137. Immer
Avery P.O.V.
Wir essen eine Weile schweigend. Das Klirren der Gabeln und Chloes gleichmäßiges Schnurren erfüllt den Raum. Milo liegt mittlerweile neben mir auf der Couch, sein Kopf auf meinem Oberschenkel, seine Augen geschlossen.
Ich spüre, wie der Alkohol langsam nachlässt, die Wärme in meinem Körper kühlt ein wenig ab, und mit ihr kommt die Klarheit zurück – und die Schwere. Die Gedanken, die ich eben laut ausgesprochen habe, hängen noch immer zwischen uns.
Ich kaue auf einem weiteren Bissen Pasta herum und lege dann die Gabel beiseite. Ich wende meinen Blick langsam zu Ben der mich sofort aufmerksam ansieht. „Es tut gut, mit jemandem zu reden. Ehrlich. Es war lange her, dass ich das konnte..", sage ich schwach lächelnd.
Er nickt lächelnd, sagt nichts, aber ich merke, dass er mir den Raum lässt, weiterzusprechen.
„Trotzdem ist es seltsam.." füge ich hinzu, meine Stimme leiser. „Wieder so viel über ihn nachzudenken. Über alles, was war. Das konnte ich nie..nicht mal mit ihm."
Ben legt seine Gabel ab und sieht mich an, seine Augen warm und mitfühlend. „Ist zwischen euch noch viel unausgesprochen geblieben?"
Ich lache kurz, ein trauriges, dünnes Lachen. „Ja...Alles.."
Ben atmet tief ein. „Das ist nicht gut, Avery. Du kannst all die Dinge die dich noch beschäftigen nicht einfach runterschlucken. Wenn es noch Dinge gibt die du mit ihm bereden musst, dann tu es."
Ich spüre wie sich ein Knoten in meiner Brust bildet. „Das...das geht nicht."
Ben runzelt die Stirn, seine Augen verengen sich leicht vor Verwirrung. „Warum denn nicht?" fragt er, seine Stimme bleibt ruhig, aber ich merke die Unsicherheit darin. „Du kannst ihn doch einfach anrufen. Oder... ich meine, du hast doch sicher eine Möglichkeit, mit ihm persönlich zu reden, oder?"
Ich schüttle schwach den Kopf. „Nein. Ich habe keine Nummer von ihm. Keine Adresse. Nichts."
Seine Verwirrung verstärkt sich, und er lehnt sich ein Stück vor, als wolle er sicherstellen, dass er mich richtig verstanden hat. „Keine Nummer? Kein gar nichts?" fragt er, fast ungläubig. „Wie... wie ist das möglich? Ihr wart doch... also, ihr habt doch..." Er bricht ab, weil er nicht weiß, wie er es formulieren soll, aber ich weiß, was er meint.
„Ich weiß.." sage ich leise und hebe den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen.
„Wieso...wieso würde er das tun? Er hätte dir doch wenigstens sagen können wo er sein wird. Was für ein Arsch.", sagt Ben und nimmt kopfschüttelnd einen Bissen von der Pasta.
Ich presse die Lippen zusammen, während ich spüre, wie Bens Verwirrung förmlich im Raum schwebt. „Es war meine Entscheidung, Ben. Nicht seine.", sage ich schließlich.
„Du...du bist freiwillig gegangen in dem Wissen dass es danach keinen Kontakt gibt?"
„Ja. Ich musste. Ich wusste, dass, wenn ich bleibe... bei ihm bleibe... ich mich selbst verlieren würde. Das Leben das wir führten war so... kompliziert. So gefährlich. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber irgendwann konnte ich nicht mehr wegsehen. Es ging nie um ihn. Es ging um alles andere um ihn herum."
Ben sieht mich an, als würde er versuchen, einen Weg durch dieses Labyrinth aus meinen Worten zu finden.
„Ich habe ihn nicht verlassen, weil ich es wollte. Sondern weil ich keine andere Wahl hatte. Er hat es verstanden. Mehr als ich erwartet hatte. Er hat mich gehen lassen... aber wir wussten beide, was das bedeutet. Dass ich ihn vielleicht lange, sehr lange, nicht wiedersehe. Vielleicht nie."
Kaum spreche ich es aus merke ich, wie meine Kehle plötzlich eng wird. Ich schaue weg und spüre, wie meine Augen brennen und die Tränen hochkommen. Nicht jetzt. Nicht hier.
