Die Schüssel
"Du kannst jetzt also Sandbändigen?"
Fohrs Augen musterten mich neugierig, als würde sie eine Veränderung suchen, während sie in ihrem Essen herumstocherte.
Gerade wollte ich ihr antworten, doch Tao Ren kam mir zuvor.
"Von Können kann noch nicht die Rede sein, aber sie ist auf dem richtigen Weg."
Wahrscheinlich war das das höchste Lob, das je aus seinem Mund kommen würde, also nahm ich es dankend an. Ab und an warf er einen skeptischen Blick in Sayos Richtung, die in der Ecke des Zimmers lag und vorgab zu schlafen. Sie war nicht wirklich damit zufrieden, unter dem Sand eingesperrt zu sein, aber es war ihr doch lieber als das Wüstenklima und die Fuchsgeister, die überirdisch auf sie warteten.
"Wenigstens etwas. Nachdem du so demotiviert warst nach deinen ersten Fehlversuchen im Erdbändigen, hatte ich schon befürchtet das könnte eine Sackgasse für dich sein", Fohr zuckte mit den Schultern, sie nahm wie immer kein Blatt vor den Mund, und Tao Ren nickte zustimmend. Ein Hustenanfall bewahrte mich davor an meinem Essen zu ersticken. Schön, dass alle so viel Vertrauen in meine Lernfähigkeiten hatten.
"Was hast du den ganzen Tag gemacht? Und wo sind die anderen?", versuchte ich das Thema zu wechseln.
"Die anderen, hm? Also die Zwillinge wollten sich nach Rekruten für den Widerstand umsehen. Jun meinte, er wolle trainieren. 'Nachdem Mika Erdbändigen gelernt hat ist Feuerbändigen dran, da dürfe er nicht einfach nur rumgammeln', seine Worte. Yong ist mit mir in Richtung Bibliothek aufgebrochen, wurde aber davor von ein paar Verrückten aufgegabelt, die Pai Sho spielen wollten."
"Verrückte? Leute, die Pai Sho spielen, können nur genial und gut drauf sein", Yong stand mit einem breiten Grinsen in der Tür, die Arme verschränkt.
"Gewonnen?", schätzte ich, seiner Stimmung nach zu urteilen.
"Na klar, jedes einzelne Spiel! Da du schon zurück bist, schätze ich, dass das Sandbändigen nicht ganz so frustrierend lief, wie das Erdbändigen? Oh, Sayo hat auch hergefunden."
Der Wolfsgeist in der Ecke schnaubte missbilligend.
"Etwas weniger frustrierend", bestätigte ich mit vollem Mund.
"Wusste ich‘s doch. Fohr, wie war es in der Bibliothek?", wandte er sich an die Wasserbändigerin.
"Eigentlich wollte ich nur etwas wegen meiner üblichen Experimente nachschlagen, aber die Suche lief dann doch in eine andere, sehr interessante Richtung", sie räusperte sich, ihre Augen funkelten vor Spannung, "Ich bin auf noch mehr Bücher, die vom Imperium markiert wurden, gestoßen. Das ganze außerhalb der Avatar Abteilung. Da habe ich die Füchse gefragt, wo die Imperialen noch waren. Viele Bücher waren sehr willkürlich gewählt. Aber ratet mal in welcher Abteilung die Imperialen sehr viel unterwegs waren!"
Tao Ren, Yong und ich tauschten fragende Blicke aus, hatten aber keine Idee.
"Der Abteilung für Nutztiere und Schweine? Da, wo die imperialen Schweine halt hingehören", warf Sayo ein.
Fohr prustete, aber schüttelte den Kopf.
"Es war die Abteilung für die Geisterwelt."
Das ließ mich hellhörig werden. Die Geisterwelt? Was hatten die Imperialen denn damit vor? Ich wusste nicht, was ich mit der Information anfangen sollte, aber es war sicher nichts Gutes.
Sayo hatte den Kopf alarmiert gehoben und ihre Ohren zuckten nachdenklich hin und her.
"Wonach haben die denn da gesucht? Das macht doch gar keinen Sinn!"
Fohr nickte.
