Kapitel 2 Band 5
Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster des Gasthauses und legten sich sanft auf Emilias Gesicht. Sie lag zwischen Ash und Alex, ihr Atem ruhig und gleichmäßig. Ihre Haarsträhnen fielen unordentlich auf das Kissen, und sie wirkte so friedlich, dass weder Ash noch Alex den Drang hatten, sie zu wecken.
Alex streckte sich leise und warf Ash, der ihn bereits beobachtete, einen Blick zu. Ash grinste breit, seine Augen funkelten wie immer leicht herausfordernd. „Schon wach?" flüsterte er.
Alex nickte und setzte sich vorsichtig auf, um Emilia nicht zu stören. „Ja, aber leise. Sie schläft noch."
Ash lehnte sich näher und flüsterte zurück: „Dann sollten wir uns auch leise aus dem Staub machen, oder?"
Alex zog eine Augenbraue hoch. „Leise? Du bist der Letzte, der leise ist, Ash."
Ash grinste nur und folgte Alex ins angrenzende Bad. Kaum war die Tür leise hinter ihnen zugefallen, drehte Ash Alex herum und drückte ihn sanft gegen die kühle Wand.
„Ash ...", begann Alex, doch er kam nicht weit, denn Ash legte ihm mit einem selbstzufriedenen Grinsen einen Finger auf die Lippen. „Pssst. Keine Ausreden. Du siehst aus, als könntest du etwas Entspannung gebrauchen."
Alex stöhnte leise, als Ash seine Lippen an seinen Hals setzte und ihn mit einer Reihe weicher, aber fordernder Küsse verwöhnte. Seine Hände wanderten über Alex' Schultern, seinen Brustkorb hinunter, wobei er jeden Muskel mit sanftem Druck massierte.
„Ash", murmelte Alex, seine Stimme jetzt etwas heiser, „in letzter Zeit ... du bist so viel ... fordernder."
Ash lachte leise gegen Alex' Haut, bevor er ihm ins Ohr flüsterte: „Vielleicht liegt es daran, dass ich mich endlich wohlfühle. So richtig wohl. Mit dir, mit uns ... Es fühlt sich an, als könnte ich endlich durchatmen."
Alex schloss für einen Moment die Augen, seine Atmung wurde tiefer. „Du machst mich wahnsinnig, weißt du das?"
„Das ist der Plan", erwiderte Ash in einem verführerischen Ton, bevor er Alex erneut küsste, diesmal auf die Lippen. Der Kuss war fordernd, verlangsamte sich aber bald, während Ash seine Hände auf Alex' Rücken legte und sanft über seine Haut strich.
Alex lehnte seinen Kopf zurück, als Ash seine Lippen an Alex' Schlüsselbein wanderte. „Du bist ... unglaublich, weißt du das?"
Ash grinste gegen Alex' Haut. „Ich weiß. Und ich höre erst auf, wenn du genauso entspannt bist wie ich."
Die Stimmung zwischen ihnen wurde immer intensiver, doch sie hielten den Moment bewusst langsam, genossen jede Berührung, jeden Kuss. Alex schien schließlich völlig locker zu werden, seine Hände fanden den Weg in Ashs Haare, während er ein leises Lachen unterdrückte.
Nach einer Weile lehnte Ash sich zurück, sein Blick zufrieden, als er Alex' leicht gerötetes Gesicht betrachtete. „Ich denke, das reicht erstmal. Wir sollten uns fertig machen."
Alex atmete tief durch und nickte. „Du bist ... unerträglich, weißt du das?"
„Aber du liebst es", konterte Ash mit einem Zwinkern, bevor er Alex noch einen schnellen Kuss auf die Stirn drückte und ihm half, sich wieder anzukleiden.
Die beiden traten zurück ins Schlafzimmer, wo Emilia sich noch immer schlafend zusammengekuschelt hatte. Alex warf einen kurzen Blick auf sie und schüttelte leicht den Kopf. „Lass sie schlafen. Sie braucht es."
Ash nickte und griff nach seiner Jacke. „Komm, wir lassen sie allein. Vielleicht hat sie später bessere Laune, wenn sie aufwacht."
Alex schnaubte leise und zog sich seine eigene Jacke über. „Wenn du meinst. Aber wir sollten später nach ihr sehen."
Ash lächelte und warf Alex einen vielsagenden Blick zu, bevor sie leise das Zimmer verließen.
Etwas später wachte Emilia auf. Die ersten Sonnenstrahlen spielten durch die Vorhänge, und die Welt um sie herum wirkte friedlich. Doch in ihren Gliedern lag ein schweres Gefühl der Erschöpfung, das sie kaum ignorieren konnte. Es war, als hätte sie die Nacht durchgearbeitet, obwohl sie wusste, dass sie früh ins Bett gegangen war. Sie atmete tief durch und erinnerte sich daran, dass Arbeit auf sie wartete.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken.
„Herein", rief sie, ohne sich zu bewegen.
Die Tür öffnete sich, und Chaid trat mit einem breiten Grinsen herein. „Ich habe also richtig vermutet. Du bist noch hier, kleine Sonne."
Emilia sah ihn mit halb geöffneten Augen an und schmiegte sich tiefer in die weichen Laken. „Oh nein, ich wurde erwischt. Ich bin nicht arbeitsfaul, Chaid. Ich stehe sofort auf." Ihre Stimme triefte vor Ironie.
Chaid trat näher ans Bett und verschränkte die Arme vor der Brust. „Kleine Sonne, was ist los? Die anderen haben erzählt, dass du gestern in einen komatösen Schlaf gefallen bist und heute Morgen kaum wach wurdest."
Emilia verdrehte die Augen. „Unsinn."
„Oh, wirklich?" fragte Chaid mit einem spöttischen Unterton. „Bin ich also hergekommen, um dich mit einem Kuss zu wecken?"
Emilia lachte ,,Ich ahnte es schon.''
Er legte eine Hand auf seine Brust und setzte einen theatralischen Blick auf. „Kleine Sonne, du hast mich durchschaut. Jetzt, wo ich hier bin ..."
Mit einer fließenden Bewegung begann er, sein Hemd über den Kopf zu ziehen, und ließ es lässig auf den Boden fallen.
„Chaid!" Emilia lachte leise und schüttelte den Kopf. „Du weißt, die Jungs hassen es, die Laken ständig wechseln zu müssen. Was soll die Reinigung von uns denken?"
Chaid ignorierte ihre Worte und beugte sich vor, um sie mit weichen Küssen zu bedecken. Seine Lippen wanderten über ihre Stirn, ihre Wangen und ihren Hals.
„Was interessiert mich das?" murmelte er gegen ihre Haut. „Aber was ist los, kleine Sonne? Du bist doch sonst immer eine Frühaufsteherin. Soll ich mir Sorgen machen?"