„Avery?" Bens Stimme ist sanft.
Ich schüttele den Kopf, schließe die Augen, weil ich die Tränen zurückhalten will, die trotzdem kommen. Bevor ich etwas tun kann, spüre ich, wie Ben sich nach vorne beugt. Seine Hand berührt leicht meine Schulter und es ist diese simple, mitfühlende Geste, die mich fast endgültig zum Zerbrechen bringt.
„Hey.." sagt er leise, seine Stimme so warm und ruhig, dass sie mich fast sofort beruhigt. „Es ist okay.."
Sein Blick hält meinen fest, und ich merke, dass ich weine, bevor ich überhaupt die erste Träne spüre. Ben rutscht ein Stück näher und reicht mir eine Serviette. „Avery, es ist okay..", wiederholt er.
Ich wische mir mit der Serviette über die Augen und versuche, den Sturm in mir irgendwie zu beruhigen. Ben bleibt still, seine Hand auf meiner Schulter, bis meine Tränen nachlassen. Ich sehe ihn an, seine Augen warm und voller Mitgefühl, aber auch ein wenig ratlos.
„Es tut mir leid...das ich dich hier vollheule..", sage ich schwach lächelnd und sehe ihn an.
Ben legt seinen Kopf schief und grinst mich an. „Dafür sind Freunde doch da. Das ist absolut okay. Mir tuts leid dass ich ein schlechter Tröster bin."
„Bist du doch nicht.." sage ich sofort, ein kleines Lächeln auf meinen Lippen.
„Doch." entgegnet er. „Ich bin nicht gut darin die richtigen Worte zu formulieren. Aber weisst du wie ich erfolgreich aufmuntere?" Er wirft mir einen grinsenden Blick zu. Dann steht er ohne meine Antwort abzuwarten auf und geht zum Regal, wo meine Musikbox steht. Er sieht sich kurz um, greift dann nach seinem Handy und verbindet es mit der Box. Ich runzle die Stirn. „Ben, was wird das, was hast du vor?"
„Dich auf meine Ben-Spezial Art aufmuntern.", sagt er so überzeugt dass ich lächeln muss.
Bevor ich protestieren kann, erklingt die Melodie von „Piano Man" aus der Box.
„Ist das Lied nicht ungefähr tausend Jahre alt? Willst du mich mit einem Fossil der Musikbranche aufheitern?", frage ich und sehe ihn nicht ganz überzeugt an.
Ben greift sich dramatisch gespielt auf sie Brust, als hätten ihn die Worte schwer getroffen. „Ein Fossil? Nennst du Billy Joel ein Fossil?"
Ich zucke frech die Schulter, bis ich sehe, wie Ben langsam den Kopf im Takt der Musik bewegt, sich dann umdreht und anfängt zu singen. Laut. Und schlecht.
„Sing us a song, you're the piano man...", gröllt er. Seine Stimme ist so daneben, dass ich automatisch die Hand vors Gesicht lege. Er geht in die Knie, streckt eine Hand dramatisch aus und singt mit geschlossenen Augen weiter. „Sing us a song tonight!"
„Ben, hör auf!" rufe ich lachend, obwohl ich es zu unterdrücken versuche. Es gelingt nicht. „Du bist furchtbar!"
„Genau!" ruft er triumphierend und stellt sich wieder hin, als wäre er vor einem Publikum. „Aber weißt du was? Ich geb alles!" Und dann legt er richtig los, greift sich die Gabel als Mikrofon, während er völlig übertrieben mitsingt. Seine Bewegungen sind absurd und sein Gesang... nun ja, unerträglich.
Ich lache laut mit, halte mir den Bauch, weil ich nicht mehr aufhören kann. Ben bleibt stehen und grinst. „Na also," sagt er, ein bisschen außer Atem. „Mission erfüllt."
„Du bist unglaublich," bringe ich zwischen Lachanfällen hervor. „Das war das Peinlichste, was ich je gesehen habe."
„Das war der Punkt," sagt er mit einem Zwinkern und setzt sich wieder hin. „Du lachst wieder. Und ich nehme das als meinen großen Erfolg."
Ich wische mir eine Lachträne aus dem Augenwinkel und schüttele den Kopf. „Danke, Ben." sage ich schließlich leise, aber aufrichtig. „Das habe ich gebraucht."
