
122. Zeit
Adrian P.O.V.
„Fass mich nicht an!", schreit sie, ihre Stimme voller Angst und Schmerz. Sie sieht mich mit ängstlichen Augen an, ihr Atem geht schnell und ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass ich nach ihr gegriffen habe.
Plötzlich spüre ich eine raue Hand an meiner Schulter. „Adrian..", flüster Hunter leise. „Gib ihr etwas Abstand.."
Ich nicke, schlucke einmal schwer und gehe vorsichtig einen Schritt zurück. Schaffe Distanz zwischen uns, während Avery mich keine Sekunde aus den Augen lässt.
Kaum bin ich mehrere Schritte entfernt atmet sie etwas entspannt durch. Dann dreht sie sich abrupt um und stürmt in den Nebenraum, schlägt die Tür hinter sich zu. Der laute Knall hallt durch den Raum, und für einen Moment bleibt nur Stille zurück, eine erdrückende, schwere Stille.
Ich bleibe stehen, starre auf die geschlossene Tür und spüre, wie ein dumpfes Pochen hinter meiner Stirn beginnt.
_______________
14 Minuten später
Die Minuten vergehen und keiner von uns hat noch ein Wort gesprochen. Avery ist immer noch im Nebenraum. Hin und wieder höre ich ein leises Schluchzen, was mein Herz zerreissen lässt.
„Ihr braucht euch echt nicht wundern..", sagt Valentina und legt lässig ein Bein übers andere, während sie auf dem Couchsessel gegenüber sitzt.
Ich atme tief ein, greife mir auf meine Nasenbrücke um das schmerzhafte pochen zwischen meinen Augen zu lindern.
„Sowas vor ihr besprechen ist denkbar dämlich..", fährt Valentina unbeirrt fort und sieht abwechselnd Hunter und mich an. „Sie ist nicht aus dieser Welt. Sie macht ohnehin schon soviel durch, ihr müsst ihr diese ganzen infos nicht aufbürden."
„Es ist einfach keine Zeit das in Ruhe wo anders zu besprechen. Glaub mir, das wär mir auch lieber. Aber die Zeit läuft uns davon.", fährt Hunter sie an.
Dann wendet er sich mir zu. Er tritt näher, bleibt neben der Couch stehen. „Adrian, wir haben keine Zeit, das später zu klären. Wir müssen jetzt darüber reden."
„Ja verdammt ich weiss..", sage ich und lehne mich seufzend zurück, lasse meinen Kopf in den Nacken fallen. „Was ist der Plan?"
„Der Plan ist, dass wir verschwinden. Gleich früh morgens. Nach Kolumbien."
Ich spüre, wie die Anspannung in mir wächst. Die Vorstellung, jetzt alles hinter mir zu lassen, meine Basis, meine Leute... sie ist schwer zu akzeptieren. Doch ich weiß, dass Hunter recht hat. Der Angriff in der Villa hat alles verändert. Es war kein Einzelfall. Das Misstrauen in mich hat sich verbreitet und in dieser Szene wird jede potentielle Schwachstelle mit dem Tod bestraft.
„Gut. Meinetwegen.", sage ich und greife mir angespannt in den Nacken. „Mach es. Bestell den Jet. Wir brechen auf. Und...bitte informiere Martha, dass sie morgen früh gar nicht mal zu ihrer Schicht aufkreuzen muss. Sorge dafür, dass sie und ihre Familie finanziell ausgesorgt sind. Und dann informiere die Familien der Sicherheitsmänner über deren Tod." Ein Knoten bildet sich in meinem Magen, doch ich kann das was geschehen ist einfach nicht mehr rückgängig machen.
Hunter nickt, sein Gesichtsausdruck bleibt ernst. „Ich kümmere mich darum."
Er dreht sich um und verlässt das Haus, seine Schritte fest und zielgerichtet.
„Valentina", sage ich schließlich, und meine Stimme klingt rauer, als ich wollte. Sie hebt eine Augenbraue, wartet darauf, dass ich weiterspreche. „Könntest du... mit Avery reden? Bitte."
Sie verzieht keine Miene, mustert mich aber kurz.
„Okay..", sagt sie nur. Keine Fragen, keine Widerworte. Sie steht langsam von dem Sessel auf und geht zur Tür, bleibt aber kurz davor stehen und wirft mir einen Blick über die Schulter zu. „Aber mach dir keine falschen Hoffnungen, Adrian. Sie braucht mehr, als nur ein paar beruhigende Worte."
Ich sage nichts, sehe ihr nur nach.
„Hey Avery...ich bins.", sagt Valentina ruhig. Es dauert etwas, aber wenige Sekunden später öffnet sich die Tür.
_____________
Die Minuten ziehen sich endlos hin, und ich höre nichts. Keine Stimmen, keine Bewegung. Das macht mich noch unruhiger, aber ich zwinge mich an Ort und Stelle zu bleiben.
