145. In ihrer Hand
Adrian P.O.V.
00:00 Uhr
Der Regen prasselt auf die Motorhaube des Wagens, in dem Hunter und Sofia ungeduldig sitzen. Ich sitze immer noch vor Averys Haus, auf den Holzstufen der Veranda, durchnässt bis auf die Haut.
Plötzlich höre ich aus der Entfernung wie sich die Autotür des Wagens öffnet.
„Adrian!" Hunters Stimme durchschneidet den monotonen Klang des Regens. Sie ist scharf, fast flehend. „Es ist Mitternacht. Wir müssen langsam wirklich los.."
Ich ignoriere ihn. Meine Hände sind zu Fäusten geballt, meine Gedanken kreisen. Sie kommt. Ich weiß es. Sie muss kommen.
Ich höre wie die Autotür zuknallt. Hunter tritt zu mir, sein schwarzer Mantel wird sofort vom Regen durchnässt.
„Adrian, bitte..Es sind dreieinhalb Stunden bis Berlin. Der Flieger geht kurz nach vier. Wir können es uns nicht leisten, noch länger zu warten.", seine Stimme wird lauter, durchdringt den Regen.
Ich hebe meinen Blick langsam zu ihm. Meine Augen treffen seine, und ich spüre, wie die Spannung zwischen uns wächst. „Ich gehe nicht.", sage ich, meine Stimme ruhig, aber voller Entschlossenheit. „Nicht, bis ich sie nicht gesehen habe."
Sofia kommt jetzt auch aus dem Auto, sie zieht sich die Kapuze ihres Mantels tief ins Gesicht. „Adrian, bitte. Wir müssen los. Es ist zu gefährlich."
„Du musst jetzt kommen." Hunters Stimme wird lauter. Ich weiß, dass er recht hat. Aber ich kann nicht. Nicht jetzt. Nicht, wenn es eine Chance gibt.
„Sie kommt nicht. Du wirst sie nicht sehen. Das musst du realisieren. Und wir haben keine Zeit mehr für diesen verzweifelten Versuch etwas an den Fakten zu ändern. Du musst dich jetzt verdammt nochmal zusammenreissen."
Kaum hat er den Satz fertiggesprochen explodiert etwas in mir. Bevor ich nachdenken kann, stehe ich auf packe ihm am Kragen seines Mantels und schubse ihn zurück. „Halt die Klappe!" brülle ich.
Er taumelt, aber er bleibt auf den Beinen. Seine Augen sind wie Stahl, kalt und unnachgiebig. „Genug jetzt."
Doch ich höre nicht zu. Mein Herz rast, meine Brust hebt und senkt sich schnell, als würde jede Zelle in meinem Körper gegen mich rebellieren. Meine Muskeln spannen sich, bereit, den Schmerz herauszulassen, der so tief in mir sitzt.
„Ich verliere alles!" schreie ich, die Worte brechen aus mir hervor wie ein Sturm. „Alles, verdammt noch mal! Und du willst, dass ich einfach weggehe? Als wäre es so leicht? Ich...ich verliere sie nochmal. Es fühlt sich an wie damals. Als..als müsste ich sie wieder zurücklassen."
Hunter bleibt regungslos, seine Hände zuckten nicht einmal. Der Regen läuft ihm über das Gesicht, seine Haare kleben an seiner Stirn. Er sieht mich einfach nur an.
„Adrian." Sein Ton ändert sich, wird ruhiger, aber keineswegs sanft. „Ich versteh das. Wie schwierig das für dich ist. Aber bitte..du musst jetzt in dieses Auto steigen und mitkommen."
Ich höre seine Worte, doch ich bin nicht bereit, mich zu beruhigen. Ich gehe auf ihn zu, dränge ihn zurück. Meine Hände zittern vor Wut, vor Enttäuschung, vor der schmerzhaften Gewissheit, dass er recht hat. Aber diese Wahrheit ist zu groß, zu schwer, um sie jetzt zu tragen.
Ich hebe meine Hände um ihn an der Brust zurückzustoßen, doch dieses Mal geht er nicht zurück. Stattdessen hebt er blitzschnell die Hände, um meine Arme zu greifen.
„Das reicht, Adrian!" Seine Stimme donnert durch die Nacht, schneidet durch das Geräusch des Regens und meine tobenden Gedanken. „Ich weiß, dass du verletzt bist. Ich weiß, dass du wütend bist. Aber das hier? Das bringt uns alle um!"
Ich kämpfe gegen seinen Griff, aber seine Ruhe ist unerschütterlich, unnachgiebig. Er bleibt fest, seine Augen bohren sich in meine.
„Hör zu..." sagt er jetzt leiser, aber mit dieser drängenden Intensität, die mich innehalten lässt. „Du kannst dir den Luxus nicht leisten, die Kontrolle zu verlieren. Nicht hier, nicht jetzt."
Mein Atem geht schwer, meine Knie fühlen sich plötzlich schwach an, aber ich lasse die Spannung in meinen Muskeln los.
