10 | backasswards
Kapitel 10
backasswards
[Melody Rose Morgan]
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Die Straßen von Paris sind klein, verschlungen und scheinen sich an jeder Ecke zu umarmen. Sie sind lebendig. Mit ihrer säuselnden Stimme rufen sie nach mir. Mich haben die Zweifel verlassen, als ich meinen Fuß vor gut einer Stunde auf französischen Boden gesetzt habe. Es war zweifelsohne richtig hierher zu kommen. Auf dem Weg in die Innenstadt sind die Zweifel zurückgekommen, die ich jedoch mit einem Croissant und einem Kaffee herunterspüle.
Meine Augen gleiten über die Straße. Alleine zu reisen hat etwas für sich. Man kann alles in seinem eigenen Tempo machen. Niemand diktiert mir, was ich zu tun habe. Vor allem wissen die Medien nicht, wo ich bin. Das alles lässt mich so sehr hoffen, dass ich Melody wiederfinde. Mir ist nicht klar, warum sie in den Straßen von Paris sein soll, doch irgendetwas sagt mir, dass es so ist. Vielleicht war es naheliegend, weil Kanada zum Teil französisch ist. Ich weiß es nicht.
Als mein Handy vibriert, schaue ich nur ungern auf das Display.
Wieso gehst du nicht an dein Handy?
Lese ich die Nachricht von Ben. Ist ja nicht so, dass er mir diese Nachricht auf mein Handy geschickt hat. Würde ich es komplett ignorieren, dann hätte ich die Nachricht nie gesehen. Obwohl ich im Moment niemandem antworten möchte, überwinde ich mich, es doch zu tun. Immerhin gehört er ja zu meinem alten Leben und somit zu der alten Melody.
Ich brauche eine Auszeit. Hat nichts mit dir zu tun, mach dir keine Sorgen.
Nachdem ich das getan habe, schalte ich mein Handy endgültig aus.
»Prendrez-vous encore autre chose?«, fragt mich der Kellner mit dem typisch französischen, zu tiefst genervten Unterton.
»L'addition s'il vous plaît!«, antworte ich in meinem eingerosteten Schulfranzösisch. Der Kellner nickt und geht von dannen, um dann ein paar Minuten später mit der Rechnung wiederzukommen.
Nachdem ich bezahlt habe, mache ich mich auf den Weg zum Eiffelturm. Kurz vor meinem Ziel entdecke ich einen Schreibwarenladen. Ohne länger nachzudenken, betrete ich ihn. Bei dem hektischen Packen habe ich ganz vergessen einen Stift und Papier mitzunehmen.
Der Eiffelturm ragt anmutig in die Höhe. Als würde er mit den Wolken um den Platz am Himmel konkurrieren. Seufzend sehe ich ihn an und stecke meine Hände in die Taschen meiner Jacke. Nachdem ich mich stattgesehen habe, wobei das eigentlich gar nicht geht, setzte ich mich auf eine Bank in der Nähe und hole das Briefpapier heraus.
Lieber Shawn,
wenn du das liest, dann weißt du, dass wir ein Problem haben. Irgendwie hoffe ich ja, dass du es ohnehin schon mitbekommen hast, aber ich bezweifle es. In letzter Zeit warst du so abwesend. Nicht nur körperlich, sondern seelisch. Du warst nicht mehr bei mir. Shawn verdammt, du hast mich alleine gelassen, als ich dich am Meisten gebraucht habe. Doch dadurch ist mir bewusst geworden, dass ich nicht mehr Melody bin.
Wer ich bin, weiß ich nicht. Nur eine leere Hülle meiner selbst. Ich versuche mich zu finden. Bevor ich das nicht getan habe, kann ich dich nicht heiraten. Wobei ich mir auch nicht sicher bin, ob ich es dann können werde. Die Hochzeit, die Medienaufmerksamkeit...ich kann das nicht. Es gehört zu dir. Es ist ein Teil von dir. Du wirst niemals ohne sein. Das einzig bewegbare Element bin ich.
Wenn du nicht ohne deine Karriere sein kannst, musst du vielleicht ohne mich sein. Das ist kein Ultimatum. Inzwischen weiß ich, was dir wichtiger ist. Ich bin es nicht. Das ist okay, aber dann lass mich mein eigenes Glück suchen. Denn glücklich bin ich schon so lange nicht mehr.
Es tut mir leid.
-Melody
Es tut weh zu schreiben, was mich schon die ganze Zeit belastet. Mein Blick wandert von dem Brief hoch zu dem Eiffelturm, der immernoch unheimlich imposant ist. Nacher werde ich eine Briefmarke kaufen und den Brief abschicken. Ich weiß nicht, wann er Shawn erreichen wird, aber vermutlich, wenn er wieder zurück ist.
Nach einer Weile, in der ich einfach nur so dagesessen habe, stehe ich auf und mache mich auf den Weg zum Louvre. Ich spüre ein Kribbeln, wenn ich daran denke, mir die ganz großen
Kunstwerke anzusehen. Endlich habe ich die Chance, sie von Nahem zu betrachten. Vielleicht finde ich so die Liebe zu der Kunst wieder. Ein Teil der alten Melody, der, wie so vieles andere, verschwunden ist.
Auf dem Weg hole ich die benötigte Briefmarke und schmeiße den Brief ein. Ich weiß, dass es sein Herz brechen wird, doch genauso ist meins schon gebrochen. Viel zu lange.
Obwohl ich ihn liebe, sollte er nicht das Einzige in meinem Leben sein, das mich aufrecht erhält, sodass ich gleich zusammenbreche, wenn er nicht da ist. Die gepflasterten Wege fließen an den Straßencafés vorbei. Die Häuser sind so dicht aneinander, dass sie sich küssen. Die Dämmerung scheint alles zu verschlingen, ehe auf einmal alle Lichter angehen. Sie leuchten wie Glühwürmchen im Dunkeln. Irgendwo dringt la vie en rose zu mir durch.
Die meisten Menschen würden sich jetzt wohl einsamer denn je fühlen, doch ich spüre das erste Mal seit langem Freiheit. Frei von allen Zwängen und frei von der Hochzeit.
Ein bisschen frei von Shawn.
Trotzdem schwirren mir die Gedanken durch den Kopf, wie nervige Insekten, die sich nicht verscheuchen lassen. Paris ist eine Ausflucht, doch früher oder später werde ich mich entscheiden müssen. Es kann nicht ewig so weiter gehen.
»Madmoiselle, eine Rose?«
Ich schüttele meinen Kopf, um den Straßenverkäufer abzuwimmeln. Dann komme ich endlich an der Glaspyramide an. Heute ist ein langer Museumstag, das heißt das Museum ist noch bis 21 Uhr geöffnet. Die Schlange ist lang, aber dennoch überschaubar. Vielleicht weil es schon so spät ist.
Drinnen angekommen, bezahle ich und mache mich auf den Weg in die Austellung. Freudige Erwartung macht sich im mir breit.
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