Väter
Joshs Sicht - Ein Jahr zuvor:
,,Hallo Dad, ich freue mich, dass du anrufst.'', meldete ich mich, als ich den Anruf annahm.
Es war gut, dass er nicht direkt vor mir stand. Ansonsten hätte er mitbekommen, dass ich nun ziemlich unruhig war. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn er anrief. Meistens tat er das, wenn er plötzlich mal wieder keine Zeit harre und das Treffen absagen musste. Mittlerweile kannte ich schon alle Ausreden.
,,Es tut mir leid, mir ist leider etwas dazwischen gekommen. Heute schaffe ich es nicht zum Abendessen nach Hause.''
,,Josh, kannst du bitte deine Schwester abholen? Ich hatte es versprochen, sie nach dem Schwimmtrainig nach Hause zu fahren, aber nun schaffe ich es nicht. Ich habe so viel zutun. Könntest du das übernehmen?''
Ich war alles andere als schockiert, als ich die Worte ,,Josh, hör mir zu. Es tut mir leid, aber ich werde heute Abend nicht kommen können. Im Büro herrscht Chaos und ich kann hier unmöglich rechtzeitig weg. Mach dir nichts draus, Selina und du könnt euch ja noch einen schönen Abend machen und wir holen das Ganze nach, ja'' hörte. Es überraschte mich keineswegs, weil ich so ein Verhalten von ihm mehr als gewohnt war und mir also keine Hoffnungen hätte machen sollen. Wir hatten dieses Abendessen schon vor einigen Wochen geplant und ich hatte mich unglaublich gefreut, dass er dieses Mal nicht direkt abgesagt hatte. Die Naivität in mir hatte tatsächlich daran geglaubt, dass er wenigsten ein einziges Mal ein guter Vater sein wollte und er Zeit mit seinem Sohn und Freundin verbringen wollte. Doch bei Daniel Elliot Harrison hatte ich mich maßgeblich getäuscht. Er hatte für alle anderen Zeit, nur nicht seine Familie. Er nicht da gewesen, als seine Tochter ihren ersten Schultag gehabt hatte. Er hatte nicht miterlebt, als sein Sohn unglaublich wütend war, weil er herausgefunden hatte, dass seine Mutter eine Affäre mit ihrem Chef angefangen hatte. Man fand ihn mehr in seinem Büro als zuhause, wo seine kleine Tochter mit großen traurigen Kulleraugen auf ihren Helden wartete und der Sohn sich mal wieder darüber aufregte, dass er keine Versprechen hielt.
„Ist okay, Dad. Kein Problem, wir verschieben das Abendessen einfach", gab ich gelassen von mir, obwohl ich eigentlich keines dieser Worte meinte.
Nichts war okay. Ich war nicht okay. Ich hätte ihn am liebsten angeschrien, dass richtige Väter nicht andauernd verschwinden würden, doch ich tat es nicht. Mir war bewusst, dass es schwach klang, doch am Ende des Tages hatte ich nicht den Mut, den meine Freundin gehabt hätte. Selina vermied keine Konfrontationen. Sie sagte immer das, was sie dachte, weil sie eben ein sehr ehrlicher Mensch war. Das war ich auch, aber wenn es um meinen Vater ging, war ich es nicht. Ehrlich zugegeben oder nicht, er hatte mich die Jahre über so sehr verletzt, dass ich mir nicht sicher war, ob man dieses zerrissene Band wieder flicken könnte. Und ja, ich nannte ihn meinen Vater und redete ihn mit „Dad" an, doch diese Bezeichnung hätte er ganz gewiss nicht verdient. Wenn er ein Dad wäre, hätte er wenigstens ein einziges Mal ein Versprechen gehalten, selbst wenn es nur daraus bestand, gemeinsam Abendessen zu gehen. Irgendwas musste ich falsch gemacht haben, ansonsten hätte er niemals in der letzten Minute noch abgesagt. Es musste an mir liegen. Ich war nicht der Sohn, den er gerne gehabt hätte.
