1. Neue Welt
„Herr, Sie ließen mich rufen?" ich knickste tief und starrte auf den Boden zu den Füßen meines momentanen Arbeitgebers. „Ja. Mir kam zu Ohren, sie wären zu spät zur Arbeit erschienen." Die Kälte in seiner Stimme ließ mich erschaudern. „Ja, Herr." hauchte ich ängstlich und unterdrückte mit Not die Tränen. „Mh..." machte der Mann und klopfte nachdenklich mit den Fingern auf die eine Armlehne. Ich schwieg einfach, weil ich schon wusste, was jetzt folgen würde. „Wie ist dein Name, Mädchen?" fragte er nach einer Weile und ich musste mich beherrschen, um nicht überrascht auf zu schauen.
Es wäre Todesmutig, ihm in die Augen zu sehen. „Rory Lemori." antwortete ich leise und wartete weiter auf eine Reaktion. Mir wurde schon schlecht vor Angst. „Nun, Rory Lemori, ich befürchte, sie werden nicht weiter für mich arbeiten können. Ich dulde keine Verschwendung meiner Zeit. Auch wenn ich ein Vampir bin, habe ich diese nicht unbegrenzt." Ich riss mich noch zusammen, bis man mich mit meinem wenig Hab und Gut vor die Tür setzte, dann brach ich in Tränen aus. Schon wieder hatte ich einen Job verloren und schon wieder endete ich auf der Straße. Die Vampire waren solch grausame Wesen.
Ich wusch mir schnell die Tränen weg und versteckte mein Gesicht hinter dem dunkelbraunen Schleier meiner dichten Haare. Ich musste mir schnell eine Nische suchen, in der ich schlafen konnte, bevor die Nacht einbrach und mich die Kälte tötete. Manchmal dachte ich tatsächlich darüber nach, aber dann fiel mir ein, dass meine verstorbenen Eltern das nicht wollen würden. Sie würden wollen, dass ich weiter nach meinem Vampir-Seelenverwandten suchte. Ich fragte mich zwar immer, weshalb ausgerechnet ich diese Tätowierung hatte, die mich als Seelenverwandte kennzeichnete, aber es war eben so.
Jedes andere Mädchen an meiner Schule würde töten, um an meiner Stelle zu sein, aber ich wünschte mir einfach, dass diese dämlichen zwei Punkte in meinem Nacken verschwanden. Die anderen Seelenverwandten auf meiner Schule waren entweder Vampire oder hatten ihren Verwandten bereits gefunden. Nur ich wurde noch nicht von meinem Vampir entdeckt, was mir aber nichts ausmachte. Ich hasste Vampire, auch wenn ich es niemals laut aussprechen könnte, es war die Wahrheit. Als vor ein paar Jahren noch ein weiteres Seelen-Tattoo auftauchte, hätte ich am liebsten aufgeheult.
Es war eine schmale Mondsichel hinter meinem Ohr und erst, als die Angriffe anfingen, wusste ich, zu welcher Spezies dieses Tattoo gehörte. Zu den Werwölfen. Sie waren beinahe noch gefürchteter, als die Vampire. Überall, wo sie auftauchten, hinterließen sie Tod und Verwüstung. Die Vampire waren wenigstens so schlau und fingen an, die Menschen zu verteidigen, was aber nur daran lag, dass sie sich von uns nähren mussten, um zu überleben. Seit dem Tod meiner Eltern waren nun schon acht Jahr vergangen, aber ich sah immer noch, wie sie von einem Vampir erst angeschrien und dann ausgesaugt wurden. Damals war ich erst zehn Jahre alt.
Ich seufzte tief und vertrieb die Gedanken, um endlich eine Ecke zum schlafen zu finden. Ich entdeckte auf der anderen Straßenseite eine kleine Gasse und eilte hinüber. Überall lag Müll und sicher müsste ich mir morgen Früh eine Gaststätte suchen, in der ich duschen konnte, aber da die Sonne schon unterging, gab ich mich damit zufrieden. Ich rollte mich hinter einer großen Mülltonne zusammen und schloss die Augen. Ich musste jetzt schlafen, damit ich kurz nach Tagesanbruch zur Schule gehen konnte.
Ein markerschütterndes Heulen riss mich aus meinen wirren Träumen. Werwölfe, war mein erster Gedanke und ich biss mir schnell auf die Unterlippe, um keinen Laut von mir zu geben. Warum mussten diese Monster ausgerechnet dann in die Stadt des Königs kommen, wenn ich mal wieder rausgeworfen wurde. Das Scheppern einer Metalldose ließ mich zusammenzucken und dann verstört erstarren. Es war nun nicht mehr die Angst vor der Kälte, die mich ergriff, sondern Todesangst. Ich hielt sogar den Atem an und lauschte auf die Schweren, leicht unregelmäßigen Schritte, die sich mir näherten. Als sie stoppten, verkrampfte ich mich und betete, dass man mich nicht entdeckte. Ich wollte noch nicht sterben.
