140. Eine Frage der Zeit
Adrian P.O.V.
Die Reifen des Flugzeugs quietschen auf der Landebahn als wir dreizehn Stunden später in Paris ankommen. Sofias leiser Atemzug neben mir verrät mir, dass auch sie angespannt ist, obwohl sie es besser versteckt. Hunter sitzt am Gang, regungslos, wie ein Soldat, der auf den nächsten Befehl wartet.
Ich richte meine Jacke und greife nach der Tasche unter dem Sitz. Die Anspannung ist greifbar, aber ich lasse sie nicht nach außen dringen. Gelassenheit ist alles.
Der Weg vom Flugzeug ins Terminal ist ein Labyrinth aus langen Gängen und Neonlichtern, die alles zu grell erscheinen lassen. Die Lautsprecher hallen über uns hinweg, Durchsagen in Französisch und Englisch, die mir wie ein Summen in den Ohren liegen.
„Passkontrollen." murmelt Hunter, und ich sehe die Schilder vor uns.
Die Schlange an den Schaltern ist lang und die Wartezeit fühlt sich wie Stunden an. Ich taste unauffällig nach meinem Pass, spüre das vertraute Gewicht in meiner Jackentasche und atme tief durch.
Hunter und Sofia stehen vor mir, ihre Haltung entspannt, aber ich kenne sie gut genug, um die kleine Anspannung in ihren Bewegungen zu erkennen. Sofia lächelt gelegentlich, während sie scheinbar unbeteiligt in der Menge um sich blickt. Hunter schaut starr nach vorne, den Blick auf die Beamten gerichtet, die die Pässe prüfen.
Die Zeit scheint sich zu dehnen, als die Schlange sich langsam vorwärts bewegt. Ich spüre, wie mein Puls gegen die Schläfen hämmert, während wir uns dem uniformierten Beamten nähern. Als der Beamte uns heranwinkt, brennt sein Blick bereits auf uns.
Hunter tritt vor, mit einer Ruhe, die bewundernswert ist. Er reicht ihm die drei Pässe. Der Beamte nimmt sie entgegen, mustert uns kurz und öffnet dann die Dokumente.
„Destination?" fragt er auf Englisch, seine Stimme sachlich, aber nicht ohne eine Nuance von Kontrolle.
„Berlin." antwortet Hunter. „It's a business Trip."
Der Beamte blättert durch die Seiten der Pässe, seine Bewegungen präzise, beinahe mechanisch. Der Blick des Beamten schießt zu Hunter, verweilt einen Moment, wandert dann zu Sofia und schließlich bleibt er an mir hängen.
Ein drückendes Gefühl schleicht sich in meine Glieder, doch ich halte seinem Blick stand. Mein Gesicht bleibt neutral, meine Augen ruhig. Ich zwinge mich, nicht zu viel zu blinzeln.
„You're from Argentina?" fragt er plötzlich und sieht mich an.
„Yes." antworte ich gelassen.
Er schweigt einen Moment, mustert mich wie ein Puzzle, das er lösen will. „What's the purpose of your trip?" Seine Augen heften sich an mich, graben sich tiefer, als ich es ertragen möchte.
„We are looking for new trade opportunities for our business." erkläre ich. „We export wine and gourmet products from Argentina and are meeting potential partners in Europe."
Er nickt kaum merklich, als hätte er das erwartet. Dann schiebt er die Pässe ein Stück auf dem Schalter zusammen, doch seine Finger verharren. Er hebt eine Augenbraue, während er mich nochmal konzentriert mustert. „You look familiar."
Der Satz trifft mich wie ein Schlag. Mein Atem will stocken, aber ich lasse es nicht zu. „Really?" frage ich mit einem leichten Lächeln. „Maybe you've visited Buenos Aires?"
Er schüttelt langsam den Kopf, sieht mich an, als suchte er in seinem Gedächtnis nach einem vergessenen Bild. Mein Magen zieht sich zusammen, doch ich halte die Fassade aufrecht.
Ein Schatten von Zweifel huscht über das Gesicht des Beamten. Er öffnet erneut die Pässe, blättert langsamer, diesmal prüfender. Die Sekunden dehnen sich ins Unendliche.
Der Beamte hebt den Blick, fixiert mich erneut. sein Blick wandert über jede Kontur meines Gesichtes. „You're sure we haven't met before?"
Ich schüttele den Kopf, halte meine Stimme gleichmäßig: „I don't believe so. But maybe in another life?" Ein schwaches Lächeln, ein kleiner Scherz, nichts Verdächtiges.
Er mustert mich noch einen Moment, dann richtet er sich auf, seine Haltung strenger denn je. Meine Knie fühlen sich an, als wären sie aus Gummi, aber ich bleibe stehen.
Dann, endlich, der erlösende Klang. Der Stempel trifft auf die Pässe. Der Beamte schiebt sie über den Tresen zurück und nickt knapp. „Have a good trip."