Ich starrte auf das Display meines Handys, als ich das Gespräch beendete. Der Raum um mich herum schien immer kleiner zu werden, der Knoten in meiner Brust immer größer. Ich konnte nicht verstehen, warum mein Vater sich nie für uns interessiert hatte. Hatte er mich nicht geliebt? Hatte er uns jemals wirklich gebraucht? Warum war er immer so in seine Arbeit vertieft und hatte niemals Zeit für uns?
Ein leises „Warum?" hallte in meinem Kopf wider, aber ich wusste, dass ich keine Antwort von ihm bekommen würde. Nicht heute, nicht morgen, vielleicht niemals.
Ich spürte, wie Wut in mir aufstieg, eine Wut, die ich lange nicht mehr in mir gefühlt hatte. Er hatte uns doch versprochen, heute zu kommen. Und dann das! Es war nicht das erste Mal, und es würde nicht das letzte Mal sein. Ich kannte meinen Vater schon lange genug, um zu wissen, dass er immer wieder auf die gleiche Weise abging.
Ich wollte nicht enttäuscht sein. Ich wollte nicht wieder traurig sein. Doch was blieb mir anderes übrig?
Es fühlte sich alles so leer an. All die Hoffnung, die ich über die Jahre hinweg immer wieder hatte aufkeimen lassen, war jetzt auf einen Schlag zerplatzt.
„Er wird nie kommen. Nie", murmelte ich vor mich hin und starrte immer noch auf das Display.
Ich versuchte mich zu sammeln, aber die Frustration wuchs weiter in mir. Warum hatte er nie ein einziges Mal wirklich zu uns gehalten? Warum hatte er nie Zeit für seine Kinder?
Ich ließ das Handy sinken und drehte mich vom Tisch weg. Die Gedanken überrannten mich, und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Warum konnte er nicht einfach mal der Vater sein, den ich immer wollte?
Auch auf diese Frage würde ich wohl nie eine Antwort bekommen.
Und doch tat es weh, dass mein Vater nie da war, wenn ich ihn brauchte. Und es tat mir noch mehr weh, dass ich diese Enttäuschung immer wieder wegstecken musste. Wenn er mich noch einmal enttäuschte, konnte ich nicht mehr einfach tun, als ob es mich nicht traf. Ich wusste, dass ich mehr von ihm wollte, aber je mehr ich hoffte, desto mehr zerbrach ein Stück von mir.
„Ich sollte einfach aufhören zu hoffen, dass er sich ändern wird", traf mich dann die Erkenntnis und war froh, dass ich allein zuhause war. Gerade war mir echt nach Reden zu Mute.
Es war nicht das erste Mal, dass ich diese Gedanken hatte. Doch heute fühlte sich alles noch schwerer an als sonst. Weil es erträglicher war, setzte ich mir ein unechtes Lächeln auf, als ich mir meine Jacke anzog und mich darauf vorbereitete, Selina bei Louise abzuholen. In dem Gewissen, dass ich ihr von der Absage erzählen musste, aber dennoch hoffte, sie würde meine Enttäuschung nicht allzu schnell bemerken, setzte ich mich ins Auto und fuhr los.
„Du bist ja wirklich überpünktlich da", meinte Selina überrascht zu mir, als ich kurze Zeit später bei Louise ankam und die letzten Stufen zu ihrer Wohnung erreichte, wo sie mir entgegenkam.
„Klar. Ich habe dir versprochen, dich abzuholen, und ich halte meine Versprechen", antwortete ich, wobei ich wahrscheinlich die einzige Person von uns war, die meinen leichten Sarkasmus hören konnte. Ich nahm ihr die Tasche ab und führte sie zum Auto.
„Danke, Josh. Ich bin froh, dass du hier bist", sagte sie leise und legte ihren Arm um meine Taille.
Ich spürte die Berührung, aber in meinem Kopf kreisten die Gedanken. Die Enttäuschung über meinen Vater, der schon wieder abgesagt hatte, war wie ein Schatten, der nicht verschwinden wollte. Aber ich konnte jetzt nicht daran denken, nicht hier, nicht bei Selina. Sie hatte es nicht verdient, mit meiner Traurigkeit und Problemen konfrontiert zu werden.
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