Kapitel 54 || Dunkelheit
Dicht aneinander gedrängt standen wir in einem kleinen Raum. In der Mitte befand sich eine seltsam runde Scheibe, die so hell leuchtete, dass es wehtat, sie anzusehen. Ich verstand nicht wie sie funktionierte, doch bestimmt fing sie auf irgendeine Weise das Sonnenlicht ein. Gestützt wurde sie von zwei silbernen Stäben, die nach oben und unten in die Wände ragten. Vor uns befand sich ein milchiges Fenster, doch man konnte nicht erkennen was dahinter lag.
Harald zog einen Hammer unter seinen Gewändern hervor und hielt ihn mir auffordernd hin. "Was?" "Nimm ihn und zerstör das Glas. Es ist der Schlüssel zu Manuel." Zögerlich nahm ich ihm das Werkzeug ab. "Einfach draufhauen?" "Was denn sonst?" Der Priester lächelte mich verschmitzt an und schob mich nach vorne. Ich atmete tief ein und aus, dann ließ ich den Hammer gegen die Scheibe schlagen. Entgegen meiner Erwartungen zersprang sie nicht, einzig ein feiner Riss zeichnete sich auf ihr ab. Ich wiederholte meinen Vorgang, das klirrende Knallen, welches bei jedem Schlag ertönte mischte sich mit dem Ächzen des weiß lackierten Holzrahmens. Dann zerbarst die Scheibe schließlich, ein großes, sternenförmiges Loch offenbarte den Blick in einen sterilen, völlig weißen Raum. Manuel saß auf einem genauso weißen Baumstumpf, starrte uns verschreckt an, wie ein Kaninchen es mit einer Schlange tun würde.
"Manu!" Eine unfassbare Erleichterung durchströmte mich, wurde jedoch schon schnell von Sorge verjagt, als er sich weiterhin nicht rührte. "Manuel, sag doch was!" Doch er sah mich nur mit einem Ausdruck der unfassbaren Verzweiflung und Angst an. Schnell drückte ich Michael den Hammer in die Hand. "Hier, halt den." Dann kletterte ich durch die Öffnung, ungeachtet dessen, dass die scharfen Kanten des Glases feine Schnitte auf meine Händen hinterließen, und bewegte mich durch das Meer an Glassplittern auf meinen Verlobten zu.
"Manu... was haben sie dir nur angetan?" Ich wollte ihn in dem Arm nehmen, im ersten Moment schreckte er zurück, ließ sich dann aber auf mich ein. Ich strich ihm über den Kopf und schlang meine Arme um seinen zitternden Körper. Seine Fingerkuppen waren wund und blutig. "Das waren nicht sie...", er schluckte, zuckte hilflos mit den Schultern und drückte sich an mich. Eine Weile lang wiegte ich ihn in meinen Armen und flüsterte leise Worte, um uns Beide zu beruhigen. "Kannst du laufen? Wir holen dich hier raus." Zögerlich nickte er. Mit einem ermutigenden Lächeln drückte ich mich hoch und zog ihn auf die Beine. Ich drückte ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn, dann führte ich ihn in den Vorraum zu den Anderen. "Hallo Manuel. Ich bin Harald, Priester und Patricks Meister. Wir, ein Teil des Widerstands, sind gekommen, um dich von dieser gottlosen Folter zu befreien. Also lasst uns gehen, wer weiß, wie lang wir noch unsere Ruhe haben werden."
Langsam erklommen wir die Stufen der Treppe, die uns aus den Gängen führte. Manuel umklammerte meine Hand wie einen Anker, seine letzte Rettung vor der Strömung. Es musste unfassbar weh tun, mit diesen Fingern irgendetwas zu berühren, doch ich mochte ihn nicht zum Loslassen bewegen.
"Wir müssen vorsichtig sein, werden wir gesehen, ist unser Todesurteil geschrieben." Harald sah jeden Einzelnen von uns eindringlich an, dann trat er zur Seite. "Noch haben wir die Müdigkeit der Nacht auf unserer Seite, doch die wird nicht mehr lang anhalten. Geht schon." Er öffnete das Tor. Einen Moment rührte sich keiner, dann gingen Maurice und Michael los. Ich schenkte Manu ein Lächeln und wir folgten ihnen.
Die ersten zweihundert Schritte den Weg den Tempelberg hinab, wurden zwischen dichtem Wald geborgen. "Es tut gut hier zu sein.", flüsterete Manuel und sah sich um, als habe er seit Jahren keine Bäume mehr gesehen. "Kannst du darüber reden was passiert ist?", wollte ich vorsichtig wissen. Er schwieg eine ganze Weile, sah sich im Laufen nach hinten um und vergrub seine Fingernägel in meiner Haut, als wolle er sie aufreißen. Als ich ihn ansah, wurde mir klar, dass das keine Absicht war. Ich zog meine Hand aus seinem Griff und hielt liebevoll seine Finger fest und erst da schien er es zu bemerken. Teils entschuldigend, teils ängstlich sah er mich an.
