128. Wut, Verzweiflung, Leere
Avery P.O.V.
20:07 Uhr
Das Pub ist gemütlich und genau so, wie man es sich vorstellt – mit dunklen Holzmöbeln, warmem Licht und einer dezenten Melodie von irischer Musik im Hintergrund. Ben und ich sitzen an einem kleinen Tisch direkt am Fenster.
„Also, Avery.." beginnt er, mit einem Lächeln, das so warm ist, dass es ein wenig von meiner Nervosität löst. „Jetzt können wir endlich mal in Ruhe reden. Im Chaos in der Arbeit geht das immer total unter. Wir arbeiten schon über einen Monat zusammen und ich hab das Gefühl dich kaum zu kennen."
Ich nicke und kann nicht anders, als ein kleines Lächeln zu zeigen. „Ja, das stimmt. Aber viel mehr als die Arbeit und Chloe gibts bei mir ohnehin nicht.."
Er lehnt sich vor. „Hmm..Du wohnst in diesem Haus gleich im Wald nebenan stimmts? Wie kams eigentlich dazu, du bist ja soweit ich weisst erst vor wenigen Wochen hierhin gezogen."
Ich zögere kurz, aber sein Blick ist neugierig, nicht aufdringlich. „Ich...wollte schon immer ein Haus im Wald. Manchen macht der Wald Angst, vor allem nachts, aber für mich hat es etwas...friedliches."
Ben nippt an seinem Bier und lehnt sich ein Stück näher, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. „Und wohnst du allein? Oder... gibt's da jemanden? Einen...Mann vielleicht?" fragt er, seine Stimme freundlich, aber auch mit einer Spur Neugier.
Ich schüttle sofort den Kopf, vielleicht etwas zu hastig.
„Nein. Kein Mann in meinem Leben.". Ich wende meinen Blick ab und spüre sofort einen Knoten in meinem Magen. Ich beginne nervös mein Glas Limonade zu umgreifen.
Ben scheint meine Reaktion zu bemerken und seine Miene wird weicher. „Tut mir leid..ich wollte nicht aufdringlich sein.."
Ich zwinge mich zu einem kleinen Lächeln. „Keine Sorge, alles gut. Es ist nur..." Ich zögere, die Worte wie ein Knoten in meiner Kehle. Schließlich atme ich tief durch. „Ich habe erst... sowas wie eine Trennung durchgemacht."
Ben hebt leicht die Augenbrauen, aber nicht aus Neugier. Es ist Mitgefühl, das ich in seinem Blick sehe. „Das tut mir leid," sagt er sanft. „Das ist nie einfach."
Ich zucke mit den Schultern und blicke auf mein Glas, meine Finger um den Rand gekrampft. „Es war kompliziert... Ich brauchte Zeit für mich selbst. Aber trotzdem... irgendwie fühlt es sich an, als hätte ich einen Teil von mir verloren."
Er nickt langsam, als würde er jedes Wort genau verstehen. „Manchmal ist es das Richtige, auch wenn es sich im Moment alles andere als richtig anfühlt."
Ich blicke ihn an und sehe, dass er es wirklich ernst meint. Keine aufgesetzte Höflichkeit. Er fragt leise. „Wie lang wart ihr den zusammen?"
„Gar nicht." antworte ich. Bens Augenbrauen ziehen sich nachdenklich zusammen. Dann zuckt er locker mit den Schultern.
„Oh...okay. Naja ich denke manchmal reicht es wenn die Liebe stark genug ist, dass es sich anfühlt wie eine Trennung.." Er lehnt sich leicht zurück, sein Blick bleibt auf mir haften.
„Nein, ich weiß nicht mal, ob man von Liebe sprechen kann..." Ich blicke kurz zu Boden, meine Finger spielen nervös mit dem Rand meines Ärmels, und ich spüre, wie sich ein Knoten in meinem Hals bildet.
Ben schmunzelt, hebt eine Augenbraue und lehnt sich wieder ein Stück näher. „Also, das musst du mir jetzt erklären. Ihr wart nicht zusammen und es war keine Liebe?" Sein Ton ist leicht amüsiert, aber nicht spöttisch, eher wie jemand, der die Spannung auflockern will.
„Ich weiß nicht, was es von seiner Seite aus war, aber... Liebe ist ein starkes Wort...," sage ich schließlich, meine Stimme wird leiser. „Ich denke er hätte es mir gesagt, wenn es für ihn Liebe gewesen wäre."
Ich schaue auf meine Hände, die sich in meinem Schoß ineinander verschränken, während ich spüre, wie meine Wangen sich leicht erwärmen. Als ich Ben wieder ansehe, scheint sein Ausdruck weicher zu sein. Seine Stirn ist leicht gerunzelt, als würde er etwas abwägen.
„War es denn von deiner Seite aus Liebe?", fragt Ben vorsichtig.
Ich atme tief durch, bevor ich antworte. „Das ist etwas worüber ich nicht mehr nachdenken will. Es hat keinen Zweck, denn er ist weg."
Ben sieht mich voller Mitgefühl an. „Es tut mir leid, dass du das gerade durchmachst."
Ich schenke ihm ein schwaches Lächeln. „Danke..aber...weißt du," beginne ich leise „..es gibt mir zumindest ein bisschen Trost, mir vorzustellen, dass er jetzt vermutlich schon halbwegs drüber hinweg ist. Immerhin ist es schon fast drei Monate her."