„Thank you." sagt Hunter, seine Stimme so ruhig, als hätte er nicht gerade einen Höllenritt durch die Spannung hinter sich. Wir gehen durch, unsere Schritte kontrolliert.
Die Erleichterung bleibt aus, als wir den Kontrollbereich verlassen, niemand sagt etwas. Hunter führt uns mit der gleichen ruhigen Entschlossenheit zum nächsten Terminal. Sofia murmelt leise. „Gut gemacht."
Ich antworte nicht. Meine Augen scannen weiterhin die Umgebung. Jeder Uniformierte, jede Kamera, jede Bewegung in der Menge.
Der Gang scheint sich endlos zu dehnen, die Stimmen der anderen Reisenden um uns herum zu einem dumpfen Hintergrundrauschen verschmolzen. Ich fühle meinen Puls immer noch in meinen Ohren, jede Faser meines Körpers alarmiert, als könnte der Beamte jeden Moment hinter uns auftauchen und uns stoppen.
Hunter bleibt ruhig, doch ich sehe die Anspannung in seinen Schultern. Sofia wirkt äußerlich gelassen, ihre Hände locker an der Schultertasche, aber ihr Blick ist wachsam.
„Er hat mich erkannt." sage ich schließlich leise, aber mit einer Schärfe in der Stimme, die das Gewicht meiner Worte trägt. Mein Blick huscht zurück, doch niemand folgt uns – noch nicht. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er herausfindet, woher."
Hunter schnaubt, dreht sich halb zu mir um, ohne den Schritt zu verlangsamen. „Er hat dich nicht erkannt. Sonst würden wir jetzt nicht mehr laufen, sondern in Handschellen sitzen."
„Bist du blind?" zische ich, die Worte schärfer. „Er wusste, dass irgendetwas nicht stimmt. Er hat es gespürt. Ich habe es gesehen, verdammt nochmal!"
Hunter bleibt stehen, dreht sich abrupt zu mir um, und ich merke, wie Sofia die Luft anhält. „Und was willst du jetzt machen, Adrian? Umkehren und ihm eine Autogrammkarte geben? Vielleicht hat er dein Gesicht in einem Bericht gesehen, aber er ist nicht sicher. Das Einzige, was du gerade tust, ist, uns auffälliger zu machen!"
Mein Kiefer spannt sich an, meine Hände ballen sich zu Fäusten.
„Genug!" Sofias Stimme schneidet durch die Spannung wie ein Messer. Sie tritt zwischen uns, ihre Augen sprühen vor Wut. „Wollt ihr euch jetzt gegenseitig auffliegen lassen? Reißt euch verdammt nochmal zusammen! Beide!"
Hunter und ich starren uns an, die Luft zwischen uns geladen, doch ihre Worte wirken. Ich schließe kurz die Augen, atme tief durch und nicke schließlich. „Okay.", sage ich leise, meine Stimme schwer vor unterdrückter Wut und Frustration.
„Gut." sagt Sofia und sieht uns beide an, ihre Stimme fest. „Wir sind fast da. Keine Diskussionen mehr. Kein Drama. Wir bleiben ruhig und unauffällig, klar?"
Hunter sagt nichts, nickt aber knapp. Ich presse die Lippen zusammen und tue es ihm gleich. Sie dreht sich um und geht weiter, den Kopf erhoben, als könnte sie allein durch ihre Haltung alles wieder ins Lot bringen.
Doch das dumpfe Gefühl in meinem Magen bleibt. Er hat mich erkannt. Und ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er genau weiß, woher.
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Das Flugzeug hebt ab, und die Vibration der Triebwerke durchdringt meinen Körper. Ich starre aus dem Fenster, beobachte, wie Paris unter uns immer kleiner wird, bis es in einem Meer aus Wolken verschwindet. Meine Gedanken schweifen ab, doch Hunter reißt mich zurück.
„Wir müssen über Avery reden." sagt er leise, aber mit Nachdruck. Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sofia sitzt neben mir, die Augen geschlossen, doch ich weiß, dass sie uns zuhört.
Ich drehe mich zu ihm, mein Magen zieht sich zusammen. Allein ihr Name schafft es, so viele Gefühle in mir auszulösen. „Was hast du herausgefunden?"
Hunter lehnt sich ein Stück näher, sein Blick wachsam, bevor er spricht. „Sie wohnt in einem Haus, dreienhalb Stunden von Berlin entfernt. Abgelegen, mitten in einem Wald. Gut für uns. Es gibt dort niemanden der uns beobachten kann."
Ein seltsames Gefühl breitet sich in mir aus. Ein Teil von mir wusste, dass Avery so etwas wählen würde, ein Leben in der Abgeschiedenheit, fernab von allem. Sie hat immer davon gesprochen. Ein Haus im Wald, weit weg von der Welt. Nur sie und Chloe. Ein Rückzugsort, der nur ihr gehört. Und jetzt ist es Realität geworden.
