11. Kapitel
Alec
Jeder Mensch braucht jemandem in seinem Leben, der ihm das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein.
Denn wir leben nicht nur für uns, sondern auch für die Menschen, die uns am meisten am Herzen liegen.
Sie sind es, die uns ausmachen.
Sie sind es, die uns den Mut geben, weiter zu machen, obwohl wir schon am Boden sind.
Wir sind nicht perfekt. Wir sind auch nicht unverwundbar. Und es wird immer einen Moment geben, in dem wir glauben, wir würden den Menschen, der für uns am Wichtigsten ist, für immer verlieren.
Aber das muss nicht so sein.
Denn wenn dich dieser Mensch genau so sehr liebt wie du ihn, dann wird er zu dir zurückkommen.
Vielleicht nicht sofort.
Und vielleicht wird es auch nicht so ablaufen, wie du es erwartest.
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*Einige Wochen später*
„Das sollten wir lieber nicht da hin stellen“, meinte ich stirnrunzelnd, als ich sah, wie Magnus die seltsame Ein-Meter-Pflanze, deren Namen ich vergessen hatte, in die Wohnzimmerecke stellen wollte.
„Und wieso nicht?“, erkundigte sich mein Hexenmeister und stellte die Pflanze trotzdem ab. „Hier steht sie doch ganz gut. Und ich werde sie bestimmt nicht in unser Schlafzimmer tun. Das würde seltsam aussehen, mit den Rosen auf dem Nachttisch.“
Ich seufzte, doch gleichzeitig lag ein Lächeln auf meinen Lippen.
„Das letzte Mal, als du eine Pflanze dahin gestellt hast, hat Miau Tse-Tung sie als Kratzbaum missbraucht“, erinnerte ich meinen Freund, „und ich durfte noch wochenlang die Erde aufsammeln, die dein Kater in der Wohnung verteilt hat…“
Bei dem Gedanken daran verzog ich das Gesicht.
Magnus grinste jedoch nur.
„Ich habe dir gesagt, dass ich das mit einem Zauber wieder aufräumen würde“, erwiderte er und ging zu einem der unzähligen Pappkartons, die sich mit uns im Wohnzimmer befanden.
„Schon. Aber ich dachte, wir versuchen wenigsten ab und zu mal, ein normales Pärchen zu sein“, kam es von mir, ehe ich die Pflanze wieder aus der Zimmerecke holte.
Warum Magnus dieses Ding überhaupt in seinem Loft haben wollte, war mir schleierhaft.
Schließlich reichte es mehr als aus, dass unser Schlafzimmer schon fast einer Gärtnerei ähnelte.
„Nur weil wir versuchen, etwas Normalität in unserer Beziehung zu haben, heißt das nicht, dass ich nicht wenigsten unser Apartment kurz mit Magie aufräumen kann.“
Magnus fischte eine kleine Tischlampe aus dem Karton und betrachtete sie stirnrunzelnd, während ich noch immer überfordert damit war, für die hässliche Pflanze in meiner Hand einen geeigneten Platz zu finden.
„Wir tun das Ding auf den Balkon“, entschied ich schließlich.
„Aber da kann man sie nicht sehen“, widersprach Magnus sofort, während er die Tischlampe achtlos auf den Boden stellte.
„Das ist ja auch der Plan“, murmelte ich.
Als Magnus mir erzählt hatte, dass ich heute wieder bei ihm einziehen konnte, hatte ich ohne zu zögern ja gesagt.
Hätte ich allerdings gewusst, dass Magnus das als Anlass sehen würde, seine gesamte Wohnung mit mir neu einzurichten, hätte ich vermutlich nicht so einfach zugestimmt.
Doch jetzt hatte ich keine andere Wahl, als das ganze Prozedere über mich ergehen zu lassen.
Damit schleifte ich die Pflanze auf den Balkon, ohne auf die halbherzigen Widersprüche meines Hexenmeisters zu achten.
„Bitte sag mir, dass diese Tischlampe in den Müll kommt“, bat ich Magnus, als ich das Zimmer wieder betrat.
Mein Freund hatte die kleine Lampe vom Boden aufgehoben und drehte sie abschätzig hin und her.
„Ach was, Alexander, die würde sich im Gästezimmer doch ganz gut machen“, meinte er nur.
Kurz blinzelte ich.
Die Tischlampe war giftgrün und mit kleinen rosa Herzchen bedruckt.
Entweder war mein Freund farbenblind geworden oder er wollte sämtliche Gäste, die hier auftauchen sollten, wieder aus seinem Loft vergraulen.
Magnus musste meinen schockierten Gesichtsausdruck gesehen haben, denn er fing an zu lachen.
„Ja, sie kommt auf den Müll“, kicherte er, „was soll ich mit dem Ding auch? Es nimmt nur Platz weg und sieht aus, als wäre es in einen Farbeimer gefallen.“
Er stelle das hässliche Teil zurück in den Karton, ehe er sich an einem anderen zu schaffen machte.
