1 | Die Party
• Shawn Mendes - There's Nothing Holdin' Me Back •
Du musst mal aus dem Haus und unter Leute, hat sie gesagt.
Es wird dir Spaß machen, hat sie gesagt.
Das ist unsere Chance, hat sie gesagt.
Dass ich nicht lache.
Ich lasse mich stöhnend auf das Sofa fallen, in dem endlich ein klitzekleiner Spalt frei geworden ist. Doch als ich sitze, fällt mir auf wie klitzeklein der Spalt wirklich ist. Und glaubt mir, er ist wesentlich kleiner, als ich erwartet habe.
Im nächsten Moment finde ich mich zwischen zwei nach Alkohol riechenden und laut grölenden Typen wieder. Sie brüllen laut zu der Musik, die aus den ganzen Boxen dröhnt.
Und während ich zwischen ihnen stecke, wortwörtlich mittendrin stecke, versuche ich herauszufinden, wie man sich gleichzeitig die Ohren und die Nase zu halten kann, bis ich zu dem Entschluss komme, dass mir definitiv eine Hand fehlt, um meinen Plan in die Tat zu setzen. Eine verdammte Hand, fluche ich innerlich.
Es würde mich nicht wundern, wenn die Typen neben mir in Alkohol gebadet hätten, so extrem wie sie riechen, wäre das gar nicht so abwegig.
Irgendwann halten meine Nase und meine Ohren, aber vor allem meine Nase, es nicht mehr neben diesen zwei Trollen aus und ich springe müde von dem einzigen freien Platz, der mir wahrscheinlich heute Nacht vergönnt gewesen ist.
Nachdem ich also eine Runde in Selbstmitleid gebadet habe, schaue ich mich um und suche nach Loreen, aber ich kann ihren schwarzen Haarschopf nirgends entdecken.
Seufzend will ich mich auf den Weg machen, um aus dieser Hölle zu kommen, um meine beste Freundin anrufen zu können, da legt sich eine Hand auf meine Schulter und ich zucke erschrocken zusammen.
»Becca«, brüllt sie mir lautstark ins Ohr und wirbelt mich in der nächsten Sekunde einmal herum, so, dass ich ihr in die großen, braunen Augen sehen kann.
Zu behaupten, dass sie angetrunken wirkt, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Ihre glasigen Augen liegen auf mir, ohne mich wirklich zu sehen.
»Hier bin ich«, kichert sie und wedelt mit ihrer Hand vor meinen Augen herum, so als hätte ich sie übersehen können, dabei nimmt sie gerade mein gesamtes Sichtfeld ein, so nah wie sie mir kommt. Wäre die Situation nicht so bizarr, würde ich das Ganze vielleicht witzig finden, aber mir ist in diesem Moment wohl eher nach Heulen zumute.
»Ich sehe dich«, antworte ich mit einem nervösen Lachen, als sie mir mit ihrem nach Alkohol stinkenden Mund immer näher kommt. So als könne sie mich nicht verstehen, wenn sie nicht so nah an mich heran rücken würde.
»Ach so.« Sie kichert und hickst abwechselnd, dann schaut sie sich um.
