Die Asche
Je näher wir dem Ufer kamen, desto stärker wurde der erstickende Gestank des Rauchs, der einen zum Husten brachte. Die kleine Hafenstadt war mit einer dicken Schicht aus Ruß bedeckt, als wäre sie in einen Eimer schwarzer Farbe getaucht worden. Hier und da loderten noch Feuer auf, ein kleines Überbleibsel der Katastrophe, die sich hier ereignet hatte.
Ich wechselte einen besorgten Blick mit Yong und dieser verriet mir, dass wir dasselbe dachten: Bitte, bitte, lasst Pakka und Tatsu wohlauf sein!
"Schnell! Wir müssen anlegen!", wandte ich mich an die anderen, meine Stimme zitterte.
Jun und Fohr tauschten fragende Blicke aus.
"Wir kennen zwei Kinder aus diesem Dorf und ihre Mutter und...", versuchte Yong zu erklären.
"Ok, gut. Das ist zwar nicht ganz ungefährlich, aber ich sehe schon, dass wir euch sonst nicht zur Ruhe bringen können", stimmte Fohr zu.
Still steuerten wir einen abgelegenen Steg an, der am wenigsten vom Feuer verwüstet schien. Trotzdem würde ich diesen verkohlten Holzbrettern keinesfalls mein Leben anvertrauen.
Vorsichtig tasteten wir uns über die knarrenden Planken, bis wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Ein Boden, der zentimeterdick mit Ruß und Asche bedeckt war, aber immerhin festen Boden. Es lag noch eine unangenehme Wärme über dem Ort, der mir ein schrecklich beklemmendes Gefühl gab. Die Luft war stickig und voll von dem Gestank von Rauch, sodass man es kaum wagte zu atmen, um keinen Hustenanfall zu bekommen.
Die Häuser waren ausgebrannt und in ein paar loderten noch sanft die Überreste des Feuers, fast wie Skelette zierten sie die Straßenränder und ragten über uns hinweg, als wollten sie uns unter sich begraben.
Das Abschreckendste aber waren die Überreste von Menschen, die auf den Straßen lagen und zu denen ich am liebsten überhaupt nicht hinübersehen wollte. Bei manchen konnte ich nicht mal sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war.
"Das ist einfach nur grauenvoll", murmelte Jun, sein Blick flackerte vor Schock.
"Ist es. So viel Verwüstung habe selbst ich nur selten gesehen. War das überhaupt ein normales Feuer? Ich könnte wetten, das waren die imperialen Schweine!", sogar Sayos Stimme fehlte es an ihrer üblichen Stärke.
Fohr war sprachlos und ich war mir sicher, das sie etwas anderes von ihrem ersten Tag außerhalb des Nordpols erwartet hatte.
Yong hingegen eilte bereits voraus und fluchte vor sich hin. Er schien sich Vorwürfe zu machen, das machte er in solchen Situationen immer, auch wenn er eigentlich nichts dagegen hätte unternehmen können.
"Komm Mika, wir müssen weiter ins Zentrum!", forderte Fohr mich auf und zog mich hinter sich her durch die verwüsteten Gassen.
Je weiter wir vordrangen, desto klarer wurde mir das ganze Ausmaß der Verwüstung. Das ganze Dorf lag einfach nur in Schutt und Asche, kein Leben mehr, nichts. Das einzige Geräusch, das wir zu hören bekamen, war das Knistern des Feuers und das unserer eigenen Schritte.
Fohr hielt inne.
"Hier ist es gut! Komm, wir löschen zusammen die letzten Überbleibsel des Brandes."
Ich nickte zustimmend und zusammen bändigten wir Wasser aus dem Meer zu uns herbei und ließen es über unseren Köpfen kreisen, bis sich dort eine enorme Wassermasse gesammelt hatte. Es war nicht leicht sie unter Kontrolle zu halten, aber das war nichts im Vergleich zu der Masse, die wir bei unserer Unterwasserfahrt bändigen mussten.
"Bereit? Los!"
Wir ließen das Wasser über unseren Köpfen zerstäuben und ein starker Regen ging über dem ganzen Dorf nieder und begrub die restlichen Flammen unter sich. Ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen und spürte das Prasseln auf meinem Kopf und meinen nassen Kleidern, während ich stillschweigend dabei zusah.
Der Boden bestand nun nur noch aus dem Matsch von Salzwasser und Asche.
Yong kam langsam auf uns zu.
"Komm, wir suchen Pakka und Tatsu", murmelte er leise, den Blick gesenkt.