Als die Tür schließlich wieder aufgeht, drehe ich mich hastig um. Valentina tritt hinaus, schließt die Tür hinter sich und bleibt stehen.
„Und?" frage ich sofort. Ich suche in ihrem Blick nach Hinweisen, nach irgendeiner Antwort, die mich beruhigen könnte.
Valentina zuckt leicht mit den Schultern, ihre Stimme ist ruhig, fast sachlich. „Sie braucht noch Zeit, Adrian. Es war viel für sie. Aber sie wird klarkommen."
„Hat sie etwas gesagt?", dränge ich, meine Augen verengen sich, während ich sie beobachte. Irgendetwas an ihrer Haltung macht mich misstrauisch, aber ich will es nicht wahrhaben.
„Nicht viel." Valentina weicht meinem Blick aus. „Sie ist einfach erschöpft. Lass ihr ein bisschen Luft."
Mein Blick wandert zu der Tür, hinter der Avery immer noch ist. „Ich muss mit ihr reden. Sie muss wissen, dass ich für sie da bin."
„Adrian.Sie weiß das. Aber jetzt ist nicht der Moment, sie zu drängen. Glaub mir.", sagt Valentina ernst.
Ich werfe ihr einen irittierten Blick zu, stehe ich von der Couch auf und gehe auf sie zu. „Wieso siehst du so angespannt aus wenn alles okay ist?"
Valentina verdreht genervt die Augen. Dann richtet sie sich etwas auf. „Ich bin einfach müde Adrian..", sagt sie und geht an mir vorbei. „Ich lege mich in das Zimmer oben. Weck mich wenn der Jet bereit ist."
Ich nicke langsam, widerstrebend. Ihre Stimme klingt überzeugend, doch irgendetwas fühlt sich nicht richtig an. Trotzdem zwinge ich mich, zurückzutreten.
Die Tür öffnet sich erneut, und Avery tritt hinaus. Ihr Blick ist gesenkt, ihre Schultern hängen leicht, und sie wirkt noch immer zerbrechlich. Sie vermeidet es, mich anzusehen, bleibt ein Stück entfernt stehen, als wolle sie nicht zu nah an mich herankommen.
Ich sehe sie an, spüre, wie meine Brust sich zusammenzieht, doch bevor ich etwas sagen kann, dreht Valentina die schon auf der Treppen steht zu mir. Ihr Gesicht bleibt ausdruckslos, sie mustert uns noch einen Moment bevor sie nach oben verschwindet.
„Es tut mir leid Avery..", sage ich ruhig, kaum dass wir alleine sind. „Die letzten Stunden müssen viel für dich gewesen sein."
Sie hebt ihren Blick, sieht mich an. „Es ist okay.", sagt sie schwach, fast flüsternd.
„Leg dich doch hin, ruh dich etwas aus..", sage ich und deute auf die Couch. „Ich zünde den Kamin an. Dann wird es hier etwas wärmer."
Avery zögert, wirft einen schnellen Blick zur Couch, dann zurück zu mir. Es ist, als ob sie die Einladung nicht annehmen will, aus irgendeinem Grund. Doch schließlich nickt sie kaum merklich und geht an mir vorbei Richtung Couch, lässt sich sanft in die weichen Polster sinken.
Ich gehe zu dem Kamin, knie mich davor, greife nach den Holzscheiten und staple sie aufeinander. Die Streichhölzer liegen griffbereit, doch meine Hände zittern leicht, als ich nach einem greife. Es ist nicht die Kälte – es ist dieses seltsame, ungreifbare Gefühl, das in der Luft liegt, wie ein dunkler Schatten, den ich nicht sehen, aber spüren kann.
Als das Feuer endlich aufflammt, werfe ich einen Blick über meine Schulter. Avery hat die Beine angezogen, ihre Arme fest um sie geschlungen. Das leise Knistern des Feuers scheint sie ein wenig zu beruhigen, doch ihre Augen verraten etwas anderes. Sie sind nicht hier – sie sind irgendwo weit weg, in Gedanken oder Erinnerungen, die ich nicht erreichen kann.
„Möchtest du etwas trinken?" frage ich leise. Meine Stimme klingt beinahe fremd in der stillen, angespannten Atmosphäre.
Sie schüttelt den Kopf. „Nein, danke."
Ich setze mich in den alten Sessel gegenüber und sehe Avery an. Sofort weicht sie meinem Blick aus.
Die Stille zwischen uns dehnt sich, nur das leise Knistern des Feuers füllt den Raum. Ich sehe sie an, spüre das Gewicht all der Worte, die ungesagt zwischen uns hängen, doch ich weiß, dass es keinen Sinn hat, sie auszusprechen. Ich weiß, dass sie Zeit braucht.