Sie wirft ihr langes, schwarzes Haar über die Schulter, schiebt die Unterlippe vor und sieht aus, als würde sie nachdenken, aber ich bezweifele, dass sie das in ihrem Zustand wirklich kann. Doch bevor ich noch etwas sagen kann, kommt sie mir zuvor:»Komm mit. Du bist noch gar nicht richtig in Party-Laune. Wir müssen dich ein wenig abfüllen. Mit Alkohol macht alles gleich viel mehr Spaß.«
»Nein, nein«, winke ich hastig ab und gehe einen Schritt zurück, um mich von ihrem festen Griff loszureißen, aber sie schüttelt heftig den Kopf, so heftig, wie es in ihrem Zustand nun mal möglich ist. »HEUTE WIRD GETRUNKEN!«
Ich zucke erneut zusammen. »Loreen, ich würde eigentlich lieber nach Hause gehen.«
Sie hebt eine Braue und beugt sich erneut zu mir vor, als könne sie nicht fassen, was ich da eben gesagt habe. »Nach Hause? Nach Hause?« Loreen wirft den Kopf in den Nacken und fängt laut an zu lachen. Sie lacht mich aus. Einfach so. Tze. »Schätzchen, niemand geht jetzt nach Hause. Die Nacht ist jung und wir sind es auch. Los, trink was und schnapp dir einen der schnuckeligen Studenten hier. Ich habe schon mindestens fünf verdammt scharfe Typen gesehen. Die sind nichts im Vergleich zu den Jungs, die bei uns in der Schule herum laufen.«
Sie hat recht. Die Jungs hier sind ganz anders, als die, die auf unserer Schule sind. Viel erwachsener, attraktiver und irgendwie wirken sie reifer, auch wenn sich einige von ihnen gerade ziemlich lächerlich benehmen. Aber ich stehe nicht so auf besoffene Typen, die sich zu Affen machen. Egal, wie gut sie auch aussehen mögen.
»Ich habe kein Interesse«, sage ich also und mache Anstalten, auf den Ausgang zu zu steuern.
Mir war sowieso nicht ganz wohl dabei heute hier zu sein. Loreen kennt einige Leute und durch ihre ältere Schwester, die schon studiert, konnte sie uns auf diese Party schmuggeln. Eine Party, die eigentlich nur für Studenten gedacht ist. Wir hätten hier nie herkommen dürfen. Wenn jemand erfährt, dass wir noch auf die Schule gehen, rufen sie unsere Eltern an und ich bin mir absolut sicher, dass meine Eltern es nicht gerne sehen, wenn ich sie anlüge, indem ich behaupte, ich übernachte bei einer Freundin und dabei eigentlich illegalerweise auf eine Party gehe.
Loreen ist immer schon die Verrücktere von uns gewesen. Diejenige, die risikobereit und experimentierfreudig ist, während ich mich lieber im Hintergrund halte und nicht auffalle. Ich mag meine gewohnte Umgebung, den geregelten Tagesablauf und alles, was ich kenne und einschätzen kann. Ich brauche keinen Adrenalinschub, um glücklich zu sein.
»Ohhhh nein«, ruft Loreen laut und packt mich dann am Handgelenk, um mich hinter sich her zu ziehen. In die entgegengesetzte Richtung der Haustür. Ich versuche mich los zu reißen, aber ihr Griff ist verdammt fest. Viel zu fest.
Gerade als ich sie anschreien und ihr sagen will, dass sie meinen Arm gefälligst loslassen soll, bleibt sie stehen. Ich brauche einige Sekunden, um zu begreifen, dass wir in der Küche stehen. Sie reißt den Kühlschrank auf und fischt zwei Flaschen heraus, von denen ich glaube, dass sie mit Bier gefüllt sind. Vielleicht sind sie aber auch nur mit Apfelschorle gefüllt, ha ha.
Sie drückt mir grinsend eine der Flaschen in die Hand und wirkt dabei ziemlich stolz. So als würde sie etwas großartiges tun. »Trink das. Glaub mir. Es wird dir danach besser gehen.«
Ich schüttele den Kopf und versuche ihr die Flasche zurück zu geben. »Nein. Ich trinke nicht.«
Aber sie nimmt sie nicht an. »Becca, es sind Sommerferien. Nächstes Schuljahr fängt das Abitur an und du wirst genug Zeit haben, zu Hause herum zu sitzen, zu büffeln und brav zu sein, okay? Jetzt ist unsere Zeit. Das ist unsere Zeit. Lass uns diese Zeit genießen. Diese eine verdammte Nacht.«
~
Loreen hat es geschafft. Ich weiß nicht mehr, wie sie mich dazu getrieben hat, zu trinken, aber nachdem ich erst einmal angefangen habe, kann ich einfach nicht mehr aufhören. Und nun stehe ich hier und gieße alles in mich hinein, was herum gereicht wird.
