Kapitel 22 Band 5
Chaid wandte sich wieder Jake zu und schüttelte den Kopf mit einem breiten Grinsen.
„Nun gut, Flamme, bringen wir endlich Ordnung in unser Chaos."
Er trat zur Tafel, auf der er bereits Notizen, Bilder und Fäden gespannt hatte, die die verschiedenen Themen miteinander verbanden. Mit einem theatralischen Schwung deutete er auf ein vergilbtes Foto eines unterirdischen Systems.
„Siehst du das? Hier, ein Bild vom Schattenschacht, gefunden in einem alten Zeitungsartikel. Zuerst wusste ich nichts damit anzufangen, aber ich hob es auf, weil ich so ein Gefühl hatte. Und jetzt kommt's."
Jake hob skeptisch eine Braue.
„Und?" fragte Jake knapp.
„Weißt du, was ich herausgefunden habe? Erst mal: gar nichts! Ich fand keinen einzigen Hinweis unter dem Begriff Schattenschacht. Der Name führte mich zu keiner brauchbaren Spur. Nichts, nada, null."
Jake schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Komm endlich zum Punkt, Chaid. Hör auf, um den heißen Brei zu reden."
Chaid ignorierte den Kommentar und fuhr unbeirrt fort.
„Also habe ich mich gefragt: Was war zuerst da? Die Stadt oder die Tunnel? Logisch dachte ich, dass erst die Stadt gebaut wurde und dann diese Tunnel als eine Art Versorgungssystem darunter angelegt wurden. Vielleicht für den Austausch von Gütern oder geheime Wege, um Informationen zu transportieren."
Chaid verschränkte dramatisch die Arme und seufzte gespielt tief.
„Aber weißt du was, Flamme? Ich lag so falsch."
Jake rollte die Augen. „Spuck es aus, Chaid, ich hab keine Geduld für deine Spielchen."
Chaid trat lächelnd hinter Jake, legte ihm die Arme um die Schultern und beugte sich nah an sein Ohr.
„Liebling," flüsterte Chaid mit schneidendem Ton, „wir lagen wirklich falsch. Zu dieser Zeit war Eversum anders. Viel älter, als wir uns vorstellen können. Und weißt du, warum ich das nicht auf dem Schirm hatte? Weil ich damals, während die Freie Zone florierte, mitten in einer Selbstfindungsphase war. Weißt du noch? Inkubus, Exzesse und ein wütendes kleines Sonnenscheinchen, das sich von mir nicht beeindrucken ließ?"
Jake runzelte die Stirn, zog sich leicht aus der Umarmung und drehte sich zu Chaid um.
„Ich erinnere mich. Du warst anstrengend und ich habe dir mehrmals die Meinung gegeigt. Ich selbst war damals auch nicht ganz bei mir. Meine Erinnerung an die Anfangszeit von Eversum ist lückenhaft. Ich weiß nur, dass ich mich erst später darauf fokussiert habe, als die Stadt schon eine beachtliche Größe hatte."
Chaid schmunzelte. „War das nicht die Zeit, als du beschlossen hast, mal andere Erfahrungen zu machen? Du weißt schon ... ein anderer Körper, ein anderes Leben."
Jake verdrehte die Augen und schnippte Chaid leicht auf die Stirn.
„Wenn du jemals etwas darüber ausplauderst, Chaid, sei sicher, ich werde Emilia ganz genau erzählen, was du früher so alles angestellt hast. Dann kannst du zusehen, wie du das überlebst."
Chaid grinste schelmisch. „Bleib locker, Flamme. Ich sage nichts. Ich habe dir damals doch sogar geholfen, durch diese Phase zu kommen. Außerdem ... als Frau den Höhepunkt zu erleben? Intensiv. Ich beneide Emilia manchmal wirklich."
Jake stöhnte genervt. „Wie schaffst du es, immer alles ins Lächerliche zu ziehen? Das hier ist wichtig, Chaid! Konzentrier dich!"
