12 | Erste Annäherungsversuche
• Canyon City - Fix You •
Es vergeht eine Woche nach dem Zwischenfall mit dem Kissen bei den Moranis', in der ich keinen Anruf mehr von ihnen bekomme. Ich hatte keine Zeit mehr, Caleb die peinliche Situation zu erklären, weil seine Eltern kurz darauf nach Hause gekommen sind und ich die Sache nur ungerne vor ihnen ansprechen wollte.
Caleb und ich saßen uns gefühlt eine Stunde still beschämt gegenüber, während keiner den anderen überhaupt angeschaut hat. Dazu haben wir uns wohl beide nicht getraut. Die Stille war schrecklich und unglaublich unangenehm, aber was ich auch sagen wollte, es hat sich einfach falsch angehört.
Ich weiß nicht, was genau ich im Schlaf gesagt habe und was der Kleine gehört hat und genau das macht mich schon die ganze Woche unglaublich nervös. Was ist, wenn ich mich regelrecht auf das Kissen geworfen und es misshandelt habe? Egal was mir auch in den Sinn kommt, es gefällt mir überhaupt nicht. Wie auch immer ich die Geschichte drehe und wende, es ist und bleibt unglaublich peinlich. Was muss er nur über mich denken? Und noch viel wichtiger ist wohl: was ist, wenn er es Alec erzählt?
Weder Mr. Moranis noch seine Frau haben mich in dieser Woche angerufen, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Da die beiden wöchentlich neue Arbeitspläne bekommen - sie arbeiten in der selben Firma - und auch mal für einen Arbeitskollegen einspringen müssen, bekomme ich bis jetzt immer ziemlich kurzfristig Bescheid, wann ich babysitten soll, aber den Umständen entsprechend warte ich ziemlich angespannt auf den Anruf.
Ich bin schon so weit zu glauben, dass er seiner ganzen Familie von meinem Angriff auf das Kissen erzählt hat und sie mich kündigen, ohne mir Bescheid zu geben, als mich ein paar Tage später ein Anruf erreicht, den ich gar nicht mehr erwartet habe.
»Rebecca, ich muss kurzfristig für jemanden einspringen. Könnten Sie vielleicht vorbeikommen?«, bittet Mrs. Moranis mich und natürlich sage ich sofort Ja.
Ich packe meine Schulsachen zusammen und stopfe die wichtigsten Dinge in meinen Rucksack, bevor ich mich erleichtert auf den Weg mache. Dass Calebs Mutter mich plötzlich doch angerufen hat, muss doch bedeuten, dass er niemandem von dem Vorfall erzählt hat, oder? Niemand würde ein Mädchen einstellen, dass während ihrer Arbeitszeit einschläft, mit einem Kissen rummacht, weil es glaubt, dass es der ältere Sohn der Familie ist und dabei den jüngeren Sohn traumatisiert oder? Nein, das würde vermutlich keiner tun. So etwas würden vielleicht verrückte Menschen machen, aber die Moranis' sind definitiv nicht verrückt.
Ich stehe pünktlich vor dem Haus und hebe genau in dem Moment die Hand und möchte klopfen, als Mrs. Moranis die Tür aufreißt. Als sie mich sieht, lacht und begrüßt sie mich schnell. Sie winkt mir noch einmal lachend zum Abschied zu und bedankt sich, bevor sie durch den Vorgarten läuft, ins Auto springt und davon fährt. Noch ein wenig irritiert von den vielen Ereignissen auf einmal eben, bleibe ich stehen, als ich mich wieder umdrehe, steht Caleb an der Tür und lächelt. Er hebt schüchtern die Hand, als sich unsere Blicke kreuzen und murmelt ein:»Hallo.«
»Hey«, rufe ich ihm überrascht, aber freundlich zu. Ich versuche die Freude über die Tatsache, dass er extra an die Tür gekommen ist, um mich zu begrüßen, gar nicht erst zu unterdrücken. Am liebsten würde ich ihn in meine Arme schließen, weil ich mich so sehr darüber freue, ihn wiederzusehen, ohne zu wissen weshalb, aber ich reiße mich zusammen. Er hat erst letzte Woche angefangen, mit mir zu sprechen und jetzt steht er an der Tür - ich sollte es nicht übertreiben und mein Glück aufs Spiel zu setzen. Ich muss es langsam angehen.
Er lässt mich ins Haus und schließt die Tür hinter mir. Ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass er mir folgt, als ich direkt ins Wohnzimmer steuere. Ich werfe meine Tasche auf den Tisch, auf dem er seine Hausaufgaben gelegt hat und anscheinend schon fleißig am Lernen ist.
