73. In dieser Welt
Avery P.O.V.
„Wurdest du vergewaltigt?", fragt Sofia mit einer Direktheit die mich überrumpelt.
Als sie die Worte ausspricht, bricht etwas in mir. Ich hebe gestresst das Handtuch vom Boden auf und wickle mich ein.
„Nein..w-wovon redest du...", sage ich hektisch während ich das Handtuch so fest wie möglich um mich binde.
Ich stürme an Sofia vorbei und setzte mich aufs Bett. Ihr Blick folgt mir.
„Wann ist das passiert?", fragt sie ernst.
„Nichts ist passiert. Ich weiß nicht wovon du redest."
Sie atmet einmal tief ein und aus und wirft dann einen Blick auf ihre Armbanduhr, um zu sehen wie spät es ist.
„Wenn du mir sagst wer es war, kann ich ihn töten. Aber ich habe um 14:00 Uhr einen Termin. Also entweder davor oder danach.", sagt sie eiskalt und streicht sich eine pechschwarze Strähne hinters Ohr.
„W-was?! Nein. D-du tötest ihn nicht.", sage ich gestresst und sehe sie an.
„Du leugnest es nicht mehr. Du magst Fortschritte."
Sofia kommt einen Schritt auf mich zu. Ihr Blick wandert über mein Gesicht, bleibt an meiner Schläfe hängen. „Woher hast du das? Die rote Stelle?" fragt sie, ihre Stimme todernst.
Ich öffne den Mund, will etwas sagen, eine Ausrede, eine Lüge, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. „Ich...ähm...", beginne ich, doch realisiere dass lügen keinen Zweck hat.
Nicht bei Sofia.
Mein Herz pocht bis zum Anschlag, während sie mich einfach ansieht. „E-er...er hat..", ich muss einmal schlucken, versuche die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „..e-er hat mir immer..eine Waffe g-gegen die Schläfe gedrückt."
Sofias Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen, ein Moment des Nachdenkens, bevor sie ihre Arme fest vor der Brust verschränkt.
„Wie oft ist es denn passiert?"
Meine Kehle ist trocken. Meine Hände zittern, aber leugnen hat keine Zweck.
„S-sieben...Mal."
Sofia atmet hörbar ein. Für einen Moment presst sie ihre Augen zusammen, als würde sie im Inneren gegen etwas ankämpfen. Dann öffnet sie ihre Augen wieder und ihr Blick wird wieder undurchschaubar wie immer.
Im Raum herrscht eine erdrückende Stille.
„Hör auf, so heiß zu duschen," sagt sie plötzlich. „Es bringt nichts. Die Berührungen verschwinden nicht." Ihre Stimme ist ruhig, aber da ist etwas in ihren Worten, das nachklingt. „Glaub mit. Ich weiß es."
Ich starre sie überrumpelt an. Vorsichtig, fast zaghaft, frage ich. „Hast du... hast du..ähm..so etwas..auch erlebt?"
Sofia nickt, ohne zu zögern. Ihre Miene bleibt starr, gefühllos, wie immer.
„Ich war 9 Jahre alt. Dann 12. Dann 17. Und nochmal mit 20." Sie spricht, als würde sie über das Wetter reden, als sei es nur eine Tatsache, die man zur Kenntnis nehmen sollte. „Es war mein Stiefvater."
Ich fühle, wie sich ein Knoten in meiner Brust bildet, aber Sofia bleibt unberührt, regungslos. Sie erzählt es, als wäre es nichts, als hätte sie gelernt, den Schmerz abzustreifen wie eine zweite Haut. Doch jetzt verstehe ich. Die Kälte, die Distanz in ihren Augen – es ist ihr Schutzschild.
Mir fehlen die Worte. Alles, was ich sagen könnte, klingt hohl in meinem Kopf.
„Also hör auf mich, wenn ich sage dass du auch den ganzen Warmwasserspeicher des Landes auf deine Haut prasseln lassen kannst es wird nichts ändern. Denn du bist nicht schmutzig, du musst dich nicht so heiß duschen."