Chaid zwinkerte frech. „Komm schon, Flamme. Wir haben so selten Zeit füreinander. Kannst du mir das übel nehmen?"
Jake atmete tief durch und versuchte, seine Fassung zu bewahren.
„Chaid, wenn du nicht gleich in die Puschen kommst, werde ich sehr ungemütlich."
Chaid grinste breit. „Oh, ich bitte darum. Es ist so lange her, dass du mir eine Lektion erteilt hast."
Jake packte Chaid an den Ohren und zog sie leicht, bis Chaid aufstöhnte.
„Was muss ich tun, damit dieser Kopf arbeitet?" fragte Jake frustriert.
Chaid lachte und beruhigte ihn mit einer Hand auf seiner Schulter.
„Warte, Flamme. Lass mich dir erst alles erklären. Danach können wir über wilden Sex sprechen, um unsere Erkenntnisse zu feiern."
Jake seufzte schwer und klatschte Chaid auf den Hinterkopf.
„Beeil dich."
Chaid eilte zur Tafel und deutete auf eine markierte Zone auf seiner Karte.
„Also, ich habe nachgedacht. Vielleicht sind die Tunnel gar nicht entstanden, weil die Stadt sie gebraucht hat. Was, wenn es genau umgekehrt war? Vielleicht kamen erst die Tunnel und dann die Stadt. Aber damals waren es gar keine Tunnel."
Jake sah Chaid aufmerksam an. „Du hast also die Geschichte von Eversum untersucht?"
Chaid nickte und sagte mit gesenkter Stimme: „Eversum wurde auf Leichen gebaut. Ganz einfach."
..
Jake schnalzte ungeduldig mit der Zunge und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Tisch.
„Worauf willst du hinaus, Chaid? ‚Auf Leichen gebaut'? Muss es bei dir immer spannend sein, bevor du zur Sache kommst?"
Chaid grinste breit, als würde er die aufkommende Ungeduld genießen.
„Denk nach, Liebling. Der Schattenschacht war früher als Schattenheim bekannt. Und er war nie ein Schacht im eigentlichen Sinne. Dieser Name kam erst später, nachdem alles, was darunter verborgen lag, vergessen wurde."
Jake runzelte die Stirn, aber Chaid ließ ihm keine Zeit zu reagieren. Er zog ein weiteres Bild von der Tafel und hielt es hoch.
„Als ich mich also durch die Geschichte Eversums stöberte und verstehen wollte, warum die Stadt als Nexus der Existenzen bekannt wurde, stieß ich auf eine erschreckende Erkenntnis. Ich dachte, der Name Nexus der Existenzen stammt von den Bewohnern. Es klingt schließlich einladend – ein Ort, an dem alle Rassen und Spezies ein gemeinsames Zuhause finden können. Aber weißt du was? Falsch gedacht."
Jake nickte leicht, als wollte er Chaid dazu drängen, endlich weiterzusprechen.
„Als ich tiefer grub, fand ich eine Geschichte, die erklärt, wie der Rat des Elysiums Forums so viel Macht gewinnen konnte. Und weißt du, was ich dabei verstanden habe?"
Jake legte die Arme verschränkt vor sich auf den Tisch und sah Chaid mit konzentriertem Blick an.
„Also? Was ist Eversum? Und warum dieser Schattenheim? Wo ist der Zusammenhang?"
Chaid schnaufte und warf die Arme in die Luft, als wolle er die offensichtliche Frage für Jake inszenieren.
„Das ist es ja, Jake! Wie hängt das alles zusammen? Es waren so viele Puzzleteile, aber ich fand keine Verbindung ... bis du mir heute dieses eine Puzzleteil geliefert hast: das Emblem der alten Gilde. Plötzlich klickte es in meinem Kopf, als ob jemand einen Schlüssel gedreht hätte. Es war wie ein großes ‚Aha!'. Ich musste nur noch alle Informationen mit dir zusammenbringen und mir Gewissheit verschaffen. Jetzt denke ich, dass wir zu 80 % ein vollständiges Bild haben."
