Kapitel 21 Band 5
In den letzten Tagen war eine gewisse Routine eingekehrt. Emilia hatte begonnen, die Vorbereitungen für das bevorstehende Lichtfeuer-Fest zu organisieren – ein uraltes, bedeutungsvolles Ereignis, bei dem die Dämonen ihre Ahnen ehrten, den Abschluss eines Zyklus und den Beginn eines neuen Jahres feierten. Es versprach Hoffnung und symbolisierte einen Neuanfang, ein Funken Licht in einer oft düsteren Welt.
Sei war in dieser Zeit wie ein stiller Wächter an Emilias Seite. Egal, wohin sie ging, er begleitete sie. Ob beim Einkaufen, bei den Besorgungen oder beim Planen des Festes – Sei wich nicht von ihrer Seite und trug bereitwillig ihre Taschen, ohne jemals zu murren. Emilia störte sich nicht daran, dass er sie immer begleitete; sie wusste, dass er ihr ihren Freiraum lassen würde, wenn sie ihn einforderte. Doch so weit kam es nicht. Sei war nicht nur praktisch – er war unglaublich stark, stärker sogar als Jake und Alex, und mit Mühe konnte er ihr bei jedem Problem helfen.
Sei war einfach gestrickt, seine Gefühle offen und unverblümt. Doch gleichzeitig zeigte er eine unerwartet liebevolle Seite, die Emilia jedes Mal überraschte. Sie bewunderte ihn. Vielleicht war es gerade diese Kombination aus seiner Rohheit und seiner unerschütterlichen Loyalität, die sie in seinen Bann zog. Emilia suchte zunehmend seine Nähe, und Sei war mehr als glücklich, für sie da zu sein.
Auch die Jungs hatten nichts dagegen. Mit Sei an Emilias Seite konnten sie sich endlich anderen Aufgaben widmen, ohne sich Sorgen um ihre Sicherheit machen zu müssen.
Eines Morgens hatte Emilia Sei zum Kolosseum begleitet. Sie war es gewesen, die den Wunsch geäußert hatte, dass er das Kämpfen dort aufgab. Sie wollte, dass er sein Quartier jemand anderem überließ und sich von der Arena zurückzog.
Für Sei waren Emilias Wünsche wie Befehle. Ohne zu zögern hatte er zugestimmt. Diskussionen schienen für ihn keine Option zu sein. Sein oberstes Gebot war es, Emilias Wohlbefinden zu gewährleisten und ihre Wünsche zu erfüllen. Das beeindruckte Emilia zutiefst. Sie fühlte sich tatsächlich wie eine Prinzessin in seiner Gegenwart – eine, die Sei mit Leib und Seele zu dienen bereit war.
Währenddessen hatte Jake endlich Kontakt zur Dämmerklinge aufgenommen. Über Orvan, einen Boten, der die Schatten für seine Reisen nutzte, überbrachte er Nachrichten. Orvan war eine Verbindung zwischen den Welten der Geheimnisse und denen, die sie zu entschlüsseln suchten.
Die Dämmerklinge war keine gewöhnliche Gilde. Sie war verborgen, zugänglich nur für jene, die eingeladen wurden, und bekannt für ihre strikten Regeln. Sie operierte aus einem unterirdischen Hauptquartier, das durch ein verlassenes Gebäude betreten wurde. Doch bevor man Zutritt erhielt, mussten Versiegelungen und Prüfungen gemeistert werden – ein Sicherheitsnetz, das nur die Qualifiziertesten passieren konnten.
Jake war kein gewöhnliches Mitglied. Er war ein freier Gilden-Meister eines Zweigs der Dämmerklinge, wenn man es so wollte, eine Position, die mit Verantwortung, Informationsaustausch und Privilegien einherging. In der Gilde kannte man ihn unter seinem Codename "Aschenklinge" – ein Hinweis auf seine Fähigkeit, sowohl in den Schatten zu agieren als auch zerstörerisch zuzuschlagen, wenn es nötig war.
Das Aufsteigen in den Rängen der Dämmerklinge war keine leichte Aufgabe. Neue Mitglieder wurden von Beginn an überwacht, und diese Überwachung endete nie, es sei denn, man erreichte den Rang eines Gildenmeisters. Informationen waren die wertvollste Währung, und wer etwas wollte, musste etwas von gleichem Wert bieten.
Die Gilde folgte drei goldenen Regeln:
1. Verrate nie den Standort der Dämmerklinge.
2. Information muss verdient werden – nichts wird umsonst gegeben.
3. Loyalität wird belohnt, Verrat endet mit der Dunkelheit.
Jake liebte die Struktur und die Herausforderungen der Dämmerklinge. Für ihn war es ein Ort, an dem er seine Fähigkeiten und Kontakte voll ausschöpfen konnte. Doch er wusste, dass diese Verbindung keine Einbahnstraße war – die Gilde erwartete von ihm genauso viel, wie sie ihm bot.