"Daher kommen die Wunden oder nicht?", fragte Maurice, der uns beobachtet hatte, leise. Betreten nickte Manu. "Es war eine Beschäftigung, sie hat die Angst fern gehalten. Ein bisschen zumindest." "Es ist wie Harald gesagt hat, Folter.", erzählte Maurice. "Ich habe mal gelesen -", dann verstummte er ganz plötzlich. Mein Blickt folgte dem Seinen, hinunter ins Tal.
Dicke Rauchschwaden zogen von dem Marktplatz aus in den Himmel, wie unheilvolle, schwarze Flaggen. Einige kleine Feuer warfen beängstigendes Licht auf die Umgebung. Überall rannten Menschen herum, versuchten vor dem Unglück zu entkommen und ihren Besitz zu sichern. "Was passiert da?" Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Maurice nach Michaels Hand griff. Schnell blickte ich mich um, doch Harald, Esra, Artin und Greta waren noch ein gutes Stück hinter uns. "Sie kommen aus Varia.", stellte ich leise fest und je länger ich hin sah, dest besser konnte ich die Einwohner Nyas und die Varias unterscheiden.
"Der Brand in Frost hat das Fass zum Überlaufen gebracht.", murmelte Manu etwas abwesen. Michael verstand ihn nicht. "Was meinst soll das heißen?"
"Varia hasst euch, genau wie ihr uns. Irgendwann lehnen sich die Ausgegrenzten auf."
"Seid ihr außer Puste?" Gretas Augen trugen ein vergnügtes Funkeln in sich. "Ich wünschte, es wäre nur das.", murmelte Maurice, dann sah er zu Harald. "Sie haben Nya angegriffen... Es ist schrecklich." Der Priester runzelte die Stirn und trat vor, um sich das Spektakel ebenfalls anzusehen. "Das ist es. Aber im Moment kommt es uns gelegen. Wir können das Chaos für uns nutzen. Los, worauf wartet ihr?"
Schnell huschten wir den Berg hinab. Die Geräusche des Kampfes, eine Mischung aus Schreien, Explosionen und gebrüllten Befehlen, drangen immer lauter zu uns. Auf dem großen Marktplatz tobte das Chaos, welches man sonst so selten in Nya sah.
"Wir nehmen den weiteren Weg, der uns auf der Rückseite der Hügelkuppe entlang führt. ich möchte nichts riskieren.", rief Harald. Michael nickte, dann bog er von unserem Weg ab. Manuel drückte meine Hand etwas fester, dann folgten wir seinem Beispiel. Unser Weg setzte sich still fort, hinter dem Bergkamm sah man die Stadt nicht mehr, doch der Rauch, das flackernde Licht und die Schreie hingen über uns in der Luft. Wäre das das Ende von Nya? Überrannt von denen, die es hassten? Sicherlich bekäme es uns recht, doch es tat mir weh meine Heimat brennen zu sehen. Plötzlich war es nicht mehr nur mein Leben, das aus den Fugen geriet, plötzlich war es die ganze Welt.
Fast hatten wir den lichten Laubwald erreicht, als es plötzlich dunkel wurde. Nicht als sei eine undurchdringliche Wolkendecke heraufgezogen, es wurde schlagartig dunkel, der Himmel war so schwarz wie in Nya niemals zu vor. Wir standen dicht genug beieinander, als dass ich erkannte wie Michael sichtlich zusammenschrak und von Maurice zum Himmel und zurück blickte. Ich braucht eine ganze Weile um zu begreifen, dass es Nacht war. Eine Nacht wie ich sie nur in Varia erlebt hatte. Manuel neben mir schien sich kaum unwohl zu fühlen, doch verstehen tat er es wohl auch nicht. "Müssen wir nicht weiter?"
"Was ist das Harald? Was passiert hier?", wandte sich Esra misstrauisch and den Priester. "Ich weiß es nicht. Nicht genau. Doch dies ist die Nacht des Gottes Mioos, Ayn hat für den Moment keine Überhand." Sicherlich wären beinahe alle Bürger Nyas bei dieser Nachricht in noch größere Panik verfallen, doch der Wiederstand nicht. Unsere Götter waren nicht gut und Böse, das wussten wir, sie straften nur wer zu verurteilendes tat und ich konnte nicht glauben, dass wir es waren, die ihren Zorn erregt hatten.
"So suchen wir also Schutz in der Dunkelheit.", stellte Harald fest und führte unsere Gruppe weiter, zurück zum Quatier des Wiederstandes.
trolli
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