Ich spüre wie es mir die Lunge zuschnürt und mir Tränen in die Augen steigen. Das erste Mal seit Tagen, dass ich etwas fühle.
„A-also wird es..n-nie weggehen?" Meine Stimme klingt wie ein Flehen.
„Ich will es nicht schön reden. Manche Dinge gehen nie weg. Du lernst einfach damit zu leben. Du lernst damit umzugehen. Es wird nicht immer so wie jetzt sein. Du wirst auch irgendwann wieder Sex haben können."
Sofort schüttle ich den Kopf. „Nein.", sage ich überzeugt. „A-an das könnte ich n-nicht mal denken."
„So ging es mir auch. Bei mir hat es um die 4 Jahre gedauert. Aber dann ging es wieder. Es war Adrian. Er war die erste Person mit der ich danach wieder Sex hatte."
Für eine Sekunde fehlen mir die Worte. Im Raum bildet sich eine erdrückende Stille.
„W-wusste er davon?", hake ich vorsichtig nach.
Sofia schüttelt den Kopf. „Nein. Adrian wusste nichts davon. Weiß er bis heute nicht. Aber mach nicht den selben Fehler wie ich. Zwischen ihm und mir war nie mehr als Sex. Es warn keine Gefühle. Aber vielleicht wäre das nötig gewesen. Denn jetzt laufe ich dem einzigen Mann nach mit dem ich ohne Angst Sex haben konnte und er denkt ich bin anhänglich und kann nicht abschließen. Also solltest du irgendwann bereit dafür sein, sei dir sicher, dass diese Person dich auch wirklich mag."
Ich lausche Sofias Worten und mein Herz schmerzt für sie. Ich hatte ja keine Ahnung. Während ich dachte sie macht sich an Adrian ran, hat sie nur versucht, den Teil den er in ihr geheilt hat zurückzubekommen oder zumindest beizubehalten.
„Sofia..e-es...", beginne ich und muss einmal schwer schlucken. „Es tut mir so leid."
Sie wendet den Blick zu Boden. Als wäre ihr mein Mitgefühl unangenehm.
„Schon Okay.", sagt sie abweisend. Danach sieht sie mich wieder an. „Mein Angebot mit dem Töten steht noch.", sagt sie als wäre es nur ein weiterer Punkt auf ihrer To-Do Liste. Doch mir ist klar, dass es ihre ganz eigene Art ist mir Mitgefühl zu zeigen.
„Ähm... danke. Vielleicht komme ich darauf zurück", stammele ich, während ich verzweifelt versuche, ein Lächeln zu formen, das nicht völlig bricht.
Sie schenkt mir ein kurzes Nicken, dreht sich wortlos um und geht Richtung Tür, entschlossen, den Raum zu verlassen.
„Sofia, warte!" Meine Stimme klingt lauter, fast panisch, als sie gerade die Hand zur Türklinke ausstreckt.
Langsam dreht sie sich um und blickt mich mit gerunzelter Stirn an. „Was ist?"
„Bitte...", flüstere ich, meine Stimme beinahe erstickt vor Angst. „Erzähl es niemandem."
Einen Augenblick lang mustert sie mich, ihre Augen durchdringen mich. Dann, nach einer schier endlosen Sekunde, nickt sie kaum merklich.
„Danke...", hauche ich kaum hörbar, bevor sie sich endgültig abwendet und das Zimmer verlässt.
„Zeus..du stehst ihm Weg..", höre ich Sofia sagen. Und bevor sie die Tür schließen kann, quetscht sich Zeus durch den Spalt in mein Zimmer. Sofias Blick folgt Zeus, der als wäre es das normalste überhaupt zu mir ins Bett hüpft und soch sofort neben mich legt. Und zum ersten Mal, seit ich sie kenne sehe ich ein warmes Lächeln auf ihren Lippen, bevor sie die Tür schließt und ihre Schritte im Flur verstummen.
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2 h später
Adrian P.O.V.