Ich weiß nicht mehr, ob es bei Bier geblieben ist. Weiß nicht einmal, was ich da in mich kippe, aber ich tue es, ohne zu zögern.
Die sonst so unsichere und zurückhaltende Becca ist nicht mehr da. Vermutlich ist sie schlafen gegangen, um meinem neuen Ich Platz zu schaffen.
Ich kichere bei dem Gedanken, eine gespaltene Persönlichkeit zu besitzen und denke mir nebenbei einen neuen Namen für meine dunkle Seele aus. Die dunkle Becca oder doch lieber Becca die Zartbitterschokolade?
Meine Gedanken und Erinnerungen werden immer schwammiger und benebelter, bis sie schließlich nichts mehr, als eine graue, dunkle Wolke sind, die sich irgendwo ganz weit hinten in meinen Kopf gesetzt hat und darauf wartet, dass ich meinen Rausch ausschlafe. Aber an Schlafen ist plötzlich gar nicht mehr zu denken. Ich bin müde und fühle mich erschöpft und ausgelaugt, als hätte ich viel Sport getrieben, dabei sitze ich den ganzen Abend nur herum. Und obwohl ich so kaputt bin, kann ich dennoch nicht schlafen. Es ist unmöglich.
Die Nacht ist jung und wir sind es auch.
»Loreen«, stöhne ich, nach dem ich-weiß-nicht-wie-vielten Glas. Ich habe irgendwann aufgehört, zu zählen.
Mir ist unglaublich schwindelig und ich habe das Gefühl, der Raum wird immer voller und gleichzeitig enger, habe das Gefühl, dass er gleich explodiert, aber vielleicht spielen mir meine Augen auch einfach nur einen Streich. Vielleicht ist alles nur eine Einbildung. Vielleicht...vielleicht liege ich eigentlich gerade in meinem warmen, weichen Bett und schlafe wie ein Stein, vielleicht ist das alles nur ein ganz fieser Albtraum.
Ich schaue mich um, aber Loreen ist nirgendwo zu sehen. Ob sie tanzen gegangen ist? Kann es sein, dass sie mir vorhin noch Bescheid gegeben hat, dass sie kurz verschwindet? Ich denke nach und glaube, mich wage daran erinnern zu können, dass ein Junge zu uns gekommen ist und sie gefragt hat, ob sie tanzen möchte. Oder spinne ich jetzt total? Ich glaube, er sah gut aus. Sehr gut sogar.
Egal wie sehr ich meinen Kopf anstrenge, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Und irgendwann wird mir so schwindelig, dass ich beschließe, einfach nur die Augen zu schließen und mich ein wenig auszuruhen, bis Loreen wieder auftaucht, bis ihr langweilig geworden ist und sie wieder nach Hause möchte.
Ich setze mich auf einen der Hocker, lehne mich auf den Tisch und lege meinen Kopf auf meine Arme, bis ich die perfekte Position gefunden habe.
~
Keine Ahnung wie viel Zeit vergangen ist, als ich die Augen wieder aufschlage und den Kopf kurz hebe, um die Lage zu checken. Der Nebel in meinem Kopf hat sich ein wenig aufgelöst, aber ich fühle mich immer noch angetrunken und nicht ganz bei Sinnen, als mein Blick durch den Raum schweift.
Es kommen immer mehr Leute herein. Mein Blick fällt auf die Uhr. Es ist kurz vor zwölf. Was zum Teufel? Es ist erst kurz vor zwölf? Mir kommt der ganze Abend schon so lange vor, als ginge alles eine halbe Ewigkeit.
Immer mehr Menschen kommen durch die Tür, begrüßen sich und reichen Alkohol durch den Raum, während sie reden, tanzen und lachen. Und dann gibt es da noch mich - die hier in der hintersten Ecke sitzt, mutterseelenallein und einfach nur die Leute beobachtet, während sie versucht, nicht jeden Augenblick in einen tiefen Schlaf zu fallen. Hier zu schlafen, wäre das letzte, was ich wollen würde.
