uns unzählige Augenpaare missbilligend folgen.
»Junge, jetzt mach mal halblang!«, rufe ich auf dem menschenleeren Gang, nachdem die wuchtige Tür hinter uns ins Schloss gefallen ist. Ungeduldig wedelt er mit der Hand in der Luft herum und beschleunigt seinen ohnehin schon viel zu schnellen Schritt. Warum ich nicht einfach stehen bleibe und ihn davoneilen lasse, ist eine gute Frage. Ich schätze, etwas neugierig bin ich dann wohl doch.
Je mehr wir uns dem Campus nähern, desto lauter wird es. Die Geräuschkulisse erinnert mich beinahe an eines der Polo-Spiele, welche hier in regelmäßigen Abständen stattfinden. Unglaublich, wie leidenschaftlich Menschen werden können, wenn es um Sport geht...
Wir treten nach draußen und die Anfeuerungsrufe – mittlerweile kann ich sie als solche identifizieren – werden lauter. Ich kneife die Augen gegen die plötzliche Helligkeit zusammen und schirme sie mit meiner Hand ab, um besser sehen zu können.
Ein unruhiger Pulk hat sich neben den knorrigen Blauregen-Bäumen gebildet, die immer im Mai blühen und ihrem Namen alle Ehre machen. Momentan sind die farbenfrohen Blüten jedoch nicht zu sehen. »Was ist da los?«, frage ich Drew stirnrunzelnd und er reibt sich die Hände wie ein Kleinkind vor der weihnachtlichen Bescherung. »Beat verprügelt Lillian, das ist los!«
Schockiert weiten sich meine Augen. »Was? Und da greift keiner ein? Wieso stehen die alle bloß da?!« Ich weiß nur zu gut wie es ist, auf dem Pausenhof verdroschen zu werden, weshalb mir das näher geht, als mir lieb ist. Drew tippt sich an die Stirn. »Hast du sie noch alle? Das ist Unterhaltung auf höchstem Niveau! Männerschlägereien sind langweilig, aber wenn Frauen sich prügeln, geht's richtig dreckig zu.« Ich verdrehe die Augen und schüttle den Kopf.
Plötzlich geht ein heftiges Raunen durch die Menge und ich recke den Hals um sehen zu können, was passiert ist. Mit meinen ein Meter fünfundachtzig Körpergröße fällt es mir relativ leicht, mir einen Überblick zu verschaffen – und das, was ich sehe, lässt mir die Kinnlade herunterklappen.
Eine komplett in stilvollem Schwarz gekleidete junge Frau mit ebenso schwarzer Kurzhaarfrisur und starkem Augen-Make-up, bei der es sich vermutlich um Beat handelt, hat eine andere Braunhaarige mit hohem Pferdeschwanz und modischer Brille am Kragen gepackt... mit beiden Händen wohlgemerkt und so, dass die Fußspitzen der Frau mit Pferdeschwanz knapp über dem Boden schweben. Ich schlucke.
Normalerweise bin ich immer der Typ, der sich aus allem raushält und den Kopf unten hält. Ich kümmere mich um meinen Kram und halte mich von dem anderer fern. Doch hierbei kann ich einfach nicht zusehen. Das ist nicht richtig.
Ich drängele mich durch den dichten Pulk, bis ich vor den beiden Frauen stolpernd zum Stehen komme. Lillian sieht mich an, als wäre ich Jesus Christus höchstpersönlich. Ich kann nicht behaupten, dass mir das nicht schmeichelt. Gleichzeitig habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mir nicht einmal sicher bin, dass ich sie hier rausholen kann.
Beat jedoch schaut mich einfach nur an, als wäre ich die Hundescheiße unter ihrem Schuh. Als sie die Nase rümpft, blitzt der silberne Septum-Ring auf. »Und wer zum Fick bis du jetzt?«, brummt sie mit einer Stimme rau wie Sand. Ich gebe es nur ungern zu, aber... nun ja. Sie macht mir ein wenig Angst. Auch wenn sie etwa einen Kopf kleiner ist als ich. Aber wer so ein irres Glänzen in den Augen hat, kann einfach nur gefährlich sein.
Trotzdem schlucke ich den Anflug von Furcht herunter und richte mich auf. Mit fester Stimme sage ich: »Lass sie los! Du kannst nicht einfach Leute schlagen, nur weil sie dir gegen den Strich gehen.«
Ich finde, ich habe das ganz gut gemacht.
Doch Beats amüsiertem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, anscheinend nicht. Ihre schwarzen geschwungenen Brauen heben sich. »Kann ich nicht?«, fragt sie mit einem süffisanten Lächeln.
Lillian scheint das nicht im Mindesten witzig zu finden – logisch, würde ich sagen. Sie wirft mir einen flehenden Blick aus dem Augenwinkel zu und wendet sich schließlich resigniert ab. Ich denke, uns beiden ist klar, wie wenig mein kleiner Schlichtungsversuch gebracht hat. Tschüss Jesus, hallo Enttäuschung.
Ich widerstehe dem Impuls, mich unauffällig zu verdrücken und stemme die Arme in die Seiten. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich räuspere mich und sage laut: »Gewalt ist keine Lösung!«
Unbedruckt legt die Schwarzhaarige den Kopf schief, noch immer die Hände an Lilians Kragen. Mittlerweile stehen ihre Füße jedoch zumindest wieder auf dem Boden. »Ach, nein?«, säuselt sie. »Nein«, bestätige ich bestimmt. Sie blickt mich abschätzend an, wieder mit diesem irren Funkeln in den katzengrünen Augen. Mein Instinkt sagt mir, dass das nichts Gutes bedeutet.
Trotzdem falle ich aus allen Wolken, als sie nonchalant mit den Schultern zuckt, sagt »Tja, ich finde, schon« und dann ihre Faust in Lilians Gesicht krachen lässt.
•
Hi und herzlich willkommen bei ›Beat‹! Freut mich sehr, dass du hier bist! 😄
Ich denke, das hier ist der Moment, in dem Lane realisiert, dass mit Beat nicht zu spaßen ist... 🥴 Wie denkt ihr, geht es weiter mit den beiden?
Grüße,
Cady
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