Emilia lachte, doch es war ein schwaches Lachen. „Ich brauchte nur etwas Ruhe, es ist nichts weiter. Sieh her, mir geht es gut."
Sie versuchte, sich aufzurichten, doch Chaid drückte sie mit einer sanften, aber festen Bewegung zurück in die Laken. „Kleine Sonne, wenn es dir wirklich gut geht, dann kann ich ja weitermachen."
Seine Lippen fanden ihre, und Emilia stöhnte leise in den Kuss hinein. Doch als Chaid versuchte, näher zu kommen, murmelte sie: „Chaid, ich habe Arbeit ... ich bin nicht in Stimmung."
„Nicht in Stimmung?" flüsterte er gegen ihre Lippen und küsste sie erneut, diesmal etwas fordernder. „Das sagst du jedes Mal, aber ich sehe, wie sehr du es genießt."
Emilia stöhnte erneut, doch ihre Hände blieben kraftlos auf seiner Brust liegen. „Chaid, wirklich ... ich muss aufstehen."
Ein hin und her begann. Jedes Mal, wenn Emilia sich leicht zur Seite drehte, zog Chaid sie wieder in die Laken zurück, küsste sie auf die Schultern, über die Schlüsselbeine und schließlich erneut auf die Lippen.
„Nur ein bisschen länger, kleine Sonne", flüsterte er charmant. „Du brauchst noch mehr Ruhe."
Doch schließlich stoppte er, als er ihre Schwäche bemerkte. Ihre Reaktionen waren nicht wie sonst. Ihre Hände waren schlaff, und ihr Atem ging flacher. Chaid setzte sich auf und musterte sie besorgt.
„Emilia", begann er leise, „ich will dich nicht zu etwas drängen. Was ist los? Du bist nicht wie sonst. Vielleicht solltest du langsamer machen."
Emilia lächelte schwach und hob eine Hand, um ihm sanft über die Wange zu streichen. „Es geht mir gut, wirklich. Ich habe nur schlecht geschlafen."
Chaid runzelte die Stirn, doch er ließ sie schließlich los. „Kleine Sonne, versprich mir, dass du auf dich aufpasst."
„Natürlich", sagte Emilia, während sie sich aufrappelte. Ihre Beine fühlten sich schwer an, doch sie zwang sich, aufzustehen. Mit einer energischen Bewegung griff sie nach ihrer Kleidung.
Chaid beobachtete sie schweigend, seine Augen voller Sorge, während sie sich an ihrem Umhang zu schaffen machte.
„Es geht mir gut", wiederholte Emilia und warf ihm ein aufgesetztes Lächeln zu. „Ich habe zu tun."
Chaid seufzte leise, zog sich selbst wieder an und murmelte: „Wenn du meinst. Aber ich lasse dich heute nicht aus den Augen."
Das Frühstück verlief schnell und eher wortkarg. Emilia schob sich ein Stück Brot in den Mund, während Chaid sie mit einem durchdringenden Blick musterte. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und machte keinerlei Anstalten, sich auf den Weg zu machen.
„Chaid", begann Emilia mit einem sanften Lächeln, „du hast doch bestimmt heute Abend noch einiges zu tun, oder?"
„Vielleicht", erwiderte er und lehnte sich zurück. „Aber ich bleibe bei dir, kleine Sonne. Irgendwie gefällt mir deine Stimmung heute nicht."
Emilia verdrehte die Augen und versuchte, ihre Erschöpfung hinter einem aufgesetzten Grinsen zu verstecken. „Chaid, wirklich. Ich habe nur schlecht geschlafen. Du musst dich nicht ständig um mich kümmern."
Er hob skeptisch eine Augenbraue. „Ach nein? Gestern Abend habe ich dir schon angemerkt, dass du nicht ganz bei dir warst. Also ja, ich bleibe."
„Chaid, bitte", seufzte Emilia und griff nach seiner Hand. „Ich weiß das zu schätzen, aber ich habe wirklich zu tun. Und du auch. Wenn du mir helfen willst, dann geh deinen Aufgaben nach, okay?"
Es brauchte einiges an Überzeugungsarbeit, doch schließlich knickte Chaid ein. Er seufzte dramatisch und stand schließlich auf.
„Also gut, kleine Sonne. Aber wehe, du übertreibst es. Und wenn etwas ist, kommst du direkt zu mir, verstanden?"
Emilia nickte dankbar und sah ihm nach, wie er durch die Tür verschwand. Sie wusste, dass er abends wieder unterwegs sein würde, schleichend durch die Gassen auf seinen Erkundungstouren. Nacht für Nacht war er abwesend, genauso wie damals in Origin.
Nach dem Frühstück betrat Emilia die Lobby des Gasthauses, wo sie Jake und Gray über einen Haufen Pergamentrollen gebeugt fand. Ihre Köpfe waren so nah beieinander, dass sie für einen Moment dachte, sie würden miteinander flüstern, doch es war eher das angespannte Brüten über einem Plan.
Jake strich mit den Fingern über eine der Karten und murmelte vor sich hin, während Gray mit verschränkten Armen daneben saß und hin und wieder nickte. Die Ernsthaftigkeit in Jakes Blick war unübersehbar. Er überlegte offensichtlich strategisch, wie er den Rat am besten angehen wollte – ohne dabei mit der Tür ins Haus zu fallen.
„Die Wanderflamme hat uns freie Hand gelassen", sagte Jake schließlich, mehr zu sich selbst als zu Gray. „Das offizielle Schreiben haben wir. Es gibt keinen Grund, es zu überstürzen. Wir müssen nur die richtige Gelegenheit finden."
Gray grummelte zustimmend. „Erscheinen wir zu unvorbereitet, nehmen sie uns nicht ernst. Aber wenn wir zu lange warten, könnten wir die Chance verpassen."
Emilia schmunzelte leicht und näherte sich den beiden, doch sie wusste genau, dass sie diese Diskussion den Jungs überlassen konnte. Jake war geschickt darin, Pläne zu schmieden, und Gray unterstützte ihn dabei mit seiner pragmatischen Art. Es war offensichtlich, dass die beiden ganz in ihrem Element waren.
„Ihr scheint beschäftigt zu sein", meinte Emilia schließlich, als sie neben dem Tisch stehen blieb.
Jake hob kaum den Kopf. „Sehr."
Emilia grinste. „Na dann lasse ich euch in Ruhe. Viel Erfolg."
Mit diesen Worten wandte sie sich ab, zog ihren Mantel an, legte die Kapuze über und ging hinaus, um ihren eigenen Tätigkeiten nachzugehen.
