Der Sandbändiger
Ein stechender Geruch von Ruß erfüllte die kühle Nachtluft und das rötliche Flackern der Flammen ließ Schatten über die Gesichter tanzen. Das Knistern des Feuers der Schriftrolle mit unserem Kopfgeld, die in Juns Hand in Flammen aufging war für einen Moment das einzige, was die Stille brach.
Der junge Mann, der sich Tao Ren nannte, beobachtete uns mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Warum hast du uns geholfen?", startete Jun mit einer Gegenfrage, während er die Aschereste von seinen Händen klopfte.
"Ich arbeite hier. Für Ordnung in und um die Bibliothek zu sorgen ist also Teil meiner Aufgabe", antwortete er mit einem Schulterzucken. Das erklärte aber noch lange nicht, warum er uns die Schriftrolle verbrennen ließ. Ärger mit dem Imperium würde sicherlich nicht zu mehr Ordnung hier führen. Nein, Tao Ren hatte offensichtlich persönliche Gründe dafür. Und ich hatte so meine Vermutung, woher diese rühren könnten.
"Mein Name ist Yong. Das Mädchen hier, das so aussieht als hätte es einen Geist gesehen, ist Mika. Aber eigentlich ist sie ein großer Freund von Geistern, hat sogar einen als Haustier." Er klopfte mir auf den Rücken. "Das ist Jun, lässt des Öfteren Sorgen zu Asche zerfallen, eher wortwörtlich." Yong nickte in Juns Richtung, dann wies er mit dem Daumen zu Fohr. "Hier haben wir Fohr, manchmal etwas verrückt. Im positiven Sinne, natürlich." Fügte er hastig hinzu, aber Fohr schien sich nicht im Geringsten an der Wortwahl zu stören. "Sie ist immer für eine Überraschung gut. Und die beiden hier, Zwillinge. Ruolan und Chyou. Vielleicht fällt es dir anfangs etwas schwer sie auseinanderzuhalten, aber charakterlich sind sie wie Tag und Nacht." Mein Blick schweifte zu der verletzten Chyou hinüber, deren Wunde gerade von ihrer Schwester versorgt wurde. Zum Glück sah es so aus, als wäre Chyou noch glimpflich davongekommen.
Tao Rens stoisches Gesicht, offensichtlich überrascht von der ausführlichen Vorstellung, zeigte einen Hauch von einem Schmunzeln.
"Eigentlich wollte ich eher Informationen dazu, wie ihr das Imperium so verärgert habt."
Nun war es Fohr, die sich einschaltete.
"Und warum interessiert dich das so sehr? Man könnte fast glauben, du hast selbst eine Meinungsverschiedenheit mit den Imperialen. Da kann man sich ruhig mal in die Wüste zurückziehen, wenn man sich verstecken will."
Fohrs Augen funkelten amüsiert. Tao Ren hingegen nahm ihren Kommentar nicht so gelassen.
"Woher-? Willst du damit etwas sagen, ich hätte Angst?", konfrontierte er sie, leicht überrumpelt.
Fohr hingegen grunzte nur, ein Lachen unterdrückend.
"Das ist deine Interpretation, nicht meine. Vielleicht macht dir das doch mehr zu schaffen als du wolltest."
Sie zuckte mit den Schultern.
"Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus", verteidigte sich Tao, teils beschämt, teils wütend.
"Lustig, ich dachte du willst dich gerade nicht aus unseren Angelegenheiten heraushalten", Fohr schien mehr Spaß an der Diskussion zu haben als ihr Kontrahent, "Du kannst dich übrigens gerne in unsere Angelegenheiten einmischen. Wir hätten eine Stelle an einen Erdbändiger zu vergeben."
Alle starrten Fohr an.