Ich vernahm ein aufkeuchen und dann ein schmerzerfülltes Stöhnen. „Oh Fuck." knurrte eine tiefe Stimme und ich entspannte mich etwas. Das war auf jeden Fall kein Werwolf. Bei Nacht war es ihnen unmöglich, ihre menschliche Gestalt anzunehmen. Vorsichtig lugte ich aus meinem Versteck hervor und sah eine Person an der Wand gelehnt sitzen. „Mister?" flüsterte ich und sofort flog der Blick der Person zu mir. Eindeutig Vampir. Ich senkte meinen Blick schnell. „Was... was ist Ihnen passiert?" hauchte ich, als ich das blutende Bein des Blutsaugers sah. „Dumme Frage. Werwölfe natürlich." zischte er und ich schwierig einfach.
Der Vampir seufzte und ich merkte, wie er mich anstarrte. „Sieh mir in die Augen, Mädchen, wenn ich mit dir rede." befahl er erschöpft und ich hob zögernd den Kopf. „Komm her." sagte der Vampir und mein Blick wanderte von seinen schmalen Lippen, hoch zu den tiefen, dunklen Augen. Ich drohte in ihnen zu versinken als ein schmerzvolles Stöhnen den Lippen des Fremden entwich. „Lasst mich Euch helfen." bat ich und näherte mich ihm langsam. Er musterte mich nachdenklich, wehrte sich aber nicht, als ich vorsichtig seine Jeans hoch schob und die Verletzung freilegte.
Ich sah immer wieder zu ihm hoch, um einzuschätzen, ob er mich gleich weg schleudern würde. „Ich hole schnell etwas Alkohol, um die Wunde zu reinigen." informierte ich den Vampir und lief eilig zu meinem Beutel voll Habseligkeiten. Ich nahm die schmale Flasche und schwenkte den Schnaps, um zu sehen, wie viel es war. Ich seufzte schwer. Das würde nur mit Not reichen. Ich kehrte wieder zu dem Fremden zurück. „Das könnte jetzt etwas ziehen." sagte ich möglichst ruhig und kniete mich neben die Verletzung. „Bitte. Hör auf zu reden und bring es hinter dich." hauchte der Vampir und ich sah erschrocken in sein Gesicht.
Er war viel blasser, als sowieso schon. Ich beobachtete, wie er leidend die Augen zu kniff und atmete tief durch. Ich brauchte meine volle Konzentration. Vorsichtig kippte ich die Schnapsflasche und ließ einwenig der Flüssigkeit in die Wunde fließen. Der Vampir zog scharf die Luft ein, blieb ansonsten aber vollkommen ruhig. Ich zückte ein sauberes Tuch, dass ich in dem Täschchen an meinem Hals trug und tupfte vorsichtig über die klaffende Wunde. Dank meiner Mutter hatte ich einen umfangreichen Erste Hilfe Kurs belegt und war schnell fertig mit dem Säubern. „Fertig." murmelte ich nach einer Weile und brachte schnell etwas Abstand zwischen uns.
„Dankeschön." sagte der Vampir mit rauer Stimme und ich sah verwirrt zu ihm hoch. „Was?" wollte er wissen und runzelte leicht die Stirn. „Oh... ähm. Nichts. Es ist nur selten, dass ein Vampir mir für meine Dienste dankt." flüsterte ich und spürte plötzlich ein starkes Brennen an meinem Hals. „Aua." quietschte ich und sprang auf. „Alles in Ordnung?" fragte der Blutsauger und versuchte, aufzustehen. „Ja, alles bestens." antwortete ich schnell, zu schnell. Sofort war der Fremde auf den Beinen und zog meine Hand von meinem Nacken. „Oh." keuchte er, wahrscheinlich wegen dem Tattoo. Ich spürte seine kalten Finger über meine Haut wandern und musste einen Schauder unterdrücken.
Ich hielt gespannt still und konzentrierte mich, seine Hand nicht angewidert weg zu schlagen. „Was bedeutet es, wenn sich die beiden Punkte verbinden?" fragte der Vampir staunend und jetzt zog ich scharf die Luft ein. Nein, nein, nein! Das darf nicht sein, verdammt! Meine Gedanken rasten wie verrückt. „Nein, verfluchte... " ich brach ab und schleuderte die leere Schnapsflasche gegen die nächste Wand. „Was? Was ist los? Ist das etwas schlechtes?" Ich hörte deutlich, wie hilflos der Vampir sich gerade vorkam. Geschieht dir recht, du Bastard, dachte ich und biss die Zähne zusammen. „Ja, für mich ist es etwas schlechtes. Leider muss ich jetzt gehen." sagte ich kalt und schnappte mir meine Sachen. „Warte, wie heißt du, Mädchen?"