"Ja", gab ich leise zurück und wir gingen in die Richtung, in der ihr Haus gelegen hatte. Wir beeilten uns nicht, denn wir hatten zu viel Angst vor dem, was uns dort erwarten würde.
"Sie sind zwei starke Kinder, die für sich selbst sorgen können, es wird ihnen sicher gut gehen...", mit diesen Worten und dem unsicheren Lächeln schien Yong sich eher selbst überzeugen zu wollen, aber trotzdem war ich froh über seinen kleinen Aufmunterungsversuch.
"Da hast du recht", versuchte ich die kleine Hoffnung, die wir hatten, nicht zu zerstören.
Es war schwer sich im Dorf zu orientieren, durch die Verwüstung konnte man fast nichts wiedererkennen. Dennoch schafften Yong und ich es irgendwie zu Pakka und Tatsus Haus zu finden.
Düster und ausgebrannt lag es vor uns. Das vom Feuer geschwärzte Holz schimmerte durch das Salzwasser.
Yong und ich tauschten unsichere Blicke aus, doch schließlich nickten wir uns entschlossen zu. Wir würden hineingehen müssen, wenn wir wissen wollten, was mit Pakka und Tatsu passiert war.
Vor der Stelle, wo einmal die Tür war, holte ich noch einmal tief Luft und wir betraten zusammen das Haus.
Von den Möbeln war nicht mehr viel übrig, man konnte wahrscheinlich von Glück sprechen, dass die Wände noch halbwegs standen. Das ganze Gefühl der Gemütlichkeit, die diese Wohnung einst hatte, war vollkommen verschwunden und stattdessen herrschte hier nun eine unruhige Kälte.
Langsam drangen wir in die ehemalige Küche vor, die ich nur mit Mühe und Not noch als solche erkannte. Hier war keine Spur von Pakka und Tatsu, also gingen wir weiter in Richtung des Zimmers ihrer Mutter. Ich hoffte nur, dass sie es wirklich hier herausgeschafft hatten, doch so wie ich die Beiden kannte, würden sie nie ohne ihre Mutter von hier fliehen. Deswegen hatte ich Angst davor, was ich in diesem Zimmer vorfinden würde. Gerade wollte ich das verkohlte Brett zur Seite schieben, das früher einmal die Tür war, als plötzlich der Boden unter meinen Füßen nachgab.
"Pass auf!", Yong zog mich gerade noch zurück. Verstört starrte ich auf das Loch im Holzboden, in dem vorhin noch mein Bein verschwunden war.
"Danke...", murmelte ich perplex.
"Bist du in Ordnung? Wir müssen vorsichtig sein! Der Boden ist verdammt spröde geworden!"
Ich nickte und legte das Brett über das Loch. Das Zimmer vor uns war leer, mittig stand nur noch etwas, das vielleicht ein Bett erahnen ließ.
"Sie sind nicht hier...", ein wenig Erleichterung spielte in meine Stimme hinein.
"Im Keller und in ihrem Schlafzimmer sind sie auch nicht!", ertönte Sayos Stimme neben uns.
"Das heißt, sie sind entkommen oder sie-", Yong stockte. Er wollte es nicht aussprechen, aber ich wusste genau, was er meinte. Sie waren mit ihrer Mutter entkommen oder sie waren drei der vielen Leichen, die in den Straßen ihr Leben gelassen hatten.
"Es besteht eine gute Möglichkeit, dass sie überlebt haben. Die ganzen Toten an der Straße, das sind deutlich weniger als die Einwohner hier... viele sind wohl dem Feuer entkommen", erwiderte Fohr. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie uns ins Haus gefolgt war.
"Hoffentlich", flüsterte ich und fuhr mit der Hand durch die nasse Asche.
Auf unsere Schritte bedacht, verließen wir die Hausruine wieder. Draußen wartete Jun schon auf uns. Sein Blick streifte bedrückt über die Überreste des Fischerdorfs.
"Das hier ist nur noch eine Geisterstadt. Ich habe das Gefühl, wir sind hier nicht mehr willkommen", murmelte Jun.
"Ja, wir haben alles getan, was wir konnten, doch den Toten können wir nicht mehr helfen. Es gibt keine Spur von Pakka und Tatsu und nichts mehr, was uns noch hier halten sollte", stimmte ich leise zu und versuchte nicht zu verzweifelt zu wirken.
"Gut, gehen wir erst mal hier raus und machen kurz Rast, dann können wir entscheiden, wie wir weitermachen", riet Fohr. Den Vorschlag nahm ich dankend an, denn die ganze Aufregung strengte an und eine kleine Pause abseits von hier war genau das Richtige.