Während Jake seine Verbindungen zur Dämmerklinge nutzte, um mehr über Nox Vigilia und ihre Pläne zu erfahren, fand Emilia in Sei einen starken Begleiter, der ihr half, sich auf das Lichtfeuer-Fest zu konzentrieren.
Die Ruhe, die sich in diesen Tagen eingestellt hatte, war jedoch trügerisch. Die Hinweise, die Jake erhielt, deuteten darauf hin, dass die Schattenschächte der nächste Schritt sein würden. Ein Ort, der mehr Gefahren und Antworten versprach, als sich die Gruppe vielleicht vorstellen konnte.
Die Dämmerklinge war kein Ort für Schwäche. Es war ein Ort, an dem Loyalität und Vertrauen über Leben und Tod entschieden. Wer einmal einen Fehler machte, wer Informationen zurückhielt oder versuchte, die Gilde zu täuschen, fand sich gnadenlos auf der falschen Seite ihrer goldenen Regeln wieder. Maulwürfe wurden nicht einfach ausgeschlossen – sie wurden abgeschlachtet, und zwar mit einer Brutalität, die selbst die schrecklichsten Geschichten übertraf. Hier lebte niemand lange, der nicht alle Karten offenlegte.
Jake, bekannt in der Gilde als Ascheklinge, wusste das nur zu gut. Sein Status als Gildenmeister bedeutete, dass er nicht nur Informationen sammelte, sondern sie auch vollständig und ohne Zögern weitergab. Er war ein Vorbild, das Vertrauen und Freiheit gleichermaßen genoss, weil er sich nie vor der Wahrheit drückte.
Jake betrat den Versammlungsraum, ein schummrig beleuchtetes Zimmer mit hohen, grauen Wänden und einem schweren Holztisch in der Mitte. Dort wartete bereits sein vertrauter Informant, bekannt unter dem Codenamen Dämmerfang.
„Ascheklinge," begrüßte ihn Dämmerfang mit einem leichten Nicken. Seine Stimme war ruhig, aber die Schärfe dahinter war unverkennbar.
„Dämmerfang," erwiderte Jake und setzte sich ihm gegenüber. Der Tisch war leer, bis auf eine kleine, verschlossene Truhe, die vermutlich Dokumente oder Nachrichten enthielt, die an die anderen Zweige der Gilde weitergeleitet werden sollten.
Jake lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und begann direkt: „Ich habe Berichte aus der gesetzlosen Zone, die die Aufmerksamkeit der Gilde verdienen. Es geht um Nox Vigilia."
Dämmerfangs Augen funkelten. „Fang an."
„In der gesetzlosen Zone haben wir eine Ansammlung von Miasma und verfluchter Energie entdeckt, freigesetzt durch Nox Vigilia. Sie nannten den Knotenpunkt den Exodus. Sie nutzen die Zone, um Experimente durchzuführen und ihr Chaos zu verbreiten. Ihre Manipulationen destabilisieren das Gebiet weiter, und ich vermute, dass sie es als Testgelände für größere Pläne nutzen."
Dämmerfang schwieg, während Jake sprach, aber sein Gesicht zeigte, dass er jedes Wort sorgfältig abwog.
„Ich habe ihre Anführerin identifiziert: Xyra. Ihre Ziele sind klar – sie wollen die Essenzen zerstören, das Gleichgewicht der Unterwelt brechen und uns in den Abgrund stürzen. Es gibt keine Zurückhaltung in ihren Methoden, und ihre Anhänger sind fanatisch. Jede ihrer Bewegungen deutet darauf hin, dass sie strategisch und langfristig plant. Ihre zehn Gebote sind ihnen heilig, sie leben und sterben danach, es geht um kontrolle und um besitz."
Jake hielt kurz inne, bevor er fortfuhr: „Meine Kameraden haben den Aufenthaltsort der Grotte der Silberlilien entdeckt. Ich selbst war zu dem Zeitpunkt nicht ansprechbar – ich befand mich in einer Erholungsphase –, aber sie haben mir die Existenz dieses Ortes mitgeteilt. Ich erwähne das, weil es wichtig ist, dass die Gilde über seine Existenz Bescheid weiß. Details kenne ich nicht, aber ich bin bereit, weiter zu recherchieren, falls Informationen benötigt werden."
Dämmerfang nickte langsam. „Die Grotte ist bekannt, aber nur wenige haben Zugang zu ihren Geheimnissen. Du hast gut daran getan, sie zu erwähnen. Es zeigt deine Loyalität, ohne den Ort direkt zu gefährden. Eine clevere Taktik, Ascheklinge."