»Brauchst du Hilfe bei den Hausaufgaben?«, frage ich vorsichtig und gleichzeitig versuche ich so locker zu klingen, als würden wir uns schon von Anfang an verstehen und miteinander klarkommen. Ich drehe mich um und sehe Caleb an, aber er schüttelt bloß mit dem Kopf.
Während er um den Tisch herum läuft und sich auf seinen gewohnten Platz setzt, ziehe ich meine Jacke aus und lege sie über den Stuhl. Ich setze mich ihm gegenüber und überlege, worüber ich mit ihm reden könnte. Vermutlich sollte ich es nicht sofort auf die Spitze treiben, aber ich bin so glücklich darüber, dass der Kleine mit mir spricht, dass ich ihn am liebsten alles fragen würde.
»Du bist verdammt fleißig.« Ich schaue ihn an, aber er presst nur die Lippen aufeinander, ohne mich anzusehen, stattdessen schaut er weiterhin auf seine Hausaufgaben. Stur wie ich bin, lasse ich mich nicht davon abschrecken und rede einfach weiter. »Du bist bestimmt der Beste in der Klasse oder?« Ich lache. »Ach was rede ich da? Der Beste deiner ganzen Stufe! Also Caleb, was ist dein Lieblingsfach?«
Er schreibt weiter, antwortet aber nicht.
»Mein Lieblingsfach ist Englisch«, sage ich und lächle. »Englisch und Deutsch. Aber bevor du auf den Gedanken kommst, ich wäre ein Sprachenass, muss ich dich leider enttäuschen. Sowohl in Französisch, als auch in Italienisch bin ich Fünfer-Kandidatin gewesen. Französisch habe ich abgewählt, sobald ich konnte und Italienisch habe ich nur ein Schuljahr ausgehalten. Nach der zehnten habe ich es erfolgreich abgewählt.« Ich lächle stolz, als ich mich an den Tag erinnere, an dem ich den Zettel mit meinen Kurswahlen im Lehrerzimmer abgegeben habe. Die Last, die in dem Moment von mir abgefallen ist, war unglaublich. »Mit Mathe und Physik kann man mich übrigens jagen und Chemie sowieso. Aber ich habe einen besten Freund - er heißt Aaron und ich bin mir sicher, dass ihr euch verstehen würdet - auf jeden Fall ist er meine einzige Rettung. Er prügelt mir den ganzen Müll immer eine Woche vor den Prüfungen in den Kopf. Ohne ihn hätte ich es niemals in die Oberstufe geschafft. Und von Geschichte will ich gar nicht erst anfangen...oh Gott und Kunst? Ich kann vielleicht so gut zeichnen wie ein Fünfjahre altes Kind. Und Sport ist auch nicht so...«
Plötzlich vernehme ich ein Geräusch. Ich traue meinen Ohren nicht, als ich Caleb lachen höre. Völlig fasziniert und verblüfft starre ich ihn an, als er mich mit seinen strahlenden Kinderaugen ansieht und sich dabei den Arm vor den Mund hält, aber es ist längst zu spät. Ich habe es schon gesehen, habe ihn lachen sehen und hören. Wirklich lachen.
»Wow«, sage ich und fange an unkontrolliert zu grinsen. Ich glaube, ich habe mich noch nie so sehr darüber gefreut, jemanden lachen zu hören. Es ist ein tolles Gefühl, ihn zum Lachen und seine Augen zum leuchten zu bringen. Ich fühle mich wie an dem Tag, an dem ich entschlossen habe, Italienisch abzuwählen - befreit und glücklich. Dass er gelacht hat, ist besser, als jede Antwort auf meine lächerlichen Fragen. Mir fällt ein schwerer Stein vom Herzen und am liebsten würde ich aufspringen, die Musikanlage aufdrehen und anfangen zu tanzen, aber ich möchte nicht zerstören, was ich eben aufgebaut habe, in dem ich Caleb verstöre, also bleibe ich sitzen und lächle Caleb an.
»Okay«, stöhne ich irgendwann, nachdem Caleb wieder über seinen Hausaufgaben sitzt und ich auch meine herausgeholt habe, um endlich mit dem Lernen zu beginnen. Ich ziehe mich am Tisch hoch, während ich mich kurz umschaue. »Ich glaube, ich mache mir einen Tee. Willst du auch einen?«
Caleb sieht mich an und nickt.
