44 | Ein paar Antworten
• Harrison Storm - Sense of Home •
Sobald die Schule vorbei ist, packe ich meine Sachen zusammen und bin die Erste, die durch die Tür stürmt. Auch wenn ich Alec versprochen habe, ihn nicht zu besuchen, kann ich mich einfach nicht daran halten. Nicht jetzt, nicht mehr, nicht mit diesen ganzen Fragezeichen in meinem Kopf. Ich nehme den ersten Bus, der zum Hauptbahnhof fährt und fahre von dort aus weiter zum Studentenwohnheim. Als ich dort ankomme, renne ich ohne zu zögern zu den Wohnhäusern und bete inständig, dass Alec gerade auf seinem Zimmer ist und nicht in irgendeiner verdammten Vorlesung steckt.
Saras Worte spuken mir immer noch im Kopf herum. Das Wir waren mal zusammen hat mich schon erschüttert, aber das Nachdem seine Mutter sich das Leben genommen hat, hat mir ein für alle mal den Boden unter den Füßen gerissen. Ich habe gewusst, dass Alec Geheimnisse hat und ich habe versucht, mich mental auf den Tag vorzubereiten, an dem er sich mir endlich öffnet, aber mit so etwas habe auf keinen Fall gerechnet und schon gar nicht aus Saras Mund.
Eine Frage nach der anderen taucht in meinem Kopf auf, stürzt auf mich ein und schnürt mir die Kehle zu, aber die wichtigste von allen ist: Wann ist Mrs. Moranis gestorben? Diese Frage stelle ich mir nun schon den ganzen Vormittag über, aber ich komme einfach zu keinem Ergebnis. Immer wieder erinnere ich mich an das Telefonat, das wir erst vor ein paar Wochen geführt haben. Sie hat so glücklich geklungen, so unbeschwert. Ich kann nicht glauben, dass sie jetzt einfach...tot ist, dass sie sich das Leben genommen hat.
Diese ganze Geschichte scheint mir immer und immer unglaubwürdiger zu werden. Alec hätte mir erzählt, dass sie gestorben wäre – ich meine, so etwas kann man doch nicht einfach totschweigen, oder? Andererseits wirkt er in letzter Zeit zerrütteter als sonst, so als würde ihn etwas belasten.
Er ist immer müde, scheint aber kaum schlafen zu können. Die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen sind mir auch schon des öfteren aufgefallen und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, scheint er ein wenig dünner geworden zu sein. Zuerst habe ich geglaubt, dass ich es mir einbilde, vielleicht auch, dass es am Lernen liegt, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher.
Den ganzen Morgen über konnte ich mich kaum auf den Unterricht konzentrieren. Einfach zu schwänzen, kam mir aber auch nicht in den Sinn. In Biologie haben wir eine Abiturklausur aus dem letzten Jahr besprochen und ich kann mir gerade in diesem Fach keine Versäumnisse leisten, auch wenn ich am liebsten sofort zu Alec gerannt wäre und ihn zur Rede gestellt hätte.
In den Kursen, die ich mit Sara zusammen habe, habe ich sie permanent angestarrt. Vielleicht ist es ihr aufgefallen, denn sie ist andauernd unruhig auf ihrem Stuhl herumgerutscht.
Sara ist mit ihren fast zwanzig Jahren älter als wir alle, wohl die Älteste in der gesamten Stufe. Ich habe nie verstanden, warum sie damals in der Unterstufe auf einmal auf unsere Schule gewechselt ist, aber jetzt wird mir einiges klar. Vielleicht ist Alec der Grund, vielleicht sind sie auf die selbe Schule gegangen, vielleicht...vielleicht sollte ich aufhören mir schreckliche Dinge auszumalen, aber ich bekomme das Bild von den beiden einfach nicht mehr aus meinem Kopf.
Ich ertappe mich dabei, wie ich mir einen Unterstufen-Alec vorstelle, der einer Unterstufen-Sara den Arm umlegt, wie sie miteinander reden, lachen und sich küssen und dann werde ich wütend. Richtig wütend; so wütend, dass ich am liebsten schreien würde, aber ich beiße mir auf die Unterlippe und unterdrücke den Laut, der sich einen Weg durch meine Kehle bahnt.
Ihre blonden Haare, das schöne Gesicht und ihr Körper sprechen für sich. Wenn man so aussieht wie sie, muss man sich keine Gedanken darüber machen, dass die Leute über einen reden, weil man ein oder zwei Mal sitzengeblieben ist. Dass sie die Jungs mit ihrem Aussehen für sich gewinnt, ist keine Frage, aber ich kann trotzdem nicht verstehen, wie er mit ihr zusammen sein konnte. Aaron ist auf sie hereingefallen, aber wieso Alec?