"Als Lehrer für den - Ah! Hey!", Ruolan hatte ihr rechtzeitig auf den Fuß getreten. Erleichtert über diese Unterbrechung atmete ich auf. Wenn auch Fohr eigentlich recht hatte, denn ich brauchte einen Lehrer, um das Erdbändigen zu lernen. Was aber nicht hieß, dass jeder Erdbändiger mir helfen konnte. Ein ganzes Dojo war schon an meiner Inkompetenz gescheitert. Einen Lehrer, der mich die Verbindung zur Erde lehren könnte, das war es, was ich suchte. In Ba Sing Se, so der Plan. Aber was gab mir die Garantie, dass Ba Sing Se nicht auch eine Sackgasse war?
"Ihr sucht jemanden der Erdbändigen lehren kann? Was wollt ihr dann von mir? Ich bin primär ein einfacher Sandbändiger, das ist weit weg von klassischem Erdbändigen." Tao Ren hatte sich von seiner Verwirrung erholt und kehrte zurück zu seiner zweitliebsten Beschäftigung: uns prüfend zu mustern, auch wenn seine Ausrede nicht sonderlich überzeugend war. Ich runzelte skeptisch die Stirn.
"Du bist sehr wohl primär ein Erdbändiger", wandte ich ein, ehe ich mich selbst stoppen konnte, "Immerhin bist du noch nicht allzu lange hier in der Wüste, vielleicht gerade mal ein Jahr, wenn überhaupt. Davor warst du ein klassischer Erdbändiger, sogar so gut, dass das Imperium dich zur Gehirnwäsche einsammeln wollte. Da bist du abgehauen." Der letzte Teil war eher gemurmelt und mein Blick war schon lange zur Seite gewandert, aber das minderte den Effekt meiner Worte nicht.
Stille.
"Wie?", Erschütterung schwang in seiner Stimme mit. "Woher weißt du das?"
Ich wusste nicht, wie ich ihm erklären sollte, dass ich ihn belauscht hatte, als er sich damals von seiner Mutter verabschiedet hatte.
"Ich war mal auf der Durchreise in eurem Dorf", formulierte ich es aus.
Tao Ren schwieg für eine Weile.
"Meine Mutter?", fragte er schließlich zögerlich, aber doch gefasst.
Ich schüttelte den Kopf.
"Sie wurde vom Imperium öffentlich hingerichtet."
Er hatte ein Recht darauf das zu wissen, das wusste ich. Er biss sich auf die Lippe und schloss kurz die Augen. Dann nickte er.
"Das hatte ich befürchtet. Danke."
Ich erwiderte das Nicken, während die Anderen, besonders Jun, eher verwirrt dreinblickten.
"Gut, ich mache es", erklärte Tao Ren schließlich, nachdem er die Informationen verarbeitet hatte, "Ich kann Erdbändigen lehren. Oder es zumindest versuchen." Er schien sich seiner Entscheidung überraschend sicher?"
"Also, wem soll ich das Erdbändigen beibringen"
Yong legte eine Hand auf meine Schulter: "Das wäre dann wohl Mika hier."
Tao Ren runzelte die Augenbrauen.
"Aber ist sie nicht Luftbändigerin?"
Ein breites Grinsen schlich sich auf Yongs Gesicht.
"Genau."
...
"Wir treffen uns morgen früh hier, packt am Besten gleich eure Sachen." Das hatte Tao Ren uns noch gesagt, bevor er sich auf den Weg machte.
Gesagt, getan. Wir hatten unsere Hab und Gut zusammengepackt und uns in der Morgensonne in den Sand gesetzt. Auch wenn die Temperaturen morgens noch lange nicht ihr Maximum erreicht hatten, war es für meinen Geschmack schon viel zu warm.
"Wo is eigentlich Sayo?", fragte Fohr, die ihren Schweiß regelmäßig zu Eistropfen gefrieren ließ.
"Sie mag keine Füchse. Sayo hat es manchmal so an sich, dass sie sich für ein paar Tage zurückzieht, wenn ihr etwas nicht passt. Ich wette, wenn wir uns nur weit genug von hier entfernen, wird sie wieder zu uns stoßen", antwortete ich gelassen.
