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Adrian P.O.V.
Nächster Tag
18:40 Uhr
Etwas angespannt stehe ich vor Averys Tür. Meine Hand bereits gehoben, bereit zu klopfen. Ich weiß nicht genau, warum ich gekommen bin – vielleicht, um sicherzugehen, dass es ihr gut geht, vielleicht, um die Distanz zu überbrücken, die ich gestern selbst geschaffen habe. Vielleicht weil ich sie nochmal sehen möchte, vor heute Nacht. Noch etwas Zeit mit ihr verbringen. Auch wenn ich überzeugt bin, dass nichts schief gehen wird.
Ich atme nochmal durch, dann klopfe ich leise an.
Drinnen höre ich ihre Schritte, dann wie sich die Tür einen Spalt öffnet.
„Hey..", sage ich und lächle sie schwach an. „Darf ich reinkommen?"
Für einen Moment ist sie still. Dann höre ich sie leise ausatmen, wie jemand, der mit sich selbst ringt. „Ich ... Ich glaube, ich würde lieber alleine sein heute Abend.", sagt sie schließlich.
Ihre Worte sind höflich, sogar sanft, aber sie treffen mich härter, als ich erwartet habe. Ich bleibe noch einen Moment vor der Tür stehen, mein Kopf gesenkt, während ich versuche, ihre Stimme zu deuten.
„Ähm...ja klar." sage ich schließlich und hoffe, dass meine Stimme ruhig bleibt.
„Es tut mir leid," fügt sie hinzu, leiser, fast flüsternd. „Es ist nur ..." Sie bricht ab, findet die Worte nicht.
„Du musst dich nicht entschuldigen," antworte ich ruhig. „Wenn du allein sein willst, ist das okay. Ich wollte nur nach dir sehen."
„Danke," sagt sie, und in diesem einen Wort liegt etwas, das ich nicht ganz greifen kann – Dankbarkeit, aber auch Unsicherheit.
Ich nicke und drehe mich langsam um, um zu gehen. Hinter mir höre ich wie sie die Tür wieder schließt. Meine Schritte hallen leise auf dem Steinboden, doch ich spüre das Gewicht in meiner Brust. Natürlich hält sie mich auf Abstand. Sie überwindet sich jeden Tag aufs neue, schenkt mir Vertrauen und als sie versucht hat, auch nur einen Blick hinter meine Fassade zu werfen, habe ich mich verschlossen.
Ich weiß, dass das Vertrauen, das sie mir schenkt, zerbrechlich ist. Ein schmaler Grat, auf dem ich jeden Tag aufs neue Balance finden muss. Und gestern habe ich sie aus Angst, sie mit meinen Problemen zu belasten, auf Distanz gehalten. Jetzt zahle ich den Preis.
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00:12 Uhr
Die Villa ist in Dunkelheit getaucht, nur der Mond wirft sein kühles Licht durch die Fenster. Mein Herz schlägt schwer, doch mein Kopf ist klar. Jeder Gedanke ist darauf fokussiert, was uns bevorsteht.
Hunter überprüft seine Pistole, seine Bewegungen präzise und ruhig, als hätte er dies schon tausend Mal getan. Neben ihm schließe ich den Reißverschluss meiner Jacke und verstaue die Waffe an meinem Gürtel. Ich spüre die Anspannung in der Luft, die unausgesprochenen Worte zwischen uns.
„Gehen wir?", fragt er. Ich nicke ihm zu und wir machen uns auf den Weg nach draußen, wo mein Fahrer schon auf uns wartet.
•••
Ich sitze auf der Rückbank, neben mir Hunter und ich spüre seinen Blick auf mir.
„Adrian. Hast du darüber wirklich genug nachgedacht? Wir können immer noch jemand anderen schicken."
„Ja ich habe genug darüber nachgedacht." sage ich ruhig, meine Stimme fest. „Ich brauche ihn tot - nicht durch die Hände von jemand anderem, sondern durch meine."
Hunter nickt langsam, sein Kiefer angespannt. „Ich verstehe. Aber wir machen das sauber. Keine Fehler, kein Risiko für dich."
Ich lehne mich in den Sitz zurück, schließe kurz die Augen, während der Wagen die leeren Straßen entlangfährt. „Das ist der Plan.", murmel ich vor mich hin.
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55 min später
Hunter überprüft den Schalldämpfer an seiner Pistole und wirft einen Blick aus dem Fenster. „Bring uns zu der Seitengasse, wie besprochen.", sagt Hunter zum Fahrer.
Der Wagen hält wenige Sekunden später an, und Hunter öffnet die Tür leise. Die kühle Nachtluft schlägt mir entgegen, als ich aussteige. Hunter ist sofort in Bewegung, überprüft die Umgebung mit schnellen Blicken. Die Villa vor uns ist ruhig, umgeben von hohen Mauern und gut beleuchtetem Gelände. Aber Hunter hat den Weg in den letzten Stunden sorgfältig geplant.
