Die Offenlegung
Die Augen weit aufgerissen starrte ich zum Meister hinüber. Er hielt festen Blickkontakt mit dem Ratsvorsitzenden, der fast von seinem Sitzkissen gekippt wäre, und fassungslos zwischen Meister und mir hin und her schaute. Ein verwirrtes und unruhiges Raunen ging durch den Raum.
"Meister", murmelte ich leise, "Wieso... Woher weißt du-?".
Er wandte sich zu mir hinüber und lächelte kaum merklich.
"Yong hat mir alles erzählt. Du hast einiges erlebt, was? Um ehrlich zu sein, hatte ich schon geahnt, dass etwas mit deiner Rolle als Nichtbändiger nicht stimmen konnte, aber jetzt macht das alles auf einmal so viel mehr Sinn."
"Wie meinst du das?", hakte ich nach, doch er kam nicht dazu zu antworten, denn das Ratsoberhaupt hatte sich schon wieder zusammengerafft und mischte sich in unser Gespräch ein.
"Wir sind nicht hier, um uns ein Bison aufbinden zu lassen! Uns ist allen bekannt, dass Zena der Avatar ist. Ich habe sie zwar vor Jahren zuletzt gesehen, aber es ist mir klar, dass dieses Mädchen es nicht sein kann. Zena hatte bereits Luftbändigertätowierungen, doch bei ihr kann ich keine erkennen. Das hieße, sie hat nicht einmal die 36 Stufen der Ausbildung gemeistert! Das sollen wir euch glauben?", der Mönch schien langsam seine Geduld zu verlieren.
Ich biss mir auf die Unterlippe als Erinnerung daran, dass ich die Ruhe bewahren musste, denn ein falscher Schritt und die Unterhaltung könnte explodieren.
Ruhig atmend trat ich einen Schritt weiter nach vorne.
"Meister hat recht. Wie es sich herausgestellt hat, war Zena nicht der Avatar. Wie sich dieses Missverständnis ergeben hat, ist uns noch ein Rätsel. Ich kann verstehen, dass ihr lieber einen gut ausgebildeten Luftbändigermeister an meiner Stelle hier hättet, aber zu dumm, dass das Leben so unberechenbar ist. Weder Ihr noch ich kann auch nur das geringste dagegen tun. Aber eins ist klar, ich werde nicht vor meinem Schicksal davonlaufen. Also werdet Ihr es einfach ignorieren?"
Ein Schweigen breitete sich in dem Saal aus, das jedoch bald in aufgeregtes Gemurmel überlief.
"Dürfte ich sprechen?", unterbrach Yongs Stimme die Unruhe.
Überrascht drehte ich mich um und sah, wie er sich selbstsicher erhoben hatte und den Ratsvorsitzenden taxierte. Sein Blick schweifte zu mir hinüber und er nickte mir kurz lächelnd zu.
"Mika ist eine hervorragende Luftbändigerin, auch wenn sie keine Tätowierungen hat. Sie trainiert fleißig und kann schon gut mit mir mithalten, obwohl Sie vor nicht allzu langer Zeit nicht mal die Erlaubnis hatte zu trainieren, oder gar an Tätowierungen zu denken. Ob sie nun einen Meister Status hat oder nicht, ändert nichts an ihren eigentlichen Fähigkeiten. Genauso wenig ändert es auch daran, dass sie der Avatar ist."
Der mittlere Mönch hob die Augenbrauen und räusperte sich.
"Und warum war es dem Mädchen untersagt zu trainieren?", hakte er nach.
Mein Blick war an Yong geheftet und ich schickte ihm eine stumme Warnung hinüber, dass er darauf lieber nicht eingehen sollte. Das war eine Sache allein zwischen mir und dem Östlichen Tempel. Sollte ich je dorthin zurückkehren, würde ich sie persönlich zur Rede stellen. Es gab zu viele Haken an der Geschichte mit meinem Vater als Verräter und das würden sie mir erzählen müssen. Ich konnte keine Mönche gebrauchen, die sich vorher bereits in die Angelegenheit einmischten, bevor ich auch nur die Chance dafür gehabt hätte mich darum zu kümmern.
Yong nickte mir zu, wenn auch etwas fragend, bevor er seine Stimme wieder erhob.