Diese kleine Frage schien so unbedeutend, aber jetzt wo ich es wusste, war es doch von enormen Wert. „Rory Lemori." antwortete ich knapp und lief dann schnell hinaus auf die Straße. Der Vampir würde jetzt alleine zurechtkommen. Ich lief eilig durch die vielen Gänge der Stadt und spürte, wie die Kälte mich schwächte. „Rory." hörte ich ein Flüstern ganz in der Nähe. „May!" bibberte ich voller Freude und entdeckte meine beste und einzige Freundin nahe einer schmalen Gasse. „Oh, Ry komm her, schnell." sagte sie und schlang eine Decke um meine Schulter. Mir wurde augenblicklich wärmer und ich war wirklich froh, ihr begegnet zu sein.
Wir lümmelten uns in eine Ecke und ich legte meinen Kopf erschöpft auf ihre Schulter. „Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich bin froh, dass du offensichtlich auch ab heute keinen Job hast." gestand ich und sah ein schwaches Lächeln um May's Lippen spielen. „Was war es bei dir?" wollte sie wissen und ich merkte, wie die Kälte langsam aus meinem Körper wich. „Bin paar Minuten zu spät gekommen." antwortete ich und sah sie fragend an. „Hab einen Tassenabdruck auf seinem Lieblings Tisch übersehen. Naja, okay, wohl eher auf dem Liebsten seiner Seelenverwandten." sagte May und zuckte nur mit den Schultern. „Okay, morgen haben wir Schule. Schlafen wir einwenig." und schon fielen mir die Augen zu.
Ein sanftes Rütteln an meiner Schulter weckte mich. „Guten Morgen, Ry." grüßte May mich und half mir beim aufstehen. „Zum Goldenen Pot. Ich hab mit dem Besitzer eine Vereinbarung und wir können uns da für die Schule richten." erklärte ich und knapp eine halbe Stunde später waren wir fertig. Schnell liefen wir durch das Lokal und schafften es unbemerkt an den Vampiren vorbei. Da sie im Grunde ja keine Menschen waren und alles viel intensiver wahrnahmen, mochten sie den Tag nicht. Sie verkehrten lieber in der Nacht, in der es auch stiller und allgemein entspannter für sie war.
Endlich draußen, eilten wir zu unserer Schule. Man sah es nicht gern, wenn die Menschen zu spät kamen. Bei den wenigen Vampiren drückte man aber natürlich ein Auge zu. „Wir sehen uns in der Pause." verabschiedete ich mich noch und lief dann schnell zu meinem Klassenzimmer. Abgesehen von den drei Vampiren waren alle da. Ich ließ mich auf meinen Einzelplatz fallen und holte mein Buch heraus. Nur wenige Sekunden danach, kam unser menschlicher Lehrer und grüßte die Klasse. Die leeren Plätze der Vampire ignorierte er und fing gleich mit dem Unterricht an.
Ein kurzes Klopfen an der Tür riss mich aus der Versunkenheit. Ich sah von meiner Aufgabe auf und die drei Vampire kamen ganz gelassen herein spaziert. „Sie sind zu spät, meine Herren." informierte unser Lehrer sie schlicht, sagte aber sonst nichts dazu. „Wir wurden... aufgehalten." erklärte ihr Anführer, Lennox, hochnäsig. Er strich sich dreckig grinsend ein Blutstropfen von der Wange. Als ich leicht rote Streifen in seinen blonden Haaren sah, war klar, was sie getan hatten. „Interessant, dass ihr für euer Frühstück so lange gebraucht habt." Erst als mich alle entsetzt anstarrten, erkannte ich, dass mir diese spöttischen Worte über die Lippe gekommen waren. „Was sagtest du, Mensch?!" zischte Lennox und war in Sekundenschnelle direkt vor mir.
Er sah mir tief in die Augen und ich war wirklich froh, dass ich als Seelenverwandte nicht empfänglich für 'Zwang' war, wie sie ihre Hypnose nannten. „Ich sagte, ihr hättet lange für euer Frühstück gebraucht." wiederholte ich brav, und starrte stur zurück in seine blauen Augen. Nur daran, dass die Pupillen von einem roten Ring umrandet waren, erkannte man Lennox gerade als Vampir. Seine Fangzähne waren eingefahren und für einen Blutsauger war er echt ziemlich gut gebräunt. „Jetzt hör mir mal zu, wenn du mit mir redest, dann bitte mit dem nötigen Respekt und weh... " Sein Zischen wurde von einer Durchsage unterbrochen und sofort saßen alle aufrecht auf ihren Plätzen, sogar die dämlichen Vampire.