"Das tut es wirklich nicht. Es waren Bücher darüber, wie man in die Geisterwelt gelangen kann, Eigenschaften und Fähigkeiten von Geistern, wie Geister an Orte binden gebunden werden, Geisterenergien, die Verbindung des Avatars zur Geisterwelt, Eindämmung von Geistern, Experimente an Geistern, Geisterarten... Viel zu viele Themen, als dass man sich einen Reim darauf machen könnte. Aber ich werde auf jeden Fall weitersuchen."
Keine der Themen, die das Imperium anscheinend beschäftigen, schienen mir geheuer. Wie lange war es her, dass die Imperialen diese Informationen gesucht hatten? Egal, sie hatten ihre Suche auf jeden Fall schon beendet und waren dabei hoffentlich nicht erfolgreich. Hoffentlich.
"Ich helfe dir bei der Suche", bot Yong sich an, "aber vielleicht mit der ein oder anderen Pai Sho Runde in den Pausen."
...
"Nochmal von vorne!"
Tao Ren stand neben mir und begutachtete meine Technik kritisch. Das Training hatte es in sich, aber es machte sich definitiv bezahlt. Zumindest aus meiner Sicht. Tao Ren hatte allerdings an allem so einiges auszusetzen und verglich meine Fähigkeiten ganz gerne mit denen eines Kaktus (wobei ich sehr anzweifelte, dass je ein Kaktus Sandbändigen gelernt hatte).
Ich ließ Wogen aus Sand um mich zirkulieren, lenkte den Sand nach meinem Willen, ließ ihn durch die Luft wirbeln. Je länger ich mich mit Sandbändigen beschäftige, desto mehr gewöhnte ich mich an die feinen Unterschiede zum Luftbändigen. Doch ich merkte, dass Tao Ren irgendetwas an meiner Technik fehlte.
"Das ist nicht alles, was Sandbändigen ausmacht. Ja, es ähnelt Luftbändigen, aber nicht nur. An was erinnert dich das?"
Er nahm eine lockere Haltung ein und ging leicht in die Hocke, und drehte sich um seine Achse. Der sandige Boden unter meinen Füßen drehte sich mit ihm und ich wäre umgefallen, hätte ich mich nicht rechtzeitig mit Luftbändigen vom Boden abgestoßen.
Tao Rens Blick verurteilte mich dafür, dass ich ausgewichen war, anstatt dem Angriff zu trotzen.
Er hob seine Arme und der Sand türmte sich zu einer Welle auf und steuerte direkt in meine Richtung.
Meine Augen weiteten sich in Überraschung, schnell streckte ich meine Hand nach vorne und ließ die Sandwand in ihre Einzelteile zerbersten, die in Sandregen niederprasselten.
"Wie Wasser!", stieß ich hervor.
Tao Ren nickte und wirkte ausnahmsweise zufrieden.
"Kannst du es umsetzen?"
Konnte ich das? Ich hatte nun das Gefühl, als hätte ich das Sandbändigen jetzt verstanden, würde es das einfacher machen?
Konzentriert hob ich den Sand zu einer kleinen stillen Welle empor, die wieder in sich zerfiel, als ich meine Arme senkte. Es brauchte mehr Geschwindigkeit. Dieses Mal hob ich die Welle höher und schickte sie in Richtung meines Lehrers. Es funktionierte. Tao Ren brachte die Wand aus Sand mit einer abrupten Handbewegung dazu nach unten in sich zu kollabieren.
"Sieh an, du lernst jetzt schneller. Nicht schnell genug, wenn dein Gegner das Imperium ist."
Ich machte eine flinke Handbewegung hinter meinem Rücken, die Tao Ren den Sand unter den Füßen wegzog. Er glich es zwar schnell durch Sandbändigen aus, aber die Überraschung in seinem Gesicht und der kurze Stolperer waren Gold wert.
Hinter mir hörte ich ein Lachen und fuhr vor Schreck herum. Da stand ein Mann, dem wohl ein Sandsturm durch die dunklen Haare gefegt war, etwas älter als Tao Ren. Er hatte ein breites Lächeln im Gesicht und trat zu meinem Lehrer herüber, um ihm einen wohl etwas zu kräftigen Klapps auf den Rücken zu begrüßen.