„Immer gern," sagt er, seine Stimme jetzt wieder sanft. „Manchmal braucht es eben nicht die richtigen Worte, sondern das richtige Lied. Auch wenn man dafür die Würde opfern muss."
Ich schüttle den Kopf, immer noch lächelnd, und spüre, wie die Schwere des Abends ein kleines Stück leichter wird.
„Du bist echt was Besonderes," sage ich schließlich, die Worte kommen ohne groß nachzudenken. Es ist keine Floskel. Es ist ehrlich.
Er zuckt die Schultern. „Was soll ich sagen? Ich bin ein Multitalent – lausiger Tröster, mittelmäßiger Sänger, aber ein ziemlich guter Freund."
Ich lache leise und schüttele den Kopf. „Das stimmt..," sage ich.
Die letzten Töne von Piano Man sind gerade verklungen, da drückt Ben plötzlich wieder auf seinem Handy herum. Noch bevor ich protestieren kann, beginnt das Lied erneut – die vertrauten Klaviertöne füllen den Raum, diesmal lauter als zuvor.
„Oh nein," murmele ich und verziehe das Gesicht. „Ben, nein. Nicht nochmal."
„Doch, nochmal," sagt er entschieden und steht auf. „Aber diesmal machst du mit."
Ich starre ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Auf keinen Fall. Das war schon beim Zuschauen peinlich genug."
„Genau deswegen," sagt er mit einem breiten Grinsen und streckt mir die Hand entgegen. „Komm schon, Avery. Ich hab mich total zum Narren gemacht – jetzt bist du dran. Fair ist fair."
„Fair?" Ich schüttle den Kopf, obwohl ich merke, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht schleicht. „Ich bin kein bisschen betrunken genug dafür."
„Das macht es nur besser." Er nimmt meine Hand, zieht leicht daran. „Los.."
„Ben..." Ich sehe ihn an, den Ausdruck in seinen Augen – dieses freche, kindliche Funkeln, das er immer hat. Es ist ansteckend, gegen meinen Willen.
„Okay, gut," sage ich schließlich und lasse mich von ihm hochziehen. „Aber ich warne dich – ich bin eine schreckliche Sängerin."
„Perfekt." sagt er, „..dann passen wir ja zusammen."
Das Lied nimmt Fahrt auf, und Ben beginnt sofort, wieder laut mitzusingen, die Arme ausgebreitet, als würde er vor einem vollen Stadion stehen. Ich lache, schüttle den Kopf und murmele. „Oh mein Gott, das ist so peinlich."
Ich lache so sehr, dass ich kaum atmen kann. Ben greift vorsichtig nach meiner Hand. Er dreht mich einmal um meine eigene Achse und ich stolpere ein wenig, lache dabei aber so sehr, dass es mir egal ist. Meine Haare fliegen in alle Richtungen, und als ich wieder zu ihm zurückdrehe, hält er meine Hand ein wenig fester, als wolle er mich auffangen, sollte ich wirklich fallen.
„Siehst du?" ruft er lachend. „Tanzen ist gar nicht so schlimm."
„Ich tanze nicht." sage ich, halb protestierend, obwohl ich es in diesem Moment eindeutig tue.
„Ach ja?" Er hebt eine Augenbraue, zieht mich ein kleines Stück näher. Seine andere Hand wandert vorsichtig an meine Taille, und ich spüre den leichten Druck, ohne dass es unangenehm ist. Ganz im Gegenteil – ich fühle mich... wohl. Das überrascht mich fast mehr, als die Tatsache, dass ich ihn das überhaupt zulasse.
Er wiegt uns beide langsam im Takt der Musik, und ich lasse mich darauf ein, spüre, wie sich meine Anspannung löst. Es fühlt sich gut an, die Kontrolle kurz loszulassen – nicht, weil ich sie verliere, sondern weil ich sie bei Ben seltsamerweise nicht brauche.
Wir drehen uns noch einmal im Kreis, etwas unbeholfen, aber es spielt keine Rolle. Er hält mich fest, aber immer so sanft, dass ich mich nie unwohl fühle.
„Danke," flüstere ich schließlich, fast unhörbar. „Für... das."
„Immer." antwortet er genauso leise und schenkt mir ein warmes Lächeln.
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