„Miss Rory Lemori bitte sofort ins Sekretariat." schallte die samtweiche Stimme der Direktorin durch das Klassenzimmer. Ich erstarrte und suchte flehend nach dem Blick meines Lehrers. „Sie haben die Direktorin gehört." sagte er schlicht, aber ich sah Mitgefühl in seinen grauen Augen. Seufzend stand ich auf, nahm meine Tasche und ging hinaus. Angespannt lief ich durch die leeren Gänge. Was hatte ich angestellt? Warum rief mich die Direktorin persönlich ins Sekretariat? Normalerweise benutzte sie eine der Sekretärinnen für so was. Ich klopfte zaghaft an der riesigen Holztür und benötigte viel Kraft, um sie zu öffnen. Bis jetzt war ich nur einmal hier und das war, als jemand sah, dass ich eine Seelenverwandte war.
Ängstlich sah ich mich im Vorraum um. Eine der Sekretärinnen sah von ihrem Schreibtisch auf und lächelte sanftmütig. „Die Direktorin wartet schon auf Sie." meinte sie ruhig und sah wieder auf die Unterlagen vor sich. Ihre Ruhe verunsicherte mich noch mehr und ich starrte einfach nur die Tür an, durch die ich nun musste. „Nun gehen Sie schon hinein. Es ist nichts schlimmes." ermutigte mich die zweite Sekretärin und ich ging langsam in den nächsten Raum. Anfangs entdeckte ich die Direktorin nicht und sah mich suchend um. „Hier, Miss Lemori." tönte ihre Stimme hinter einem schweren, roten Vorhang herüber.
Zögernd ging ich ihrem Ruf nach und entdeckte sie mit einem schwarzhaarigen Vampir an einem Fenster. Sie saßen sich an einem runden Tisch gegenüber und unterhielten sich leise. Mit einem Räuspern machte ich auf mich aufmerksam und die blonden Haare der Direktorin wirbelten herum. „Ah, da sind Sie ja. Kommen Sie ruhig her. Nur keine Scheu." sagte die Vampirin und ich war etwas geschockt von ihrer Freundlichkeit. Unsicher und mit dem Blick starr auf dem Boden gerichtet, ging ich zu dem noch freien Stuhl. Ich spürte den Blick des anderen Vampirs deutlich auf mir und wand mich unbehaglich unter ihm.
„Setzen Sie sich doch." forderte die Blondine und ich tat stumm, was sie verlangte. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus und ich sah fragend hoch. „Ich... Ich wollte Ihnen nochmals für Ihre Hilfe gestern Abend bedanken." sagte der fremde Vampir und ich starrte ihn erschrocken an. Ich hatte ihn bis eben nicht erkannt. „Oh. Es tut mir leid, dass ich weg gelaufen bin. Wie geht es Ihrer Verletzung?" sagte ich und sah ihm fasziniert in die Augen. Gestern hatte ich gedacht, sie wären von einem dunklen Braun, aber so war es nicht. Sie waren wundervoll dunkelblau und ich konnte mich einfach nicht von ihnen lösen. Es schien, als würden sie mich in sich hinein ziehen, so tief wie sie waren.
Erst als der Vampir anfing zu reden, konzentrierte ich mich, um ihn zu verstehen. „Perfekt verheilt. Wenn sie die Wunde nicht gereinigt hätten, hätte ich eine hässliche Narbe zurück behalten." Das süße Lächeln auf seinen Lippen ließ ihn fast menschlich aussehen. „Es war meine Pflicht, Ihnen zu helfen." erklärte ich schlicht und setzte einen kalten Blick auf. „Wieso? Weil ich der Prinz bin?" lachte er und mir stockte der Atem. „Was?!" quietschte ich geschockt und fing mir einen warnenden Blick von meiner Direktorin ein. Der fremde Vampir kicherte, was mich nur noch mehr schockte. Wie konnte ich nur dem Vampir-Prinzen helfen und das nicht wissen? Hätte ich ihn nicht an irgendetwas erkennen müssen?
Der Fremde atmete tief durch. „Ich dachte mir schon, dass Sie das nicht wussten. Sicher wären Sie dann nicht so schnell gegangen." meinte er und legte seine kalte Hand auf meine. „Dann wäre ich erst recht abgehauen, königliche Hoheit." zischte ich in einem Anfall von Aufmüpfigkeit und zog dreist meine Hand weg. Jetzt waren es die Vampire, die erschrocken aussahen. Ein trauriger Ausdruck trat auf das Gesicht des Prinzen. „Außerdem haben Sie mich belogen, Miss." erklärte er und schien sich wieder zu fangen. „Ja?" sagte ich in der Hoffnung, nicht doch hinter Gittern zu landen.
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