»Was für einen trinkst du denn am liebsten?«, frage ich und möchte schon im nächsten Moment die einzelnen Teesorten aufzählen, die mir in den Sinn kommen, als er anfängt auf seinem Stuhl herumzuhüpfen und sagt:»Grünen Tee.«
Überrascht trete ich zurück und nicke heftig. »Na klar. Grünen Tee kriegst du sofort. Ich koche dir den grünsten Grüntee, den du je getrunken hast.« Ich strecke die Faust in die Luft, um....naja, ich weiß nicht so recht warum, aber Caleb kichert leise, also ist es wohl die richtige Entscheidung gewesen. Hastig drehe ich mich um und renne in die Küche. Ich suche die halbe Küche ab, bevor ich den Schrank finde, hinter dem sich die Teebeutel verstehen, gieße Wasser in den Wasserkocher und fische während das Wasser kocht zwei Tassen heraus, kippe ein wenig Zucker in die Gläser und die Teebeutel hinterher.
Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, schaut Caleb auf. Ich stelle die Tasse vor ihm ab, stelle dann meine neben meinen schon geöffneten Notizen ab und mache mich schließlich daran, endlich mit dem Lernen zu beginnen.
Caleb und ich sitzen uns stumm gegenüber. Er sitzt über seinen Hausaufgaben, während ich den Stoff aus der Schule wiederhole und versuche, mich auf die Klausuren vorzubereiten. Seitdem ich ihm den Tee vorhin gekocht habe, haben wir nicht mehr miteinander geredet. Aus den Tassen dampft es immer noch, als mir plötzlich bewusst wird, dass Caleb mich anstarrt.
»Was gibt's?«, frage ich ohne aufzuschauen. Ich versuche mich weiterhin auf die Zusammenfassung meiner Englischlektüre 1984 zu konzentrieren. Leider ist das nicht so einfach, wenn zwei große Kinderaugen auf einem liegen.
Er zuckt zusammen und lässt dabei seinen Stift fallen. Hastig greift er wieder nach dem Füller, der über den Tisch in meine Richtung rollt und schaut mit hochrotem Kopf auf sein Heft. »N-nichts.«
»Caleb«, bringe ich irgendwann unter zusammen gebissenen Zähnen hervor und schaue auf. »Meinst du ich bin blind? Oder blöd? Ich sehe, dass du mich die ganze Zeit anstarrst, als wäre mir ein Horn gewachsen, also sag schon, was ist los?«
Der Kleine schaut auf und schüttelt den Kopf. Seine Wangen sind immer noch rosig, aber ich gebe mich damit nicht zufrieden. Wenn ich möchte, dass wir uns verstehen, dann darf er keine Angst davor haben, mir seine Gedanken mitzuteilen. Egal wie unangenehm sie ihm sind. Entweder hat er überlegt, ob er sich mir anvertrauen soll oder es geht um mich, aus welchem anderen Grund hätte er mich sonst die ganze Zeit über angestarrt?
»Sag es mir. Los«, dränge ich ihn und nehme dabei einen Schluck von meinem Schwarztee.
»Es...es ist eine Frage.«
Ich verdrehe die Augen und schlucke die warme Flüssigkeit herunter. »Dann frag, Caleb. Wirklich, was kann schon passieren? Im schlimmsten Fall werde ich bewusstlos vor Schock, aber ich bin mir sicher, dass es nicht so schlimm ist, also...los. Ich bin bereit.«
»Okay, also...« Caleb räuspert sich und lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Sein Blick ist starr auf mich gerichtet. »Stehst du auf meinen Bruder?«
Der nächste Schluck von meinem Tee landet leider nicht mehr in meiner Speiseröhre, dafür aber in meiner Luftröhre. Ich beuge mich nach vorne und huste, bis es mir die Tränen in die Augen treibt und ich sie zusammen kneife. Ich hatte Recht. So schlimm ist es nicht, es ist noch schlimmer. Verwirrt blinzle ich die Tränen weg, die sich in meinen Augen sammeln und versuche den letzten Rest Tee aus meiner Luftröhre heraus zu husten. »Wieso...wieso fragst du mich das?«
»Du hast gesagt, ich soll-«
Ich schüttele heftig den Kopf. »Nein, nein. Das meine ich nicht. Ich meine...Wie kommst du überhaupt auf die Idee?«
Caleb zögert kurz, aber ich starre ihn unentwegt und so lange an, bis er schließlich weiterspricht. »Als du letzte Woche das Kissen...du weißt schon. Du...du hast andauernd Alecs Namen gesagt.« Er wird knallrot und schaut schnell woandershin. Vermutlich ist es auch das beste, dass er nicht in mein Gesicht schaut, das gerade ziemlich rot anlaufen muss. »Ich habe mich nur gewundert, ob du-«
»Nein«, unterbreche ich ihn, bevor er weitersprechen kann. Mir wird plötzlich ganz heiß und ich habe das Gefühl, dass mein Oberteil an meiner Haut klebt, als ich mich leicht Luft zufächele, um nicht komplett vor Scham dahin zu schmelzen. »Sag es nicht. Bitte«, flehe ich ihn an und vergrabe mein rotes Gesicht hinter den Händen.
