Erstes Kapitel...
...in dem eine Krähe einer Hyäne einen Auftrag erteilt
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„Wach auf, Ratte."
Ich kämpfte tapfer gegen die bleierne Schwere meiner Augenlider an, doch ich scheiterte. Sie blieben fest geschlossen.
„Beweg deinen schmutzigen Arsch, Mann, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!"
Die gleiche grobe Stimme wie zuvor, und ich versuchte erneut, die Augen zu öffnen. Ein Lichtstrahl fand seinen Weg durch meine flatternden Lider und jagte mir Dolche aus Schmerz in den Kopf. „Moment", nuschelte ich verschlafen und hob eine bebende Hand.
Schritte entfernten sich, und ich ließ sie ermattet wieder sinken. Mein Körper schien zu summen wie die mechanischen Wespen, die die Hohen Herren zu gerne für Attentate missbrauchten, und meine Kopfschmerzen fühlten sich an, als würde jemand mit einem Dolch mein Hirn aus dem Schädel löffeln.
Etwas platschte in der Nähe, und erneut knirschten Stiefel auf Steinpflaster. Ich atmete tief ein und aus, spürte jede Faser meines Fells, das Silber in meinem Rücken, das Leder um meinen Körper, und versuchte mit aller Kraft, mich zum Bewegen zu überreden, doch ich blieb so still und müde liegen, als wäre ich bereits tot.
Eiskaltes Wasser traf mein Gesicht, durchnässte meine Kleidung und ließ die Hex-Cores an meinem Körper zischen. Ich riss die Augen auf, sog tief die kühle Morgenluft in meine Lungen und tastete gleichzeitig hektisch nach meinen Waffen. Heftig schüttelte ich das Wasser aus meinem Gesicht. Zwei Soldaten in den Uniformen der Stadtwache blickten auf mich hinab, der eine hielt einen Eimer in der Hand.
„Jetzt wach, Ratte?"
„Aye", murmelte ich und schauderte, als ein Windzug mir in die nasse Kleidung fuhr. „Wo bin ich?"
„In den Türmen." Ohne weitere Worte zu verschwenden, packten sie mich an den Armen und rissen mich auf die Beine. Meine Knie waren weich wie Haferschleim, und so schleiften sie mich mehr denn führten in die erlösenden Schatten der Gebäude. Immer noch brummte mein Kopf wie tausend Motoren.
Die Gänge, durch die sie mich schleppten, waren geschmückt mit goldgerahmten Gemälden. Kleine Vitrinen darunter enthielten wertvolle Gegenstände, Dämonensteine, goldene Kleinodien, und scheinbar gewöhnliche Gegenstände, die angesichts des Panzerglases um sie herum magisch sein mussten. Wachen in den hellblauen, mit Gold verzierten Uniformen standen in regelmäßigen Abständen an den Wänden und öffneten Türen. Ihre Waffen schimmerten stumpf an ihren Körpern. Sie schienen uns kaum zu bemerken, so gelangweilt blickten sie geradeaus. Mir juckte es auf der Zunge, sie zu begrüßen, doch da ich kaum imstande war, ein gerades Wort hervorzubringen, beließ ich es bei einem matten Winken.
Die Wachen schleppten mich durch eine mächtige, zweiflügelige Tür, bewacht von vier Kriegsgeschmiedeten, und betraten den prächtigen Salon dahinter. Polstermöbel, verziert mit Goldfäden, standen akkurat vor einem Kamin mit ein paar letzten, glühenden Kohlen, über dem ein riesiger Spiegel hing. Bücherregale bedeckten zwei der dunkel gemusterten Wände. Wachmänner in schwarzen Uniformen standen beinahe unsichtbar in den Schatten, Tätowierungen bedeckten jeden freien Platz ihren Körpers. Zwischen schweren Vorhängen fiel das kalte Morgenlicht durch hohe Fenster in drei diesigen Streifen hinein und schnitt einen schwarzen Umriss in den Raum, dort, wo der Herr über die Stadt stand.
Ich hatte es mir bereits gedacht, dass ich hier, in den Türmen vonCloudfall, war, und dass es auch die alte Krähe war, die mich sehen wollte, doch geglaubt hatte ich es nicht. Bis jetzt.