Jake seufzte, stand auf und ging zu Chaid. Er legte seine Hände auf dessen Schultern und schüttelte ihn leicht.
„Dann hör auf, um den heißen Brei zu reden. Ich will es verstehen, Chaid. Oder muss ich erst selbst allen Fäden folgen, um zu deiner Lösung zu kommen?"
Chaid lachte, legte eine Hand auf Jakes Brust und schob ihn sanft zurück.
„Oh nein, Liebling. Ich bin ja nicht so grausam, dir alles selbst überlassen zu wollen."
Er trat zur Tafel und deutete auf eine Karte, die das unterirdische Labyrinth zeigte.
„Der Schattenschacht begann als Schattenheim. Es war ein Zuhause für Gesetzlose, für Gefährten und Dämonen, die keiner wollte. Ein Ort für die Verstoßenen, die keine andere Heimat hatten. Es war ein Zufluchtsort. Dämonen verschiedener Spezies, die die Gesellschaft nicht akzeptierte – so wie ich damals."
Chaid hielt einen Moment inne, und ein Hauch von Ernsthaftigkeit schlich sich in seine Stimme.
„Untote wie ich hatten einen schlechten Ruf. Es gab Königreiche, ja, aber nicht alle Dämonen fanden dort ihren Platz. Die, die ausgestoßen wurden oder nie willkommen waren, suchten Zuflucht im Schattenheim."
Jake musterte Chaid nachdenklich, als dieser fortfuhr.
„Eversum war ein Ort für Heimatlose. Und weißt du, Liebling? Alles nahm seinen Anfang mit einer bestimmten Person."
Jake lehnte sich gegen die Tafel.
„Du meinst?"
Chaid verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Wand, als wolle er die Spannung halten.
„Weißt du, wer den Rat gegründet hat?"
Jake schloss die Augen und grabte in seinen Erinnerungen.
„Natürlich weiß ich das. Es war ...Velorin Draemus''
Chaid nickte langsam. „Genau. Und dieser Dämon Velorin Draemus ... welche Rasse hatte er?"
Jake grübelte weiter, dann nickte er. „Er war ein Formwandler. Ohne Zweifel."
Chaid grinste, fast triumphierend.
„Richtig. Ein Formwandler, der Elysiums Forum gegründet hat. Der Rat entwickelte sich aus seiner Vision heraus zum Zentrum von allem, was wir heute kennen. Das Elysiums Forums thront über der Stadt, aber die eigentliche Geschichte beginnt tief darunter."
Er machte eine kurze Pause, um Jake Zeit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten.
„Aber lass uns der Reihe nach gehen, Flamme."
Chaid begann zu erzählen, seine Worte flossen mit der typischen Mischung aus Dramatik und seiner unerschütterlichen Selbstverliebtheit.
„Flamme, hör zu. Es begann alles im Schattenheim. Wenn du den Begriff verfolgst und die Puzzleteile zusammensetzt, erkennst du, wie alles begann. Das Schattenheim war ein Ort, an dem die Gesetzlosen Zuflucht fanden. Dämonen ohne Heimat, ohne Einfluss, oft am unteren Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette. Es war ein Haufen verlorener Seelen – Obdachlose, Verstoßene und all die anderen, die in den noblen Königreichen nichts verloren hatten."
Jake nickte langsam, seine Stirn in Falten gelegt, während er sich ein Bild formte. Chaid fuhr unbeeindruckt fort, nun in seiner vollen erklärenden Pracht.
„Es war nur eine Frage der Zeit, bis daraus etwas Größeres wurde. Schattenheim wuchs. Mehr Dämonen strömten herein. Sie brachten ihre Gefährten mit, bildeten kleine Gemeinschaften, schufen Verbindungen. Das Schattenheim war also der Anfang von allem. Es war der Kern dessen, was später als Eversum bekannt wurde. Aber damals... damals war es nichts anderes als ein verdammtes Chaos. Die Königreiche hassten es. Es war ein Dorn im Auge der stolzen Herrscher. Ein Ort, an dem all jene lebten, die die Gesellschaft verstoßen hatte. Ein Ort, der einfach zu hässlich war, um toleriert zu werden."