"Sie kann euch beweisen, dass sie der Avatar ist!", wich er der Frage des Ratsvorsitzenden aus, dann griff er zu seinem Trinkbeutel und warf ihn zu mir hinüber.
Ungeschickt fing ich den Beutel auf, sodass das Wasser im Inneren gluckste. Alle Augen schienen auf mich gerichtet, was mich fast wie ein Zirkustier erschienen ließ, und ein leichtes Unbehagen stieg in mir auf.
Mit einem viel zu laut wirkenden Ploppgeräusch entfernte ich den Korken und versuchte meine Umgebung auszublenden, als wäre ich alleine in diesem Raum, mit dem Wasser in dem Beutel. Mit einer sanften Handbewegung ließ ich das Wasser aus dem Gefäß nach oben steigen und brachte es mit meinen Fingern dazu, langsam um meine Hand zu kreisen. Schließlich ließ ich es eine Kugel formen und zerbarst diese mit einem kräftigen Atemzug Luftbändigen in sämtliche Richtungen des Raumes, wie ein stürmischer Nieselregen.
Stille.
Keiner der Mönche wagte es etwas zu sagen, was mich zu der Frage brachte, ob das eine gute oder schlechte Reaktion war.
"Das ist" , der Ratsvorsitzende stockte kurz, um nach einem passenden Wort zu suchen, "unmöglich!".
"Das ist es nicht. Der Lehrer des Mädchens ist ein guter Freund von mir, ich vertraue seinem Urteil. Wenn er sie als Schülerin gewählt hat und sie ihn die ganzen Jahre über ausgehalten hat, spricht das nur für sie. Außerdem will ich betonen, dass es wohl sehr unwahrscheinlich ist, dass sich unser aller Augen in dem, was sie gerade gesehen haben, geirrt haben". Der Mönch, der anfangs dem Meister zugenickt hatte, stand leichtfüßig auf und ging nun in meine Richtung. Schließlich blieb er stehen und musterte mich mit einem freundlichen Lächeln.
"Avatar Mika, es ist mir eine Ehre", verbeugte sich der Mann.
Perplex stand ich still, bis mein Gehirn die Worte wieder fand.
"Die Ehre ist ganz meinerseits", erwiderte ich, mich ebenfalls verbeugend.
Der Ratsvorsitzende hatte sich nun auch erhoben, nachdem er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, und ging nun in unsere Richtung, bis er vor mir zum Stehen kam: "Nun sag mir, junger Avatar, warum haben die Nonnen vom Östlichen Tempel dich nicht erwähnt? Wie kam es zu der Verwechslung mit Zena?".
Langsam schüttelte ich den Kopf: "Das wüssten wir auch zu gerne, haben aber leider noch keine Antwort darauf gefunden.
Der Mönch seufzte kurz, dann nickte er.
"Gut, ich werde eine Versammlung mit dem Östlichen Tempel einberufen! Da kann ich die Sache dann klären lassen", meinte er entschlossen.
Überrascht über das Angebot, hob ich meine Augenbrauen, doch dann, nach genauerem Überlegen, senkte ich meinen Blick.
"Bitte, stellt sie nicht gleich zur Rede", bat ich den Ratsvorsitzenden und merkte wie Jun und Yong verwirrt zu mir hinüberblickten.
"Bist du dir da sicher?", fragte der Mönch. Ich nickte nur, mein Blick entschlossen.
"Ja, den Östlichen Lufttempel zur Rede zu stellen, ist eine Aufgabe, die ich alleine erledigen muss."
Immerhin hatte ich noch eine Rechnung zu begleichen und einige Fragen, die sie mir noch beantworten müssten. Diesen Moment würde ich mir nicht von einem Zuschauerplatz ansehen wollen.
Ich blickte mich zu meinen Freunden um, die mich überrascht ansahen. Jun hatte eine Augenbraue hochgezogen und unterdrückte ein Schmunzeln. Yong grinste breit, auch wenn er den Mönchen den ein oder anderen verhaltenen Blick zuwarf, eine negative Reaktion erwartend.
Meister hatte zufrieden die Arme verschränkt und nickte mir zu.