Jake lächelte leicht. „Vertrauen ist alles in der Dämmerklinge."
Dämmerfang lehnte sich vor, seine Stimme wurde leiser. „Was weißt du über die Schattenschächte?"
Jake lehnte sich nach vorne, seine Stimme wurde leiser, doch sie war von einer Entschlossenheit getragen, die keinen Zweifel zuließ. „Hier wird es interessant. Wir haben Hinweise auf einen versteckten Zugang unter dem Marktplatz – ein Keller, der nur mit dem Passwort ‚Lumen Obscurum' betreten werden kann. Es ist möglich, dass dieses Passwort veraltet ist, aber es gibt Berichte über einen Ort, an dem man sich Respekt verschaffen muss, um Zugang zu wertvollen Informationen zu erhalten."
Dämmerfang nickte, machte jedoch keine Anstalten, etwas hinzuzufügen, sondern ließ Jake weiterreden.
„Dort sollen uns Informationen zugetragen worden sein, die auf eine Schlüsselperson hinweisen: Echo. Er war offenbar ein früheres Mitglied von Nox Vigilia und könnte uns mehr über ihre Strukturen und Pläne verraten. Laut meinen Recherchen hält er sich im Schattenschacht auf – einem unterirdischen Labyrinth tief unter Eversum. Ich habe jedoch weder direkten Zugang zu diesem Ort noch genauere Informationen über seine Struktur. Ich hoffe, dass du mir hier weiterhelfen kannst."
Jake machte eine kurze Pause, um sicherzustellen, dass Dämmerfang ihm folgte, bevor er fortfuhr.
„Zusätzlich bin ich als Mitglied der Hüterflamme und als Teil der Ehrengarde der Hüterin beauftragt, dem Rat des Elysiums Forums Bericht zu erstatten. Es geht um den Zustand der gesetzlosen Zone, die inzwischen zu einer Todeszone geworden ist – unter der Kontrolle von Nox Vigilia. Ihre Manipulation von Miasma und verfluchter Energie hat die Zone vollständig destabilisiert."
Jake hob den Blick, seine Augen fixierten Dämmerfang. „Nox Vigilia ist nicht nur eine Gefahr für die gesetzlose Zone, sondern für die gesamte Unterwelt. Ihre Mitglieder erkennt man an der Tätowierung eines wachsamen Auges – ein Symbol, das in meinen Nachforschungen immer wieder auftaucht."
Er atmete tief ein und fügte hinzu: „Ich werde mich auf Echo konzentrieren und ihn aufspüren. Sollte er noch leben, wird er der Schlüssel sein, um tiefer in die Strukturen von Nox Vigilia einzudringen und ihre nächsten Schritte vorherzusehen. Außerdem planen sie ein so genanntes Erwachen, dazu fehlen mir die Details. Recherchen zumute könnte es ein Werkzeug betreffen aber mir fehlt die Gewissheit und wozu es fähig wäre."
Dämmerfang hörte aufmerksam zu, sein Gesichtsausdruck unverändert, doch seine Augen zeigten ein Funken Interesse. Jake wartete auf eine Reaktion.
Dämmerfang gehörte zu einer seltenen Rasse, den Celestischen Wächtern, die sich durch ihre schimmernde, fast durchsichtige Haut und leuchtenden Augen auszeichneten. Ihr feines, silbriges Haar wirkte wie ein leuchtender Schleier, und ihre Präsenz strahlte Ruhe und Autorität aus. Dämmerfang war bekannt für seine messerscharfe Intuition und die Fähigkeit, jede Lüge zu durchschauen. Ein Verrat in seiner Gegenwart war ein Todesurteil, was ihn zu einem gefürchteten Informanten und Analysten der Dämmerklinge machte.
„Nun gut," begann Dämmerfang mit seiner typisch ruhigen, doch eindringlichen Stimme, „unsere Analysen des Elysiums Forums ergeben eine alarmierende Erkenntnis. Nach unseren Nachforschungen ist das Forum zu 60 % von Nox Vigilia unterwandert. Die Gefahr ist real, Ascheklinge, dein nächster Auftrag wird entscheidend sein."
Jake lehnte sich vor, jede Muskel seines Körpers angespannt.
„Deine Aufgabe," fuhr Dämmerfang fort, „ist es, dem Rat des Elysiums Forums näherzukommen. Identifiziere die Maulwürfe von Nox Vigilia. Du kannst deine Kontakte nutzen, um diese Aufgabe zu erfüllen, aber Vorsicht ist geboten. Besonders ein Name ist in unseren Analysen immer wieder aufgetaucht: Elarion Vaelthar, ein Aetherianer. Unsere Nachforschungen deuten mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 % darauf hin, dass er ein Maulwurf ist, der im Forum Fäden spinnt. Sorge dafür, dass wir diese Vermutung entweder bestätigen oder widerlegen können."