Chaid hob die Hände, als würde er das Schicksal des Schattenheims förmlich greifen wollen.
„Und dann kamen die Königreiche. Mit Feuer und Blut haben sie den Ort ausgelöscht. Einfach so. Tausende Dämonen – weg. Gefährten, Clans, Familien... alles in Flammen. Schattenheim wurde vom Erdboden getilgt. Die wenigen Überlebenden wurden verschont, wenn sie sich ergeben haben. Aber die meisten? Die meisten hatten keine Chance. Es war ein Massaker. Keine Gnade, keine Verhandlungen."
Jake biss sich auf die Lippe. „Und Velorin Draemus? Wo war er in all dem?"
Chaid grinste, als hätte er genau diese Frage erwartet. „Oh, Liebling, genau hier wird es interessant. Velorin war ein Formwandler, richtig? Er war einer der wenigen, die das Massaker überlebt haben. Aber weißt du, warum, er Schattenheim seine Heimat nannte? Weil er für seine Geliebte, eine Gestaltwandlerin, verbannt wurde. Sie waren verflucht. Ihre Liebe war ein Affront gegen die alten Regeln. Formwandler und Gestaltwandler hassten sich – damals wie heute. Aber die beiden? Sie wollten nur zusammen sein."
Chaid ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als er Jake's kritischen Blick bemerkte. „Flamme, lass mich dir erklären, warum das wichtig ist." Er tippte auf die Karte an der Wand. „Das Schattenheim war mehr als nur ein Sammelbecken für gesetzlose Dämonen. Es war das Zentrum eines Konflikts, der seit Jahrhunderten brodelt."
Jake hob eine Braue, immer noch skeptisch. „Welcher Konflikt genau?"
Chaid verschränkte die Arme und lehnte sich an den Tisch. „Formwandler gegen Gestaltwandler. Zwei völlig unterschiedliche Philosophien. Formwandler – rohe Kraft, instinktiv, voller Wildheit. Sie verkörpern Bestien und sind dafür bekannt, direkt und ohne Umwege zu handeln."
Chaids Blick wurde nachdenklich. ,,Beide verwandte Clane sowie Untote und Necrolithen. Sind Form und Gestaltwandler verwandte Völker- nur das sie meinen einen Machtkampf austragen zu müssen. Welches Volk ist fähiger?''
Er zog eine zweite Karte hervor, die eine schemenhafte Figur zeigte. „Und Gestaltwandler – Meister der Täuschung. Sie können Gesichter und humanoide Formen wechseln wie andere ihre Kleidung. Manipulation ist ihre größte Stärke."
Jake nickte langsam, während er die Verbindung erkannte. „Also hat der Konflikt der beiden Clans das Schattenheim zu Fall gebracht?"
Chaid schnippte mit den Fingern und deutete auf Velorins Name auf einer alten Schriftrolle. „Nicht ganz. Velorin Draemus war ein Formwandler, der versucht hat, die beiden Seiten zu vereinen. Sein Fehler? Er hat sich in eine Gestaltwandlerin verliebt. Wurde aber verband- es wurde nicht toleriert. Das hat alles ins Chaos gestürzt."
Jake starrte die Karte an, während sich das Bild in seinem Kopf zusammenfügte. „Also war das Schattenheim nicht nur eine Zuflucht für Außenseiter, sondern auch das Zentrum dieses uralten Konflikts?"
Chaid nickte ernst. „Genau. Und Velorin hat versucht, aus dieser Tragödie etwas Größeres zu schaffen – Eversum. Doch der Schatten des alten Konflikts bleibt. Und ich wette, dass Nox Vigilia genau diesen Schatten jetzt zu ihrem Vorteil nutzt."
Jake schüttelte langsam den Kopf. „Also wurden sie verbannt. Ins Schattenheim."