____________________
04:10 Uhr
Ich gehe draußen vor dem Haus angespannt auf und ab. Das Telefon wird warm in meiner Hand, die Gespräche scheinen endlos, und doch treibt mich die Zeit an wie ein Messer im Rücken.
Ich telefoniere mit meinen Männern in Kolumbien, die seit Jahren für mich arbeiten, die alles essentielle für die Flucht für mich organisieren können. Keiner dieser Anrufe dauert lange – ich verschwende keine Worte, keine Sekunde mehr als nötig.
Zwischendurch halte ich inne, starre in die Dunkelheit die langsam verblasst.
Ich klemme mir das Handy zwischen Schulter und Ohr, während ich auf einem Zettel eine Liste von Namen kritzle, streiche, neu schreibe. Kontakte die ich brauchen kann, wenn ich dort bin.
Nach einer Stunde ist mein Nacken steif, meine Gedanken ein Wirbelsturm. Ich gehe leise wieder ins Haus, schließe die Tür fast lautlos und gehe in den Wohnbereich. Hunter sitzt mit seinem Laptop auf dem Schoß auf einem der Couchsessel.
Mein Blick wandert zu Avery, die auf der Couch gegenüber schläft. Ihr Gesicht ist entspannt, aber ich sehe die Spuren der Anspannung, die selbst im Schlaf nicht ganz verschwinden wollen. Ihr Atem ist ruhig, gleichmäßig, ein seltener Moment von Frieden inmitten dieses Chaos.
Ich gehe leise zu ihr, jede Bewegung bedacht. Ich knie mich neben die Couch, lasse meinen Blick über ihr Gesicht gleiten. Es trifft mich jedes Mal aufs Neue, wie viel sie mir bedeutet, wie sehr sie mich an einen Teil von mir erinnert, den ich längst verloren glaubte.
Die Decke liegt halb von ihr gerutscht, und ich ziehe sie vorsichtig hoch, bedecke ihre Schultern und ihren Hals. Meine Hand verweilt kurz an der Kante der Decke.
Ich beuge mich näher zu Avery. Mein Atem geht schneller, mein Herz schlägt schwer in meiner Brust. Die Worte brennen auf meiner Zunge, so intensiv, dass ich sie nicht länger in mir halten kann.
„Ich liebe dich..so sehr..", flüstere ich, die Worte fast tonlos, aber mit einer Tiefe, die mich selbst überrascht.
Ich weiß, dass Hunter es hört. Er sitzt am Sessel wenige Schritte neben mir, seine Präsenz ist schwer zu ignorieren. Seine Augen ruhen auf mir, doch es ist mir egal. Ich will daraus kein Geheimnis mehr machen.
Avery bewegt sich leicht, ihr Gesicht entspannt sich etwas, als hätte sie meine Worte in ihrem Schlaf wahrgenommen. Ich bleibe einen Moment länger, sehe ihr zu, wie sie tief durchatmet.
Dann stehe ich langsam auf, werfe Hunter einen kurzen Blick zu. Er sagt nichts, aber in seinem Gesicht liegt ein Ausdruck, den ich nicht ganz deuten kann – Respekt, vielleicht ein Hauch von Verständnis.
Mein Handy vibriert in meiner Hand, das leise Summen bricht die Stille im Raum. Mein Blick fällt auf das Display, und ich sehe sofort, dass es der Arzt ist. Mein Magen zieht sich zusammen, ein Reflex, der selbst die besten Nachrichten trüb erscheinen lässt.
Ich werfe Hunter einen Blick zu.
„Der Arzt.", flüstere ich. Sofort richtet er sich auf. Es ist kaum merklich, aber ich sehe, wie seine Schultern sich anspannen, wie seine Hände sich unbewusst zu Fäusten ballen. Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich kenne ihn.
Ich hebe das Handy ans Ohr und drücke den Anruf an. „Ja?" frage ich leise, während ich mich langsam von Avery abwende. Hunter geht mir sofort nach. Ich nicke ihm zu, und wir gehen beide ein Stück zur Seite, leise genug, um Avery nicht zu wecken. Chloe hebt den Kopf, aber als sie sieht, dass alles ruhig ist, schmiegt sie sich wieder an Avery.
„Gute Nachrichten", sagt der Arzt am anderen Ende der Leitung. Seine Stimme ist ruhig, fast beschwichtigend, aber ich kann die Erleichterung darin hören. „Die Wunde war tief, aber nicht lebensbedrohlich. Sofia wird sich erholen, vorausgesetzt, sie bekommt die nötige Ruhe."
Ich lasse die Worte einen Moment auf mich wirken, spüre, wie ein Teil der Anspannung in mir nachlässt.
„Wie lange, bis sie transportfähig ist?" frage ich direkt. Das ist alles, was jetzt zählt.
„Mindestens 24 Stunden.", antwortet er.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro