3 - Versöhnung
Montag morgen war Lena heilfroh, dass die ersten beiden Stunden ausfielen. So konnte sie noch etwas lernen und auch Leon aus dem Weg gehen. Zusammen mit Mara, Jule und Bella saß sie auf einer Bank des Schulhofs, als plötzlich Nick und seine Kumpels kamen. Er lächelte die Mädels der Reihe nach an, bis sein Blick bei Lena stoppte.
"Du Lena sag mal, hast du Kontakt zu Timo?", sagte er dann.
Die Frage war mehr als unangenehm. Aber Lena konnte schlecht lügen, also antwortete sie zögernd: "Naja... nicht so wirklich eigentlich. Warum?" Was sollte er jetzt nur von ihr denken. Küsst einen Typen und hat nicht mal seine Nummer. Tolle Ausgangslage.
"Achso. Ich dachte du könntest mir vielleicht seine Nummer geben. Immerhin waren wir damals auch Freunde.", zuckte Nick mit den Schultern. Dann wandte er sich wieder ab und gab Mara noch ein Zwinkern mit, die direkt rot wurde.
Bella und Jule sahen sich überrascht an, ehe sie Lena fragten, warum sie seine Nummer nicht hätte. Sie erklärte, dass das auf der Party irgendwie einfach untergegangen war. Einfach viel zu aufregend gewesen alles.
Kurz bevor die Mädels in den Unterricht wollten, lief ihnen natürlich Leon über den Weg. Lenas Ex. Sie hatte sich bereits vor einigen Wochen von ihm getrennt, weil er sie betrogen hat. Seit dem versucht Leon, sie wieder zurück zu erobern. Vergebens.
"Lena, hey!", hielt er die Gruppe auf. "Sag mal, stimmt das, was ich gehört habe? Letzten Samstag auf Jassis Party? Du und dieser kaputte Rapper?" Jassi nannte er sie. Aha.
Lena rollte die Augen und atmete genervt aus. "Ja, Leon. Es stimmt."
Ihrem Ex-Freund war die Empörung direkt ins Gesicht geschrieben. Aber das war ihr egal. Er war ein super mieser Arsch, der sie betrogen hatte, weil sie nach ein paar Monaten Beziehung noch nicht bereit war für mehr.
"Willst du mir deswegen keine Chance mehr geben? Wegen so einem abgefuckten Junkie, der dir nichts außer Pillen bieten kann?", nun wurde er doch leicht aggressiv und beleidigend. Er kannte Timo nicht einmal.
"Leon halt's Maul und lass mich in Ruhe. Du hast den Fehler gemacht, nicht ich. Und jetzt ist es vorbei." Mit diesen Worten bedeutete Lena den anderen weiterzugehen und drängelte sich an Leon vorbei in den Unterricht. Ist einfach nicht sein Ernst. Stehengelassen blickte er den Mädchen nur ungläubig nach, ließ sie aber ziehen. Ob das schon alles war?
Nach der Schule verabredeten sich Mara und Lena noch für gemeinsames Lernen, da bald ein paar Prüfungen anstanden. Die restliche Woche sah ähnlich aus. Leon ließ Lena weitestgehend in Ruhe, bis auf einen Zeitungsausschnitt, der auf ihrem Tisch ausgebreitet lag. Dieser zeigte Timo in einer anderen Stadt mit Mikrofon und Whiskeyflasche in den Händen auf einer Bühne mit der Überschrift "Purple Prince stürzt ab". Diese Zeitung hatte einen Hang zur Dramatik. Darunter war handschriftlich noch gekritzelt: Wirklich lieber den als mich?
Mara war fast jeden Tag nach der Schule bei Lena und ihre Gedanken schlichen immer wieder zu Timo, der sich noch nicht wieder bei ihr blicken lassen hat. Natürlich bemerkte Mara die Stimmung ihrer Freundin und versuchte sie immer wieder aufzubauen.
Aber zu ihrem Überraschen, musste Lena einen Korb von Mara einstecken, als sie fragte, ob sie Samstag einen Mädelsabend machen wollen würden. Mara lehnte ab, da ihre Eltern angeblich Besuch zum Abendessen bekommen, bei dem sie auch dabei sein sollte. Das kam Lena von Anfang an komisch vor, doch sie musste es hinnehmen.