Die Morgenluft war frisch und klar, doch sie fühlte sich schwer in ihren Bewegungen, als hätte sie den ganzen Tag auf den Beinen verbracht, obwohl der Morgen gerade erst begann.
Die Gilde war ihr Ziel, und sie hoffte, einen guten Auftrag anzunehmen – nicht nur, um ihre Fähigkeiten als Schamanin zu beweisen, sondern auch, um endlich etwas zu verdienen und ihren Beitrag für das Team zu leisten.
—-
Emilia zog die Kapuze ihres Umhangs enger und schlenderte zielstrebig durch das spirituelle Viertel. Hier im Zentrum der Schamanenmagie war die Luft anders: ruhiger, durchdrungen von einer unsichtbaren Kraft. Die Straßen waren mit uralten Symbolen markiert, und aus schwebenden Tempeln und kleinen Schreinen drangen Gesänge, die das Mana der Umgebung lenkten. Es war, als atme der ganze Ort.
Ihr Ziel war ein unscheinbarer, aber wichtiger Auftrag – und eine Prüfung für sie als Neumond-Schamanin:
Ein alter Schrein hatte begonnen, Mana in verzerrter Form abzugeben. Die Energie störte nicht nur das Gleichgewicht des Viertels, sondern verursachte auch Halluzinationen bei den Bewohnern in der Nähe. Emilias Aufgabe war es, die verzerrten Mana-Ströme zu reinigen und das spirituelle Gleichgewicht wiederherzustellen. Für eine Neumond-Schamanin war das komplex, da es sowohl Präzision als auch eine feine Synchronisation mit dem Mana des Schreins erforderte.
„Ich schaffe das allein", murmelte Emilia zu sich selbst, während sie ihre Schritte beschleunigte. Es war keine Zeit zu verlieren. Schon in der Nähe des Schreins spürte sie es: ein kribbelndes, unangenehmes Ziehen in ihrer Brust. Die Mana-Ströme tanzten unruhig, wie ein Herzschlag im falschen Rhythmus.
Gerade wollte sie den ersten Schritt in Richtung Schrein machen, als eine vertraute Stimme ertönte.
„Amy, bist du sicher, dass du nicht den falschen Ort erwischt hast?"
Emilia zuckte zusammen und drehte sich um. Felix. Der Werwolf mit dem schiefen, provozierenden Grinsen, der gerade zwischen zwei Mauern hervortrat und die Hände in die Taschen steckte. Seine orangefarbenen Augen glommen neugierig.
„Was machst du denn hier?", fragte Emilia, bemüht, gelassen zu klingen.
„Spuren nachgehen", sagte Felix und zuckte die Schultern. „Mana verzerrt die Sinne, und du würdest nicht glauben, wie viele Dämonen hier letzte Nacht wirres Zeug geredet haben. Ein paar von ihnen haben sogar versucht, sich gegenseitig in Brunnen zu werfen."
„Klingt nach einem aufregenden Abend", murmelte Emilia und schob sich weiter Richtung Schrein. „Aber ich brauche deine Hilfe nicht. Ich kriege das allein hin."
Felix hob eine Augenbraue und beobachtete sie, wie sie versuchte, die Strömung des verzerrten Manas zu lesen. „Natürlich kriegst du das hin", sagte er und ließ die Worte wie eine Tatsache klingen. „Aber es wäre effizienter mit mir an deiner Seite."
„Felix", knurrte Emilia und drehte sich zu ihm um. „Ich bin hier, um zu beweisen, dass ich es alleine kann. Ich brauche niemanden, der aufpasst, ob ich's falsch mache."
„Aufpassen? Ich helfe dir nicht aus Mitleid, Amy. Ich will sehen, ob du fähig bist, den Knoten zu lösen oder ob ich morgen die Bewohner aus den Brunnen ziehen muss."
Emilia schnaubte wütend, doch Felix' provokantes Lächeln machte sie nur noch sturer. Sie ließ ihn stehen und trat an den Schrein heran. Die Luft hier war schwer, das Mana drückte auf ihre Sinne. Sie setzte sich hin, zog tief Luft und begann, ihre Hände vor sich zu falten, um die Energien zu lesen.
Anfangs lief es gut. Sie spürte die Mana-Ströme, konnte sie sogar für einen Moment stabilisieren, doch die verzerrte Energie bäumte sich plötzlich auf. Wie ein wildes Tier riss sie sich aus ihrer Kontrolle, und Emilias Kräfte begannen zu schwanken. Eine Halluzination – flackernde Schatten und verzerrte Stimmen – sprang ihr ins Gesicht.
„Verdammt!", stieß sie aus, während sie zurücktaumelte.
Felix fing sie auf, ohne dass sie überhaupt merkte, wann er sich an ihre Seite gestellt hatte. „Du machst das gut", sagte er leise, aber bestimmt. „Aber dein Fokus ist zu starr. Lass mich dir helfen, und es wird schneller gehen."
„Ich ...", begann Emilia, doch sie biss sich auf die Lippe. Sie hasste es, Hilfe anzunehmen, doch die brennende Energie des Schreins war zu stark für sie allein.
Felix kniete sich neben sie und legte seine Hand auf den Boden. „Du leitest, ich stütze. Also los."
Gemeinsam bündelten sie ihre Kräfte. Emilia lenkte das Mana, während Felix es mit seiner Präsenz stabilisierte. Die Energie begann sich langsam zu beruhigen, der wilde Rhythmus des Schreins wurde gleichmäßiger. Als die letzten Halluzinationen in Luft verpufften, fiel Emilia beinahe vor Erschöpfung nach vorne.
Felix grinste und hielt sie fest. „Siehst du? Du hast es geschafft. Fast alleine."
Emilia stöhnte und stemmte sich mühsam auf die Beine. „Du bist unmöglich."
„Vielleicht. Aber ich bin auch effizient", sagte Felix schmunzelnd und half ihr, den Schrein ein letztes Mal zu überprüfen.
Die Straßen des spirituellen Viertels waren wieder lebendiger, jetzt wo das Mana des Schreins beruhigt war. Emilia und Felix gingen nebeneinander, wobei Felix keine Gelegenheit ausließ, sie mit einem seiner Kommentare zu ärgern.
„Also, Amy, erklär mir nochmal ganz langsam, warum du zu einem komplexen Auftrag wie diesem ganz alleine aufgebrochen bist? Wolltest du mir imponieren oder einfach nur beweisen, dass du hartnäckiger bist als ein Troll?"
Emilia seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich wollte beweisen, dass ich es alleine kann. Nicht alles braucht einen Babysitter, Felix."
„Babysitter?" Felix hob die Augenbraue und grinste schief. „So, so. Wenn das hier Babysitting war, dann hättest du vorhin beinahe aus dem Kinderwagen gekippt."