Loreen ist nirgendwo zu sehen und weil ich sie nicht finde und weiß, dass, wenn ich jetzt aufstehen und sie suchen würde, auf der Stelle zur Seite kippen würde, will ich wieder den Kopf auf den Tresen legen, als die Tür erneut auf geht und ein Junge den Raum betritt.
Ich halte inne in meiner Bewegung, bleibe wie erstarrt stehen, als mein schwammiger Blick auf ihn fällt und auch liegen bleibt. Wow. Es ist die Art und Weise auf die er diesen Raum betritt, die mich innehalten lässt. Ich atme einmal tief ein und aus, bevor ich den Blick über seinen Körper fahren lasse. Er kommt mit solch einem Selbstbewusstsein hier rein, als wäre das hier seine Party und vor allem, als wüsste er, welche Wirkung er auf alle anderen hat. Auf alle weiblichen Menschen in diesem Raum. Ich bin mir sicher, dass ich nicht die Einzige bin, deren Blick an ihm hängt. Ich kann nicht die Einzige sein.
Sobald er in den Raum schlendert, vergesse ich, zu atmen. Vielleicht habe ich auch vergessen, wie man atmet - die Hauptsache ist jedoch die, dass ich nicht atme, was ziemlich schlecht auf Dauer ist, aber das ist mir oder besser noch, meinem Körper in diesem Moment schlichtweg egal. Denn jeder Millimeter meiner Haut steht unter Strom, darauf bedacht, alles von diesem Jungen - diesem...diesem Gott - aufzunehmen. Jede Bewegung und jeden Gesichtszug, auch wenn ich alles in grottenschlechter Auflösung sehe und mir wünsche, dass er sich zu mir bewegen würde, aber davon kann ich wohl lange träumen, denn sobald er auch nur einen Fuß vor den anderen gesetzt hat, wirft sich ein Scharem leichtbekleideter Mädchen auf ihn, die alle definitiv ein paar Jahre älter und einige Erfahrungen mehr mit sich tragen, als ich es tue.
Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so viel Attraktivität und Männlichkeit ausstrahlt. Der alleine durch das Betreten eines Raumes alle Mädchen - mich mit eingeschlossen - zum Seufzen bringt, ohne überhaupt etwas zu tun. Einfach nur, indem er hier ist...und atmet. Die selbe Luft wie wir atmet.
Als mir das bewusst wird, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass ich, seit er den Raum betreten hat, noch kein einziges Mal nach Luft geschnappt habe und das schleunigst tun sollte...mal davon ausgegangen, dass ich nicht umkippen und in irgendeiner Ecke tot aufgefunden werden möchte.
Während ich atme, lasse ich den Schönling kein einziges Mal aus den Augen. Wenn das Wort sexy ein Subjekt wäre, dann wäre es definitiv dieser Junge. Nein, er ist kein Junge - er ist ein Mann. Und was für einer. Alleine bei seinem Anblick bekomme ich den plötzlichen Drang laut aufzustöhnen, mich in mein Bett zu werfen und in mein Kissen zu schreien.
Na gut, der Alkohol, den ich intus habe, ist wohl auch nicht ganz unschuldig an meiner seltsamen Gefühlsexplosion.
Und dennoch ist es nicht zu leugnen. Dieser Mann löst Gefühle und Wünsche in mir aus, von denen ich nicht gewusst habe, dass ich sie hege und pflege.
Wenn es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick geben sollte, dann - bitte, hier war sie. Hier ist der Beweis für ihre Existenz. Die erste Liebe. Ich - Rebecca Wattler - habe mich in Mr. Unbekannt verliebt.
Nicht einfach so, sondern mit Haut und Haaren. Einfach mit allem, was mein Körper hergibt.
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