Plötzlich taucht ein ganz neuer Gedanke auf. Wenn Sara behauptet, dass sie mit ihm zusammen gewesen ist und er erst Schluss gemacht hat, nachdem seine Mutter sich das Leben genommen hat, ich aber erst vor Kurzem mit ihr telefoniert habe, heißt das, dass er sie die ganze Zeit über betrogen hat. Alec hat mich geküsst, während er mit Sara zusammen gewesen ist, er hat mit mir geschlafen, während er Sara die große Liebe vorgegaukelt hat.
Wütend schüttele ich den Kopf, um die ganzen Fragen, die in meinem Kopf herumschwirren, loszuwerden.
Jetzt wo ich vor dem Gebäude stehe, fühle ich mich nicht mehr ganz so sicher. Ich schlucke schwer. Den ganzen Weg über habe ich mich von meinem Zorn leiten lassen und jetzt, wo ich hier bin, werde ich nervös. Die Anspannung ist zum Greifen nahe. Das heftige Hämmern in meinem Herz steigt mir bis in die Ohren.
Ich schließe die Augen, in der Hoffnung mich zu beruhigen, aber es klappt nicht. Meine Beine fühlen sich weich an, so als könnten sie mich nicht länger tragen und für eine Sekunde stelle ich mir die Frage, ob ich ihn nicht hätte anrufen sollen, aber so schnell wie der Gedanke gekommen ist, verschwindet er auch wieder. So etwas am Telefon zu klären, ist falsch. Wenn ich ihn nach Sara ausfrage, muss ich seinen Gesichtsausdruck dabei sehen, ansonsten werde ich keine Ruhe finden.
Vielleicht hat Sara auch gelogen...vielleicht kennt sie Alec nur flüchtig und hat gelogen, um meiner Beziehung mit Alec zu schaden. Aber wieso sollte sie das tun? Sara ist eine fiese Schlage, aber sie ist nicht grundlos böse...oder? Was ist, wenn sie sich an mir rächen möchte? Wegen Aarons Trennung? Aber hätte sie das nicht auch anders tun können?
Ich raufe mir gerade frustriert die Haare, als ich jemanden meinen Namen rufen höre. Erschrocken fahre ich zusammen und drehe mich um. Vor mir steht Levin – Alecs Freund, den ich schon bei meinem letzten Besuch hier getroffen habe. Ich atme erleichtert auf. Für einen Augenblick habe ich befürchtet, dass er Alec ist.
Levin hat die Haare kürzer und aus irgendeinem Grund finde ich, dass ihm diese Kurzhaarfrisur besser steht. Er sieht jünger damit aus, aber auch attraktiver. Mein Blick wandert über sein Gesicht und dann weiter runter. Er hält die Hand eines anderen Jungen, der mir erst jetzt auffällt, und zwinkert mir zu, als sich unsere Blicke schließlich wieder kreuzen.
»Das ist Amir«, sagt er und zeigt auf den großen, blonden Jungen neben ihm. Amir nickt mir lächelnd zu, ohne etwas zu sagen. Levin lacht bei meinem verdutzen Blick. »Er ist stumm...schätze ich. Jedenfalls hat er noch nie etwas gesagt, hab ihn erst vor ein paar Tagen auf einer Party kennengelernt, aber dafür kann er verdammt gut küssen.«
»Hey«, keuche ich, immer noch erschöpft von meinem Marsch hierhin. Ich ringe mir ein Lächeln ab, aber es muss schlimm aussehen, denn plötzlich legt Levin den Kopf schief und mustert mich seltsam. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass er sich wirklich Sorgen um mich macht. Seine braunen Augen beruhigen mich ein wenig. »Du siehst blass aus. Ist alles okay?«
»Nein...äh, ich meine ja. Alles okay«, murmele ich und streiche mir die Haare hinters Ohr. »Hör mal...ähm, hast du vielleicht...Alec gesehen? Oder weißt du, ob er noch in einer Vorlesung sitzt?«
Levin schüttelt den Kopf. »Er hatte heute morgen eine Vorlesung, aber inzwischen müsste er auf seinem Zimmer sein.« Auf einmal tritt er einen Schritt auf mich zu und packt mich am Arm, um mich ein wenig von Amir wegzuziehen, der scheint nichts dagegen zu haben. Mit zusammengezogenen Brauen mustert Levin mich. »Weißt du was mit Alec los ist?«
Ich antworte nicht, aber ihn scheint das nicht zu stören, denn er spricht einfach weiter:»Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang, Becca, und er hat einiges in seinem Leben einstecken müssen. Eigentlich habe ich gedacht, dass das der Vergangenheit angehört, aber in letzter Zeit sieht er nicht gut aus. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er ist...« Er beugt sich weiter zu mir vor. »Er ist heute Morgen auf dem Campus zusammengebrochen. Ich wollte ihn ins Krankenhaus bringen, aber er meinte, dass das nicht nötig wäre. Er ist...einfach aufgestanden und gegangen, als wäre nichts passiert.«
Alec ist zusammengebrochen? Eigentlich sollten Levins Worte mich erschüttern, aber das tun sie nicht. Natürlich bin ich schockiert, aber nicht so sehr, wie ich wahrscheinlich sein sollte. So wie Alec im Moment aussieht und so wie er seinen Körper überanstrengt, ist es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er nicht mehr kann. Und wenn er so weiter macht, ist dieser Zusammenbruch auf dem Campus wohl erst der Anfang gewesen.