Calebs Augen werden ganz groß. »Also habe ich Recht?«
»Nein«, beeile ich mich zu sagen, obwohl er natürlich komplett ins Schwarze getroffen hat. Ich schüttele den Kopf um meinem Nein noch mehr Stärke zu verleihen, aber ich sehe Caleb dennoch an, dass er mir nicht ganz glaubt.
~
Es vergehen ungefähr zwei Wochen, als ich wieder frische blaue Flecken an Calebs Armen, und dieses Mal sogar welche an seinem Hals, erkennen kann. Der Schal, den er sich um den Hals gebunden hat, bedeckt nicht alles, auch wenn er das glauben mag und eigentlich will ich mir auch nicht vorstellen, was sich noch darunter verbirgt.
Wir sitzen uns wie immer gegenüber und während er über seinen Hausaufgaben sitzt, lerne ich für meine Prüfungen. Ich habe uns beiden wieder einen Tee gekocht - das ist in den letzten Wochen so etwas wie ein Ritual zwischen uns geworden. Auch wenn wir nicht viel reden, reicht es mir, dass er überhaupt ab und zu mit mir spricht oder auf meine Fragen reagiert.
Die ganze Zeit über ringe ich mit mir. Ich möchte ihn nach seinen Blutergüssen fragen, möchte wissen, woher sie kommen und wer ihm das angetan hat, aber andererseits habe ich Angst davor zu fragen, ich habe Angst vor seiner Reaktion. Gleichzeitig weiß ich, dass es falsch ist, darüber hinweg zu sehen und weiterhin zu schweigen. Er ist ein Kind und er wurde offensichtlich von irgendjemanden geschlagen und das nicht zum ersten Mal. Wenn ich dieses schwierige Thema jetzt aber sofort vor seinen Eltern anspreche, ohne ihn zu fragen, wird er wahrscheinlich im besten Fall nie wieder mit mir sprechen, wenn er mich nicht sogar hassen wird. Wir werden wieder da sein, wo wir am Anfang waren und vielleicht wird es sogar noch schlimmer sein, weil er überzeugt davon sein wird, dass er mir nicht vertrauen kann.
Ich fahre mir frustriert durch die Haare, während mein Vergleich von Joseph Roths Hiob und Kafkas Der Prozess, den ich für meinen Deutsch Leistungskurs überarbeiten muss, immer mehr in den Hintergrund rückt. Alles woran ich denken kann, sind diese Blutergüsse auf Calebs Körper und die Frage, ob ich ihn danach fragen soll oder nicht und wenn nein, was soll ich dann tun? Ich kann nicht einfach so tun, als hätte ich nichts gesehen.
Irgendwann halte ich es nicht mehr aus. Ich halte mich an der Tischkante fest und presse die Lippen fest aufeinander, bevor ich endlich den Mut fasse, um nachzufragen. »Caleb?«
Er schreibt noch kurz weiter, vermutlich seinen Satz zu Ende, bevor er den Blick hebt und mich fragend ansieht. Als ich ihn da so sitzen sehe, würde ich am liebsten den Mund halten, um das zu schützen, was sich langsam und schleichend zwischen uns aufbaut, aber das schlechte Gefühl, das sich in mir ausbreitet, ist stärker und gewinnt am Ende doch.
»Ich weiß, dass ich dich das schon einmal gefragt habe«, beginne ich zögernd und erwidere seinen Blick. »Aber du hast mir nicht geantwortet und ich kann das nicht länger ignorieren, also bitte sei ehrlich. Was ist das?« Ich deute auf seine Arme und dann seinen Hals. »Wer hat dir das angetan?«
Zuerst scheint er nicht wirklich zu verstehen, was ich meine, er hebt die Hand und starrt für lange Zeit auf seinen nackten, blassen Arm, der mit Blutergüssen übersät ist. So als würde er sie zum ersten Mal sehen. Nach gefühlt etlichen Minuten schaut er endlich wieder auf. Er sieht mich an und als ihm mein besorgter Blick auffällt, kneift er plötzlich die Augen zusammen, als wäre ich nicht jemand, der sich Sorgen um ihn macht, sondern als wäre ich die Bedrohung.