Jake nickte, während Dämmerfang weitersprach.
„Der Oberste des Rates, Lorian Draeven, ein mächtiger und diskreter Dämon, scheint kein Maulwurf zu sein. Allerdings ist unklar, ob er nichts von der Infiltration weiß, die Gefahr ignoriert oder schlichtweg nicht in der Lage ist, zu handeln. Sollte er manipuliert werden, ist eine direkte Konfrontation mit ihm gefährlich. Dein Auftrag ist es vorerst, zu beobachten und Informationen zu sammeln."
Dämmerfang wechselte die Tonlage, sein Blick wurde noch ernster. „Was die Schattenschächte angeht: Wir hatten ein Mitglied, Codenamen Nachtfalke, das Nox Vigilia unterwandert hat und uns den Aufenthaltsort der Schattenschächte preisgab. In seinem letzten Bericht wurde erwähnt, dass die Schattenschächte ein Labyrinth sind, das tief unter Eversum liegt. Doch seitdem herrscht Funkstille. Wir gehen davon aus, dass Nachtfalke entweder tot ist oder gefangen genommen wurde."
Jake nahm diese Information mit einem stummen Nicken auf.
„Solltest du auf Nachtfalke stoßen, bring sie zurück. Sein Auftrag ist damit beendet. Außerdem erwähnte er in seinem letzten Bericht ein Symbol: einen Rabenschwarzen Raben mit ausgestreckten Flügeln. Dieses Emblem gehört zu einer längst vergessenen Gilde. Wir entschlüsseln noch, was es bedeutet, aber Hinweise darauf befinden sich hinter der Chronikenhalle von Eversum. Nachtfalke zu folge gibt es eine Verbindung zu Nox Vigilia. Gehe dieser Spur ebenfalls nach."
Jake, alias Ascheklinge, atmete tief durch. „Das Emblem ist mir bereits begegnet. Ich werde meinen Partner darauf ansetzen – er ist ein Meister-Fährtenleser und wird die Spur verfolgen können. Ich werde mich um die Schattenschächte kümmern, mich dem Rat des Elysiums Forums annähern und alle verdächtigen Aktivitäten melden. Nachtfalkes Sicherheit ist für mich oberste Priorität, sollte ich ihn finden."
Dämmerfang nickte zufrieden. „Gut. Dein Erfolg wird die Stärke der Dämmerklinge unterstreichen. Vergiss nicht, Ascheklinge: Die Regeln der Gilde sind heilig. Verrate niemals den Standort der Dämmerklinge. Informationen sind das Blut der Gilde – sie müssen verdient werden. Und Loyalität wird belohnt, doch Verrat endet mit der Dunkelheit."
Jake lächelte dünn. „Diese Regeln sind mein Fundament. Ich weiß, was auf dem Spiel steht."
Dämmerfang schloss die Truhe vor sich mit einem leisen Klicken und erhob sich. „Dann wünsche ich dir Erfolg, Ascheklinge. Die Zeit drängt, und Nox Vigilia schläft nicht."
Mit einem letzten Nicken verließ Jake den Raum, bereit, seine neuen Aufträge in Angriff zu nehmen:
• Den Rat des Elysiums Forums infiltrieren, mit besonderem Augenmerk auf Elarion Vaelthar.
• Die Schattenschächte erkunden und Nachtfalkes Schicksal klären.
• Die Spur des Rabenschwarzen Raben-des Emblems verfolgen hinter der Chronikenhalle.
-Und Erkenntnisse durch Echo erlangen, falls er ihn aufspüren kann.
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Jake hatte es sich auf einem Stuhl in der Küche bequem gemacht, während er Chaid die neuesten Informationen über seine Mission und die Dämmerklinge erläuterte. Chaid saß ihm gegenüber, seine smaragdgrünen Augen funkelten vor Interesse, oder vielmehr vor neckischer Belustigung.
„Oh, mein scharfsinniger Kollege," begann Chaid und lehnte sich verspielt über den Tisch, seine Stimme triefend vor gespielter Bewunderung. „Erzähl mir mehr von deinen Machenschaften, die im Schatten gesponnen werden. Ich finde das..." – er ließ seine Finger langsam über Jakes Unterarm gleiten – „...verdammt anziehend."
Jake hob eine Augenbraue, blieb jedoch ruhig. „Chaid, das hier ist wichtig. Hör auf, mich zu unterbrechen."
„Oh, ich höre dir zu, Flamme," flüsterte Chaid und lehnte sich noch näher. „Ich brenne für dich."