Langsam lockert er seinen Griff, als er merkt, dass ich aufgebe. Doch seine Augen bleiben wachsam, bereit, mich wieder zu packen, wenn ich es noch einmal versuchen sollte.
„Beruhig dich," sagt er erneut, seine Stimme leiser, fast sanft. „Du weißt, dass ich nur das Beste für dich will. Aber ich werde dich nicht in den Tod laufen lassen, weil du deinen Kopf durchsetzen willst."
Ich nicke langsam, lasse die Arme sinken. Mein Kopf fühlt sich schwer an, und ich schließe für einen Moment die Augen. Der Regen prasselt weiter, als wolle er all das aus mir herauswaschen, was mich belastet.
„Wir müssen los. Jetzt.", sagt Hunter nochmal ernst.
Sofia legt vorsichtig eine Hand auf meinen Arm. „Adrian... es gibt keinen Weg zurück, wenn wir bleiben. Du weißt das."
Ich schließe die Augen. Der Schmerz in meiner Brust ist wie ein Messer, das sich tiefer bohrt. Doch ich weiß, sie haben recht.
Avery kommt nicht. Und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder zurückkommen werde.
Ich atme tief durch und sehe Hunter an. „Okay. Ich...ich komme mit. Aber gebt mir noch paar Minuten."
„Adrian." beginnt Hunter, aber ich hebe eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Nur drei Minuten. Ich komme gleich."
Er kneift die Augen zusammen, seine Stirn in tiefe Falten gelegt. Sofia schaut zwischen uns hin und her, sagt aber nichts. Schließlich lehnt sich Hunter zurück, ein Ausdruck des Widerwillens auf seinem Gesicht. „Mach schnell."
„Ja...", antworte ich halb genervt. Er nickt mir einmal ernst zu, und geht langsam zum Auto. Sofia folgt ihm und die Beiden steigen ein.
Ich drehe mich um, gehe die Treppen der Veranda hoch bis zu ihrem Postkasten der sich direkt neben der Eingangstür befindet.
Ich nehme einen tiefen Atemzug, als wäre mir gerade nur all zu bewusst, das dies das Letzte ist, was ich für sie tun könnte.
Ich werfe einen Blick zurück zum Auto. Der SUV steht ruhig da. Sofia und Hunter werden wohl gerade ungeduldig drinnen sitzen, darauf hoffen das ich komme. Aber sie wissen nicht, was ich vorhabe, und aus dieser Entfernung und bei der Dunkelheit werden sie es auch nicht mitbekommen. Und das ist gut so.
Mit einem schnellen Griff öffne ich den Postkasten. Darin liegt die übliche Post: eine Zeitung, ein paar Werbeflyer. Ich ziehe die Zeitung heraus, reiße ein Stück Papier von einer Ecke ab, gerade groß genug, um ein paar Worte darauf zu schreiben.
Ich nehme einen Kugelschreiber aus meiner Manteltasche und schreibe eine Nachricht darauf. Meine Hände zittern. Nicht nur wegen der Kälte, sondern auch wegen dem, was ich tue. Ich weiß wie riskant es ist. Aber ich muss es tun.
Ich falte den Zettel langsam und für einen Moment halte ich ihn fest, unfähig, ihn loszulassen. Wenn ich ihn jetzt loslasse, gibt es kein Zurück mehr. Es ist mein letzter Versuch, sie zu erreichen, ohne wirklich da zu sein. Ein letzter Versuch, ihr zu zeigen, dass ich es ernst meine – dass ich nie aufgehört habe, an sie zu denken. Aber jetzt liegt es in ihrer Hand.
Ich lege den Zettelt hinein, meine Hand auf dem Deckel des Postkastens, unfähig, ihn zu schließen. Mein Blick wandert wieder zum Haus, zu den dunklen Fenstern, die mich wie stumme Zeugen anstarren. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, wenn sie jetzt hier wäre. Wenn sie die Tür öffnen würde. Wenn sie mich sehen würde. Würde sie etwas sagen? Würde sie mir zuhören? Oder würde sie mich einfach wegschicken?
Der Gedanke schnürt mir die Kehle zu. Ich schließe den Postkasten mit einem leisen Klick und lasse meine Hand darauf ruhen.
Mit all meiner verbleibenden Kraft zwinge ich mich schließlich, mich umzudrehen, den Rücken zum Haus zu kehren. Meine Füße bewegen sich widerwillig, jeder Schritt fühlt sich an wie ein Kampf. Als ich den Wagen erreiche, halte ich inne, lege eine Hand auf das Dach und atme schwer. Der Drang, zurückzulaufen, zur Tür zu rennen und einfach zu warten, egal wie lange es dauert, ist beinahe überwältigend.
Aber ich kann nicht.
Deshalb atme ich tief ein und steige ins Auto. Hunter sieht mich an, seine Augen kühl und analysierend, aber er stellt keine Fragen. Sofia wirft mir einen schnellen Blick über die Schulter zu, ehe sie sich wieder nach vorn dreht.