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Adrian P.O.V.
Das Geräusch der Flasche, die gegen die Wand fliegt und zersplittert, durchschneidet die Stille im Raum. Ich keuche, meine Brust hebt und senkt sich heftig, während ich den Stuhl zurückstoße und aufstehe. Meine Hände zittern, ich balle sie zu Fäusten, aber das Zittern hört nicht auf. Es hört nie auf. Nichts hört auf. Nicht der Druck in meiner Brust, nicht diese verdammten Gedanken an sie.
3 Monate
12 Wochen
Und jeder neue Tag ohne sie ist eine weitere Qual. Der Schmerz wird nicht einfacher. Im Gegenteil – er scheint zu wachsen, sich tiefer in mir festzusetzen.
Ich drehe mich um, mein Blick wandert über das Chaos, das mich umgibt. Das Wohnzimmer stinkt nach abgestandenem Alkohol und kaltem Rauch. Leere Flaschen stapeln sich auf dem Boden, einige zerbrochen, mit scharfen Scherben. Auf dem kleinen Couchtisch liegt das verstreute Kokain, glitzernd im Sonnenlicht, das durch das halb offene Fenster fällt. Es lässt das Kokain fast noch verlockender aussehen.
Ich lache bitter. Mein Leben ist ein gottverdammter Witz.
„Adrian!" Hunters Stimme schneidet durch den Raum wie ein Messerschnitt. Er steht auf der Treppe, seine Hand zu einer Faust geballt. Es sieht aus, als müsste er sich zurückhalten, um nicht direkt auf mich loszugehen.
Ich drehe mich langsam zu ihm um, lasse meine müde, kalte Stimme durch den Raum hallen. „Halt die Klappe.."
Er zuckt nicht einmal. Stattdessen schnaubt er und geht sie letzten Stufen runter, in meine Richtung. Seine Augen brennen vor Frust und einer Sorge, die er nicht verbergen kann. „Das ist nicht normal." Er hebt den Arm, zeigt auf den Tisch, auf die Flaschen. „Das hier... das ist Selbstzerstörung. Und du weißt das."
Ich lache kurz. „Selbstzerstörung? Meinst du? Ist das deine große Erkenntnis? Glückwunsch, du bist ein verdammtes Genie."
Hunter bleibt stehen, seine Augen lassen mich nicht los. „Ich habe dir Raum gegeben, Adrian. Wochenlang. Aber das hier..." Seine Stimme wird leiser, eindringlicher. „Das bist nicht mehr du. Du säufst dich jede Nacht ins Koma und ziehst so viel Koks, dass dein verdammtes Herz irgendwann einfach aufhören wird zu schlagen."
Ich starre ihn an, und für einen Moment glaube ich, er erwartet eine Reaktion von mir – eine Entschuldigung, vielleicht sogar Wut. „Wäre vielleicht besser so.", murmel ich stattdessen leise, aber laut genug damit er es hört.
Seine Kiefermuskeln spannen sich und dann explodiert er.
„Verdammt, Adrian! Glaubst du, sie hätte das gewollt? Glaubst du, Avery hat sich von dir entfernt, damit du dich selbst zugrunde richtest? Das ist ein Schlag ins Gesicht für alles, wofür sie gekämpft hat!"
„Halt. Die. Klappe!" Ich gehe auf ihn zu, bevor ich es überhaupt merke. Meine Hände zittern unkontrolliert. Ich spüre, wie die Wut in meinem Körper aufsteigt. „Du weißt nichts, verdammt noch mal. Du hast keine Ahnung, wie es war. Wie es ist, ohne sie. Du verstehst nichts."
Hunter weicht nicht zurück. Kein Zentimeter. Seine Augen funkeln, und seine Stimme ist ruhig, aber wie ein Messer, das durch meine Haut schneidet. „Dann erklär es mir, Adrian. Erklär es mir! Oder hör auf, dich zu bemitleiden und mach etwas daraus."
Ich öffne den Mund, aber es kommen keine Worte. Wie könnte ich es erklären? Die Stille, die mich jede Nacht umbringt? Das Gefühl, dass sie immer noch hier sein sollte? Alles in mir ist ein einziges Chaos aus Wut, Schuld und Verlust, und es gibt keinen Weg, das in Worte zu fassen.
Die Hitze in meinem Körper explodiert. Ich stoße ihn zurück, nicht hart, aber er stolpert einen Schritt. Hunter hebt die Hände, fast wie zur Kapitulation, aber sein Blick bleibt fest auf mir.
„Gut." Seine Stimme ist plötzlich leise. „Mach halt weiter wie bisher. Aber erwarte nicht, dass es sie zurückbringt."
Dann dreht er sich um, geht zur Treppe. Wenige Sekunden später verschwindet er aus meinem Sichtfeld.
Ich sinke auf den Boden, die Knie geben nach, als würden sie das Gewicht meiner Schuld nicht mehr tragen können. Meine Hände greifen in mein Haar, vergraben sich dort. Die Tränen, die plötzlich meine Wangen hinunterlaufen, brennen wie Feuer.
Ich schluchze, erst leise, dann lauter. Die Verzweiflung, die Wut, die Leere – alles kommt auf einmal. Es fühlt sich an, als würde ich zerbrechen, von innen heraus und ich habe keine Ahnung, wie ich jemals wieder ganz werden soll.
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