»Nichts«, antwortet er schließlich schnaubend. Er wirkt mit einem Mal wütend und kurz glaube ich, dass er wütend auf mich ist, aber dann wird mir klar, dass er viel mehr auf sich wütend ist, weil er zugelassen hat, dass ich die Blutergüsse wieder entdecke - genauso wie beim ersten Mal.
Ich schüttele ungläubig den Kopf und möchte nach seiner Hand greifen, um mir die Flecken besser ansehen zu können, aber er zieht sie weg, bevor ich nach ihr schnappen kann.
»Caleb«, seufze ich. »Ich bin nicht blöd und ich bin auch nicht die Böse hier - ich möchte dir nur helfen. Wirklich. Das sind offensichtlich Blutergüsse, die du dir bei irgendwelchen Schlägereien zugetragen hast und es ist nicht das erste Mal, dass du so aussiehst. Außerdem...« Ich schlucke schwer bei dem Gedanken und deute auf meinen Hals. »Hast du auch dort Blutergüsse. Hat jemand versucht...dich zu erwürgen?«
Calebs sonst so große, braune Augen werden zu Schlitzen, als er mich feindselig betrachtet. »Nein.«
»Was dann?«, bohre ich nach, als er nicht weiterspricht. Er spricht zwar endlich mit mir, aber seine einsilbigen Antworten treiben mich teilweise in den Wahnsinn. Am liebsten würde ich ihn an den Schultern packen und durchschütteln, bis die Worte aus ihm heraussprudeln.
»Nichts.«
»Caleb, komm schon. Du kannst mir vertrauen. Sag mir einfach, wer es gewesen ist und ich werde...« Ich denke nach - ja, was werde ich dann? Gehe ich zu seinen Eltern und erzähle ihnen davon? Oder rufe ich Alec an, um es ihm zu erzählen?
Meine Hand zuckt, als ich sie auf meine Hosentasche lege. Ich könnte Alec tatsächlich anrufen. Mr. Moranis hat mir beim letzten Mal die Handynummern von seinen Söhnen und seiner Ehefrau gegeben, »nur für den Notfall« hatte er gesagt.
Caleb schüttelt den Kopf, während er mich wütend anfunkelt. »Es ist nichts. Das war ein dummer Unfall.«
»Du kannst doch nicht innerhalb von drei Wochen zwei mal hintereinander dumme Unfälle haben, bei denen du überall Blutergüsse hast. Und wozu trägst du dann überhaupt diesen Schal?«, frage ich misstrauisch, meine Stimme klingt gepresst und lauter, als ich beabsichtigt habe. »Versuchst du deine Wunden zu verstecken? Weil du nicht willst, dass deine Eltern das sehen und Fragen stellen?«
»Becca, du nervst. Hör auf nachzufragen. Mir geht's gut.« Und damit scheint für ihn das Thema abgehackt zu sein, denn er rutscht kurz noch auf seinem Platz herum, bevor er sich wieder über seine Hausaufgaben beugt und weiter schreibt.
Mich überkommt plötzlich eine solche Wut, dass ich meine Hand zur Faust zusammendrücke und mit all meiner Kraft auf den Tisch haue. Caleb zuckt zusammen und schaut auf. Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, dass ich so etwas tue - ich jedenfalls für meinen Fall habe nicht damit gerechnet.
Caleb starrt auf meine Hand. Zuerst weiß ich nicht wieso, aber dann folge ich seinem Blick und sehe, dass sie zittert, nein, ich zittere am ganzen Körper - aus Wut und Verzweiflung darüber, dass es jemanden oder vielleicht auch mehrere Menschen gibt, die Caleb schlagen, weil er mir nicht sagen möchte, wer es war und weil er nicht zu seinen Eltern damit geht.
»Erzähl es mir oder ich werde deinen Eltern davon berichten«, bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich wollte ihm nicht drohen, wirklich nicht, ich weiß, dass es nicht in Ordnung ist, aber das ist meine letzte Chance, ihn zum Reden zu bringen.
Calebs Augen schauen wieder von meiner Hand auf und in mein Gesicht. Als ihm klar zu werden scheint, womit ich ihm da eben gedroht habe, verengen sich seine Augen wieder. Ich kann sehen, wie er unruhig mit dem Kiefer mahlt. »Wenn du meinen Eltern von den Flecken erzählst, erzähle ich Alec von dem Traum, den du letztens hattest und dem Kissen.«
Mein Unterkiefer klappt auf. »Du erpresst mich?«
Er zuckt gleichgültig mit den Schultern und packt seine Sachen zusammen. »Das Leben kann manchmal wirklich hart sein.«
Während er aufsteht und seine Bücher unter seinen Arm klemmt, kann ich ihn nur anstarren.
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