»Er kann nicht schlafen. Schlafstörungen«, sage ich mehr zu mir selbst und denke über Levins Worte nach. Warum kann Alec nicht einfach über seinen Schatten springen und sich jemandem anvertrauen? Irgendetwas hält ihn doch offensichtlich wach, aber ich weiß einfach nicht, was es ist. »Ich rede mit ihm. Danke Levin.« Ich drehe mich um und laufe los. Ich muss unbedingt zu Alec, sonst platze ich noch.
Unten steht die Tür offen, also renne ich sofort in das Gebäude und auf den Fahrstuhl zu. Vierter Stock, Zimmer 412 – daran erinnere ich mich noch ganz genau, immerhin bin ich schon einmal hier gewesen.
Als sich die Türen des Fahrstuhls im vierten Stock öffnen, schlucke ich. Am liebsten würde ich direkt wieder nach unten fahren, aber ich muss hier durch.
Nicht nur meine Hände zittern, sondern auch meine Beine. Ich laufe durch den Gang, direkt auf Alecs Zimmer zu, atme noch einmal tief ein und aus und versuche meine Gedanken zu sammeln, mich zu sammeln. Alles um mich herum scheint sich zu drehen, aber nachdem ich die Augen kurz schließe und mich beruhige, ist alles wieder normal. Ich zögere ein letztes Mal und klopfe dann leise an die Tür.
Zuerst passiert gar nichts, doch dann höre ich Schritte von drinnen. Ich presse die Lippen aufeinander und halte die Luft an.
»Levin, ich hab' dir gesagt, ich muss für Anatomie-« Er hält mitten im Satz inne und starrt mich an. Es dauert einige Sekunden, bis er zu begreifen scheint, dass nicht Levin vor ihm steht, sondern ich. Ich kann anhand seines Gesichtsausdrucks erkennen, wie es in seinem Kopf arbeitet. Er zieht die Brauen zusammen. »Rebecca?«
»Überraschung«, rufe ich leise und zwinge mich zu einem Lachen. Im ersten Moment denke ich, dass er mich jeden Augenblick anschreien und mir sagen wird, dass ich nach Hause soll, aber als ich sehe, dass sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln heben, fällt mir ein Stein vom Herzen.
»Darf ich rein?«, frage ich und zeige auf sein Zimmer.
»Na klar«, sagt er und tritt zur Seite, so dass ich rein kann. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich glaube, dass seine Augenringe noch dunkler und tiefer sind als heute Morgen, als ich ihn zuletzt gesehen habe. Ich möchte nicht daran denken, was Levin mir erzählt hat, dass Alec heute zusammengebrochen ist, aber ich kann nicht anders.
Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, drehe ich mich um. Alec kommt gerade auf mich zu und will mich küssen, doch ich schiebe ihn von mir. Ich bin nicht wütend auf ihn, ich kann ihn einfach nur nicht küssen, wenn mir so viel auf dem Herzen liegt.
Er runzelt die Stirn. »Was ist los?«
Ich gehe weiter durchs Zimmer und schaue mich um, als wäre ich wegen einer Wohnungsbesichtigung hier und nicht, um mit ihm zu reden. Mein Blick fällt auf ein paar einzelne Fotos, die auf seinem Tisch liegen, aber als ich sie mir näher ansehen möchte, greift Alec an mir vorbei, nimmt die Fotos und schiebt sie unter eins der Bücher, die zahlreich auf dem Tisch liegen.
Langsam drehe ich mich um und sehe ihn an. »Was war das für ein Foto?«
»Nur ein altes Kinderfoto«, meint er und reibt sich müde über die Augen.