Der Ratsvorsitzende ergriff wieder das Wort, seine Stimme klang leicht verunsichert, was er aber durch eine aufrechte Haltung auszugleichen versuchte: "Du willst das ganz allein schaffen? Sie werden dir vielleicht nicht zuhören."
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
"Ich bin nicht allein, ich habe meine Freunde. Wenn sie mir nicht zuhören wollen, werde ich dafür sorgen, dass sie mir zuhören."
Der Mönch seufzte kopfschüttelnd.
"Gut, wie du willst. Doch ich möchte, dass du weißt, dass du als Avatar eine gewisse Verantwortung trägst. Es ist wichtig, dass deine Ausbildung nicht darunter leidet, also möchte ich fragen, was du als nächstes vorhast. Solange das Imperium noch nichts von dir weiß, ist alles soweit sicher. Handle verdeckt!"
Unsicher biss ich auf meiner Unterlippe herum.
"Nun ja, wie soll ich es sagen, das Imperium könnte eventuell vielleicht schon von mir wissen", merkte ich vorsichtig an, und mir war klar, dass das eben eine maßlose Untertreibung war. Als ich aufblickte, merkte ich, wie dem Mönch seine sonst so kontrollierten Gesichtszüge entglitten waren.
"Ach ja, was die Strafe für das Eindringen in das Heiligtum angeht. Ist das noch verhandelbar?", fragte ich kleinlaut.
Da der Ratsvorsitzende noch die Nachrichten verdauen musste, wandte sich der Bekannte des Meisters an mich: "Ich denke nicht, dass du dir als Avatar Sorgen um eine Strafe machen musst, dieser Ort ist ein besonderer für dich, da er verbunden mit all deinen früheren Leben ist, es ist dein Recht dort zu sein."
Langsam schüttelte ich den Kopf.
"Das wäre vielleicht aus Ihrer Sicht richtig, aber ich wusste nicht, was sich hinter dieser Tür verbarg und es war allein meine törichte Neugier, die mich dort hineingeführt hatte. Ich bestehe also auf eine Strafe", ich zögerte kurz und schluckte, dann fügte ich noch ein "auch wenn ich nichts dagegen hätte, wenn diese eher klein ausfällt" hinzu.
Der Ratsvorsitzende hatte sich wieder gefasst (mit dem aus der Fassung gebracht werden sollte er aufpassen, sonst würde das noch schnell zur Angewohnheit) und fuhr an Stelle des anderen Mönches fort.
"Nun gut, eine Strafe soll es sein", er kratzte sich kurz nachdenklich an seinem Ziegenbart, "Du wirst während der Meisterschaften jeden Tag bei dem Ausmisten der Stallungen und beim Füttern helfen, was im Angesicht der vielen Gastbisons keine zu unterschätzende Aufgabe ist."
Ein zustimmendes Gemurmel strich durch die Reihen. In den Stallungen helfen sollte es also sein, der Gedanke ließ mich schmunzeln, das war immerhin keine unbekannte Aufgabe für eine ehemalige Sklavin. Ich verbeugte mich tief, um die Strafarbeit anzunehmen.
"Dann soll das meine Strafe sein", ich richtete mich wieder auf.
"Ach ja, und was Ihre vorherige Frage betrifft. Nach den Meisterschaften habe ich vor zum Erdkönigreich zu reisen, um dort meinen Lehrer für das Erdbändigen zu finden, denn wie Sie gesagt haben, ich bin noch nicht genug trainiert, um-", ein Beben erschütterte den Berg unter uns und ich musste mich zusammenreißen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich war offensichtlich nicht die einzige, die überrascht davon war, denn den Mönchen stand die Sorge ins Gesicht geschrieben.
"Habt ihr hier häufiger Erdbeben?", fragte Jun, der einen skeptischen Blick aus dem Fenster warf.
Der Ratsvorsitzende runzelte besorgt seine Stirn, seine Stimme ernst: "Hier gibt es keine Erdbeben."
Im nächsten Moment flog die Tür auf und ein junger Mönch stand dort, die Arme um Luft ringend auf die Oberschenkel gestützt. "Feuerkugeln und Felsen, überall! Wir werden angegriffen!"