So ließen wir das ehemalige Fischerdorf hinter uns. Ich wagte noch einen letzten Blick zurück, um mir das Bild einzuprägen. Sayo hatte recht, es war sicher kein normaler Brand gewesen und zu wissen, dass etwas derartige Zerstörung hinter sich herziehen konnte, bereitete mir ein mulmiges Gefühl. Ich wollte mir einfach den Anblick einprägen, den Leuten, die hier ihr Leben gelassen haben, zum Gedenken.
Nur ein kurzer Moment des Zögerns und ich schloss mich den anderen wieder an und verschwand im verschneiten Wald.
Wir schlugen ein kleines, gemütliches Lager auf und Jun machte uns ein kleines Feuer zum Wärmen. Ich setzte mich zu den anderen auf die Decken und lehnte mich etwas zurück, versuchte mich auf andere Gedanken zu bringen.
"Algenbrötchen?", fragte Yong, uns Tuyets Brötchen, die in ein Tuch gewickelt waren, anbietend. Ich griff dankend zu und biss hinein. Auch wenn ich nie ein Freund des Geschmacks war, die Tatsache, dass Tuyet sie gebacken hatte, und die gegenwärtige Situation ließen sie ungeheuer lecker wirken.
Ich ließ mich erschöpft zurückfallen und betrachtete den von Wolken durchzogenen Abendhimmel. Das, was ich heute gesehen hatte, wollte nicht mehr aus meinem Kopf gehen. So viel Leid und Tod an einem Ort. Wären wir dort nur ein wenig länger geblieben, wäre ich wahrscheinlich vollkommen durchgedreht. Waren es - so wie Sayo es vermutete - die Imperialen, die das Dorf in Schutt und Asche gelegt hatten? Frustriert ballte ich meine Hände zu Fäusten, bis sich meine Fingernägel in die Handinnenflächen bohrten.
Hätten wir das ganze verhindern können, wenn wir früher aufgebrochen wären? Darüber durfte ich jetzt nicht nachdenken, nicht jetzt, sonst würde ich nie meine Ruhe finden. Egal wie es sich auch drehen und wenden würde, irgendwann würde das Imperium - besser gesagt ganz besonders der Kaiser - das alles heimgezahlt bekommen und endlich bekommen, was es verdient! Dafür würde ich persönlich sorgen und nicht weil ich mich dazu verpflichtet fühlte, weil ich der Avatar war, sondern aus meinem eigenen freien Willen heraus. Ob ich das schaffen würde, war eine andere Frage, aber ich musste es wenigstens versuchen. Aber so unerfahren wie ich jetzt war, hatte ich, wenn ich ehrlich zu mir war, keine Chance zu gewinnen.
"Mika, ich weiß, dass das jetzt schwer ist. Aber du musst dich ausruhen", versuchte Jun mich zu beruhigen, "Sich die ganze Zeit Sorgen und Vorwürfe zu machen ist sicher nicht gesund. Wenn wir alle fest zusammenhalten, dann schaffen wir das, gemeinsam. Auch wenn du vielleicht nicht an dich selbst glaubst, ich tu es, und die anderen bestimmt auch."
"Natürlich!", mampfte Yong, das halbe Algenbrötchen in seinem Mund.
"Die beiden haben Recht. Und Ruhe ist auch wichtig!", warf Fohr ein.
"Ts... Ich habe schon immer an Mika geglaubt! Schon lange vor euch!", maulte Sayo.
Ich lächelte und murmelte noch ein „Danke", als mich schließlich die Müdigkeit übermannte.
Das warme Sonnenlicht zwischen den Baumwipfeln weckte mich aus meinem unruhigen Schlaf. Auch wenn ich mich nicht an meinen Traum erinnern konnte, war ich sicher, dass es einer von der Sorte war, in den man nicht zurückkehren wollte. Als ich mich umblickte, bemerkte ich, dass ich tatsächlich am Lagerfeuer eingeschlafen war. Irgendjemand hatte mich mit einer dicken Lage Decken zugedeckt, um mich vor der Kälte zu schützen.
"Sieh an, du bist endlich wach. Ich habe schon befürchtet, du schläfst bis Mittag durch", neckte Jun mich lachend.
Alle anderen waren schon wach und frühstückten am Feuer.
Fohr setzte sich neben mich und reichte mir einen wärmenden Kräutertee.
"Hier."
Ich nickte ihr dankbar zu und nippte daran.