„Genau!" Chaid deutete auf Jake. „Du hast es erfasst, Flamme. Velorin und seine Geliebte wurden ins Schattenheim verbannt, und dort begannen sie ein neues Leben. Aber dann... dann kam das Massaker. Sie wurden getrennt. Velorin überlebte, aber sie... sie starb. Ihre Seele wurde jedoch nicht vergessen."
Chaid zeigte auf eine Zeichnung der Statue, die heute Eversum zierte.
„Erinnerst du dich an die Statue in Eversum? Die große, die das Zentrum der Stadt krönt? Das ist sie. Velorins Geliebte. Er sorgte dafür, dass ihre Seele für immer in der Stadt verewigt wurde. Eversum wurde über den Ruinen von Schattenheim erbaut. Und Velorin gründete den Rat, um sicherzustellen, dass niemand jemals wieder das durchmachen musste, was er erlebt hatte."
Jake war sprachlos. „Das Schattenheim blieb als ein Rest eines Grabes. Um die gefallenen zu ehren und ein Ort an dem unruhige Seelen Ruhe fanden. Du hast das alles... allein zusammengetragen? Chaid, das ist beeindruckend."
Chaid zuckte mit den Schultern und winkte ab. „Liebling, das war der Anfang. Ich bin noch nicht fertig."
Chaid verschränkte die Arme vor der Brust, sein Ausdruck eine Mischung aus Stolz und Frustration. „Also, Flamme, um es nochmal zu betonen: Schattenheim blieb eine Ruhestätte. Doch die Königreiche nutzten die Gelegenheit und bauten eine Stadt darüber. Und was war das Ergebnis? Ein Symbol. Ein Nexus der Existenzen, wie sie es nannten. Klingt poetisch, oder? Dabei bedeutet es nur, dass die Stadt auf Leichen errichtet wurde."
Jake zog unbewusst tief Luft ein, seine Augen schmalten sich nachdenklich. Chaid bemerkte es, grinste leicht, und fuhr fort. „Velorin sah die Chance in dieser neuen Stadt und griff sie mit beiden Händen. Er etablierte den Rat, brachte Ordnung in das Chaos und machte aus der einst gesetzlosen Zone eine respektable Stadt. Alles, damit Eversum nicht wie Schattenheim endete und den Königreichen wieder ein Dorn im Auge wurde."
Chaid machte eine theatralische Geste, bevor er die Hände auf seine Hüften legte. „Aber – und das ist ein großes Aber – Velorin war ein Formwandler, Flamme. Und er hatte ein großes Herz, viel zu groß für diese Welt. Er wollte alle willkommen heißen. Auch die Gestaltwandler. Doch diese..." Chaid schnappte demonstrativ nach Luft. „Diese Manipulativen, Machthungrigen Wesen, die akzeptierten den Finger nicht, den Velorin reichte. Nein, sie griffen nach der ganzen Hand."
Jake hob eine Augenbraue. „Und das führte zu...?"
Chaid nickte energisch. „Eifersucht. Die Gestaltwandler sahen es als Frechheit an, dass Velorin eine von ihnen – eine Gestaltwandlerin, seine Geliebte – als Statue verewigen ließ. Sie sahen es als Kriegsakt. Eine Formwandler-Statue, die das Zentrum einer neuen Stadt schmückte, die plötzlich das Territorium der Formwandler wurde. Und sie fragten sich: Warum haben die Formwandler Anspruch auf diese Stadt? Wieso ist das ihr Territorium?"
Jake verstand, worauf Chaid hinauswollte, und nickte. „Sie nutzten ihre verlorene Gestaltwandlerin als Vorwand, nicht wahr? Dabei war sie doch genauso verbannt wie Velorin selbst. Sie hatten kein Recht, sich einzumischen."
„Aber das hat die Gestaltwandler nie gestört." Chaid grinste spöttisch. „Manipulation ist ihre Spezialität, Liebling. Velorin war hin- und hergerissen. Er wollte keinen Krieg riskieren, der die Entwicklung der neuen Stadt gefährden könnte. Sein oberstes Gebot war Frieden, damit Eversum wachsen konnte. Also was tat er?"