„Ich bin nicht hingefallen!" protestierte Emilia, blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Du hast mich gestört! Hättest du nicht so plötzlich eingegriffen, hätte ich das Mana auch alleine stabilisiert."
Felix lachte leise, sein Goldfarbenes Funkeln ruhte auf ihr. „Natürlich. Du hättest bestimmt noch zehn Minuten länger mit dem Mana gestritten und dir dann die Haare ausgerissen." Er deutete mit dem Finger auf ihre Stirn. „Übrigens, du hast da immer noch diesen konzentrierten Wutfaltenblick."
Emilia schlug seine Hand beiseite und schnaubte, versuchte aber, ihr Lächeln zu verstecken. „Felix, du bist unmöglich. Statt dich über mich lustig zu machen, könntest du mir auch einfach mal gratulieren, dass ich es geschafft habe!"
„Gratulieren? Fürs Fast-Scheitern?" Felix zuckte gespielt mit den Schultern. „Na gut: Herzlichen Glückwunsch, Amy. Du bist die sturste Neumond-Schamanin, die ich kenne."
„Besser als die faulste Todsünde der Völlerei", konterte Emilia und grinste triumphierend.
Felix schnaubte gespielt empört. „Autsch. Das war unter der Gürtellinie."
Sie gingen weiter, Felix einen Schritt hinter ihr, während Emilia sich bemühte, ihn zu ignorieren. Doch er ließ einfach nicht locker.
„Weißt du", begann Felix erneut, „wenn man sich so sehr überschätzt wie du heute, könnte man meinen, du versuchst, die Gilde bald im Alleingang zu retten."
„Felix", warnte Emilia, ohne sich umzudrehen.
„Und sag mir bitte: Wer hat dir beigebracht, so kopflos in Probleme zu rennen? Lass mich raten – war's Gray? Jake? Oder hast du das Talent einfach von Geburt an?"
Emilia blieb abrupt stehen. Felix bemerkte es zu spät und lief beinahe in sie hinein. „Was—?" begann er, doch bevor er weitermachen konnte, drehte sie sich um, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm kurzerhand einen Finger gegen seine Lippen.
„Pssst", machte Emilia leise und sah ihn mit gespielt ernster Miene an. „Es gibt nur einen Weg, dich zum Schweigen zu bringen. Und ich wette, der funktioniert genauso gut wie dieser hier."
Felix' Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde. Emilia grinste schelmisch, zog ihren Finger zurück und ließ ihn einfach stehen. Für einen Moment – und das war selten – fiel Felix nichts Schlagfertiges ein. Sein sonst so charmant provozierendes Lächeln war einem leicht perplexen Ausdruck gewichen.
„Das ... war gemein", murmelte Felix schließlich, während er ihr folgte.
„Oh, war es das?" Emilia sah unschuldig über die Schulter. „Ich nenne es effizient. Genau dein Lieblingswort, oder?"
Felix schnaubte leise und schüttelte den Kopf. Ein Lächeln zog sich dennoch langsam über seine Lippen. „Du bist wirklich schlimmer als Gray."
„Und du bist schlimmer als ein bellender Gefährte", konterte Emilia fröhlich.
Felix sagte nichts mehr, sein Grinsen blieb, während er sie schweigend bis zur Schamanen-Gilde begleitete.
♾️
Die Sonne war bereits hoch am Himmel, doch die Lobby des Gasthauses war ruhig. Die anderen waren beschäftigt, und Jake hatte gerade die letzten Papierstapel vom Tisch geräumt, die sie zuvor zusammengetragen hatten. Die Informationen aus den Chroniken und dem Elysiums Forum waren endlich sortiert, und Jake lehnte sich kurz zurück, den Blick prüfend auf Gray gerichtet.
Gray saß da, die Arme locker auf die Sessellehnen gestützt, doch sein Blick war irgendwo in der Ferne. Er wirkte ungewöhnlich nachdenklich – fast verloren, und das war bei ihm selten. Jake ließ seinen Blick nicht von ihm ab, ehe er schließlich aufstand und sich zu Gray gesellte.
„Gray, was ist los?" Jake klang ruhig, aber direkt. „Du wirkst ein wenig ... abwesend."
Gray hob den Kopf, seine silberblauen Augen begegneten Jakes Blick, doch er hielt ihm nicht lange stand. Stattdessen ließ er ein schweres Seufzen hören. „Es ist nichts", murmelte er schließlich und ließ seinen Blick zu Boden gleiten. „Ich bin nur ein bisschen ... in Gedanken. Grüble vor mich hin."
Jake hob eine Augenbraue und ließ sich ihm gegenüber auf einen der Sessel fallen. „Das ist nicht gerade beruhigend. Was beschäftigt dich?"
Gray zögerte, ehe er schließlich antwortete. „Ich weiß es nicht genau. In der Küche heute Morgen habe ich alles falsch gemacht. Hab das Frühstück versalzen, dann ist mir auch noch etwas angebrannt. Die anderen meinten, ich sollte eine Pause machen, aber ..."
Jake unterbrach ihn mit einem leichten Lächeln. „Du? Gestresst? Das passt überhaupt nicht zu dir."
„Vielleicht bin ich's ja", sagte Gray mit einem schiefen Lächeln und zuckte die Schultern. „Aber ich weiß nicht mal, warum."
Jake musterte ihn kurz, ehe er entschlossen nickte. „Dann ist genau jetzt der richtige Moment, dich von hier wegzubewegen. Ich wollte gerade zum Kolosseum. Taurus Rex einen Besuch abstatten."
Gray hob eine Augenbraue. „Taurus Rex? Was willst du denn von ihm?"
Jake zuckte mit den Schultern. „Sagen wir, ich finde es ungewöhnlich, dass er sich noch nicht hat blicken lassen."
Gray hob den Kopf, sein Interesse war geweckt. „Willst du wissen, warum?"
Jake stand auf, hielt Gray die Hand hin und grinste. „Genau. Also, komm mit, wenn du Zeit hast. Ich könnte deine Gesellschaft gebrauchen."
Gray sah ihn für einen Moment an, ehe ein leises Lächeln seine Lippen umspielte. „Na gut", sagte er und ergriff Jakes Hand, um sich hochziehen zu lassen. „Danke. Ich denke, das ist genau die Ablenkung, die ich brauche."
„Perfekt", sagte Jake zufrieden, während er die letzten Papiere in eine Tasche steckte. „Dann lass uns loslegen. Vielleicht finden wir ja nicht nur Antworten, sondern auch einen Grund, warum du plötzlich Dinge anbrennen lässt."
Gray schnaubte leise, aber der leichte Humor lockerte die Stimmung. Gemeinsam verließen sie das Gasthaus und machten sich auf den Weg.