„Nordseite." sagt er knapp und deutet in die Richtung eines schattigen Bereichs der Mauer. „Da ist ein Seiteneingang, die Kameras haben dort einen toten Winkel. Ich übernehme das Schloss. Du bleibst dicht hinter mir."
Ich nicke, ziehe die Handschuhe über meine Hände und folge ihm.
Hunter kniet sich vor den kleinen Seiteneingang der zwischen der Mauer liegt und arbeitet mit ruhiger Präzision. Ich halte die Waffe bereit, meine Augen wachsam auf die Umgebung gerichtet. Nach wenigen Sekunden klickt das Schloss, und die Tür schwingt leise auf.
"Los" flüstert er und schlüpft hinein.
Das Gelände ist weitläufig, gesäumt von gepflegten Büschen und einem plätschernden Springbrunnen. Zwei Wachen patrouillieren vor dem Seiteneingang, genau wie Hunter es vorhergesehen hat.
"Bleib hier" sagt Hunter leise, die Pistole in der Hand.
Bevor ich etwas sagen kann, bewegt er sich geschmeidig durch die Dunkelheit. Ich sehe, wie er die erste Wache lautlos ausschaltet - ein gezielter Schuss mit dem Schalldämpfer. Der zweite Mann dreht sich nicht einmal um, bevor auch er leise zu Boden geht.
Hunter kehrt zurück, nickt mir zu.
„Der Weg ist frei."
Wir schleichen uns durch einen Nebeneingang in die Villa. Drinnen ist es still, nur der entfernte Klang einer tickenden Uhr durchdringt die Dunkelheit. Der Flur ist leer, und Hunter führt uns mit geübten Schritten durch das Labyrinth aus Räumen und Korridoren.
„Sein Schlafzimmer ist oben," flüstert er und deutet auf die breite Treppe vor uns. Die Tür zu Lorenzos Zimmer ist mit einem digitalen Schloss gesichert, doch Hunter knackt es in Sekunden.
Ich höre das leise Piepen, und dann öffnet sich die Tür.
Ich scanne einmal schnell den Raum ab. Lorenzo liegt in einem großen Bett, sein Gesicht im Halbdunkel. Er schläft tief, nichts ahnend. Neben ihm sein Handy. Eine Nachricht leuchtet auf, die er nie mehr lesen wird. Hunter mustert den Raum mit einem prüfenden Blick.
„Dein Moment, Boss. Aber mach es schnell.", sagt er.
Ich trete vor, die Waffe in der Hand, mein Blick fest auf Lorenzo gerichtet.
"Lorenzo", sage ich laut. Sein Kopf zuckt hoch, die Augen weit aufgerissen, als er mich erkennt. Panik flackert in seinem Gesicht.
„Mr. Sanchez...was-"
"Es gibt nichts mehr zu sagen," unterbreche ich ihn. Meine Stimme ist ruhig, fast kalt. Bevor er antworten kann, drücke ich ab. Der Schalldämpfer erstickt das Geräusch des Schusses, und Lorenzo sackt zurück ins Bett, seine Augen starren ins Nichts.
Hunter tritt vor, überprüft die Leiche mit einem kritischen Blick und nickt.
„Mach ein Foto. Jeder soll die Message verstehen.", sage ich kalt.
Hunter greift nach seinem Handy, zieht es aus der Tasche und entsperrt den Bildschirm mit einem geübten Wisch. Sein Gesicht wird schlagartig blass, die sonst so lässige Haltung wie weggeblasen.
„Scheiße...", murmelt er, die Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Was ist?" frage ich scharf, noch immer mit dem Blick auf Lorenzo gerichtet. Doch Hunters Schweigen sagt mehr als Worte. Er hält mir das Display seines Handys entgegen. Unzählige verpasste Anrufe blinken auf dem Bildschirm. Sofia. Valentina. Die Sicherheitsmänner.
Mein Magen zieht sich zusammen. Ohne eine Sekunde zu verlieren, greife ich nach meinem eigenen Handy und sehe dasselbe Chaos. Verpasste Anrufe von denselben Namen.
„Fuck!" Ich schnappe nach Luft.
Hunter sieht mich panisch an. „Wir müssen sofort zurück."
Ich blicke zurück auf Lorenzo, sein lebloser Körper liegt da wie eine lästige Erinnerung. „Das Foto. Das muss noch erledigt werden. Jetzt."
Hunter zögert kurz, dann nickt er und tippt auf seinem Handy herum, während ich noch einmal über Lorenzo hinwegsehe.
„Erledigt", sagt Hunter schließlich. „Jetzt gehen wir."