Jake ahnte es und schloss kurz die Augen. „Er gab ihnen den Untergrund."
Chaid hob triumphierend einen Finger. „Richtig! Er überschrieb ihnen die Rechte am Untergrund Eversums, dem Schattenheim. Und weißt du, was sie dann taten?"
Jake lachte bitter. „Sie haben es ausgenutzt, nicht wahr?"
Chaid trat näher, legte die Arme von hinten um Jakes Schultern und kam ihm gefährlich nah ans Ohr. „Ganz genau, Flamme. Aber lass mich das Bild vervollständigen. Die Gestaltwandler benannten den Ort um – Schattenschacht. Und dann bauten sie den Untergrund aus, ein wahres Labyrinth. Es wurde ein Rückzugsort, ein Zufluchtsort für ihre Machenschaften. Von Gräbern keine Spur mehr. Sie nutzten es, um ihre Fäden zu spinnen und die Kontrolle zu übernehmen."
Jake runzelte die Stirn. „Und jetzt ist es wahrscheinlich ein Zufluchtsort für Nox Vigilia."
Chaid nickte langsam, sein Blick ernst. „Genau das befürchte ich. Es ergibt Sinn, dass sie sich in den Schattenschächten verstecken. Aber warum soll Echo ausgerechnet dort sein? Das ist der Teil, der keinen Sinn ergibt."
Chaid drehte sich zur Karte um und tippte auf das Emblem des Raben. „Aber jetzt kommt das Puzzlestück, das du mir geliefert hast, Flamme. Dieses Emblem. Es ist der Schlüssel."
Jake trat näher, seine Augen fixierten die Karte. „Dann erzähl mir, was du herausgefunden hast."
Chaid lächelte breit, seine Energie ungebrochen. „Das werde ich, Liebling. Halt dich fest."
Chaid setzte sich auf den Tisch, seine Augen voller Energie.
„Weißt du, Liebling," begann er, „ich habe vieles nicht verstanden. Es fühlte sich an, als würde ich in einem Kreis rennen. Wir haben so viele Puzzleteile, aber es hat alles keinen Sinn ergeben – bis jetzt."
Jake unterbrach ihn nicht, ließ ihn reden. Er kannte diesen Ausdruck in Chaids Augen, ein brennendes Feuer, wenn er einer Sache auf den Grund ging.
„Wir sind falsch an die Sache herangegangen," fuhr Chaid fort, während er auf die Notizen und Karten zeigte, die sie gemeinsam aufgestellt hatten. „Wir haben rückwärts angefangen, nicht vorwärts. Ich musste zuerst die Vergangenheit verstehen, bevor ich die Gegenwart entschlüsseln konnte."
Jake neigte den Kopf und lauschte aufmerksam.
Chaid stand auf, seine Bewegungen voller Energie. Er trat zur Wand und tippte mit Nachdruck auf das Emblem des schwarzen Raben mit ausgebreiteten Flügeln. „Was also ist dieses Emblem, Liebling?" fragte er.
Jake musterte das Bild. „Es gehört zu einer alten Gilde," begann er langsam. „Eine Abteilung der Schattengilde – Spione, vielleicht. Schade hat es mal erwähnt, aber er hat sich nie intensiv damit auseinandergesetzt."
Chaid lächelte triumphierend, als hätte er genau das erwartet. „Flamme, mach dir keine Sorgen. Schade ist oft ein Schweiger, aber ich habe genug Hinweise gesammelt, um selbst ein paar Theorien aufzustellen. Und jetzt kommt meine geniale Vermutung."
Chaid begann etwas unverstendliches zu murmeln, ,,auch wenn ich mich irren kann, es bleiben Spekulationen.."