"Ok, nun, da wir wieder ausgeschlafen sind, können wir planen, wohin es gehen soll", schlug Yong vor. Er wühlte in seiner Tasche herum und zog ein Stück eingerolltes Pergament hervor. Er rollte es auf der Decke aus und darauf zu sehen war eine große Weltkarte. Wir beugten uns alle darüber und studierten sie eingehend.
"Also, da wir dem Imperium erst kürzlich einen Dämpfer verpasst haben, hoffe ich mal, dass sie uns für eine Weile in Ruhe lassen werden. Die Zeit sollten wir definitiv nutzen, um Mika jemanden zu suchen, der ihr das Erdbändigen beibringen kann", legte Jun uns dar, "Dazu müssen wir zunächst über diesen Bergkamm, dort dürften wir definitiv mehr Siedlungen des Erdkönigreichs finden. Wir suchen den ganzen Weg bis zur Hauptstadt Ba Sing Se ab, da hätten wir dann auch gute Chancen gute Meister zu finden."
Yong schien hellhörig zu werden. "Über die Bergkette hinweg, sagst du?", er tippte auf einen Punkt, der mitten im Gebirge eingezeichnet war, "Wenn wir es schon kreuzen, dann können wir wenigstens dem Nördlichen Lufttempel einen kleinen Besuch abstatten!"
Seine Augen funkelten.
"Moment! Der Nördliche Lufttempel? Es ist Anfang Herbst, das heißt ja...", warf ich vollkommen überrumpelt ein.
"Genau! Dort steigt gerade die Bison Polo Meisterschaft! Da wolltest du doch sowieso schon immer hin, nicht war?"
Da hatte er mich ertappt.
"Kann sein", gab ich kleinlaut bei.
"Und jetzt hast du keine Obernonnen mehr hier, die es dir verbieten, mitzukommen."
"Bison Polo Meisterschaften? Klingt doch nach etwas, wo wir vorbeischauen könnten, wenn es sowieso auf dem Weg liegt", pflichtete Jun uns bei.
Fohr nickte: "Da bin ich dabei!". Ein Lächeln der Vorfreude zog sich über ihr Gesicht. Sie schien froh, endlich andere Kulturen und Bräuche kennenlernen zu dürfen. Ich wusste nur zu gut, wie sie sich fühlte, zumal auch ich die größte Zeit meines Lebens an einem Ort feststeckte.
"Dann wäre das geregelt", Yong zögerte einen Moment, "Nur ein Problem gäbe es...". Er blickte besorgt zu mir hinüber. Ich wusste, was er damit ansprechen wollte.
"Was für eines?", fragte Jun.
"Die Meisterschaften finden zwischen allen vier Lufttempeln statt. Sie werden also auch da sein, die Nomaden vom Östlichen Lufttempel", erläuterte ich Yongs Anliegen für alle. Ein Schweigen legte sich über die Runde.
Ich schloss die Augen und atmete tief ein.
"Ich gehe!", sagte ich, mein Blick entschlossen.
"Mika, wenn du gehst, läufst du Gefahr, dass sie dich wieder zurückschleppen", wandte Sayo ein.
"Das wird nicht passieren. Ich werde nicht mit ihnen mitgehen!"
Nein, das würde ich gewiss nicht, im Gegenteil! Ich würde sie zur Rede stellen. Sie ausquetschen über meine Fesseln und über die ganze Avatargeschichte. Denn etwas war mir nun wichtiger als der Wunsch sie zu meiden: Ich hatte Fragen, haufenweise Fragen. Und ich wollte Antworten!
Und noch viel entscheidender. Ich hatte Freunde, die an meiner Seite standen und mich unterstützen würden. Ich war nicht mehr so allein, wie ich vor ein paar Monaten war, als ich vom Lufttempel abgehauen war.
Als ich meinen entschlossenen Blick nach oben richtete, lächelten mir jene Freunde bekräftigend und mit der gleichen Entschlossenheit zu. Ich wusste, dass ich auf sie zählen konnte, so wie sie immer auf mich zählen konnten, egal was auch geschehen mag. So wurde mir klar, dass es war, wie Meisterin Tuyet bereits gesagt hatte. Für solch gute Freunde konnte ich mich wirklich glücklich schätzen.
Und so brachen wir am nächsten Tag in aller Frühe auf, bepackt für die Reise. Das Ziel, das lange, spitze Gebirge, lag deutlich vor uns und erstreckte sich über den gesamten Horizont, von Osten bis Westen. Irgendwo dort, versteckt auf der Spitze von einem dieser Berge, lag der Nördliche Lufttempel. Wir waren auf dem Weg.
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