"Na, Ren? Gibst du jetzt auch Unterricht? Die Gemeinde hier wächst immer weiter, gerade mit den ganzen Flüchtlingen vorm Imperium. Aber du weißt doch, es ist verboten auch nur irgendeine Art von Erdbändigen zu unterrichten. Na warte, bis ich das dem Imperium erzähle!" Der Mann legte viel Wert darauf es besonders deutlich zu machen, dass er den letzten Teil seiner Rede sarkastisch meinte. Tao Ren hob eine Augenbraue und antwortete erst einmal nicht.
"Hab dich nicht so. Ich mach‘ doch nur Spaß. Außerdem ist das eine echt lächerliche Regel. Die haben doch nur Angst, dass irgendjemand dem Avatar Erdbändigen beibringt."
Ich gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen.
"Ja, lächerlich. Der Avatar wird inzwischen schon Erdbändigen und Feuerbändigen gemeistert haben und perfekt auf alles vorbereitet sein", erwiderte Tao Ren und warf mir einen bedeutenden Blick zu. Musste er denn Salz in die Wunde reiben?
Der Unbekannte schien etwas verwirrt, als würde er sich alle Mühe geben den Witz an der Aussage zu finden.
"Ach ja, willst du mir nicht deiner Schülerin vorstellen?", gab er schließlich auf.
"Tja. Das ist Mika. Hab‘ sie und ihre Freunde bei der Bibliothek aufgegabelt. Duong hat wieder Probleme gemacht. Er und seine Leute hatten sie auf den Steckbriefen vom Imperium wiedererkannt. Und Mika, das ist Yazhen. Er hat einen Helferkomplex."
"Autsch. So schlimm ist es auch wieder nicht", er fasste sich an die Brust als hätte er Schmerzen. Die Tatsache, dass wir vom Imperium gesucht wurden, ignorierte er gekonnt.
"Außerdem ist er einer der besten Sandbändiger hier und leitet regelmäßig Exkursionen", bemerkte Tao Ren beiläufig.
Yazhen schmunzelte verlegen und wollte ihm widersprechen.
"Spar dir deine Bescheidenheit. Die hast du nicht nötig", kam ihm Tao Ren zuvor.
"Ren kann etwas kalt erscheinen, aber er hat nur etwas Schwierigkeiten damit seine guten Absichten auszudrücken", wandte sich Yazhen in meine Richtung, wobei es ihn nicht kümmerte, dass der Benannte ihm einen warnenden Blick zuwarf.
"Wir müssen dann weiter trainieren", unterbrach Tao Ren und räusperte sich.
"Da hat es jemand eilig Sandbändigen zu lernen, was?", Yazhen hob seine Augenbrauen, als versuche er sich einen Reim darauf zu machen, aber zuckte schließlich mit den Schultern, "Ehrgeiz ist am Trainingsgelände immer gerne gesehen. Wenn ihr Hilfe braucht-", er wies in eine andere Ecke des Trainingssaals, während er sich in deren Richtung bewegte. Tao Rens Augen folgten ihm ein wenig, dann atmete er auf.
"Wo waren wir stehen geblieben? Versuchen wir die Übung mit der Welle nochmal. Sandbändigen muss ein normaler Denkprozess werden, wie atmen. Du musst es im Schlaf können."
Diesen Satz ließ mich Tao Ren über das Training hinweg spüren. Ich wiederholte meine Übungen, tagein, tagaus, bis ich jeden Muskel in meinem Körper spürte, sogar jene, deren Existenz ich mir nie wirklich bewusst war. Abends nutzte ich das bisschen Freizeit, das ich hatte, um Liusha weiter zu erkunden. Jun hatte den Trainingsplatz inzwischen auch für sich entdeckt und sein Feuerbändigen war bei den Kindern der Stadt zu einer Art Attraktion geworden. Als Folge dessen war es auf dem Platz deutlich lebhafter geworden, was Tao Ren nicht so zuzusagen schien. "Nicht, dass du aus Versehen jemanden mit deinem Bändigen triffst", hatte er trocken angemerkt, aber Yazhen legte ein gutes Wort für mich ein, als er meinte, ich habe das Sandbändigen doch schon recht gut unter Kontrolle.
Fohr und Yong tappten bei ihren Recherchen in der Bibliothek weiter im Dunkeln und erklärten die Angelegenheiten mit den Imperialen und dem seltsamen Interesse an der Geisterwelt erst mal für eine Sackgasse.