Wir sind schon im Treppenhaus, unsere Schritte hallen auf den Betonstufen wider. Hunter rennt voraus, ich direkt hinter ihm. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren.
Wir sprinten durch den Seiteneingang direkt zum Wagen. Binnen Sekunden steigen wir ein.
„Fahr!", brülle ich nach vorne, und der Fahrer reagiert ohne zu zögern. Die Lichter der Stadt fliegen an uns vorbei, während wir durch die Straßen rasen.
„Niemand geht ran", sagt er, mehr zu sich selbst als zu mir. Sein Handy ist wieder am Ohr, doch das Schweigen spricht Bände.
Ich greife ebenfalls erneut nach meinem Handy, versuche, jemanden zu erreichen.
Nichts.
Der Motor heult, der Fahrer drückt das Gas bis zum Anschlag. Die Straßen verschwimmen, doch ich sehe nichts davon. Mein Kopf ist ein einziges Chaos. Mein Brustkorb fühlt sich an, als würde er jeden Moment zerspringen, denn ich denke nur an sie.
Avery. Ob es ihr gut geht. Was dort los ist.
„Komm schon, nimm ab...", murmelt Hunter, die Verzweiflung in seiner Stimme unüberhörbar. Sein Finger tippt erneut auf die Wahlwiederholung.
„Verdammte Scheiße!", fluche ich, die Spannung in meinem Körper schraubt sich ins Unerträgliche.
„Niemand geht ran", knurrt Hunter, sein Blick huscht zu mir. Doch er sagt nichts.
Plötzlich höre ich ein Klicken. Hunter erstarrt, hält das Handy noch fester ans Ohr. „Sofia?" Seine Stimme zittert vor Erwartung. Eine Sekunde vergeht. Dann höre ich ein leises, heiseres Keuchen.
„Hunter...", keucht sie. Ihre Stimme ist schwach, bricht fast. Es klingt, als hätte sie Schwierigkeiten, überhaupt zu sprechen.
„Sofia!" Hunters Stimme überschlägt sich vor Panik. „Was ist los? Bist du okay?" Sein Blick sucht meinen, voller Fragen, aber ich kann nichts anderes tun, als das Handy anzustarren, als könnte ich durch die Verbindung hören, was passiert.
„Sie... sie sind hier", keucht Sofia, ihr Atem brüchig. „Leute vom Kartell. Sie wollen Adrian."
Der Satz trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ohne zu überlegen reisse ich Hunter das Handy aus der Hand.
„Wo ist Avery?! Ist sie im Wohnbereich?!", schreie ich fast ins Handy.
„Ja...sie ist oben.", sagt Sofia schwach.
Meine Hand ballt sich so fest zur Faust, dass die Knöchel schmerzen.
„Wer ist da? Wie viele?", fragt Hunter und nimmt mir wieder das Handy weg, seine Stimme überschlägt sich fast, wird lauter, schärfer.
„Ich... ich weiß es nicht", keucht Sofia weiter. „Sie sind bewaffnet. Hunter... ihr dürft nicht kommen. Sie... sie wollen Adrian...fahrt einfach weg. Weit weg.", keucht Sofia.
Ich sehe zu Hunter.
Er hebt den Blick, unsere Augen treffen sich. Für einen Moment gibt es keine Villa, kein Kartell, keine drohende Falle – nur die unausgesprochene Frage, die zwischen uns schwebt. Und die Antwort, die wir beide bereits kennen. Er weiß, warum ich trotzdem zur Villa fahren werde. Und ich weiß, warum er mitkommen wird.
Ich nicke. Nur ein kurzes, fast unmerkliches Zucken meines Kopfes. Hunter nickt zurück.
Kein Wort wird gewechselt. Keins ist nötig. Wir wissen, dass wir fahren. Auch wenn wir zu spät kommen könnten – oder direkt in den Tod laufen könnten.
„Sofia, verdammt, sag mir, ob dir was passiert ist." Hunters Worte sind fast ein Echo meiner eigenen Gedanken.
Es ist kurz still. Zu still. Dann höre ich ein leises Wimmern, gefolgt von einem weiteren Keuchen. „Ich... ich glaube, ich bin okay", flüstert sie. „Es ist nur... Valentina... sie versteckt sich oben. Aber ich weiß nicht, wie lange das noch geht. Ihr dürft auf keinen Fall kommen, sie-"
Das Klicken am anderen Ende des Gesprächs sagt mir, dass die Verbindung abgebrochen ist.
Hunter wirft das Handy auf den Sitz, sein Gesicht voller Wut und Panik. Doch alles, was ich sehe, ist Averys Gesicht in meinem Kopf.
„Fahr schneller!" brülle ich, und der Fahrer tritt das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
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