Jake hob eine Augenbraue, wollte etwas sagen, doch Chaid legte ihm den Finger auf die Lippen. „Ssssch," zischte Chaid mit einem Grinsen. „Jake, hör mir erst zu. Vielleicht enttäusche ich dich. Vielleicht ergibt alles keinen Sinn. Aber lass mich meine Genialität ausbreiten, bevor du mich unterbrichst."
Jake seufzte und nickte, ließ ihn gewähren.
„Also gut," begann Chaid mit einem Funken Aufregung in der Stimme.
„Dieses Emblem – der schwarze Rabe – gehörte zu einer alten Gilde, die damals von einem Ratsmitglied gegründet wurde. Vielleicht Velorin selbst. Vielleicht jemand anderes, ein Nachfahre, wer weiß? Ihr Ziel? Die Überwachung des Schattenschachtes und vor allem der Gestaltwandler."
Jake runzelte die Stirn. „Warum sollten sie die Gestaltwandler überwachen?"
Chaid lächelte breit. „Gestaltwandler, Liebling. Manipulative, machthungrige Dämonen, die nie genug kriegen können. Erinnerst du dich, wie ich gesagt habe, dass Velorin den Schattenschacht den Gestaltwandlern überschrieben hat? Er wollte Frieden – aber was, wenn das nur der Anfang war? Was, wenn die Gestaltwandler den Schattenschacht als ihre eigene Basis genutzt haben, um ihre Fäden zu spinnen? Ihre Macht auszubauen?"
Jake nickte langsam, seine Gedanken rasten.
„Diese alte Gilde," fuhr Chaid fort, „war eine Art Schutzmechanismus. Eine Abteilung der Schattengilde, die sicherstellte, dass die Gestaltwandler ihre Macht nicht überstrapazierten. Sie nutzten das Emblem, um wichtige Orte zu markieren – Treffpunkte, Zugänge, vielleicht sogar Verstecke."
„Und Echo?" fragte Jake, die Stirn gerunzelt.
„Echo," sagte Chaid und legte eine Hand an seine Schläfe, „war wahrscheinlich ein Mitglied dieser alten Gilde. Ich glaube, sie haben die Gilde wiederbelebt, als Nox Vigilia aktiv wurde. Die Gestaltwandler haben Wind davon bekommen und ihre Macht genutzt, um Einfluss auf den Schattenschacht zu nehmen. Vielleicht hat Echo sich in Nox Vigilia eingeschleust, um Informationen zu sammeln, aber wurde entdeckt. Jetzt steckt er fest – oder schlimmer."
Jake strich sich über das Kinn. „Das würde erklären, warum das Emblem plötzlich wieder auftaucht. Es könnte ein Hilfezeichen sein – oder ein Markierungspunkt für den Eingang zum Schattenschacht."
„Exakt!" rief Chaid aus und schnippte mit den Fingern. „Es ergibt alles Sinn, Liebling. Echo könnte unschätzbare Informationen über Nox Vigilia haben, aber wir müssen ihn zuerst finden. Und um das zu tun, müssen wir den Schattenschacht selbst betreten."
Jake lehnte sich zurück und musterte Chaid mit einem nachdenklichen Blick. „Wenn du recht hast, dann stecken wir in etwas, das größer ist, als wir gedacht haben. Das hier ist nicht nur eine persönliche Angelegenheit – das betrifft die gesamte freie Zone."
Chaid grinste. „Oh, Flamme, es wird noch besser. Aber bevor wir in den Schattenschacht gehen, sollten wir vorbereitet sein. Wer weiß, was da unten auf uns wartet."
Jake nickte langsam. „Dann lass uns keine Zeit verlieren. Wir müssen alles haben – Informationen, Karten, Verbündete."
Chaid legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Vertrau mir, Liebling. Mit uns beiden an der Spitze wird der Schattenschacht kein Geheimnis mehr bleiben."
Die Spannung im Raum war greifbar, als beide die Karten und Papiere vor sich betrachteten – ein neuer, gefährlicher Pfad lag vor ihnen.