Samstagabend also alleine zuhause. Das ist genau das Richtige für eine 19-jährige, nicht. Gelangweilt gesellte sie sich zu ihrem Bruder auf die Couch im Wohnzimmer, in dem bereits der Fernseher lief. Ihre Mutter kochte währenddessen Spaghetti zum Abendessen und ihr Vater war noch in seinem Büro, ein paar Patientenakten durchgehen. Sein Büro durfte niemand von der Familie betreten, wegen der Schweigepflicht. Das nahm er sehr ernst. Er putzte sogar selbst in diesem Raum.
Selbst bei dem Geruch der Spaghetti musste Lena an Timo denken. Er liebte Nudeln und gab sich immer mit solch einfachen Dingen zufrieden. Völlig unerwartet aus den Gedanken gerissen, klingelte es plötzlich an der Tür. Wer zur Hölle kommt an einem Samstagabend persönlich ohne Voranmeldung vorbei? In der heutigen Zeit wird doch angerufen oder über diverse Messenger geschrieben, ob man sich treffen möchte. Nico und Lena sahen sich verwundert an, ehe Lena aufsprang und zur Tür ging. Paula hat es in der Küche sicher nicht gehört und war sowieso beschäftigt gewesen.
Als Lena die Tür öffnete und auf einmal in diese Augen sah, stockte ihr der Atem. Laura! Und schräg hinter ihr Timo. Ihr Mund stand offen und sie bekam kein vernünftiges Wort heraus.
In dem Moment, als Laura Lenas Unbeholfenheit bemerkte, lächelte sie sie vorsichtig an und begrüßte sie. "Hallo Lena.", sagte sie und hob die Hand um einen Gruß zu signalisieren.
"Hey Lena, da sind wir.", zuckte Timo unsicher mit den Schultern und schenkte ihr ebenfalls ein Lächeln.
Lena räusperte sich. "Hallo Laura, Timo.", sie nickte beiden leicht zu. "Ich hol Mom. Wartet bitte kurz... hier.", stotterte sie während sie sich bereits abwandte um in die Küche zu eilen.
"Mom! ... Da ist jemand an der Tür für dich.", rief sie zwischen kochendem Wasser, Dunstabzugshaube und Radio. Ihre Mutter sah auf, ging mit einem fragenden Blick an ihrer Tochter vorbei zur Tür. Lena konnte es kaum aushalten, wie sie gleich reagieren würde. Sie schlich vorsichtig ein Stück weit hinterher.
Paula war ebenso überrascht wie Lena, als sie ihre damalige beste Freundin und ihren Sohn in der Tür stehen sah. Ein kurzer Moment des Schweigens trat ein. Vermutlich, um das zu verarbeiten, was gerade geschah. Doch wenig später bat Lenas Mutter die beiden herein. Auch wenn es eher gediegen als freudig war. Immerhin hatten auch sie drei Jahre keinen Kontakt.
Laura hatte eine Tasche dabei, in der sie Essen mitgebracht hatte. Paula ließ die Spaghetti also vorerst für morgen stehen, ganz zum Bedauern von Timo. Was ein Zufall! Stattdessen gab es jetzt für alle Abendbrot. Weintrauben, Käse, Salami, Baguette und Wein. Auch lecker. Am Tisch herrschte anfangs eine etwas gruselige Stimmung. Lena traute sich kaum zu Schlucken, so still war es. Doch dann ging Timos Mutter deutlich auf Lenas Eltern zu, erklärte sich und erzählte, was Timo ihr letztes Wochenende auch schon grob erzählt hatte. Nach und nach lockerte sich die Stimmung und man konnte sich vorstellen, dass diese Freundschaft wieder aufgebaut wird.
Nach dem Essen blieben alle noch sitzen und erzählten weiter. Weitere Weinflaschen wurden nun auch aus dem eigenen Keller geholt. Lena fragte Timo mit deutlichen Blicken und Zeichensprache, ob sie nicht doch lieber die Erwachsenen allein lassen und nach oben gehen wollen. Timo verstand das sogar.
Daraufhin stand Lena auf und griff nach einer Weinflasche und ihrem Glas. "Wir würden dann hochgehen, ja?" Eine rein rhetorische Frage. Das war bereits beschlossen. Timo stand ebenfalls auf, nahm sein Glas in die Hand und nickte den drei Elternteilen zu.