Der Motor des Wagens brummt auf, und kurz darauf setzt er sich schon in Bewegung. Ich schaue aus dem Fenster, zurück zu dem Haus, das langsam im Regen verschwindet.
Keiner fragt, was ich getan habe, und ich erkläre es nicht. Im Postkasten liegt das Stück Papier, vom Regen leicht durchweicht, aber die Worte darauf sind klar.
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Hunter P.O.V.
Der Regen hat sich in ein leises Nieseln verwandelt, doch die Dunkelheit der Nacht bleibt erdrückend. Ich sitze neben Adrian auf der Rückbank des SUVs, meine Beine leicht angespannt, bereit, bei der kleinsten Bewegung zu reagieren. Die Uhrzeit leuchtet rot auf dem Armaturenbrett – 1:13 Uhr. Wir fahren schon seit einer Stunde.
Adrian sagt nichts. Kein Wort, kein Laut. Er starrt aus dem Fenster, die Hände locker auf den Knien, aber ich sehe, wie sie gelegentlich zuckend zu Fäusten werden.
Seine Geduld hängt am seidenen Faden, und ich wage nicht, auch nur den Versuch zu machen, das Gespräch zu eröffnen. Alles, was ich sagen könnte, würde entweder wie ein Vorwurf klingen oder wie Mitleid – beides Dinge, die Adrian in diesem Zustand nicht ertragen kann.
Sofia dreht sich kurz zu uns um, ihre Augen treffen meine. Ich erkenne die stille Frage in ihrem Blick: Was machen wir jetzt mit ihm? Ich schüttle kaum merklich den Kopf. Kein Wort, signalisiere ich ihr.
Ich wende den Blick zurück zu Adrian. Seine Kiefermuskeln arbeiten unter der Anspannung, die er offenbar selbst kaum kontrollieren kann. Und doch sitzt er da, ruhig, beinahe erstarrt.
Ich will nicht daran denken, was passieren könnte, wenn er wieder abstürzt. Wenn er sich wieder in einer Spirale aus Kokain und Alkohol verliert.
„Hunter.."
Adrians Stimme zerreißt die Stille plötzlich wie ein Messer.
„Ja?" Ich halte meinen Ton ruhig, neutral, so gut ich kann.
Er dreht den Kopf zu mir, seine Augen brennen, dunkel und unergründlich. „Warum sitzt du so angespannt da? Denkst du, ich raste wieder aus?"
Er hat mich durchschaut, natürlich. Adrian sieht alles, auch wenn er sich nicht rührt. Ich schließe kurz die Augen und zwinge mich, ruhig zu bleiben.
„Nein.", sage ich. „Ich will nur sicherstellen, dass wir rechtzeitig ankommen."
Er schnaubt leise, aber da ist kein Humor in dem Geräusch. „Immer pünktlich, immer korrekt", murmelt er vor sich hin.
Sofia zieht unruhig an ihrem Schal, dreht sich aber nicht um. Sie weiß, dass das jetzt zwischen ihm und mir liegt.
„Ist das jetzt ein Vorwurf?", frage ich ihn.
Er sieht mich an. Seine Mimik eiskalt. Doch er entschließt sich meine Frage zu ignorieren und wendet wieder seinen Blick aus dem Fenster. Starrt raus in die Dunkelheit.
Und auch wenn ich nicht möchte dass er ausrastet, macht mir sein Schweigen genau so viel Angst.
„Wie viel Zeit haben wir noch?" Sofias Stimme kommt leise von vorne, fast wie ein Flüstern.
Ich sehe auf die Uhr. „Wir schaffen es," sage ich und versuche, ruhig zu klingen.
Sofia nickt, sagt aber nichts mehr. Ich sehe, wie sie einen kurzen Blick in den Rückspiegel wirft, zu Adrian, bevor sie wieder starr nach vorne schaut. Sie spürt es auch. Diese Stille. Diese unnatürliche Ruhe.
Ich lehne mich leicht vor, strecke die Beine, als ob ich mich lockern könnte, doch die Spannung in meinen Schultern bleibt. Ich wende mich zu Adrian, der immer noch mit leerem Blick in die Dunkelheit starrt.
„Was hast du eigentlich da draußen gemacht?" frage ich schließlich, vorsichtig, meinen Ton so beiläufig wie möglich haltend.
Keine Reaktion.
„Adrian?"
Er dreht seinen Kopf minimal, genug, um zu signalisieren, dass er mich gehört hat. Aber er antwortet nicht. Er sieht mich an, nur kurz, und in seinen Augen liegt etwas, das ich nicht deuten kann. Dann wendet er sich wieder ab und starrt erneut aus dem Fenster, als wäre ich gar nicht da.
Mein Magen zieht sich zusammen, und ein unbehagliches Gefühl kriecht mir den Rücken hinauf.
Es ist, als wäre er gar nicht hier. Als hätte er sich selbst schon irgendwo andershin zurückgezogen, an einen Ort, zu dem wir keinen Zugang haben. Und das macht mir mehr Angst, als ich jemals zugeben könnte.
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