Ich schaue zu seinem Bett herüber und erinnere mich an die Schlaftabletten, die ich beim ersten Mal hier gefunden habe. Und dann fällt mir das Fotoalbum wieder ein, bei dem er so gereizt reagiert hat. »Und wieso darf ich das nicht sehen?«
»Unvorteilhaftes Foto.« Er geht an mir vorbei und setzt sich seufzend auf sein Bett. Mein Blick hängt an ihm, während er sich sich den Nacken massiert, als wäre er verspannt.
Wenn heute Halloween wäre, würde Alec vermutlich als Tod höchstpersönlich durchgehen und das ohne jedes Kostüm. Ein sehr attraktiver, großer Tod, aber immer noch der Tod.
Ich weiß, dass er mich anlügt, was das Foto angeht. Jetzt weiß ich ganz sicher, dass er lügt...außer Sara ist hier diejenige, die lügt. Aber dass Alec Geheimnisse vor mir hat, ist offensichtlich.
Ich will das Foto unter dem Buch hervor reißen und es mir ansehen, aber ich halte mich zurück. Ich möchte ihn auf keinen Fall bedrängen und die Art von Freundin sein, die ihrem Freund immer hinterher schnüffelt und Streit sucht. Wegen dem Foto bin ich schließlich auch nicht hier, sondern wegen der Sache mit Sara.
»Alec«, sage ich und atme tief ein und aus, bevor ich weiterspreche:»Ich habe nichts gegen die Mädchen, mit denen du was hattest und auch nichts gegen Geheimnisse...ich meine, wir sind erst seit Kurzem zusammen, aber im Ernst - deine mysteriöse Ex-Freundin ist Sara? Es hätte echt jedes Mädchen auf diesem gottverdammten Planeten sein können, aber wieso gerade sie?«
Die Hand, mit der Alec sich bis eben noch den Nacken massiert hat, hält mitten in der Bewegung inne. Er hebt den Blick und starrt mich verblüfft an. Verwirrung ist ihm ins Gesicht geschrieben und für eine Sekunde bete ich, dass Sara sich nur wichtig machen wollte und gelogen hat, aber auf einmal fällt ein Schatten auf seine Züge. »Woher kennst du sie?«
»Weich nicht meiner Frage aus, indem du mir eine stellst«, blaffe ich ihn an. Er weicht meinem Blick aus, beißt sich auf die Unterlippe und starrt auf den Boden. Sekunden verstreichen, als er sich seufzend durchs Haar fährt. »Schön, ja, ich war mit ihr zusammen, Rebecca.«
Ich presse die Lippen aufeinander. Den ganzen Weg über habe ich über Saras Worte nachgedacht, es aber jetzt von Alec zu hören, trifft mich härter, als es das sollte. Ich sehe ihn an und frage:»Wie lange? Wann? Wieso?«
Alec ignoriert meine Fragen. Er steht auf und tritt auf mich zu. »Hör mal, ich verstehe nicht-«
»Wir sind in der selben Stufe.«
Er runzelt die Stirn. »Das ist doch gar nicht möglich.«
»Sie ist ein paar Mal sitzen geblieben. Zwei mal, glaube ich«, erkläre ich ihm. Dass er das nicht weiß, erleichtert mich ungemein. Wenn er vor Kurzem noch Kontakt zu ihr gehabt hätte, dann hätte er es doch wissen müssen, nicht wahr?
»Heute Morgen meinte sie, dass sie uns zusammen in der Stadt gesehen hat, dann hat sie mir erzählt, dass...« - deine Mutter sich das Leben genommen hat - »...ihr zusammen gewesen seid. Alec, ich habe mich wie ein Vollidiot gefühlt.«
»Es tut mir leid«, sagt er und scheint es auch ehrlich zu meinen. »Ich wusste nicht, dass du sie kennst, Beccs. Wenn ich gewusst hätte, dass es dir wichtig wäre, dann hätte ich es dir erzählt, aber es ist nicht wichtig. Sie ist nicht wichtig.«
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, also sage ich nichts. Es fühlt sich seltsam an zwischen uns, jetzt wo die Bombe geplatzt ist. Zwei Bomben, aber dass ich von der zweiten weiß, weiß Alec nicht und in diesem Moment schaffe ich es auch nicht, es ihm zu sagen. Ich habe immer noch mit der ersten Bombe zu kämpfen. Es sollte mir nicht so viel ausmachen, aber das tut es trotzdem.