Apropos Farbe…
„Unser Schlafzimmer streichen wir aber nochmal, stimmt’s?“, fragte ich. „Bei aller Liebe, Magnus, ich werde nicht in einem pinken Zimmer schlafen.“
Mein Hexenmeister sah von dem Karton auf.
„Es ist lila, Alexander“, korrigierte er mich, „nicht pink.“
„Ein ziemlich helles lila“, gab ich zurück.
Magnus verdrehte die Augen, lächelte jedoch.
„Schön, wir streichen das Schlafzimmer“, stimmte er widerwillig zu.
Ich seufzte nur. Es war nicht meine Schuld, dass Magnus eine Vorliebe für seltsame Farben hatte.
Trotzdem erleichtert darüber, dass mein Freund zugestimmt hatte, widmete ich mich einem Teppich, welcher aussah, als hätte ein Dämonenfürst darauf Walzer getanzt.
Okay, das Teil ging definitiv in den Müll!
Die Farbe war verblasst und hier und da sah ich kleinen Löcher, die sich durch den Teppich zogen. Warum bei Raziel hatte Magnus das Ding aufgehoben?
Wir wussten beide, dass er es sowieso nicht benutzen würde, um seine Wohnung damit zu dekorieren.
Vermutlich war es irgendein Andenken aus dem 18. Jahrhundert oder so…
Ich legte den Teppich zurück auf den Boden und ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu besorgen.
Dennoch bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie Magnus Anstalten machte, die Balkontür zu öffnen.
„Die Pflanze bleibt auf dem Balkon“, rief ich meinem Freund zu und blieb stehen.
Mein Hexenmeister seufzte.
„Wir könnten sie wenigstens in die Küche stellen“, schlug er vor.
Augenverdrehend setzte ich meinen Weg fort und öffnete den Kühlschrank, um eine Wasserflasche daraus zu entnehmen.
„Nein, die Pflanze kommt nicht in die Küche!“, antwortete ich meinem Freund mit einem schiefen Grinsen im Gesicht, während ich den Schrank öffnete, um ein Glas heraus zu holen.
Was Magnus dann sagte, verstand ich nicht ganz, aber er schien sich damit abgefunden zu haben, die Pflanze auf dem Balkon zu lassen.
Oder er wartete, bis ich meine nächste Mission hatte und dekorierte dann von selbst alles um.
Bei dem Gedanken lachte ich leise. Vermutlich würden sich manche Dinge nie ändern…
Ich öffnete den Verschluss der Flasche, hielt jedoch inne, als mein Blick auf meinen linken Arm fiel.
Es war ziemlich warm draußen und Magnus kannte die Wunden ja schon, weswegen ich mich dazu entschieden hatte, im T-Shirt herum laufen zu können.
Mein Lächeln verschwand und ich betrachtete nachdenklich die unsauber verheilten Narben, die auf meiner blassen Haut gut zu sehen waren.
Mein Hexenmeister hatte mir vor ein paar Wochen angeboten, die Narben zu heilen.
Sie für immer verschwinden zu lassen.
Ein schneller Zauber und es war, als wären sie nie da gewesen.
Doch ich hatte das Angebot abgelehnt.
Ich war nicht stolz darauf, dass ich mich geritzt hatte, doch ich wollte es auch nicht vergessen.
Ich wollte mich daran erinnern, dass jeder Mensch eine dunkle Seite in sich hatte.
Und diese dunkle Seite würde nicht weggehen, selbst, wenn die Narben verschwinden würden.
Die Narben waren irgendwie ein Teil von mir. Ein Teil, mit dem ich leben musste.
Gedankenverloren goss ich das Wasser in mein Glas, ehe ich zurück zu Magnus ins Wohnzimmer ging.
Seit wir wieder zusammen waren, hatte ich mich nicht mehr geritzt, was ich als gutes Zeichen wertete.
Doch das bedeutete keineswegs, dass es einfacher wurde.
Manchmal hatte ich noch immer das Bedürfnis, die Klinge in die Hand zu nehmen.
Das Bedürfnis, Blut zu sehen. Schmerzen zu spüren.
Und dieses Bedürfnis würde vermutlich auch nie weggehen.
Aber seid Magnus und ich wieder zusammen waren, hatte ich die Stärke gegen meinen Zwang an zu kämpfen.
Ich hatte die Stärke, das Messer in meinem Schrank liegen zu lassen.
Und das war mehr als ausreichend für mich.
Belustigt sah ich meinem Freund dabei zu, wie er sichtlich überfordert versuchte, einen Vorhang aus einem der Kartons zu ziehen.
Grinsend setzte ich mich auf die Couch und nahm einen Schluck aus meinem Glas.
Diese Couch war vermutlich eines der wenigen Möbelstücke, das immer hier stehen würde, egal, wie oft Magnus meinte, sein Apartment neu einrichten zu müssen.
„Ich hätte das Ding längst loswerden sollen“, murmelte mein Hexenmeister und gab es schließlich auf, den gelben Vorhang entheddern zu wollen.
Stattdessen stopfte er ihn zurück in den Karton.
„Und warum hast du’s nicht gemacht?“, fragte ich und stellte das Glas auf dem Beistelltisch zu meiner Rechten ab.
Magnus zuckte mit den Achseln.