Bevor Jake antworten konnte, öffnete sich die Küchentür, und Gray betrat den Raum. Er blieb stehen, verschränkte die Arme und zischte: „Nicht in meiner Küche."
Chaid grinste breit. „Ach komm, Gray. Du darfst gerne mitmachen."
Gray verdrehte die Augen und trat näher. Statt sich auf eine Diskussion einzulassen, lehnte er sich theatralisch über Chaid, griff hinter ihn ins Regal und zog eine Schachtel hervor. „Oh, Entschuldigung. Dachtest du etwa, ich steige ein?" Er zwinkerte amüsiert und richtete sich wieder auf. „Du hast nur dieses Fach blockiert."
Mit diesen Worten verschwand Gray wieder aus der Küche, ein amüsiertes Schmunzeln auf den Lippen. Chaid blieb zurück, kurz sprachlos, bevor er sich Jake zuwandte.
„Der wird auch immer frecher," murmelte Chaid gespielt beleidigt.
Jake lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Chaid, hörst du mir überhaupt zu?"
„Oh ja, Flamme," antwortete Chaid und legte die Hand aufs Herz. „Ich höre jedes Wort und denke nur daran, wie ich dich beeindrucken kann. Soll ich dir jetzt mein Köpfchen zeigen?" Er grinste frech und stand auf.
„Was hast du jetzt wieder vor?" fragte Jake, der Chaids Energie langsam gewohnt war, aber dennoch immer wieder überrascht wurde.
„Komm mit." Chaid schnappte sich Jakes Hand, zog ihn von seinem Platz und führte ihn zum Kleiderständer. „Wir gehen..." Er warf Jake seine Jacke zu und schlang sich selbst einen Schal um. „...in den Puff!"
Jake riss die Hand zurück und blieb wie angewurzelt stehen. „Was?"
Chaid drehte sich um, ein breites Grinsen auf den Lippen. „Nur ein Scherz, Flamme. Als ob ich dich mit irgendwelchen Perversen teilen würde. Du bist doch meine große Flamme, und ich teile nicht." Er nahm Jakes Hand erneut, diesmal fester, und zog ihn mit sich. „Ich führe dich an meinen Lieblingsort."
Jake folgte widerwillig, seine Gedanken jedoch bei Chaids Worten. In letzter Zeit hatte er gemerkt, dass er für Chaids spielerische Verführungen immer empfänglicher wurde. Was früher ein ständiges Augenrollen oder eine scharfe Bemerkung hervorgerufen hätte, ließ ihn jetzt tatsächlich schmunzeln. Jake war sich bewusst, dass Chaid eine besondere Stelle in seinem Herzen hatte, so wie Emilia und die anderen, aber Chaids unaufhörliche Zuneigung brachte ihn immer wieder aus dem Konzept.
„Und wo genau ist dein Lieblingsort?" fragte Jake schließlich, seine Neugier überwog seine Zurückhaltung.
Chaid blieb stehen und drehte sich um, seine Augen leuchteten. „Wirst du sehen, Flamme. Vertraue mir einfach."
...
Jake und Chaid standen vor einem schlichten, unscheinbaren Gebäude in einer der Seitenstraßen Eversums. Es wirkte bescheiden, fast schon heruntergekommen im Vergleich zu den großen, imposanten Bauwerken der Stadt. Chaid ließ Jakes Hand endlich los und grinste breit.
„Spuk's aus, Chaid. Wo sind wir hier?" fragte Jake und musterte die Fassade skeptisch.
Chaid warf seine Jacke über die Schulter und gestikulierte dramatisch. „Flamme, willkommen in der Zentrale meines Fähigkeitszweiges. Hier findest du die besten der besten. Also, wie mich natürlich."
Jake hob eine Braue, das Schmunzeln nicht unterdrückend. „Die besten der besten?" wiederholte er trocken.
Chaid nickte eifrig, als hätte er gerade den wichtigsten Fakt der Welt verkündet. „Ganz genau. Die besten Fährtenleser Eversums. Und... ein paar mickrige Möchtegern-Detektive. Die darfst du ruhig ignorieren. Die bringen hier keinen Blumentopf zu Fall."
Mit einem Augenzwinkern führte Chaid Jake durch die Eingangstür. Sie passierten eine kleine Rezeption, wo eine Dämonin mit sanft glänzenden, dunklen Schuppen – eine Duskaleerin, wie Jake erkannte – strahlend aufblickte. Ihr schuppiges Gesicht schien fast zu glühen, als sie Chaid entdeckte.
„Willkommen, Smaragdschatten," begrüßte sie ihn mit einem charmanten Lächeln und nahm seine Gildenkarte entgegen.