Alarmiert sah ich zu Yong und Jun und wusste, wir dachten alle dasselbe. Das Imperium! Sie waren hier! Die eigentliche Frage war aber, warum waren sie hier? Warum würden sie den Aufwand auf sich nehmen und die Luftnomaden während der Meisterschaften angreifen? Immerhin befanden wir uns hoch oben auf einem Berg. Dazu noch eine Zeit zu wählen, bei der alle Luftnomaden zusammen an einem Ort waren, schien ein großes Risiko für das Imperium. Warum also wählten sie diesen Zeitpunkt? Das machte keinen Sinn, es sei denn...
"Sie wissen, dass wir hier sind", murmelte ich abwesend, während Jun mich aus dem Raum zerrte. Er blickte sich zu mir um und nickte, auch er wusste es. Sayo, die draußen vor der Tür des Saales geschlafen hatte, war nun auch wieder wach, und ich spürte ihre Anwesenheit in der Luft.
Gerade wollte ich ihr etwas zurufen, da sah ich wie ein großer Schatten am Fenster das Licht der aufgehenden Sonne kreuzte. Meine Augen weiteten sich, als ich merkte, um was es sich handelte.
"Drache!", schrie einer der Mönche hinter mir und im nächsten Moment sah ich einen Feuerschwall auf uns zurasen. Yong und einem anderen Mönch gelang es die Flammen mit einem gewaltigen Windstoß abzulenken, aber die Erschütterung war stark zu spüren, als der Schwall gegen die Steinmauern prallte.
"Folgt mir!", rief Meister und winkte uns, ihm tiefer in den Tempel hinein zu folgen.
Ich warf noch einen letzten Blick in Richtung des Drachen. Er schien Schmerzen zu leiden, das metallene Geschirr, das man ihm umgeschnallt hatte, war mit zahlreichen Stacheln versehen, die ihm in die Haut stachen, wenn er nicht tun würde, was man von ihm verlangte. Auf bizarre Weise erinnerte mich das Geschirr an meine eigenen Fesseln, aber den Gedanken schon ich schnell beiseite und folgte Meister und Jun in die Tiefen des Tempels.
"Meister. Was sollen wir tun? Sie wissen, dass wie hier sind, sie sind hier wegen uns!", wandte ich mich an ihn.
"Kämpfen natürlich! Oder du versteckst dich, aber dazu kann ich dich sicher nicht überreden. Ich hingegen würde mich nur zu gerne verstecken. Duck dich nach rechts!"
Ich gehorchte auf die Sekunde, manche Gewohnheiten verlernt man eben nicht so schnell. Millisekunden später zischte ein Stab über mich hinweg und traf mit einem dumpfen Knall etwas hinter mir. Moment, das war mein Stab! Wann hatte der Meister meinen Gleiter entwendet? Aber ich hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn ich war zu sehr mit dem bewusstlosen Körper beschäftigt, der hinter mir am Boden lag, neben ihm ein Erdloch.
"Ein Erdbändiger der Imperialen. Hat sich wohl bis hierher durchgegraben", mutmaßte Jun.
"Verdammt, die Imperialen müssen echt nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, wenn sie das hier durchziehen!", murmelte Yong.
"Ist nicht so, als hätten die imperialen Schweine je Geschirr im Schrank gehabt!", gab Sayo belustigt zurück.
"Sie treiben es zu weit, seht!", ich wies auf den Innenhof, der sich vor uns auftat. Kampfgeräusche drangen an meine Ohren und ein scharfer Wind pfiff in die Gänge. Der ganze Tempel schien hellwach und hatte mit den Angriffen des Imperiums zu kämpfen. Eine weitere Erschütterung traf den Berg, Schreie waren zu hören.
"Mir reicht's! Sayo! Such Fohr! Wir setzten dem ein Ende!"
Sayo gab ein zufriedenes Brummen von sich und war im nächsten Moment verschwunden.
"Was hast du vor?", fragte mich Jun skeptisch.
"Wir lenken ihre Aufmerksamkeit auf uns! Sie sind hier wegen uns, also werden sie uns folgen!"
"Das ist wahnsinnig! Die Imperialen wollen doch, das du genau das tust! Deswegen sind sie hergekommen, um dich von dem Tempel wegzulocken! Wir laufen genau in ihre Falle!", warnte Jun.
"Dann sollten sie hoffen, dass ihre Falle gut genug ist, um uns zu schnappen!"
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