„Mylord, Sindrak Herrera, wie befohlen." Die Wachen nahmen zackig Haltung an und ließen mich los.
Ich fing mich, bevor ich auf den teuren Teppich fallen konnte, und strich mir verstohlen die Kleidung ab. Ich behaupte nicht von mir, eitel zu sein, aber ich hatte schon von Lords gehört, die ihre Besucher köpften, wenn sie nicht in angemessenem Aufzug vor ihnen erscheinen.
Der Krähenmann vor dem Fenster nickte beinahe unmerklich, und die Wachen verließen den Salon. Krachend fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. „Sie wissen, warum Sie hier sind?", fragte er rau, so krächzend, wie man es bei einem Animus, dessen Tierseele aus einem schwarzen Vogel bestand, erwartete.
Ich sah auf. „Nein. Woher auch? Ich bin aufgewacht und lag in Ihrem Hof, statt in einem Rinnstein voller Pisse zu ertrinken." Niemals würde ich mich als Freund von Etikette bezeichnen, doch der Krähenlord hatte einen zu finsteren Ruf, als dass ich auf eine höfliche Anrede verzichten würde.
Er wandte sich um und trat auf mich zu. Seine weiße Weste und seine bensolches Hemd bildete einen scharfen Kontrast zu seinem schwarzen Nadelstreifenanzug, den ich kaum von seinen schwarzen Federn auseinanderhalten konnte. Eine Uhrkette schimmerte an seinem Oberkörper, und meine Finger zuckten, als könnten sie es kaum erwarten, sie ihm abzunehmen und an einen Hehler meiner Wahl zu verkaufen. Die Uhr eines Lords, das war etwas, wofür einige einen unheiligen Preis zahlen würden. „Sie wissen, wer ich bin?"
Ich nickte. „Aye. Lord Jethro Stuveysant Russell. Lord Statthalter von Cloudfall."
Lord Russell musterte mich durch sein Monokel, seine schwarzen Krähenaugen schimmerten ohne jede Emotion. „Sehr richtig, Master Herrera. Ich habe Sie hierher bringen lassen, weil ich einen Auftrag für Sie habe." Er trat zu einem Tisch aus dunklem Holz und schenkte sich aus der Karaffe darauf einen Whiskey ein. Es war guter Stoff, etwas, was ich in den Pubs niemals bekommen würde. Das rauchige Aroma erinnerte mich an etwas, an ein knarziges Lachen und eine Stimme, die wie das Knurren einer getretenen Katze klang, doch als ich versuchte, nach den Gedanken zu greifen, lösten sie sie in Staub auf.
„Ohne respektlos sein zu wollen, Mylord, aber denken Sie wirklich, ich könnte der Richtige für diesen Auftrag sein?" Ich schlenderte unauffällig auf den Kamin zu und blickte nach oben. Inmitten des düsteren, teuren Mobiliars kam ich mir schäbiger vor denn je. Doch ich kannte nichts anderes. Mit einem gelblich grün schimmernden Gebilde aus Metall, voller Kabel und Rohre, die einen glühendenStein umschlossen und heißen Rauch in die Luft spuckten, war ich in jeder noch so merkwürdigen Gesellschaft ein Außenseiter.
Lord Russell betrachte mich aus der Ferne und trank einen Schluck. „Sie wissen noch nicht einmal, worum es geht."
Ich rückte meine Fliegerbrille gerade und wischte etwas Dreck aus meinem Augenwinkel. „Wenn es nicht gerade ein gewöhnlicher Einbruch ist, werden Sie meine Dienste kaum gebrauchen können." Ich sah ihn durch den Spiegel an. „Und Sie sehen nicht so aus, als brauchten sie einen Dieb."
„Sie würden sich wundern, ich habe bereits einige Einbrüche in Auftrag gegeben. Doch Sie haben recht. Es geht um weit mehr als einen Diebstahl."
Ich blickte ihn fragend an.
„Sind Sie mit Religion vertraut? Die, die nicht nur die Technik anbetet."
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass es Götter geben soll. Ob sie real sind oder nicht, überlasse ich den Priestern."
