Kapitel 1: Fakt ist, Toiletten stinken
Ich starrte auf das Zugfenster. Die vorbeirauschenden Landschaften waren wunderschön, doch ich achtete nicht auf sie. Roggen, Weizen, Maisfelder. Langweilig. Ich kannte das alles schon. Nein, ich schaute nicht die Landschaften an, sondern das Fenster. Ich hasste die Direktorin, das Heim, die Stadt, alles. Es ging mir auf den Sack. Aylin, mach dies, Aylin mach das. Ich wollte wieder zurück nach Hause, zu meinem Vater auf das Land. Mitten in der Pampa. Das war der Nachteil, dort waren nämlich keine Schulen. Und ich muss mich ja "bilden", wie Dad immer sagt. Ich grunzte. Englisch konnte ich sprechen, und ich konnte das kleine Einmaleins. Alles was man braucht. Easy. Ich wollte sowieso Gärtnerin werden, da würde mir Mathe wahrscheinlich nichts nützen. Ausser vielleicht zum Pflanzen zählen. Und Wurzeln auflösen. Ich rümpfte die Nase. Ich saß im Fahrradabteil vor den Toiletten, wo gerade jemand herauskam, und einen ekligen Geruch mitbrachte. Ich seufzte und schaute wieder unkonzentriert vor auf das Fenster gegenüber. Endlich wieder nach Hause. Zu Daddy zurück. Weg von Chicago. Weg vom Internat. Weg von der Langweiligen Direktorin Mrs. Boring. Weg von allem. Plötzlich wurde es kalt im Zug. Ich fröstelte und zog meine Jacke wieder an, die ich vorher ausgezogen hatte. Es war immer noch kalt, und wurde sogar noch viel Kälter. Eiskristalle formten sich an den Fenstern. Die anderen Passagiere schienen nichts zu bemerken, und starrten einfach weiter auf ihr Handy.
"Halluziniere ich etwa?", hörte ich mich selber. Andere Fahrgäste schauten mich schräg an. Ich zuckte die Achseln und lächelte zurück. Als ich das Wesen, dass vor mir stand bemerkte, erschrak ich fast. Ok ich geb's zu, ich erschrak total. Vor mir stand ein Wolf, oder besser gesagt eine Wölfin, auf ihren vier mächtigen Pfoten. Sie war größer als ein Löwe, und hatte messerscharfe Zähne. Sie war sehr schön und Majestätisch, und in ihren hellblauen Augen funkelte Liebenswürdigkeit. Ich schaute nochmal nach links und rechts. Niemand schien das Monster zu bemerken.
"Kannst du mich verstehen? Oder halluziniere ich wirklich?" fragte ich sie leise. Sie fauchte zurück. Ich verstand zuerst nicht, was sie sagen wollte, doch dann hörte ich die zarte Stimme eines jungen Mädchens, das neben der Wölfin stand. Sie war in pelze gekleidet, doch nicht etwa grob geschnittene, sondern schön taillierte Fuchsfelle. Ihre Haare hingen ihr bis zu den Hüften runter, und ihre Hellblauen Augen blitzten mich freundlich an. Sie sahen genauso aus wie die von der Wölfin.
"Ja, Lupa kann dich verstehen. Ich bin Serigala, und das hier ist Lupa, meine Mutter, die Wolfsgöttin," sagte sie leise. Lupa knurrte wieder.
"Du bist eine römische Demigottheit. Lupa wird dich ein paar Monate lang trainieren, bis sie dich nach Neu-Rom schickt. Wie alt bist du jetzt?" fragte sie mich. Ich antwortete, dass heute mein Geburtstag wäre und ich dreizehn war. Das Mädchen schaute die Wölfin aufgeregt an. Sie knurrte etwas ihrer Mutter zu. Diese antwortete mit einem Zucken ihrer Pfote. Dann drehte Serigala sich wieder zu mich um.
"Du bist sie! Du musst sie sein! Heißt du Aylin Evergreen?" rief sie ganz aufgeregt. Ich schaute mich vorsichtig nach den anderen Fahrgästen um, die aber immer noch nichts bemerkt hatten.
"Ja, ja die bin ich. Ich heiße Aylin Evergreen, Tochter von John Evergreen, Naturwissenschaftler und Gärtner. Warum?" antwortete ich. Serigala quietschte vor Glück.
"Wir haben sie gefunden, Mom, wir haben das Kind der Prophezeiung endlich gefunden! Aylin Evergreen, Tochter der Ceres!" das Mädchen wurde ganz gelb. Ich dachte nochmal über ihre Worte nach. Sie sagte doch so etwas wie Demigottheit...Ceres...römisch...Lupa...Lupa! Ich kramte einen Zerknitterten Brief aus den Untiefen meiner Tasche heraus. Er war von Dad. Mein Vater hatte ihn mir gegeben, als wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Lese diesen Brief, wenn du von einer gewissen «Lupa» hörst. Entweder Lupa, römisch oder Demigottheit. Dann lese ihn bitte genau durch. Danach wirst du alles verstehen. Hatte er gesagt. Ich erinnerte mich noch genau an seine schweren Worte, kurz bevor der Bus kam um mich wieder zum Internat zu bringen.
Liebe Aylin,
Du wirst mich wahrscheinlich für verrückt halten, aber es ist die Wahrheit. Du bist eine römische Halbgöttin, man sagt aber eher Halbblut oder Demigottheit. Du, meine einzige Tochter, bist auch die Tochter der Ceres, römische Göttin der Pflanzen und pflanzlicher Nahrung. Deine Liebe für die Natur kommt von deiner Mutter, und von mir. Ich bin nämlich ein Nachfahre des Gottes Triptolemos, der Gott des Ackerbaus, dein Urgroßvater Väterlicherseits. Du wirst ein paar Wochen bei Lupa bleiben, und dort dein Training absolvieren. Danach kommst du nach Camp Jupiter und Neu-Rom. Es wäre wahrscheinlich leichter für dich gewesen, wenn wir in Neu-Rom gelebt hätten, und du mit täglicher göttlicher Präsenz aufgewachsen wärst, ich habe auch daran gedacht, aber ich musste einfach auf dem Feld leben. Ich wollte, dass du weißt wie sich ein normales Leben anfühlt. Ich habe dich schließlich in ein Internat geschickt, damit du trotzdem eine Gute Bildung bekommst. Komm gut zurecht, denn wir werden uns wahrscheinlich für lange Zeit nicht mehr wiedersehen,
Ich vermisse dich,
Dein Vater John.
Ich bekam Tränen in meine Augen. Dad... Komischerweise konnte ich diesen Schwachsinn glauben. Römische Götter? Okay, warum nicht? Neu-Rom, Camp Jupiter? Nie davon gehört, aber okay! Als ich wieder vom Brief aufschaute, unterhielten Lupa und Serigala sich in ihrer «Wolfssprache». Ich fragte mich, was für eine Prophezeiung Serigala eben meinte. Sie drehte sich mit leuchtenden Augen zu mich um und schnippte mit ihren zarten Fingern. Alles wurde Dunkel.
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