14. Kapitel
Die Gespräche waren lang, ausführlich und emotional. Sie erzählte mir, wie es ihr erging und ich ihr, was ich erlebt hatte. Langsam zeichnete sich eine Verbindung zwischen uns ab, die wieder aufblühte und sich zu festigen versuchte. Sie erzählte mir auch von meinen ersten sechs Lebensjahren und wie Scar, mit dem sie zu der Zeit zusammen war und eigentlich Walter hieß, fast eine Vaterfigur geworden war. Doch dann kam der Zwischenfall. Sie waren noch immer gut aufeinander zu sprechen, obwohl sie sich nicht sicher war, ob das zwischen ihnen noch eine Beziehung darstellte.
Meine Tante und mein Onkel hatten diese Entwicklung mit einem gespannten und zufriedenen Gesichtsausdruck verfolgt und sich immer wieder dazugesetzt.
„Hätten wir von dir gewusst, hätten wir dich bei uns aufgenommen. Dann hättest du nicht im Dunstkreis der Familie Winters bleiben müssen", hatte Lance immer wieder erwähnt. Dessen wurde er nicht müde und ich war dankbar dafür. Es versetzte mir aber auch immer wieder den Stoß, was gewesen wäre, wenn ich bei meiner Familie mütterlicherseits hätte aufwachsen können. Diese Gedanken versuchte ich aber beiseite zu schieben, da sie mich in eine ziemlich destruktives Loch warfen.
Auch Scar taute immer mehr auf und konnte auch nette Worte an mich richten. Er trauerte aber auch der verlorenen Chance auf eine Familie hinterher. Dies hatte mir Faye hinter vorgehaltener Hand bestätigt.
So schön diese Zeit auch war und wie sehr ich es auch genoss, nagte so einiges an mir. Faye drängte mich zu einer Entscheidung, wie ich mir mein weiteres Leben vorstellte. Während ich des nachts in meinem Bett lag, tat ich deswegen kein Auge zu. Die Gedanken kreisten um dieses Thema und wogen alle Optionen ab. Es war eine so tiefgreifende Entscheidung, dass ich sie nicht leichtfertig treffen wollte. Doch letztlich kam ich zu einer Lösung. Die, auch wenn ich es mir nicht ganz eingestehen wollte, für mich die einzige darstellte.
Am nächsten Morgen kam ich zum Frühstück ins Erdgeschoss. Um den Esstisch hatten meine Mutter, Tante und Onkel sowie Scar bereits Platz genommen und unterhielten sich bei einer Tasse Kaffee.
„Guten Morgen Langschläfer", begrüßte mich Faye liebevoll und zog den Stuhl neben sich von unter dem Tisch hervor. Doch ich blieb stehen und klatschte einmal kurz in die Hände.
„Guten Morgen an alle. Ich wollte euch mitteilen, dass ich nach langer Überlegung jetzt weiß, wie es weiter gehen soll." Die Aufmerksamkeit meiner Familie war mir sicher.
Ich wandte mich an Scar, streckte ihm meine Handgelenke entgegen, als wollte ich mich ergeben. „Walter, du kannst mich wieder zurückbringen in den Bunker." Den Anwesenden entgleisten die Gesichtszüge. Eine Reaktion, mit der ich gerechnet hatte.
„Felix, willst du es dir nicht nochmal überlegen? Ich würde dich sehr gerne in meiner Nähe wissen. Himmel, du musst nicht mal aufs Schlachtfeld. Einfach nur bei mir sein, in Sicherheit, weit weg von der Familie deines Vaters und deren Gräueltaten", sagte meine Mutter, war aufgestanden und legte mir ihre Hände an die Wangen.
„Ich weiß, Mom. Doch Lennox ist genauso meine Familie, wie ihr es auch seid. Und ich will ihn wiedersehen, Dinge klären. Vielleicht die brüderliche Beziehung zu ihm aufbauen, die wir verdient hätten. Aber das geht nicht, wenn ich mit dir mitgehe. Höchstens, wenn ich ihn auf dem Schlachtfeld wiedertreffe. Da werden wir aber nicht die Möglichkeit eines klärenden Gesprächs haben. Auch wenn er die meiste Zeit mies zu mir war, ist er doch eine stabile Konstante in meinem Leben gewesen. Und ich habe das Gefühl, dass wir uns wiedersehen werden, Mom. Wenn der Krieg vorbei ist, ihr gewonnen habt oder Friedensverträge geschlossen wurden. Dann werden wir da weiter machen, wo wir jetzt aufgehört haben."
Sie sah mich mit Tränen in den Augen an, streichelte meine Wange immer wieder. „Wenn das dein Wunsch ist. Ich habe sechzehn Jahre auf dich gewartet. Dann werde ich ein paar Monate mehr auch noch aushalten. Aber ich nehme dich beim Wort. Sobald du in Kriegsgefangenschaft geraten solltest, erfahre ich das."