„Smaragdschatten?" fragte Jake skeptisch und lehnte sich an den Tresen, während Chaid selbstgefällig die Karte zurücknahm.
„Gefällt dir, was?" Chaid zwinkerte der Rezeptzionistin zu, bevor er sich zu Jake umdrehte. „Hab ich selbst ausgedacht. Genial, oder?"
„Oh ja, wirklich kreativ," murmelte Jake trocken, das Grinsen kaum unterdrückend. „Warum hast du mich hergeführt?"
„Geduld, Flamme," sagte Chaid und winkte ihm, ihm zu folgen. Sie durchquerten die Rezeption, und Chaid öffnete eine versteckte Luke im Boden, die in den Untergrund führte.
„Pass auf, nicht stolpern. Du bist noch nicht so elegant wie ich," rief Chaid über die Schulter, während er vorausging. Jake folgte ihm mit einem leisen Seufzen.
Der Untergrund entpuppte sich als weitläufiges Netzwerk aus Räumen und Gängen, die in eine beeindruckende Bibliothek mündeten. Hölzerne Schreibtische reihten sich vor meterhohen Regalen voller Bücher, Karten und Dokumente. Auf einigen Tischen waren Karten ausgebreitet, beschriftet mit handgeschriebenen Anmerkungen und kleinen Markierungen. In den Ecken flackerten magische Lampen, die ein sanftes, warmes Licht ausstrahlten.
Jake blieb stehen und blickte sich beeindruckt um. „Das ist also deine geheime Welt?"
„Na klar," antwortete Chaid, stolz die Hände in die Hüften stemmend. „Hier verdiene ich meine Brötchen. Das ist die Zentrale der besten Fährtenleser von Eversum. Und ich? Ich bin hier Rangführer, ein sogenannter Spurmeister. Das entspricht deinem Meisterrang bei der Dämmerklinge."
„Spurmeister," wiederholte Jake, sichtlich beeindruckt. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so eine... professionelle Seite hast."
Chaid lachte laut auf. „Professionell? Ich bin nicht nur gut, ich bin brilliant. Frag die Leute hier. Niemand kann mir das Wasser reichen. Okay, vielleicht ein oder zwei, aber die ignoriere ich einfach."
Sie gingen tiefer in die Bibliothek. Jake bemerkte geschlossene Büros mit Sichtfenstern, in denen Dämonen und andere Wesen eifrig diskutierten oder Karten studierten. Eine riesige Wand war mit Berichten und Notizen bedeckt, die wie ein chaotisches Puzzle wirkten. In der Ecke arbeiteten zwei Dämonen mit einem magischen Gerät, das einer Art Scanner glich, und digitalisierten alte Dokumente.
„Das hier ist also dein Refugium?" fragte Jake und deutete auf die geschäftigen Mitarbeiter.
Chaid nickte stolz. „Hier hab ich Abend für Abend Nachforschungen angestellt. Und glaub mir, Flamme, es war nicht einfach. Ich habe Sedricks Spur verfolgt, mit Felix zusammengearbeitet, und – Überraschung! – Wir hatten keinen Erfolg. Dieser Mistkerl ist wie ein Schatten."
Chaid öffnete ein Tresorfach griff sich ein Notizbuch und blätterte darin. „Also hab ich mich auf eine andere Spur konzentriert. Wo hatte Nox Vigilia ihren Ursprung? Wie konnten sie sich so weit ausbreiten und uns immer wieder ans Bein pissen?" Er hielt inne, seine Stimme wurde ernst. „Und dann bin ich auf das Emblem gestoßen, das du erwähnt hast. Das war der Schlüssel."
Jake nickte langsam. „Das schwarze Rabensymbol mit den ausgestreckten Flügeln."
„Exakt." Chaid schlug das Notizbuch zu und legte es zurück. „Aber ich konnte keinen Zusammenhang zu Nox Vigilia herstellen. Das hat mir gefehlt. Du hast mir heute das fehlende Puzzleteil geliefert."
Jake beobachtete ihn aufmerksam. Es war selten, dass Chaid so ernst war, und er konnte nicht anders, als den Respekt für ihn zu fühlen, den er immer wieder aufs Neue verdiente.
Chaid drehte sich plötzlich um, sein Gesicht wieder von einem breiten Grinsen erhellt. „Komm, Flamme. Lass uns diese Bibliothek durchwühlen. Ich habe schon eine Mappe mit allen möglichen Hinweisen. Vielleicht finden wir noch mehr Puzzleteile."
Er griff nach Jakes Hand und zog ihn spielerisch mit sich. „Du wirst sehen, Flamme, heute werde ich dich beeindrucken wie noch nie. Und wer weiß – vielleicht verliebst du dich noch mehr in mich."