"Wird sie uns denn finden?", fragte Chyou, den Mund voll mit Proviant. Ihre und auch meine Wunde war kaum noch sichtbar, dank einer schnellen Heilung durch Wasserbändigen. Fohr hatte darauf bestanden, dass ich mich alleine darum kümmerte, als kleine Trainingseinheit.
"Sayo findet mich immer." Ich zuckte mit den Schultern und versuchte die Wüstenhitze mit einem kalten Windstoß erträglicher zu machen.
"Wer ist Sayo? Gibt es jemanden bei euch in der Gruppe, den ich noch nicht kenne?"
Ich fuhr hoch, als Tao Rens Stimme plötzlich hinter mir erklang. Reflexartig folgte die Luft meinen schreckhaften Bewegungen und um ein Haar hätte ich den Neuankömmling umgepustet. Seine langen zusammengebundenen Haare hatten meine Schreckreaktion allerdings nicht so gut überstanden, denn sie standen ihm nun wirr zu Berge. Tao Ren runzelte die Stirn und strich seine Haare mit einer schnellen Handbewegung wieder glatt.
Mit Mühe und Not konnte ich meinen Lachkrapf zurückhalten.
Er räusperte kurz, auf der Suche nach Worten.
"Was für eine Begrüßung. Nun ja, ich hoffe ihr wartet noch nicht zu lange. Wollen wir dann los? Wir sollten lieber zügig aufbrechen, bevor uns die Hitze einholt."
"Wohin brechen wir überhaupt auf?", fragte Chyou, schon mehr als bereit aufzubrechen.
"Nach Liusha."
"Noch nie gehört."
"Jetzt schon. Also los. Die Fragen kann ich euch später beantworten, nur nicht hier."
"Hier wären wir."
Die ganze Gruppe starrte Tao Ren bei der Aussage an. Wir standen irgendwo im Nirgendwo. Nachdem wir vielleich eine halbe Stunde, die sich aber wie eine Ewigkeit anfühlte, durch die Wüste gestapft waren, hatten wir angehalten. Mitten in der Wüste. Nirgends war auch nur die geringste Spur von anderen Menschen zu sehen, geschweige denn einer Zivilisation. Das sollte unser Ziel sein?
"Du kannst also auch Scherze machen. Gehen wir dann weiter, bevor wir auf der Stelle gebraten werden?", fragte Jun und stapfte augenrollend weiter.
"Das war kein Scherz. Außerdem würde ich an deiner Stelle nicht da entlang gehen, zumindest nicht alleine", meinte Tao Ren kühler als es die Wüstenluft erlaubte. Er deutete auf Juns Füße, die langsam im Sand zu versanken. Der Rest der Gruppe tauschte skeptische Blicke aus, während Jun vergeblich versuchte seine Beine zu befreien.
"Ein wenig Hilfe wäre nicht schlecht", bat Jun den Sandbändiger, nun etwas weniger gefasst.
"Ach keine Sorge. Das soll so sein", er wandte sich zu uns hinüber, "was ist? Kommt ihr auch?"
"Weil wir lebensmüde sind?", Ruolan verschränkte barsch die Arme.
"Ihr habt mich dabei, also werdet ihr wahrscheinlich nicht sterben", verbesserte sie Tao Ren mit einem Schulterzucken.
Ruolan schnaubte: "Wahrscheinlich nicht? Tolle Aussichten sind das."
Doch noch während sie das sagte, wanderte Fohr wortlos an ihr vorbei zu Jun und Tao Ren hinüber, der ihr zunickte und sich dann wieder an uns wandte.
"Ich weiß, wir kennen uns kaum. Aber könnt ihr mir nicht kurz vertrauen? Ich bin ein Sandbändiger. Ich weiß, was ich tue."
Ich tauschte fragende Blicke mit Yong aus, als meine Hand plötzlich mitgerissen wurde und ich ein paar Meter nach vorne in den Treibsand stapfen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Chyou hatte Ruolan und mich gepackt und mit sich gezogen, unter Protest ihrer Zwillingsschwester. Der Blick auf meine verschwundenen Füße verriet mir, es gab kein zurück mehr. Der Letzte, der noch auf sicherem Boden stand war Yong, doch auch er folgte nun freiwillig auf den Sand.
