4. Kapitel
„Machst du mich vielleicht auch los, Lennox?", fragte ich wütend und ungeduldig. Natürlich, wir hatten ja alle Zeit der Welt. Vor unserer Türe und in unserem Außenposten waren ja keine bewaffneten Gegner, nein nein. Alles im grünen Bereich.
Er sah mich eindringlich an, ging dann zu seinem Kleiderschrank und kam mit einem Gürtel und einem Halstuch wieder. Bevor ich mich versehen konnte, hatte er den Gürtel stramm um meine Fußknöchel gewickelt und verschloss ihn. Nun waren auch meine noch freien Beine fixiert.
„Was soll das? Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich wollte. Wir sind auf einer Seite Lennox, mach mich endlich los. Bist du übergeschnappt?", meinte ich und kämpfte gegen die Fesseln an.
„Das könnte ich dich fragen. Steckst du mit denen unter einem Hut?", fragte er und machte einen Knoten in sein Halstuch. „Das wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen. Schien mir im Besprechungsraum aber kein guter Ort, vor deinen potenziellen Komplizen." Sein Blick war kalt, ernst und ohne Erbarmen.
„Spinnst du? Warum sollte ich?"
„Ich weiß nicht, dein Stammbaum ist da ein Anhaltspunkt."
„Wie hätte ich das organisieren sollen?", schrie ich ihn wütend an. Jagte er ernsthaft diesem Hirngespinst hinterher?
„Ich weiß es nicht. Sag du es mir. Auch wenn es mir widerstrebt, muss ich zugeben, dass du nicht dumm bist. Du bist sogar eigentlich ziemlich klug", meinte er und kniete sich vor mich.
„Danke für das Kompliment, aber nein", warf ich genervt ein, wurde jedoch gleich unterbrochen.
„Und ich kann eins und eins zusammenzählen. Marshall Meeks ist verletzt wieder hier aufgetaucht, während dir nichts fehlt. Die Angreifer konnten nur über euch hier hineinkommen. Da hast du deine Rolle gut gespielt. Und jetzt lässt du dich hier mit mir einsperren, um den Schein zu wahren. Später werden wir abgeholt, du wirst mitgenommen und lachst dir in ihrem Versteck eins ins Fäustchen. Klingelt etwas bei dir, wenn ich dir so ein gedankliches Bild zeichne?"
„Du bist paranoid, weil du mich hasst. Für dich muss ich der Bösewicht sein, sonst wäre deine Welt nicht in Ordnung. Da steht eine riesige Bunkertür direkt im verdammten Wald, Lennox! Wir sind hier nicht so unauffällig wie alle immer denken wollen. Fuck, das macht doch keinen Sinn. Wofür sollten sie einen zweiundzwanzigjährigen Private brauchen? Was würde ihnen mein Rang einbringen? Dann wären sie doch schon zu Beginn meiner Zeit hier einmarschiert. Außerdem kann mich hier doch kaum einer leiden. Ich bin kein integriertes Mitglied!"
Er hob die Schultern. „So oder so bist du erstmal auf der Ersatzbank. Dann muss ich mir keine Sorgen um dich machen. Und ich hasse dich nicht. Mach jetzt den Mund auf und halt still."
„Ich weiß, was das hier ist. Du willst mich in unserem Zimmer zurücklassen, während du alle befreist. Dann erzählst du ihnen irgendeine Lüge, der Bunker wird verlassen und ich werde hier elendig verhungern und verdursten. So sieht also deine ultimative Rache an mir aus. Du solltest mich besser gleich erwürgen, dann muss ich nicht so ewig vor mich hin leiden. Aber dann müsstest du dir ja aktiv die Hände selbst schmutzig machen", schloss ich, während ich seinen Händen, in denen er das Tuch eingespannt hatte, auswich. Meine Worte ließen ihn pausieren.
„Moment mal, was redest du denn da für eine Scheiße? Das ist ja komischerweise sehr speziell. Ich habe aber keine Zeit für deine Fantasie, halt jetzt still", entgegnete er angespannt.
„Die Rache dafür, dass ich Wanda nicht retten konnte", presste ich noch schnell hervor, bis er mich erwischt und den Knoten in meinem Mund geschoben hatte. Doch er hielt nun inne, musterte mich und band das Halstuch nicht zu.
„Das denkst du also? Damit kommst du mir? Ich lasse dich hier widerlich krepieren, weil du vor sechszehn Jahren unsere Schwester nicht gerettet hast?", rekapitulierte er.
Mit Knebel im Mund nickte ich. Er machte ein ernstes Gesicht. „Daher weht der Wind. Nun ja, du könntest nicht falscher liegen. Aber das ist egal. Du bleibst jetzt hier in Sicherheit und dann klären wir das. Auch wenn ich für mich dann entschieden habe, auf wessen Seite du stehst."
Ich strengte mich an und spuckte das Tuch wieder aus. „Wieso in Sicherheit? Warum keine Sorgen um mich machen? Erklär es mir, Lennox. Und mach mich los. Ich bin auf niemandes Seite. Das solltest du mittlerweile am allerbesten wissen."
„Ich habe keine Zeit dafür, Felix", meinte er und hob das Tuch wieder auf.
„Eigentlich habt ihr genau das, Zeit. Was wird das, wenn es fertig ist?" Eine fremde Stimme ertönte aus der Türe. Lennox wirbelte herum und gab auch mir die Sicht frei. In der Türe stand einer der Rebellen, wohl unsere zugeteilte Wache.
„Ich habe nachgearbeitet, da ihr mit den Fesseln so einen halbherzigen Job gemacht habt", erwiderte Lennox mit einem Grinsen. „Oder ist er einer eurer Leute?"
„Wieso sollten wir Sache mit einem Soldaten machen? Aber die Kritik an unseren Fesseln ist angekommen und wird bei dir gleich angewendet. Unser Gürtelbudget ist nur leider sehr niedrig. Aber du machst mich neugierig: Wie hätte dein Plan ausgesehen?", fragte der Gegner mit gespieltem Interesse und zielte mit seiner Pistole auf Lennox.
Er hob die Schultern. „Aus dem Zimmer gehen, euch alle überwältigen, meine Kollegen befreien und dann ein kühles Bierchen."
Der Rebell lachte auf. „Das kühle Bierchen ist ein Wort. Für den Rest muss ich dir leider sagen, dass dein Plan mangelhaft ist. Und wieso lässt du deinen Kollegen hier, wenn er dir doch helfen könnte?"
Lennox' Blick wurde kalt. „Meine Familiendynamik geht euch nichts an."
„Ach stimmt ja, du bist dieser Winters mit dem Halbbruder. Ich hoffe, man überlegt sich etwas Schönes für dich und ihn. Der Apfel fällt ja nicht weit vom Stamm. Wird deinen alten Herren bestimmt freuen, zu hören, dass seine Söhne im Einsatz so misshandelt wurden, wie er es bei unser eins immer so schön zu tun pflegt. Wenn ihm da nicht sogar einer abgeht. Er scheint ja nicht richtig zu sein im Kopf, der kranke Bastard."
Lennox stand auf, funkelte den anderen böse an. „Niemand foltert meinen kleinen Bruder außer mir."
Wieso musste er genau diese Worte wählen? In mir stiegen Erinnerungen auf, die ich lieber verdrängt hatte. Es war mir noch so präsent, als diese Worte gefallen waren. Die Umstände, unter welchen sie sich in mir eingebrannt hatten.
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