Jakeś Herz pulsierte, er war schwer beeindruckt von Chaid, auch wenn er es sich nicht eingestand.
Er bewegte sich in dieser Umgebung wie ein Meister seines Fachs, mit einer natürlichen Selbstsicherheit und einer Eleganz, die kaum jemand mit Chaids sonst lockerer Art in Verbindung bringen würde. Sie hatten Stunden in der riesigen Bibliothek verbracht, und Jake beobachtete, wie Chaid jedes Puzzlestück sorgfältig in seine Mappe einfügte. Es war nicht nur beeindruckend, wie viele Informationen Chaid gefunden hatte, sondern auch, wie er sie miteinander verknüpfte. Selbst ohne den vollständigen Zusammenhang zu kennen, hatte Chaid das Talent, Verbindungen zu erkennen, die für andere verborgen blieben.
Chaid sortierte und analysierte mit einem Scharfsinn, der selbst Jake, als erfahrenen Gildenmeister der Dämmerklinge, tief beeindruckte. Trotz seiner oft frechen Sprüche und der Neigung, ernste Momente ins Lächerliche zu ziehen, war Chaid ein brillanter Stratege, wenn es darauf ankam. Jake musste sich eingestehen, dass Chaid der fähigste Partner war, den er jemals gehabt hatte. Er arbeitete selbstständig, brauchte keine Anweisungen und brachte dabei Ergebnisse, die jeden Auftraggeber zufriedenstellen würden.
Jake beobachtete Chaid dabei, wie er seine Werkzeuge ausbreitete, Dokumente an der Wand befestigte und mit farbigen Fäden Verbindungen markierte, die er zwischen den einzelnen Informationen gezogen hatte. Sein Vorgehen war methodisch, fast künstlerisch. Während Chaid Details auswertete, suchte Jake nach weiteren Dokumenten und Bildern, die er ihm reichte, wenn er darum bat.
Die Stunden vergingen wie im Flug.
Die Bibliothek selbst beeindruckte Jake zutiefst. Dank Chaids hohem Rang hatten sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Regale, Karten und sogar sensible Archive. Es war ein Ort, an dem Wissen und Geheimnisse lagerten, und selbst Jake, der durch die Dämmerklinge Zugang zu zahlreichen Ressourcen hatte, fühlte sich überwältigt. Er sah, wie hart Chaid gearbeitet haben musste, um sich diesen Respekt und die damit einhergehenden Privilegien zu verdienen.
Als Jake einen Moment innehielt und einen Schluck aus seiner dampfenden Kaffeetasse nahm, fiel sein Blick auf Chaid. Er war fokussiert. Keine Spur von der sonst so verspielten, oft flirtenden Art. Für Chaid schien das hier mehr als nur eine Aufgabe zu sein – es war ein Teil seines Lebens, seiner Identität. Jake erkannte in diesem Moment, dass Chaid nicht nur eine wichtige Rolle in seiner Mission spielte, sondern auch ein Fels war, auf den er immer zählen konnte.
Plötzlich richtete sich Chaid auf.
„Ich hab's!" Seine Stimme war voller Energie, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet.
Jake stellte seine Tasse ab und trat näher. „Wirklich? Schon?"
„Oh ja, Flamme," begann Chaid mit einem verschmitzten Lächeln, während er die letzten Fäden seiner Arbeit sortierte. „Dank meiner unendlichen Genialität – und deiner Hilfe natürlich – habe ich endlich die entscheidende Verbindung gefunden. Pass auf, ich erkläre es dir..."
Ein Klopfen unterbrach ihn.
Chaid drehte sich überrascht zur Tür und rief: „Rein mit dir, wir sind nicht mitten in einer Offenbarung oder so."
Die Tür öffnete sich, und ein Necrolith betrat den Raum. Sein markantes, knochiges Gesicht und die düstere Aura ließen keinen Zweifel daran, dass er jemand von Rang und Bedeutung war. Seine Präsenz war einschüchternd, aber Chaid ließ sich nichts anmerken.
Jake runzelte die Stirn. Das war eindeutig der Chef.
—
Chaid strahlte, als der Necrolith eintrat.
„Chef!" begrüßte er ihn freudig, während Jake eine Augenbraue hob und dem Gespräch neugierig lauschte.
Der Necrolith, eine düstere, aber beeindruckend präsente Gestalt, trat mit einem kleinen, in dunkles Tuch gehüllten Gegenstand ein. Er wirkte gleichzeitig ernst und zufrieden, als er sich an Chaid wandte.
„Smaragdschatten," begann der Chef in ruhigem, aber tiefem Tonfall, „sie sind heute Abend wieder fleißig, wie ich sehe. Ich bin gekommen, um Ihnen eine wohlverdiente Belohnung zu bringen."