Die Zwillinge hatten auch ihre Schwierigkeiten mit ihrer Suche nach Rekruten. Die Leute hier waren versteckt von dem Imperium und einige wollten nur ungern den sicheren Hafen verlassen, gerade jene, die vor den Imperialen hierher geflohen waren. Chyou nahm das deutlich mit, denn sie wirkte frustriert und demotiviert. "Hab‘ dich nicht so. Wir müssen nur etwas überzeugender sein. Das Problem ist auch, dass uns die Leute hier zu wenig kennen. Ihr Vertrauen zu gewinnen, dauert natürlich ein bisschen", erklärte Ruolan ihrer Schwester beim Abendessen, "da hilft es nicht wirklich, wenn wir auch noch mürrisch auftreten."
...
"Setz dich."
Verwirrt legte ich meinen Kopf schief und starrte Tao Ren an, der mit einer Schüssel Sand in der Hand vor mir stand. Das war keine Aufforderung, die ich von ihm vor Trainingsbeginn erwartete, aber setzte mich dennoch auf den Boden des Trainingsgeländes.
Er stellte die Schüssel vor mir auf den Boden, wobei ich einen Blick auf den zweifarbigen Sand darin erhaschte.
"Trenne den Sand in schwarz und weiß."
Wortlos sah ich auf den Sandhaufen herab und konnte schon erahnen, dass mir diese Aufgabe nicht gefallen würde.
"Jedes Sandkorn einzeln?"
"Wie willst du es sonst machen?"
Ich atmete tief auf und konzentrierte mich auf ein einzelnes Sandkorn. Gerade der Anfang der Aufgabe war etwas holprig, denn es war ungewohnt einzelne Sandkörner zu bändigen und es stahlen sich immer wieder andersfarbige Teile zu den getrennten Haufen. Mit der Weile fiel es mir etwas leichter die Sandkörner einzeln zu dirigieren, doch je einfacher mir dies fiel, desto schwere wurde es, mich auf die Farbe des Sandes zu konzentrieren. Dazu kam auch, dass meine Augen zu schmerzen begannen.
"Stopp!", unterbrach mich Tao Ren nach einer gefühlten Ewigkeit.
Ich sah zuerst zu ihm hinüber, dann auf den schwarzen Stapel. Es hatte sich ein weißes Sandkorn auf den Haufen geschlichen, ohne, dass ich es bemerkt hatte. Schnell hob ich meine Hand, um den Fehler auszugleichen, aber mein Lehrer unterbrach mich.
"Das reicht. Die nächste Übung."
Er nahm den Rest des Sandhaufens und sortierte ihn in einem Zug in dunklen und hellen Sand, um sie in zwei Gefäßen zu verstauen. Ich sah ihm verdattert dabei zu.
"Wie?"
"Ganz einfach, die Körner vom schwarzen Sand haben eine geringere Dichte, sind also leichter als die des weißen Sandes. Hebst du beide mit dem gleichen Aufwand, kannst du sie leicht trennen."
"Also soll ich es nochmal versuchen?"
Tao Ren schüttelte den Kopf.
"Ich zweifle nicht daran, dass du das schaffen kannst. Die Übung hatte einen anderen Zweck. Es ging darum, Sandkörner einzeln zu bändigen. Der Zeitpunkt, bei dem deine sinkende Konzentration nicht mehr dazu führt, dass du aus Versehen mehrere bändigst, sondern einen Fehler in der Farbe machst, ist der Moment, in dem du das System verinnerlicht hast. Hier ist deine nächste Aufgabe."
Er stellte mir eine neue Schüssel vor die Füße.
"Kies?"
"Ja, wir werden immer größer mit den Partikeln, bis du keinen Sand mehr, sondern Steine und dann Felsen. Ein fließender Übergang vom Sand- zum Erdbändigen, sozusagen. Die Macht des Sandes liegt in der Menge, aber die Macht der Erde fokussiert sich eher auf ein großes Ganzes, oder nicht?"
Mit einem Moment war ich wieder deutlich motivierter (was ich einer Übung zum Sand sortieren nie zugetraut hätte). Vielleicht war ich Erdbändigen jetzt endlich nähergekommen.
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