Mein Schweigen scheint Alec nur noch unruhiger zu machen, denn er reibt sich nervös über das Gesicht und tritt weiter auf mich zu, bis er direkt vor mir steht. »Wir waren noch Kinder. Sie ist vielleicht zwölf gewesen und ich war erst dreizehn oder vierzehn. Wir sind über zwei Jahre miteinander ausgegangen, danach habe ich Schluss gemacht.«
Die Tatsache, dass die beiden noch Kinder waren, hebt meine Laune kein Stück. Vielleicht sollte ich glücklich darüber sein, nur leider geht das nicht. Noras Stimme taucht in meinem Kopf auf, als sie Loreen und mir auf der Party letztens erzählt hat, dass Sara ihr erstes Mal mit zwölf gehabt hat - sie war auch zwölf, als sie mit Alec zusammen gekommen ist und das ist alles woran ich denken kann.
Langsam hebe ich den Kopf. »Wieso hast du Schluss gemacht?«
Mit einem Mal weicht die Verzweiflung aus Alecs Blick. Er verzieht das Gesicht und funkelt mich wütend an. »Was soll das hier werden? Ein Verhör?«
»Alec, bitte«, flüstere ich und lege meine Hand auf seine Schulter, um ihn zu beruhigen. Seine Stimmung kann innerhalb von Sekunden wechseln, ein falsches Wort, eine unangenehme Frage und Alec explodiert. »Ich will dir nichts Böses, ich will es nur wissen.«
Sein Blick fällt auf meine Hand, die auf seiner Schulter liegt. Sie scheint ihn zu beruhigen, vielleicht liegt es aber auch an meinen Worten, denn er entspannt sich langsam wieder. Er presst die Lippen aufeinander, zögert mit seiner Antwort, doch dann sagt er:»Ich habe erkannt, dass sie mir nicht guttut.«
»Wie meinst du das?«
Er lacht plötzlich. »Du wirst mich für den totalen Vollidioten halten, Rebecca, ich-«
»Werde ich nicht«, verspreche ich.
Er beißt sich auf die Unterlippe, als wäre er sich nicht sicher, ob er mir vertrauen sollte, doch dann seufzt er und sagt:»Als ich sie kennengelernt habe, war sie anders. Die Art von Mädchen, die man gerne seinen Eltern vorstellt, schön, klug und witzig.
Ich weiß nicht, was ich für sie empfunden habe, aber es hat gereicht, um ihr bis zum Abgrund zu folgen und auf etlichen Partys Drogen zu konsumieren. Irgendwann habe ich die Kontrolle über mich selbst verloren. Und dann bin ich zu dem Kind geworden, vor dem mich meine Eltern immer gewarnt haben.«
»Alec, das...«
»Ich habe mich nur noch für meine neuen Freunde und mich interessiert. Alles andere ist mir egal gewesen.« Er dreht sich um und geht zurück zu seinem Bett, um sich seufzend auf die Matratze fallen zu lassen. »Ich dachte wirklich, ich würde sie lieben.«
»Aber das hast du nicht«, beende ich seinen Gedanken. Jedenfalls hoffe ich, dass ich recht habe.
»Ich weiß es nicht, Rebecca.« Er reibt sich frustriert über die müden Augen. »Ich weiß nicht, was das war, was in meinem gottverdammten Kopf los gewesen ist, aber es war keine Liebe. Nenn es Manipulation, Pubertät, Dummheit, sexuelle Anziehung. Ich war egoistisch und ein Vollidiot, aber nicht verliebt. Scheiße, ich war noch ein halbes Kind.«
Mein Blick klebt wie ein Kaugummi an Alec. Ich erinnere mich an die Frage, die ich ihm erst vor Kurzem gestellt habe, als er mir von seiner ersten Freundin erzählt hat. Hat sie dir das Herz gebrochen? Er hat mit nein geantwortet und jetzt, wo ich ihn da so sitzen sehe, das Gesicht in den Händen vergraben, glaube ich ihm. Sie hat ihm nicht das Herz gebrochen, sie hat ihn gebrochen.
Ich würde ihn gerne auf seine Mutter ansprechen und fragen, was Sara damit gemeint hat, aber ich kann nicht. Stattdessen setze ich mich neben ihn aufs Bett und lege die Arme um ihn. Wenn er bereit dazu ist zu reden, wird er hoffentlich reden. Ich möchte ihn nicht dazu drängen, mir alles zu erzählen; ich möchte, dass er mir von sich aus alles erzählen möchte, dass er mir vertrauen kann und sich mir endlich öffnet.
»Hat Sara noch irgendetwas erzählt?«, fragt er misstrauisch. Ich schaue Alec an. Abgesehen davon, dass deine Mutter sich das Leben genommen hat?
Ich lasse mir nichts anmerken und schüttele den Kopf. »Nein, nichts.«
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