„Ich fahre jetzt in den Club, ich bin in zwei Stunden wieder hier.", sage ich zu Matteo der im Wohnbereich bereits diverse Dinge für heute Abend vorbereitet. Mein Couchtisch wurde bereits zweckentfremdet und fungiert nun als Bier Pong Tischt. Sofia packt mit an und stellt schon mehrere Gläser auf den Tisch.
„Geht klar, aber wehe du kommst zu spät zu der Party!", ruft Matteo mir drohend zu.
„Werde ich nicht.", sage ich leicht genervt, während ich mir die Schuhe anziehe. Ich zupfe mein Hemd zurecht und nehme meinen Mantel.
„Zeus! Hier!", rufe ich und ziehe mir den Mantel über. Als ich fertig bin, ist immer noch keine Spur von Zeus.
„Der ist oben.", sagt Sofia die eben vom Wohnbereich Richtung Küche geht.
„Oben?", hake ich nach.
„Bei Avery.", sagt sie als wärs das normalste auf der Welt und verschwindet in der Küche.
Zeus ist bei Avery? Das kann nicht sein, sie hat doch Angst vor Hunden.
Ich ziehe meine Schuhe wieder aus und gehe Richtung Treppen.
Ich gehe die Treppen hinauf bis zu ihrem Zimmer. Meine Hand greift vorsichtig nach der Türklinke, die ich mit Bedacht nach unten drücke, damit sie keinen Laut von sich gibt. Ich gehe davon aus, dass Avery schläft, also will ich sie auf keinen Fall wecken. Die Tür öffnet sich langsam, und im nächsten Moment sehe ich hinein.
Mein Herz beginnt sofort, schneller zu schlagen.
Da liegt Avery, tief ins Kissen vergraben, mit Zeus direkt neben ihr. Er hat sich eng an sie gekuschelt, sein großer Kopf auf dem Kissen neben ihr. Ihre Nasen berühren sich fast, während ihre Hand sanft in seinem Fell ruht. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Ihre Finger scheinen sich fast automatisch an ihm festzuklammern, als hätte sie darin Halt gefunden. Auf der anderen Seite ihres Kopfes hat sich Chloe zusammengerollt, ihre kleine Pfote ruht an Averys Schulter.
Mein Blick wandert langsam über ihr Gesicht. Selbst aus der Ferne kann ich sehen, wie blass sie ist. Ihre Haut glänzt leicht, benetzt von Schweiß, der sich in feinen Perlen auf ihrer Stirn sammelt. Es ist, als würde der Anblick von ihr, so zerbrechlich und verletzlich, etwas in mir kaputt machen. Ich hatte nicht gedacht, dass es so belastend sein könnte, sie krank zu sehen.
Meine Gedanken rasen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, selbst dort zu liegen, direkt neben ihnen. Avery in meinem Arm zu halten. Ich frage mich, ob es eine Welt gibt, in der ich dazugehören könnte. Eine Welt, in der meine Nähe keine Gefahr bedeutet, in der ich einfach nur bei ihnen sein kann, ohne alles zu ruinieren, ohne Schaden anzurichten. Die Vorstellung ist so lebendig, dass mein Herz für einen kurzen Moment schmerzt.
Ich bleibe in der Tür stehen, unfähig, mich zu rühren, als ob ich diesen Augenblick einfrieren könnte, nur für einen Moment länger.
Aber die Realität holt mich schnell wieder ein.
Diese Welt gibt es nicht für mich. Es darf sie nicht geben. Ich habe mich längst für eine andere entschieden, eine Welt, in der ich Distanz wahren muss, um diejenigen zu schützen, die mir am meisten bedeuten. Diese Wärme, die ich jetzt spüre, diese Sehnsucht... sie sind nicht für mich bestimmt.
Ich zwinge mich, das Gefühl wegzuschieben, mich wieder zu fangen. Trotzdem bleibt ein leichter Stich zurück, der mich daran erinnert, wie sehr ich dieses Leben vermisse – ein Leben, das ich nie hatte und niemals haben werde.
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