"Wenn ihr alle geht, komm ich auch mit", verteidigte er sich vor meinem vorwurfsvollen Blick.
"Schön, dass wir das geklärt hätten. Ach ja, wenn möglich keinen Sand einatmen. Es ist sehr unangenehm, ihn wieder aus der Lunge zu bändigen."
Mit diesen Worten hob Tao Ren seine Hände und bewegte sie kreisförmig. Kaum hatte er damit angefangen, erhob sich der Sand um uns herum zu einer gewaltigen zirkulierenden Wolke aus Sandkörnern. Erst langsam, dann immer stärker tat sich ein Sandsturm auf. Zu der Zeit, als er seine Arme wieder herunter nahm und der Sandsturm weiter um uns zirkulierte, waren wir bereits hüfttief im Sand versunken und meine Beine schienen wie in Stein gefasst. Langsam bahnte sich ein Schwall von Panik an. Doch dann, auf einmal, mit einer Handbewegung von Tao Ren, tat sich ein Loch unter uns auf und wir fielen.
Wer denkt, dass das Landen auf einem Sandberg angenehm ist, den muss ich hier leider enttäuschen. Es war auch nicht wirklich eine gezielte Landung, da sie dicht gefolgt von einer Rutschpartie im Sand war. Glücklicherweise konnte ich den Fall etwas durch Luftbändigen dämpfen. Unten angekommen, hörte ich das Stöhnen und Husten meiner Freunde und rieb mir den Sand aus den brennenden Augen. Überraschenderweise war es hier nicht wirklich dunkel, obwohl wir tief unter der Erde waren. Der Raum war von lumineszierenden Kristallen erhellt und an manchen Stellen sickerte Sonnenlicht durch Rohre im Sand, viel intensiver als es eigentlich sein sollte. Eine vermummte Frau, allem Anschein nach auch eine Sandbändigerin, saß auf einem Stuhl und musterte uns, einen nach dem anderen.
"Oh, wie ungewöhnlich. Zufällige Gäste. Wartet hier und ich informiere den Verwalter."
Sie stockte, als ihr Blick auf Tao Ren fiel, der gerade hinter dem Sandberg hervortrat.
"Oh, was sagt man denn dazu. Keine zufälligen Gäste, eingeladene Gäste", murmelte sie und strich etwas in ihrem Notizbuch durch.
Tao Ren hatte sich neben uns gestellt.
"Wollt ihr nicht aufstehen? Wenn ihr weiter hier herumliegt, fallen euch die Nächsten noch auf den Kopf", merkte er an und wartete ungeduldig darauf, dass alle sich aufgerappelt hatten. Er verzog keine Miene bei dem Anblick der fünf äußerst staubigen Gestalten, die wieder auf ihre Beine fanden.
"Na endlich. Packen wir es."
Wir folgten Tao Ren leicht benommen durch einen Tunnel, der über eine Sandsteintreppe nach unten führte. Doch bei dem Anblick der sich mir am Ende des Tunnels bot, verflüchtigte sich die Benommenheit sofort. Vor uns erstreckte sich eine gewaltige, verwobene Stadt aus Sandstein. Die Stadt war von den Kristallen und Sonnenlichtrohren ausgeleuchtet und kuppelförmige Bauten aus Sandstein verschmolzen mit den Wänden und Treppen. Von der Decke rieselten Wasserfälle aus Sand und verschwanden unter dem Stein. Sogar ein Fluss mit frischem Wasser durchzog die Stadt, wie eine Ader. Die Stadt schien belebt und viele vermummte Sandbändiger gingen ihrem täglichen Treiben nach. Einige Händler priesen Waren an und Kinder spielten am Flussbett. Im Grunde schien es wie eine normale Stadt, nur dass sie weit unter der Erde lag, was einem erst klar wurde, wenn man den Blick nach oben schweifen ließ.
"Willkommen in Liusha."
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