„Das war ein Geschenk von einer Freundin aus dem 17. Jahrhundert, glaube ich“, erklärte er, „wir waren damals so betrunken, dass wir in einen leerstehenden Salon eingebrochen sind und dann…“
Er unterbrach sich, als er mein Stirnrunzeln bemerkte und lachte leise.
„Jedenfalls hatte sie keine Verwendung mehr für den Vorhang und ich hab´ ihn vermutlich nur als Geschenk akzeptiert, weil ich zu betrunken war, um mich daran zu erinnern, dass ich Gelb nicht einmal mag. Und die Farbe passt auch nicht zu der Tapete…“
Seufzend ließ er sich neben mich auf die Couch fallen, ehe er sich an mich lehnte.
„Wir könnten in den Urlaub fahren“, schlug er vor.
Ich schüttelte den Kopf.
„Im Ernst?“, meinte ich irritiert. „Wir sind noch nicht einmal mit dem Einräumen deiner Wohnung fertig. Und wo wollen wir überhaupt hin?“
Magnus zuckte erneut mit den Achseln.
„Das mit der Wohnung hat auch Zeit“, versuchte er mich zu überzeugen, „und wir können hin wo immer du hin möchtest. Außer nach Peru, da habe ich immer noch Einreiseverbot.“
Ich verdrehte die Augen, das Grinsen blieb jedoch auf meinen Lippen.
Bei Gelegenheit sollte ich Magnus fragen, was denn eigentlich genau in Peru passiert war…
„Lass uns die Wohnung aufräumen und dann komme ich eventuell auf unseren Urlaub zurück“, bot ich an.
Mein Hexenmeister drehte den Kopf, um bequemer auf meiner Schulter liegen zu können.
„Spielverderber“, murmelte er leise.
Jedoch nicht leise genug.
Trotzdem beschloss ich, nicht weiter darauf einzugehen. Und wer weiß, vielleicht würde es wirklich irgendwann etwas mit unserem Urlaub werden.
Aber bestimmt nicht jetzt.
„Was hat Goldlöckchen dazu gesagt, dass du wieder bei mir eingezogen bist?“, erkundigte sich mein Freund.
„Er akzeptiert es“, antwortete ich, „irgendwie jedenfalls.“
Am Anfang war das Verhältnis zwischen mir und Jace… schwierig gewesen. Im Gegensatz zu Izzy, welche Magnus beinahe von Beginn an vergeben hatte, hatte mein Parabatai Schwierigkeiten gehabt, so zu tun, als wäre nie etwas passiert.
Aber er schien eingesehen zu haben, dass er sowieso nichts dagegen tun konnte. Und abgesehen davon hatte er gerade seine eigenen Beziehungsprobleme mit Clary.
„Meine Eltern wissen es“, sagte ich schließlich.
Magnus richtete sich auf, um mich ansehen zu können.
„Das du dich geritzt hast, oder dass du wieder bei mir eingezogen bist?“, hakte er nach.
„Ersteres.“
Ich schnitt eine Grimasse.
Meine Mom hatte mir die Hölle heiß gemacht, anders als mein Dad. Dieser hatte es hingenommen, hatte mich jedoch angestarrt, als wäre ich eine einzige wandelnde Enttäuschung.
Früher hätte das ausgereicht, damit ich wieder meine Klinge in die Hand nahm.
Doch jetzt war das anders.
Der Stress war noch da, genau wie der Frust und die Gedanken daran, dass ich absolut minderwertig war.
Aber das Gefühl, alleine zu sein, war verschwunden. Denn ich hatte eingesehen, dass es genug Menschen gab, denen ich etwas bedeutete.
Es gab genug Menschen, die mich wieder aufbauten, wenn ich am Boden war.
„Wir sollten weitermachen“, sagte ich schließlich und beendete damit das Thema.
Provokant lehnte sich Magnus zurück an meine Schulter an.
„Bist du dir sicher?“, fragt er, „Es ist gerade ziemlich bequem hier.“
„Ja, ich bin mir sicher“, erwiderte ich, während ich aufstand.
Doch ich kam nicht dazu auch nur einen Schritt in Richtung der Kartons zu machen, denn Magnus griff mich einfach am Arm und zog mich zurück auf die Couch.
Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch auch dazu kam ich nicht, denn Magnus beugte sich plötzlich vor und küsste mich.
Für einige Sekunden verharrten wir so, seine Lippen auf die meinen gepresst, seinen Körper an meinen geschmiegt.
Dann lösten wir uns voneinander, um wieder Sauerstoff in unsere Lungen zu bekommen.
Ja, wir hatten es langsam angehen wollen, doch nach wenigen Tagen war uns beiden aufgegangen, dass daraus vermutlich nichts werden würde.
„Okay, wir räumen später ein“, murmelte ich, ehe wir uns erneut küssten.
Es hatte gedauert, bis wir wieder zusammengekommen waren, und es war auch nicht so passiert, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Das hier war auch keineswegs das 'typische' Happy End, dass ich mir vorgestellt hatte.
Aber das spielte keine Rolle.
Denn es war *unser* Happy End.
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