„Ich habe ebenfalls nie viel für die Götter übrig gehabt, und auch nicht für Behauptungen, sie seien real." Lord Russell leerte sein Glas und schenkte sich nach. „Doch anscheinend ist die Banshee in Oscravelle erschienen."
Ich schnaubte. „Von allen Städten, in denen sie erscheinen könnte, sucht sie sich Oscravelle aus. Götter haben einen miesen Geschmack."
Russell lächelte dünn. „Eine Frau hat sie beschworen. Es heißt, sie könnte die Macht der Banshee nutzen, sie hat nun die Macht einer Göttin! Ich möchte, dass Sie die Frau finden und sie zu mir bringen. Sie kann ihre Macht nicht kontrollieren und könnte somit sich als auch uns alle in Gefahr bringen. Denken Sie nur, ein falsches Wort im Zorn und die Banshee reißt für sie die Welt in Stücke."
Ich strich beiläufig über die Griffe meiner Waffen. Sie hatten mir sie nicht abgenommen, und das machte mich mehr als nur ein wenig stutzig. Verstohlen schielte ich auf die Wachen, doch sie blickten stur geradeaus. „Ohne Ihnen auf ihr schönes Einstecktuch treten zu wollen", ich wandte mich mit wirbelndem Umhang zu ihm um, „ich denke, Sie wollen sie nicht nur schützen."
Russell hob milde überrascht eine Augenbraue.
„Die Macht einer Göttin. Was kann ein zweitrangiger Adeliger, einer der wenigen Anima, die es zum Titel eines Lords brachten, mit der Macht der Banshee anstellen?"
„Sie sind gar nicht so dumm, wie es immer behauptet wurde", meinte er spöttisch.
Ich grinste ihn an und beobachtete mit einem Anfall von Albernheit, wie er angesichts meiner schiefen gelben Zähne ein wenig angeekelt wirkte. „Ich bin stets da, um zu überraschen." Ich blickte wieder zum Spiegel hinauf und verzog meine groben Hyänenzüge zu einer Grimasse. „Mehr, als dass es eine Frau in Oscravelle ist, wissen Sie nicht?"
„Es ist keine Frau des Adels. Sie gehört dem gewöhnlichen Volk an."
Hervorragend. Oscravelle war die Stadt mit der zweitgrößten Bevölkerung von ganz Hivens Ark, nach Ashenfall. „Schon mal dran gedacht, jemanden anders zu fragen?"
„Das tat ich. Ich wollte Williamsworth Pence zu mir bitten, doch ich erfuhr, dass er verstarb."
„Ach ja?"
„Erst gestern, so hieß es, in einem Pub in der Starfield Street."
„Oh."
„Durch Ihre Hand."
Ich zog meine Lefzen so hoch ich konnte und grinste den Spiegel an. Selten hatte ich einen so guten Blick auf mich selbst gehabt. „Gedächtnisverlust ist meine Spezialität."
„Es ist wohl kein Wunder, nach den Mengen an Alkohol, die Sie gestern Nacht konsumierten."
„Nein ,ich meine es ernst. Ich habe mit den Göttern nichts am Hut, und auch nicht mit Ihrem Hunger nach Macht. Nicht, dass ich Ihr Ziel nicht verständlich finde, ich an Ihrer Stelle würde es genauso machen, aber bitte ziehen Sie nicht mich da hinein. Verdammt, ich bin ein Dieb. Götter sind mir ein Stück zu gefährlich." Ich wandte mich um und verneigte sich. „Danke, doch ich verzichte."
Ich trat zur Tür, doch schneller, als ich ihnen jemals zugetraut hätte, standen die Arkanwächter vor mir und streckten die Hände nach mir aus. Ihre Tätowierungen glühten orangefarben in ihrer nun fast schwarzen Haut. Ich trat nervös rückwärts und tastete nach meinen Waffen.