Jake verschränkte die Arme und musterte Chaid kritisch. „Chaid, alles schön und gut, aber diese Spekulationen – worauf beruhen die eigentlich? Du hast zwar viele Details, aber was gibt dir die Gewissheit, dass das alles zusammenhängt?"
Chaid ließ einen Moment verstreichen, bevor er antwortete. Sein Blick wurde ernst, und das Feuer in seinen Augen flackerte nicht mehr spielerisch, sondern voller Konzentration.
„Flamme, hör zu," begann er und deutete auf die Wand mit den Karten und Notizen. „Alles, was ich hier habe, basiert auf Recherchen, die ich gemacht habe, und Hinweisen, die ich gesammelt habe. Aber das Entscheidende, was mir wirklich den letzten Anstoß gegeben hat, war Schade."
Jake zog die Augenbrauen hoch. „Schade? Er hat dir etwas gesagt?"
Chaid schüttelte den Kopf. „Nicht direkt. Aber denk nach – wann hat Schade das letzte Mal eingegriffen? Bei all den Chaos-Situationen, die wir in letzter Zeit hatten, war er... seltsam passiv. Und das passt nicht zu ihm. Schade ist immer derjenige, der die Fäden im Hintergrund zieht, selbst wenn wir es nicht merken. Aber diesmal hat er uns allein gelassen."
Jake nickte langsam. „Stimmt. Es war, als hätte er auf etwas gewartet."
„Exakt," fuhr Chaid fort. „Er wusste, dass wir die Puzzleteile selbst zusammensetzen müssen. Hätte er uns geholfen, wären wir nie auf den Gedanken gekommen, dass Nox Vigilia und der Schattenschacht verbunden sind. Er wollte, dass wir diesen Schritt alleine gehen. Und ich glaube, er hat seine Spuren absichtlich hinterlassen."
„Spuren?" fragte Jake, nun aufmerksam.
„Ja," sagte Chaid und zeigte auf das Emblem. „Das hier – das Emblem. Schade hat mich schon vor einer Weile darauf aufmerksam gemacht, ohne es direkt zu sagen. Er erwähnte damals beiläufig, dass die Schattengilde einst eine geheime Abteilung hatte, die mit den Gestaltwandlern verstrickt war. Er hat es nie ausgesprochen, aber es klang, als wüsste er mehr, als er zugeben wollte. Und jetzt taucht dieses Emblem plötzlich wieder auf. Glaubst du, das ist Zufall?"
Jake schwieg, sein Blick auf die Notizen gerichtet.
„Ich bin überzeugt," fuhr Chaid fort, „dass Schade sich absichtlich zurückgezogen hat, um uns die Möglichkeit zu geben, die Verbindungen selbst zu sehen. Das ist seine Art, uns zu testen. Er will wissen, ob wir bereit sind, uns mit Nox Vigilia direkt anzulegen. Und ehrlich gesagt, Flamme, ich glaube, wir sind es."
Jake sah ihn an, sein Ausdruck nachdenklich. „Also denkst du, Schade hat uns die Freiheit gelassen, weil er wusste, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen würden?"
„Genau," bestätigte Chaid. „Er vertraut uns – oder zumindest dir – genug, um zu glauben, dass wir diesen Kampf aufnehmen können. Und ich denke, er hat recht."
Plötzlich schwankte Chaid, sein Kopf neigte sich zur Seite, und er griff instinktiv nach Jake, um sich abzustützen. Jake reagierte sofort, fing ihn auf und zog ihn in eine schützende Umarmung.
„Chaid!" rief Jake überrascht. „Alles in Ordnung?"
Chaid vergrub seinen Kopf in Jakes Brust und murmelte: „Nur... ein bisschen erschöpft, Flamme. Vielleicht war das alles... ein bisschen viel."
Jake hielt ihn fest und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Du hast großartige Arbeit geleistet, Chaid. Ruh dich aus. Wir schaffen das – zusammen."
Chaid schmunzelte schwach, seine Stimme nur ein Flüstern. „Ich weiß, Flamme. Ich weiß."
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