"Aber keinen Blödsinn bauen, Lena!" Natürlich musste ihre Mutter peinlich werden.
Sie seufzte. "Nein, Mom. Kein Blödsinn. Die Zimmertür mach' ich trotzdem zu.", witzelte sie. Wenn schon, denn schon. Aber ihre Mutter nahm es entspannt entgegen und kicherte.
Timo folgte Lena in ihr Zimmer und sobald er über die Schwelle trat, griff Lena seitlich an ihm vorbei, um die Tür zu schließen. Sie sah ihn an um seine Reaktion abzuwarten und beide lachten los. Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und machte beide Gläser nochmal voll, ehe sie sich zusammen auf das Bett setzten.
"Hi.", begrüßte Lena Timo scherzhaft nochmal richtig, so als ob sie noch nicht stundenlang unten beisammengesessen und gegessen hatten.
"Hey, Nuss.", lächelte er. Nuss. So hatte er sie früher immer genannt, um sie zu ärgern. Kennt ihr taube Nüsschen von Spongebob? Genau so eine Nuss. Mensch, sie waren Kinder! Sie musste grinsen bei dieser Erinnerung.
Lena sah erwartungsvoll in seine tiefbraunen Augen. Immerhin wollte sie noch eine Erklärung, warum das so lange gedauert hat, bis er sich blicken lassen hat.
"Also, ich war vor drei Tagen erstmal bei Mara zuhause und musste sie fragen, wo du wohnst.", lachte er dann. "Mir war ja schon bewusst, dass du auch umgezogen bist, aber kein Plan wohin genau. Mara war da 'ne gute Chance, das rauszufinden. Aber sie musste dichthalten, ohne Witz, ich hatte so Schiss, dass sie das nicht hinkriegt."
"Hat ja gut geklappt. Ich hab mich die ganze Woche bei ihr quasi ausgeheult und sie hat mir einfach nur gut zugeredet. Wahnsinn!"
"Auf Mara!" Timo hob sein Weinglas in Lenas Richtung und sie stießen an. In diesem Moment hörten sie von unten auch lautes Gelächter. Es schien ganz so, als wäre wieder alles gut. Oder zumindest auf dem besten Weg dorthin.
Lena und Timo redeten viel über das, was in den letzten drei Jahren so passiert ist, holten sich genau dort ab, wo es so plötzlich aufgehört hatte. Es fühlte sich fast so an, als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. Bis auf wenige kleine Ausnahmen. Lena erzählte von ihrem Ex-Freund Leon. Davon, dass er sie betrogen hat. Davon, dass er sie aktuell nicht in Ruhe lässt.
Und Timo erzählte von Drogen. Was er nahm, wie viel, und auch, dass er bereits drei Entzüge durchgemacht hat, ohne Erfolg. Er erzählte von der Musik und wie ihm diese durch die Zeit geholfen hat.
Lena bat ihn, ein Lied a cappella für sie zu rappen. Er hielt kurz inne und langsam legte sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. "Den Song hab ich geschrieben, kurz nachdem wir hier weggezogen sind. Ich hab ihn nie gedroppt, nur live.", erklärte er dazu, bevor er sich räusperte und das Glas beiseite stellte.
"Du hast mir gezeigt, was Liebe ist, ja. Ich vergess' dich nicht, nein.
Bis irgendwann Sense ist, ja. Ich ersetz' dich nicht, nein.
Du hast mir gezeigt, was Liebe ist, ja. Ich vergess' dich nicht, nein.
Bis irgendwann Sense ist, ja. Ich ersetz' dich nicht.
Ich spür'n Stich wo mein Heart war, weil sie grade noch da war.
Sitz allein und vermiss dich, mein Drink Aprillena.
Lieb' dich bis zu mei'm Grab, jaahaa aah."
Lena hatte ganz glasige Augen wegen des Textes, aber sie liebte seine Art zu rappen. Der Song klang wirklich traurig, obwohl er musikalisch echt richtig gut war.
"Und? ...", schluchzte sie. "Liebst du sie immer noch?"
Er legte seinen Kopf leicht schief und sah sie so an, als wolle er sagen Dein Ernst jetzt?!. Stattdessen aber sagte er nur leise: "Das is' safe."
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