„Sie haben mich wohl missverstanden." Lord Russell stand so ruhig wie eh und je neben seiner Whiskeykaraffe und beobachtete mich und die Arkanen. „Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Sie sind perfekt geeignet für diesen Auftrag." Er wies auf das Konstrukt, das aus meinem Rücken ragte. „Der Hex-Core in Ihrem Rücken wird Sie vor der Macht der Banshee schützen, sollten Sie ihr begegnen. Sie sind ein würdiger Gegner für eine Frau, die ihre Kräfte nicht uneingeschränkt nutzen kann, sollte es zu Komplikationen kommen. Und es heißt, dass Sie bereits mit weit mehr fertig wurden."
Ich drehte mich zu ihm um. „Die mechanischen Hunde in Inverness' Herrenhaus waren das Gefährlichste, mit dem ich je zu tun hatte, und sie sind kaum das gleiche wie eine dämonische Göttin."
Er lächelte überlegen. „Nein, das meine ich nicht. Ich denke an das, was Sie leisteten, bevor Sie nahe Ashenfall vom Himmel fielen."
Schatten und Asche. Glühender Staub überall. Metallteile, Holzsplitter, verkohlte Leichen, und um mich herum eine Wüste aus schwarzem Sand. Und davor nichts. Mir war, als wäre ich in den Aschesteppen aus Tod und Feuer geboren worden.
Langsam trat ich auf den Lord zu. „Was wissen Sie?", zischte ich.
„Ich habe Hinweise auf Ihre Vergangenheit. Was geschah, bevor Sie mit derDragon'sPride über den Aschesteppen abstürzten."
Dragon'sPride. Der Name regte etwas in mir, die Erinnerung von geschnitztem Schuppenmuster und Kanonen, deren Mündungen wie Drachenköpfe geformt waren. Von Segeln, die an Drachenflügel erinnerten. An das Donnern von Schüssen und das Gefühl von schwarzem Wind und Tod im Fell. Erneut versuchte ich, mich an mehr zu erinnern, doch dort war nichts. Nichts als Schwärze.
„Finden Sie die Frau. Sie haben lange in Oscravelle gelebt, Sie werden sie mit Leichtigkeit finden. Bringen Sie sie zu mir. Ich werde sie hoch entlohnen. Zwölftausend Aurai, und Hinweise über das, was geschah, bevor Sie auf Hivens Ark auftauchten." Lord Russell beobachtete mich scharf. „Wenn Sie sich weigern, werden meine Arkanwächter Sie den Wasserfall hinunterstürzen, und selbst ihr Hex kann Sie dann nicht mehr retten."
Er hatte recht. Niemand wusste, was unter Hivens Ark lag. Der Nebel bedeckte alles, und nur wenige wagten, den Weg unter die ewige Wolkendecke anzutreten. Ich kannte einige, die davon berichtet hatten, und alle hatten von finsteren Wesen, Dämonen und dem Unendlichen Fall geredet. Es war nichts, worauf man sich freuen konnte.
Ich trat zum Fenster und blickte zum Wasserfall. Schäumend und sprühend verschwanden die Fluten des Flusses im Nebel. In der Ferne schimmerte das Metall eines Luftschiffes in der Morgensonne. „Lord Russell, ich nehme Ihren Auftrag an." Ich wandte mich um und grinste unverschämt. „Aber ich will zweitausend im Voraus."
Der Krähenlord lächelte zufrieden und winkte einem der Arkanwächter zu. „Mein Schatzmeister wird Ihnen das Geld geben. Im Hafen liegt ein Schiff, die Alicante. Sie wird Sie noch heute nach Oscravelle bringen, wenn Sie dem Captain dieses Siegel zeigen." Er reichte mir einen versiegelten Brief mit dem Wappen des Lords, drei schwarze Krähen auf hellblauem Grund. Ich hatte mich immer gefragt, ob die Krähen ihn und seine Brüder darstellten. „Master Herrera, viel Glück. Bringen Sie mir diese Frau. So schnell Sie können."
Ich nickte ihm zu, wandte mich um und schritt zur Tür, als Russell mich aufhielt.
„Und stellen Sie die goldene Statue wieder auf den Kaminsims."
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Sprecht zu mir! Erste Eindrücke, Fragen, Wünsche, Anregungen, Plauderei... Wer den schlechten Witz hinter dem Namen des Krähenlords versteht, dem widme ich das nächste Kapitel.
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