.....
Der gewaltige Vorplatz des Kolosseums war wie immer voller Dämonen. Die riesige Schlange zog sich fast bis zur nächsten Straßenkreuzung, und das laute Stimmengewirr vermischte sich mit dem metallischen Klirren von Rüstungen und dem energischen Rufen der Aufseher.
„Natürlich", murmelte Jake genervt, als sie das Ende der Schlange passierten. „Ohne Tickets lassen sie uns nicht rein."
Eine der Wachen trat grimmig vor, ein breitschultriger Dämon in glänzender Brustplatte. „Keine Tickets, kein Eintritt. Heute ist ein Kampf um die ‚Eiserne Klinge' – es gibt keine Ausnahmen."
Jake trat einen Schritt vor, seine Stimme bedrohlich tief. „Hör zu. Wir sind nicht wegen der Aufführungen hier. Wir wollen zu einem eurer Kämpfer – Taurus Rex. Es ist wichtig."
Die Wache hob abwehrend die Hände. „Ohne Ticket kein Zutritt. Egal, was ihr wollt."
Jakes Augen verengten sich, und er knurrte leise. Gerade wollte er einen weiteren Versuch starten, als Gray plötzlich neben ihm trat und eine Hand beruhigend auf seine Schulter legte. „Bleib locker, Jake. Die sind harmlos."
Jake schnaubte, nickte aber und trat einen Schritt zurück. „Mach du das. Du kannst besser mit Leuten reden."
Gray trat vor und musterte die Wachen. Seine Stimme war anfangs ruhig, fast schon höflich. „Wir wollen Taurus Rex sprechen. Wir haben keine Zeit, uns für euer Theaterstück anzustellen."
„Kein Zutritt ohne Ticket. Regeln sind Regeln", wiederholte die Wache stur.
Gray hob den Kopf, sein Blick verschärfte sich. „Regeln? Ach, Regeln." Ein bitteres Lächeln zuckte über seine Lippen. „Euer Kolosseum ist ein stinkendes Loch aus Blut und Schweiß, und ihr wagt es, uns aufzuhalten, weil wir kein verdammtes Ticket haben?"
Jake, der hinter Gray stand, hob überrascht die Brauen. Das klang schärfer, als es sollte.
„Was hast du gerade gesagt?" fragte die Wache drohend.
Gray trat einen Schritt näher, sein Tonfall zynisch und schneidend. „Habe ich zu leise gesprochen? Ich sagte, euer ach so glorreiches Kolosseum ist ein verdammtes Loch. Ihr wollt uns aufhalten? Für diesen armseligen Haufen an Regeln, die sowieso niemanden interessieren?"
Die Wache zog die Schultern zurück, ihre Hand zuckte leicht in Richtung ihrer Waffe. „Ihr wollt Ärger, oder was?"
„Ärger?" Grays Stimme war jetzt tief und bissig. „Ihr steht vor mir, plustert euch auf und nennt das Sicherheit? Ihr spielt Türsteher in einem Stall voller Schläger und glaubt, ihr könnt mir den Weg versperren?"
Jake blinzelte, verblüfft über den plötzlichen Tonfall seines Freundes. Gray – gereizt? Das war seltsam. Es war nicht der Zorn, den Jake erwartet hätte. Kein aufwallendes Gefühl, das durch die Luft vibrierte. Keine Schwingungen. Und doch war da eine knisternde Spannung, als wäre Gray kurz davor, jemandem die Faust ins Gesicht zu rammen.
„Gray, beruhig dich", sagte Jake leise und legte ihm die Hand auf die Schulter. Doch Gray schüttelte sie ab.
„Nein, Jake", sagte er scharf, ohne den Blick von der Wache zu nehmen. „Ich hab genug von diesen dämlichen, wichtigtuerischen Regeln."
„Das reicht jetzt", knurrte die Wache und trat bedrohlich einen Schritt näher. „Noch ein Wort, und ihr werdet von hier wegge—"
„Von hier weggejagt?", unterbrach Gray laut und trat plötzlich nach vorne, so nah, dass sich ihre Nasen fast berührten. Seine Augen funkelten kalt. „Wag es. Versuch's ruhig. Ich verspreche dir, das endet für dich nicht gut."
Jake reagierte sofort. Mit einem festen Griff legte er beide Hände auf Grays Schultern und zog ihn mit einem kräftigen Ruck nach hinten. „Gray! Genug jetzt!" Seine Stimme war scharf, aber besorgt.
Gray riss sich zwar nicht los, aber sein Blick blieb auf die Wache geheftet, wie ein Raubtier, das kurz davor war zuzuschlagen. Schließlich ließ er ein kurzes, bitteres Lachen hören. „Was für ein armseliger Haufen."
Die Wache, sichtlich irritiert und verunsichert, nahm einen Schritt Abstand. Jake zog Gray weiter von ihnen weg, bis sie ein paar Meter zwischen sich und die Wachen gebracht hatten.
„Was zum Abyss war das gerade?" fragte Jake, und seine Stimme klang mehr überrascht als verärgert. „Gray, was ist los mit dir?"
Gray rieb sich die Schläfen, seine Schultern entspannten sich langsam. „Keine Ahnung", murmelte er und sah Jake ausdruckslos an. „Ich weiß nicht, was das war."
„Das war definitiv nicht deine ruhige Wassergeist-Art", sagte Jake und musterte ihn misstrauisch. „Ich habe nichts gespürt, keine Wut, gar nichts. Aber du warst ... aggressiv. Fast zynisch."
Gray schwieg einen Moment, bevor er schließlich mit leiser Stimme sagte: „Vielleicht bin ich einfach ... gereizt. Oder müde."
Jake seufzte und schüttelte den Kopf. „Erspar mir die Ausreden. Was immer das war – es war seltsam."
Gray wandte seinen Blick ab und atmete tief durch. „Vergiss es einfach. Ich bin wieder ruhig."
„Hoffentlich", murmelte Jake und warf einen letzten Blick zurück zu den verwirrten Wachen. „Komm. Wir müssen einen anderen Weg finden, um ins Kolosseum zu kommen. Ohne, dass du jemanden umbringst."
Gray warf ihm ein halbherziges Lächeln zu. „Ich verspreche, ich lasse meine Fäuste in den Taschen."
„Gut", sagte Jake und schob ihn weiter. Doch in seinem Kopf kreiste immer noch die Frage: Was, zum Abyss, war das gerade?
------
Jake führte Gray in eine ruhigere Seitenstraße abseits des belebten Haupteingangs des Kolosseums. Die Geräusche der Menschenmenge verblassten allmählich, während die Schatten der hohen Mauern des Kolosseums über ihnen lagen.