Ich nickte und umarmte sie. Lance und Lori waren aufgestanden und hatten sich in die Umarmung mit hineingezwängt. „Sollte der Widerstand gewinnen, werden wir dich hier wieder aufnehmen. Und vielleicht auch deinen Bruder. Dann lernst du vielleicht auch mal, wo der Dessertlöffel beim Tisch decken hinkommt. Du bist ein mieser Arbeitssklave, soviel kann ich dir sagen", meinte Lance und fuhr mir über meinen stoppeligen Hinterkopf. Ich lachte auf. Die Vorstellung, mit Lennox hier zu leben war absurd, aber eine Hoffnung, die ich zu hegen erlaubte.
Ich trug wieder die Kleidung, mit der ich hier angekommen war. Mom verabschiedete sich noch im Haus von Lance und Lori. Neben mir stand Scar auf dem Feldweg und rauchte eine Zigarette.
„Ich werde nicht schlau aus dir. Du meintest, du hasst den Krieg, willst einen Ausweg. Und jetzt gehst du freiwillig in das Worst Case Szenario zurück", brummte er, den Blick immer noch auf Faye gerichtet.
Ich hob die Schultern. „Es ist nicht leicht, aus toxischen Beziehungen rauszukommen. Außerdem geht es hier nicht um den Krieg, sondern um meine Familie. Euch muss man nicht retten, ihr kommt klar. Aber vielleicht muss ich versuchen, Lennox auf die richtige Bahn zu lenken. Und wenn das nur bedeutet, dass er nicht in die Fußstapfen unseres Vaters tritt."
„Dir ist schon klar, über wen du hier gerade redest. Dein Bruder wirkte nicht so wie jemand, der von den Zielen der Regierung ablässt. Oder auf dich hört", warf Scar ein.
„Wenn ich es nicht versuche, werde ich es nicht herausfinden. Und ich habe ja noch euch. In mir ist halb Militär, halb Widerstand versammelt. Wenn ihr gewinnt, kann ich meine Tante und Onkel wiedersehen. Gewinnt das Militär, muss ich mich rechtzeitig vor meinem Vater verstecken. Einigen sich beide Parteien, bin ich sowieso ein freier Mann. Was hab ich zu verlieren?", meinte ich mit einem gequälten Lächeln. Vielleicht malte ich mir das hier alles zu rosarot aus. Aber ich konnte nicht anders, als zu versuchen, das bisschen Fortschritt auszubauen, welches Lennox und ich mühsam erarbeitet hatten.
„Wenn das mal nicht blauäugig ist", kommentierte Scar.
Stille kehrte zwischen uns ein. In mir zwängte sich noch ein Gedanke durch meinen Kopf. „Scar, ich meine Walter. So wie ich dich und deine Löwenstärke kennen lernen durfte, glaube ich, dass du ein guter Stiefvater gewesen wärst. Generell weine ich dem Leben hinterher, welches ich hätte haben können. Das schließt dich mit ein. So wie du die Rebellen führst und dich um meine Mutter kümmerst und sorgst, hätte ich dich bestimmt irgendwann Dad genannt. Auch wenn du mich bei der Belagerung ziemlich herumkommandiert hast."
Scar lachte laut auf und ich sah, wie er sich wegdrehte. „Ich hab nur was im Auge, Kleiner. Keinen Grund zur Sorge. Aber es ehrt dich, dass du den alten Scar mit in deine Verabschiedung ein beziehst. Vielleicht sind nicht alle von euch Soldaten üble Kerle und es verstecken sich ein paar Perlen unter euch."
„Du musst bedenken, dass sich in diesem Krieg jeder als der Held sieht und niemand freiwillig als den Bösewicht. Den Soldaten kommt es nicht Unrecht vor, was sie tun. Wir bekommen es auch nicht anders vorgegeben. Du musst nicht jeden in dein Herz schließen, aber sei ein wenig nachsichtig", versuchte ich. Dann musste ich grinsen. „Nur ein kleines bisschen. Manche sind tatsächlich Arschlöcher."
Da musste auch Scar lachen. „Werde es mir merken, Bürschlein. Sobald deine Mutter fertig ist, laden wir ein. Auf der Hälfte des Weges übergebe ich dich an Arlo, der dich zurückbringt. Dort werden wir wieder die harten Geschütze auffahren und du wirst leider nicht mehr wie ein junges Reh durch die Gegend hüpfen können. Alles klar soweit?"
„Dann sollte ich Lance nach seiner Wundschutzcreme fragen", antwortete ich und seufzte. Hoffentlich war das die richtige Entscheidung. Aber es war die Einzige, die mir sinnvoll erschien.
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