„Das passt zu ihr.." murmele ich, mehr zu mir selbst als zu Hunter. Der Gedanke an Avery dort, allein in diesem Wald, ist ein Bild, das gleichermaßen beruhigend wie beunruhigend ist.
„Wie sicher ist diese Information?" frage ich schließlich und zwinge mich, sachlich zu klingen.
Hunter zieht die Augenbrauen zusammen. „So sicher, wie es sein kann. Meine Quelle hat mir die genaue Adresse gegeben."
Ich nicke, doch die Gedanken und Zweifel rasen durch meinen Kopf. „Aber...was wenn sie nicht dort ist?", hake ich nach.
„Sie wird dort sein. Wenn wir ankommen ist es etwa 23 Uhr. Aber für alle Fälle habe ich zwei weitere Adressen. Einmal die von der Praxis in der sie arbeitet. Und eine Adresse von einem Pub in dem sie gesehen wurde."
Ich nicke und mein Blick gleitet wieder zum Fenster. Hunter mustert mich einen Moment, als wollte er etwas sagen, entscheidet sich aber dagegen. Er lehnt sich zurück, und wir schweigen den Rest des Fluges. Die Zeit zieht sich, doch jeder Kilometer bringt mich näher zu ihr. Zu Avery.
______
18:32 Uhr
Am Flughafen in Berlin empfängt uns ein Mann in einem schwarzen Mantel, dessen Gesicht unter einer Kappe halb verborgen ist. Er sagt kein Wort, sondern bedeutet uns nur, ihm zu folgen.
Wir verlassen innerhalb weniger Minuten den Flughafen und folgen ihm, in das Parkhaus. Wir steigen in einen dunklen Wagen mit getönten Scheiben.
Die Fahrt beginnt, und die Stadtlichter verblassen bald hinter uns. Ich lehne meinen Kopf gegen das Fenster und starre in die Dunkelheit, während die Landschaft an uns vorbeizieht. Mein Herz schlägt schneller, je weiter wir fahren. Jeder Kilometer bringt mich näher zu Avery, nur noch dreienhalb Stunden, bis ich sie sehe.
Die Gedanken an sie sind wie eine Flut, die mich überschwemmt. Erinnerungen an ihr Lachen, ihre Stimme, ihre Berührungen. Aber auch die unausweichliche Frage, ob sie überhaupt will, dass ich komme.
Aber selbst wenn nicht.
Sie kann mich wegschicken. Mir sagen dass sie mich nicht hier haben möchte.
Solang ich einfach die Gelegenheit habe ihr zu sagen, dass ich sie liebe.
Die Spannung in meiner Brust wächst, ein Gemisch aus Hoffnung und Angst. Noch dreienhalb Stunden. Und danach wird nichts mehr sein wie zuvor.
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Avery P.O.V.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr: 18:32.
Die Uhr über der Rezeption tickt lauter, als sie sollte. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil mein Kopf brummt. Der Tag war anstrengend. Stressig. Die Praxis war voll, mehr Tiere als üblich, und jedes einzelne brachte seine eigene Herausforderung mit sich.
Ich lasse meinen Blick durch den Warteraum gleiten. Jetzt ist es leer, die Stille drückt angenehm auf meine Ohren, aber der Knoten in meinem Bauch den ich schon den ganzen Tag spüre lockert sich nicht. Es ist kein Hunger, keine Müdigkeit – es ist etwas anderes. Etwas Unbestimmbares. Etwas, das sich wie Übelkeit anfühlt.
„Du bist heute irgendwie blass.", sagt Ben, während er die letzte Schublade des Medikamentenschranks abschließt. Sein Blick ist warm, aber auch besorgt.
Ich zucke die Schultern und zwinge mich, ihn anzusehen. „Es ist nichts. Wahrscheinlich nur der Stress. Der Tag war... viel."
„Vielleicht solltest du dich ablenken. Ins Pub gehen? Ein bisschen abschalten?"
Ich seufze einmal nachdenklich. Der Gedanke daran jetzt noch in ein Pub zu gehen ist nicht besonders verlockend. Der Gedanken daran mit Milo und Chloe auf der Couch zu kuscheln und ein Buch zu lesen aber schon.
„Ich denke ich muss Nachhause und mich ausruhen.." sage ich schließlich. „Milo und Chloe warten schon auf mich immerhin waren sie heute viel alleine.."
Ben wirkt leicht enttäuscht doch er verbirgt es gekonnt, schenkt mir ein schwaches Lächeln.
„Okay...vielleicht ein anderes Mal. Ruh dich gut aus.", sagt er einfühlsam.
„Ja auf jeden Fall ein anderes Mal. Danke Ben." Ich schnappe mir meine Tasche, hänge sie mir um die Schulter. Ich verabschiede mich von Ben und gehe zügig aus der Praxis.
Ich will gerade einfach nur Nachhause und dieses seltsame Gefühl in meinem Magen loswerden.
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