„Okay, schlauer Kopf", sagte Gray trocken. „Wie genau willst du uns hier reinbringen? Wir haben keine Tickets, und die Wachen waren nicht gerade begeistert von deinem Charme."
Jake drehte sich um, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Ich sagte, wir brauchen keine Tickets. Alles, was wir brauchen, ist ein wenig ... Improvisation."
Gray hob eine Augenbraue. „Improvisation? Meinst du, du willst uns einfach reinfliegen lassen?"
„Nicht ganz." Jake deutete mit dem Kopf auf eine schmale Seitengasse, die an der Mauer des Kolosseums entlangführte. Am Ende der Gasse war ein kleiner Lieferanteneingang mit einem magisch versiegelten Tor zu erkennen. „Da."
„Ein verschlossenes Tor? Wirklich beeindruckend", bemerkte Gray zynisch.
Jake ignorierte den Kommentar und trat näher an die Tür heran. Er kniete sich hin und legte die Hand auf die magischen Runen, die in das Metall eingraviert waren. „Es ist eine Standardversiegelung. Ich brauche nur einen Moment."
Gray beobachtete ihn still, während Jake konzentriert arbeitete. Seine Finger glitten über die Runen, und sein Blick war fokussiert, aber ruhig. Innerhalb weniger Augenblicke begann das Tor leise zu summen und öffnete sich mit einem gedämpften Knirschen.
„Beeindruckend", murmelte Gray, sein Tonfall fast widerwillig.
Jake stand auf, klopfte sich die Hände ab und grinste. „Hättest du Zweifel gehabt?"
Gray verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, was mich mehr nervt: Dass du immer eine Lösung findest oder dass du dabei so verdammt ruhig bleibst."
Jake hielt inne und warf ihm einen Blick zu. „Ist das ... Neid, den ich da höre?"
Gray sah ihn scharf an, seine Miene verhärtete sich. „Neid? Auf dich? Kaum."
„Ach wirklich?" Jake trat näher und musterte Gray ausdrucksvoll. „Das klang gerade anders."
Gray wandte den Blick ab, aber seine Schultern spannten sich sichtbar an. „Komm. Wir haben keine Zeit für deine Psychospielchen."
Jake hielt inne, seine Besorgnis über das ungewöhnliche Verhalten seines Freundes wuchs. Gray ist nie so gereizt ... dachte er und folgte ihm durch das Tor.
--
Sie schlichen durch die dunklen Gänge des Kolosseums, die von flackerndem magischen Licht beleuchtet wurden. Das dumpfe Rauschen der Menge drang durch die Wände, während sie sich tiefer ins Innere bewegten. Jake beobachtete Gray aus den Augenwinkeln. Seine Bewegungen waren angespannt, und seine Stimmung wirkte fast brodelnd.
Schließlich hielt Jake an und packte Gray sanft am Arm. „Okay, was ist los mit dir? Du bist heute nicht du selbst."
Gray blieb stehen, sah ihn an und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch dann schüttelte er den Kopf. „Es ist nichts."
„Das sagst du, aber ich sehe das anders." Jakes Ton war ruhig, aber fest. „Gray, ich kenne dich besser als das. Du bist nicht wütend, nicht wirklich. Also ... was ist es?"
Gray wich Jakes Blick aus und trat einen Schritt zurück, seine Fäuste ballten sich unbewusst. „Lass es einfach, Jake."
Doch bevor Jake noch etwas sagen konnte, schloss Gray die Distanz zwischen ihnen und packte ihn am Kragen. Bevor Jake überhaupt reagieren konnte, drückte Gray seine Lippen auf seine, stürmisch und voller Intensität.
Jake stieß ein ersticktes Geräusch aus, seine Augen weiteten sich vor Schock. Doch Gray ließ nicht los, drängte ihn mit einer überraschenden Stärke gegen die kalte Steinwand.
„Gray!", brachte Jake schließlich hervor, als er sich für einen Moment lösen konnte. „Was zur Hölle—"
„Halt den Mund", murmelte Gray, seine Stimme rau und fast flehend. Seine Hände glitten von Jakes Kragen zu seinen Schultern, sein Griff wurde sanfter, während er seinen Kopf leicht neigte und Jake erneut küsste, diesmal langsamer, aber mit der gleichen Leidenschaft.
Jake stand wie versteinert da, überfordert von der plötzlichen Wendung der Situation. „Gray ...", begann er erneut, doch Gray hob den Kopf und sah ihn direkt an.
„Du bist so verdammt perfekt", sagte Gray leise, aber seine Stimme zitterte leicht. „Immer so ruhig, so kontrolliert. Und ich ..."
Jake konnte nichts erwidern, völlig aus der Fassung gebracht von der Intensität, die in Grays Augen lag.
„Du bringst mich um den Verstand, Jake", flüsterte Gray schließlich und ließ seine Stirn gegen Jakes sinken. „Ich ... weiß nicht, was mit mir los ist."
Für einen Moment war die Luft zwischen ihnen schwer, nur das leise Rauschen der Menge war im Hintergrund zu hören. Jake legte schließlich vorsichtig eine Hand auf Grays Schulter. „Gray ... wir müssen reden. Aber ... nicht jetzt. Nicht hier."
Gray atmete tief durch, zog sich langsam zurück und richtete sich auf. „Schon gut", sagte er und versuchte ein schiefes Lächeln, das jedoch nicht ganz überzeugend wirkte. „Vergiss es einfach. Ich ... bin nur müde."
Jake sah ihn an, seine Besorgnis deutlich sichtbar. „Das werde ich ganz sicher nicht vergessen."
„Natürlich nicht", murmelte Gray, ehe er sich abwandte. „Komm. Lass uns Taurus Rex finden."
Jake folgte ihm langsam, seine Gedanken wirbelten durcheinander. Was war das gerade? Und warum fühlt es sich an, als wäre es nur die Spitze des Eisbergs?
Jake und Gray näherten sich der Rezeption im Inneren des Kolosseums, wo eine junge Dämonin mit glasigen, gelangweilten Augen hinter einem Holztresen saß. Sie kaute auf etwas, das nach einem zerbröselten Kräuterbonbon aussah, und blickte kaum auf, als Jake an den Tresen trat.
„Wir suchen Taurus Rex", sagte Jake mit seiner gewohnt direkten, kühlen Art.
Die Rezeptionistin hob träge den Blick, ließ ihn und Gray einmal abschätzend über die Ränder ihrer Brille gleiten und murmelte: „Er kämpft erst am Abend."
Gray zog die Stirn kraus. „Das ist seltsam", sagte er leise. „Ich habe mir seine Kämpfe notiert, und nach meinem Plan müsste er tagsüber in der Arena sein."