Chaid grinste breit. „Chef, das wäre wirklich nicht nötig gewesen."
Der Necrolith schüttelte leicht den Kopf. „Oh nein, Smaragdschatten. Sie haben der Abteilung große Dienste geleistet und sind für uns unverzichtbar. Dies ist unser Dank und unsere Anerkennung für Ihre außergewöhnliche Arbeit."
Der Necrolith reichte Chaid das in Stoff gewickelte Objekt.
Mit einem respektvollen Nicken nahm Chaid das Geschenk entgegen und löste vorsichtig die Umhüllung. Zum Vorschein kam ein kunstvoll gearbeiteter Manaprojektor, ein magisches Werkzeug, das es erlaubte, Mana-Spuren zu visualisieren und bis zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen. Es war ein Werkzeug, das die Arbeit eines Fährtenlesers erheblich vereinfachte, besonders in komplexen Umgebungen wie den Schattenschächten.
„Das ist ein Manaprojektor der neuesten Generation," erklärte der Chef. „Er wird Ihnen helfen, Spuren selbst in stark verunreinigten Zonen klarer zu erkennen."
Chaid betrachtete das Werkzeug mit ehrlichem Staunen. „Vielen Dank, Chef. Ich werde es gut nutzen."
Der Necrolith nickte zufrieden. „Das bezweifle ich nicht. Ihre Arbeit war bisher unersetzlich."
Jake, der bis dahin still zugehört hatte, konnte sich nicht zurückhalten. „Womit genau hat Smaragdschatten sich diesen besonderen Respekt verdient?"
Der Necrolith hielt kurz inne.
Chaid grinste breit. „Chef, er gehört zu mir. Ich vertraue ihm vollkommen. Geben Sie ruhig an, ich will ihn beeindrucken."
Er nickte bevor er antwortete. „Nun, ,,Smaragdschatten hat eine außergewöhnliche Gabe, Zusammenhänge zu erkennen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sein analytisches Denken und seine Hartnäckigkeit haben uns mehrfach geholfen, Krisen frühzeitig einzudämmen."
Jake verdrehte die Augen, aber ein amüsiertes Lächeln spielte auf seinen Lippen.
„Nun gut," fuhr der Necrolith fort, „lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Die Dämonengrippe, die Eversum so lange geplagt hat – Smaragdschatten hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir die Ausbreitung eindämmen konnten. Durch seine gründlichen Untersuchungen am Nebelrand des Aquaris-Viertels konnte er die verunreinigten Zonen eingrenzen. Dank seiner präzisen Analysen konnten wir den Nexus-Kanal untersuchen und erfolgreich reinigen."
Jake runzelte die Stirn. „Das ist beeindruckend."
„Das ist es," bestätigte der Chef. „Darüber hinaus hat er eng mit den Medizinern in der Klinik und den Labors zusammengearbeitet, um die Informationen weiterzugeben. Die Ressourcennutzung in der Klinik wurde effizienter, und die Mediziner konnten schneller ein Heilmittel entwickeln. Wir sind nun in der Lage, die Grippe nahezu vollständig zu behandeln und neue Ausbrüche frühzeitig zu verhindern."
Der Necrolith machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. „Aber das ist nicht alles. Smaragdschatten hat auch eine Verbindung zwischen den verunreinigten Kanälen und einem alten Ritual von Nox Vigilia entdeckt, das verzerrtes Mana in die Wassersysteme einleitete. Seine Informationen haben uns geholfen, die Mechanismen dieses Rituals zu verstehen und ähnliche Ansätze in anderen Vierteln zu verhindern."
Jake sah Chaid anerkennend an. „Du hast all das gemacht, ohne es zu erwähnen?"
Chaid zuckte mit den Schultern. „Es war wirklich nicht der Rede wert. Außerdem mache ich nur meinen Job."
Der Necrolith richtete seinen Blick wieder auf Chaid. „Ich wollte sicherstellen, dass Sie wissen, wie sehr wir Ihre Arbeit schätzen, Smaragdschatten. Sie sind ein wertvolles Mitglied unserer Gemeinschaft."
Mit diesen Worten verabschiedete sich der Necrolith und ließ die beiden allein.
Chaid betrachtete den Manaprojektor mit funkelnden Augen.
„Das ist wirklich ein schickes Ding," murmelte er, während er ihn in die Hand nahm und begutachtete.
Jake nickte beeindruckt. „Du hast dir diese Belohnung wirklich verdient. Deine Arbeit ist unglaublich."
Chaid winkte ab. „Ach komm, Flamme. Das war wirklich nicht der Rede wert. Aber hey, danke fürs Lob – ich nehme es natürlich gerne an."
Jake schmunzelte. „Natürlich tust du das."
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