Die Rezeptionistin zuckte mit den Schultern. „Er kämpft am Abend", wiederholte sie, ihre Stimme unbeeindruckt. „Wenn Sie ihn suchen, versuchen Sie es in einer der Kasernen. Die meisten Kämpfer sind dort, saufen oder was auch immer sie tun."
Jake schüttelte kaum merklich den Kopf und wandte sich ab. „Danke für nichts."
Gray folgte ihm und seufzte. „Jake, was machen wir? Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er bestimmt nicht wie die anderen Kämpfer trinken geht."
Jake nickte. „Da hast du recht. Wenn er nicht hier ist, versuchen wir es später nochmal."
Sie durchquerten die Gänge in Richtung des Lieferanteneingangs, das Rauschen der Menge hinter sich lassend. Der Lichtwechsel von den flackernden Lampen der Arena zu dem gedämpften Dämmerlicht des Hinterhofs war beinahe beruhigend. Jake öffnete die Tür, und Gray schob sich hindurch, als sie plötzlich innehielten.
„Oh", sagte eine tiefe, samtige Stimme aus dem Schatten. „Was für ein Vergnügen. Ein Wassergeist und ein Teufel. Wer hätte gedacht, dass ich heute solche Gesellschaft bekomme?"
Als Jake und Gray hindurch traten, fiel ihr Blick sofort auf die schlanke Gestalt, die lässig gegen die Wand gelehnt stand. Die Arme vor der Brust verschränkt, strahlte er eine elegante Selbstsicherheit aus, die selbst in der Dämmerung des schmalen Hofs nicht zu übersehen war. Sein Nasenpiercing reflektierte das magische Licht über ihm, und sein feines Lächeln hatte etwas Unverfrorenes.
„Ihr beiden", sagte er mit ruhiger, aber tief vibrierender Stimme, die den Raum ausfüllte. „Seid ihr meinetwegen gekommen? Was verschafft mir die Ehre?"
Jake und Gray blieben stehen, kurz überrascht von seiner plötzlichen Anwesenheit. Es war Gray, der zuerst sprach, seine Stimme schärfer, als er beabsichtigt hatte.
„Sei, ich dachte, du kämpfst am Abend. Was soll das? Warum bist du schon hier?"
Sei hob leicht eine Augenbraue, sein Lächeln wurde breiter, und er trat langsam von der Wand weg. „Was ist los, mein süßer Wassergeist?" fragte er mit einem Hauch von Belustigung. „Etwas stimmt nicht mit dir. Das ist offensichtlich."
Jake schnaubte und verschränkte die Arme. „Also wenn es sogar dir auffällt ..."
Gray verdrehte die Augen und griff nach Seis Hand, die sich beiläufig auf sein Kinn gelegt hatte. „Ich habe nur gefragt, was du so früh hier tust", sagte er mit einem Seufzen, zog die Hand sanft von seinem Gesicht und ließ sie los.
Sei lachte leise, ein tiefer, fast melodischer Klang, der in den Gassen widerhallte. „Ist doch klar", sagte er, während er einen Schritt nähertrat. „Ich sehe mir die Kämpfe an. Immerhin brauche ich eine Strategie für meine potenziellen Gegner. Ich bin ein Kämpfer, kein Idiot."
Jake zog eine Augenbraue hoch. „Und dafür stehst du hier im Hinterhof herum?"
Seis Grinsen wurde breiter, seine orangefarbenen Augen glühten amüsiert. „Ich habe ein paar Schwingungen wahrgenommen, deswegen bin ich hierhergekommen. Euch beide zusammen zu sehen, ist eine Seltenheit. Was verschafft mir also die Ehre?"
Er ließ seinen Blick durch den schmalen Lieferanteneingang schweifen und lehnte sich mit lässiger Eleganz gegen die Wand. „Oh, sagt mir bitte, dass meine Prinzessin auch irgendwo hier herumläuft. Warum seid ihr nicht schon längst zu mir gekommen? Ich habe sehnsüchtig auf euch gewartet."
Jake schnaubte abfällig. „Deine Prinzessin, wie du sie nennst, ist gerade in der Gilde und arbeitet fleißig."
Sei zog eine Augenbraue hoch, seine Mundwinkel zuckten belustigt. „Oh, ist sie das? Dann richtet ihr einen schönen Gruß von mir aus. Sie soll mich unbedingt mal besuchen kommen. Hat ihr der Kampf neulich gefallen? Ich habe eure Anwesenheit gespürt. Sag mir, habe ich sie beeindruckt?"
Jake lachte leise und schüttelte den Kopf. „Beeindruckt? Eher ein bisschen verschreckt, würde ich sagen."
Seis Grinsen vertiefte sich. „Das ist schon in Ordnung. Hauptsache, ich habe einen Eindruck hinterlassen."
Plötzlich spuckte Gray unvermittelt auf den Boden. Beide Männer drehten ihre Köpfe zu ihm, überrascht und mit sichtbarem Argwohn.
„Sie hat jedenfalls bis jetzt kein Wort über dich verloren", murmelte Gray, ohne Sei direkt anzusehen.
Sei richtete seinen Blick scharf auf Gray, das amüsierte Funkeln in seinen Augen wich für einen Moment einer leichten Überraschung. Jake musterte Gray ebenfalls, seine Stirn legte sich in Falten.
„Gray", begann Jake langsam, sein Tonfall prüfend, „warum spuckst du auf den Boden? Hat das einen Grund? Willst du etwas loswerden?"
Gray wirkte für einen Moment ertappt, dann schüttelte er hastig den Kopf. „Oh nein, nein. Es ... mein Mund hat gekribbelt und war so taub. Ich dachte, Spucken würde helfen. Entschuldigt, redet weiter."
Jake schüttelte den Kopf, sein Gesichtsausdruck ein Mix aus Verwirrung und leichter Besorgnis. „Gray, du wirst immer seltsamer."
Er wandte sich wieder Sei zu, ließ das Thema jedoch nicht ganz los.
Jake verschränkte die Arme und musterte Sei mit seinem typischen durchdringenden Blick. „Jedenfalls, Sei, würde ich gerne wissen, warum du bisher noch nicht aufgetaucht bist. Was soll das überhaupt? Warum bist du hier und kämpfst? Hat das einen besonderen Grund?"
Sei lächelte und ließ die Arme locker sinken, bevor er sich leicht zu Jake neigte. „Oh, darf ich nicht?" fragte er spöttisch. „Mir wurde berichtet, ich soll meinen Arsch nach Eversum schwingen. Unterwegs bin ich Schade begegnet, und der hat mich kurzerhand dazu verdonnert, hier zu kämpfen. Also ja, ich spiele nach eurer Pfeife und warte auf weitere Anweisungen. Hat er euch nicht informiert?"
Jake und Gray tauschten einen schnellen Blick, beide sichtbar irritiert.
„Von wem redest du?" fragte Jake, seine Neugier geweckt. „Wer soll das sein – Schade?"
Gray zuckte mit den Schultern, bevor er trocken bemerkte: „Lass mich raten, jemand, den wir kennen sollten?"
Seis Grinsen wurde breiter, und er richtete sich auf. „Ich rede von unserem Schattenwandler. Er hat mich unterwegs hierher aufgegabelt und gesagt, dass auch er von Ash benachrichtigt wurde. Übrigens war er nicht gerade erfreut darüber, wie kurz die Infos in Ashs Botschaft waren."
Sei hob eine Hand, als würde er ein Schriftstück vorlesen, und seine Stimme wurde absichtlich übertrieben ernst: „Kommt nach Eversum. Findet einen Weg in den Rat. Sammelt Informationen. Drei verkackte Sätze! Und dann noch: Haltet Ausschau nach Gestaltwandlern – unseren Feinden."
Sei ließ die Hand sinken und schüttelte gespielt enttäuscht den Kopf. „Was soll das bitte für ein Brief sein? Ich dachte erst, nur ich hätte einen solchen bekommen, aber nein. Schade bekam genau denselben Unsinn. Und ich wette, einige der anderen auch. Warum schickt ihr uns solche Botschaften und sagt dann nichts weiter?"
Jake und Gray sahen sich für einen Moment an, bevor beide lachten.
„Oh verdammt, Ash", sagte Jake und schüttelte den Kopf. „Das hat er nicht getan."
Gray grinste und nickte. „Sei, du weißt doch, wie er ist. Ash war das wohl zu mühsam, und er hat sich auf das absolut Nötigste beschränkt."
Jake rieb sich die Schläfen. „Ich werde in Zukunft lesen, was er schreibt, bevor wir es losschicken. Der kann sich auf was gefasst machen."
Sei lachte und zuckte mit den Schultern. „Für mich waren die Infos ausreichend. Ich denke, für ein paar der anderen Essenzen war das ebenfalls okay. Aber Schade ..." Er ließ ein tiefes, belustigtes Lachen hören. „Schade war auf dem Weg hierher nur am Fluchen und hat seinen Brief in Fetzen gerissen."
Jake und Gray prusteten los, und selbst Sei konnte nicht widerstehen, noch einmal laut aufzulachen. Die plötzliche Heiterkeit löste die vorherige Spannung, während die drei sich für einen Moment dem gemeinsamen Lachen hingaben.
Als das Lachen verklang, schüttelte Gray leicht den Kopf. „Schön und gut, aber ich hab's nicht ganz gecheckt: Warum wollte Schade, dass du hier kämpfst? Wollte er dich einfach hier abparken und sich dann verdünnisieren?"
Gray lachte trocken, doch Sei richtete seinen Blick scharf auf ihn. „Warum so frech heute, Gray? War dein Frühstück versalzen oder was?"
Gray verstummte abrupt, seine Haltung wurde plötzlich ruhig und fast schüchtern. Er wich Seis Blick aus und murmelte leise: „Ja, das war es wirklich."
Jake brach in schallendes Gelächter aus, und Sei stimmte ein, bevor er langsam auf Gray zuging. Mit einer unerwartet sanften Geste legte er ihm die Hand auf den Kopf und strich ihm beruhigend durch die Haare.
„Ich weiß nicht, was du hast, mein Lieber", sagte Sei mit einem warmen Lächeln, das Gray direkt in die Augen traf. „Aber beruhige dich. Es wird schon wieder."
Gray sah Sei für einen Moment überrascht an, dann erwiderte er das Lächeln zaghaft. „Ich danke dir, Sei. Schon gut."
Sei ließ seine Hand sinken, trat einen Schritt zurück und hob dann die Arme, um Jakes und Grays Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Und um eure Frage zu beantworten: Ich bin hier wegen des Preisgeldes."
Jake lehnte sich an die Wand, seine Arme locker vor der Brust verschränkt. „Preisgeld? Sei, bist du plötzlich geldgierig geworden?"
Sei stöhnte auf und hob eine Augenbraue. „Sehe ich so aus? Nein, ihr Narren, habt ihr nichts vom Preis gehört, den man hier gewinnen kann?"
Jake und Gray tauschten einen fragenden Blick, bevor Sei weitersprach. „Der erste Platz bringt 100 Goldkronen, eine Führung durch das Innere des Elysiums Forums und ein Mittagessen mit einem der Führungsmitglieder des Rates. Der Gewinner darf sogar eine Begleitperson mitnehmen."
Gray pfiff leise durch die Zähne. „Das ist wirklich großzügig. Und das war in aller Munde, sagst du?"
Sei nickte. „Als wir hier ankamen, wurde nur darüber geredet. Daraufhin hat Schade mich hier abgesetzt – mit den Worten, ich dürfe mich erst blicken lassen, wenn ich den ersten Platz in der Tasche habe. Und, oh ja, ich solle fokussiert bleiben. Selbst wenn meine Prinzessin plötzlich in der Stadt auftaucht."
Sei lachte bitter und fuhr fort: „Wenn ich es vermassle, hat Schade mir persönlich gedroht, mich zu malträtieren. Also kämpfe ich hier Tag für Tag. Und jetzt stehe ich bereits unter den Finalisten."
Jake und Gray sahen Sei mit einer Mischung aus Überraschung und Anerkennung an. Jake klopfte Sei fest auf die Schulter. „Wow, Sei, ich bin beeindruckt. Du hast dir ein Lob verdient. Aber diese Einladung gilt nur für eine Begleitperson? Das ist ärgerlich. Aber ... ich begleite dich gern."
Sei zog die Stirn kraus und stöhnte. „Bist du des Wahnsinns? Klär das mit Schade. Ganz ehrlich, ich würde viel lieber meine Prinzessin zu diesem Date mitnehmen. Aber Schade ist scharf darauf, mitzukommen. Und, um ehrlich zu sein, ich will eigentlich gar nicht zu diesem Ratstreffen, aber ich habe keine Wahl."
Gray hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Bleibt locker. Wir finden einen Weg."
Jake nickte, doch dann fragte er: „Was ist eigentlich mit Schade? Ist er hier? Was macht er?"
Sei schüttelte den Kopf, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Ich hab ihn seitdem nicht gesehen. Er kommt und geht, wie es ihm beliebt. Was soll ich dazu sagen?"
Die drei standen einen Moment schweigend da, während die Worte nachklangen. Es war klar, dass ihre nächsten Schritte von Schades rätselhaftem Verhalten und Seis Kampf abhängen würden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro