Der Aufbruch
Schweigend saß ich auf meinem Bett und packte die Sachen für die Reise. Meine Bücher, meinen Gleiter, etwas Proviant, Kleidung. Das Ganze erinnerte mich irgendwie an die Zeit, als ich vom Tempel abgehauen bin, nur mit einem kleinen aber entscheidenden Unterschied: Diesmal war ich nicht alleine. Yong hatte schon gepackt, also saß er mit Meisterin Tuyet am Küchentisch und spielte eine Runde Pai Sho. Ich hingegen hatte verschlafen, wahrscheinlich, weil ich gestern Nacht kaum einschlafen konnte. Zu sehr plagten mich die Ereignisse des Tages. Besonders machte ich mir Sorgen um Fohr. Wie konnte sie nur ihr eigener Vater ins Exil schicken? Und ich dachte er wäre ein netter Vater, der sich um seine Tochter sorgte, aber anscheinend hatte ich mich hier getäuscht.
Wir würden heute Mittag mit ihr zusammen aufbrechen, das war das mindeste, was wir in dieser Situation für sie tun konnten. Sayo lag neben mir auf dem Boden und schwieg, scheinbar war sie immer noch beleidigt, dass ich auf dem Kopf eines anderen Geistes geritten war.
Ich ging noch einmal sorgfältig durch, ob ich auch nichts vergessen hatte, und gesellte mich schließlich zu Yong und Meisterin Tuyet in die Küche.
"Hast du schon gehört? Sie haben beschlossen, die Imperialen am Leben zu lassen, aber sie kommen ins Gefängnis, so viel ist sicher. Über Altans Strafe wird allerdings noch diskutiert", erzählte Yong, einen Stein auf dem Pai Sho Feld platzierend.
Überrascht sah ich auf.
"Haben sie das? Der ganze Wasserstamm war enorm aufgebracht, woher kommt der plötzliche Sinneswandel?"
Yong zuckte mit den Schultern und betrachtete das Spielfeld konzentriert.
"Gute Frage. Ich nehme an, dass sie von der Sache mit der Gehirnwäsche erfahren haben und das in ihr Urteil miteinbezogen haben", murmelte er.
"Irgendeine Spur von Kaia?", hakte ich nach.
"Nein, überhaupt nichts."
"Guter Zug, junger Mann!", bemerkte Tuyet grinsend und studierte die Steine, "Scheint, als hätte ich verloren. Mein Gehirn wird eben auch schon alt."
Still setzte ich mich zu ihnen an den Tisch.
"Das ist dann unser letzter Tag hier, was?", bemerkte ich bedrückt. Abschiede waren immer schwer, auch wenn sie unumgänglich waren.
"Ich bin sicher, dass ihr gut zurechtkommen werdet", erwiderte Meisterin Tuyet, "Du warst eine gute Schülerin, und es war mir eine Freude, den Avatar im Heilen zu unterrichten. Ich habe gleich gemerkt, dass du nicht vom südlichen Wasserstamm warst".
Tuyet lachte auf und klopfte mir feste auf den Rücken.
"Außerdem hast du wunderbare Freunde an deiner Seite. Auch der größte Kämpfer ist ohne Freunde nichts. Vergiss das nicht, Mika."
Hatte ich ihr je meinen echten Namen verraten? Woher sollte sie ihn sonst wissen. Aber es war auch egal, ich wollte ihn ihr sowieso noch sagen.
"Vielen Dank. Für Alles!", wandte ich mich an sie und verbeugte mich tief.
"Das ist nicht nötig, ich habe euch zu danken. Ihr habt den Tod meines Sohnes geklärt und dafür stehe ich in eurer Schuld. Hier, nehmt ein paar Algenbrötchen mit auf eure Reise. Sie sind ganz frisch!"
Als ich Tuyets warmes Lächeln sah, dachte ich, dass ich diese Brötchen vielleicht sogar ausnahmsweise gerne essen könnte.
"Danke!", sagten Yong und ich zeitgleich und erwiderten ihr Lächeln.
"Ich bin mir sicher, dass wir uns irgendwann wieder über den Weg laufen werden. Bis dahin, passt gut aufeinander auf."
Tuyet winkte uns hinterher, als wir uns auf den Weg zum Brunnen machten, an dem wir uns mit den Jun und Fohr treffen wollten.
Ersterer saß bereits am Rand und ließ gedankenverloren kleine Feuerkugeln über seine Handfläche tänzeln.
"Schon da? Du hast ja deine Klette gar nicht dabei", grüßte Yong ihn.
"Wenn du Zena meinst, die ist mitsamt ihrem Gepäck verschwunden. Mir wurde erzählt, sie habe heute Morgen das erste Schiff zurück zum Festland genommen", erzählte er gleichgültig.
"Dann haben wir ja eine Bedrohung für meine Nerven weniger an Bord", strahlte Yong und alle begannen zu lachen.
"Wurde aber auch Zeit! Ich dachte schon, wir werden sie nie los", zischte Sayo, die sich nun endlich auch wieder zu Wort meldete.
Nun fehlte also nur noch eine Person: Fohr. Ihr würde dieser Abschied sicher am schwersten fallen, er kam so plötzlich.
Ich setzte mich zu Jun an den Brunnen und Yong folgte meinem Beispiel.
"Der Abschied vom Nordpol kam plötzlicher als gedacht, was? Aber ich kann es auch kaum abwarten, mal wieder in wärmere Regionen zu reisen und wieder andere Farben als weiß und blau zu sehen."
Da konnte ich Jun nur zustimmen.
"Beschwert sich da etwa ein Feuerbändiger über Kälte?", erklang Fohrs vertraute Stimme von hinten, "Mach es dir doch einfach wärmer!"
Wir fuhren alle drei gleichzeitig herum und starrten Fohr an, die ihr Gepäck auf dem Boden abstellte. Sie schien fast wie eh und je, ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen und ein vorwitziger Gesichtsausdruck, nur dass sie leichte Augenringe unter den Augen hatte und ihre Haare zerzauster waren als sonst. Versuchte sie den Schock zu verdecken?
"Stimmt was nicht?", fragte sie, als sie unsere erstaunten Gesichter bemerkte.
"Du scheinst nur sehr entspannt. Dafür, dass du von deinem eigenen Vater ins Exil geschickt wurdest, meine ich", erklärte Jun.
"Das dein Vater jemandem so etwas antun kann und dann auch noch seiner eigenen Tochter! Du hast ihm so geholfen-", Fohr winkte Yongs Redeschwall ab.
"Redet nicht so schlecht über meinen Vater. Er hatte keine Wahl! Er hat lange darüber nachgedacht und die plausibelste Lösung gefunden. Glaubt ihr, es ist ihm leichtgefallen?", wandte Fohr ein.
"Aber-", wollte ich widersprechen, doch Fohr schüttelte nur den Kopf.
"Gehen wir. Wir haben noch eine lange Reise vor uns. Wir wollen ja noch zeitig am Festland ankommen, oder? Wollt ihr etwa mehrere Nächte auf hoher See verbringen?", wich Fohr dem Thema aus und schnappte sich ihren Rucksack wieder, der ziemlich schwer wirkte.
Jun, Yong und ich schauten schweigend zu, Sayo seufzte nur. Ohne ein weiteres Wort folgten wir Fohr ein letztes Mal durch die Gassen des nördlichen Wasserstamms. Ihr Blick war nach vorne gerichtet und ich meinte Entschlossenheit darin zu sehen.
...
Unser Schiff wartete an einem kleinen Steg aus Eis, jenseits der Mauer, auf uns. Zwei Segel waren an den Masten in der Mitte gebunden und an Deck war genug Platz für uns vier. Das Holz schien schon ein paar Jahre auf dem Buckel zu haben, wirkte aber trotzdem keineswegs morsch oder spröde. Im Gegenteil, die Furchen erzählten eine Geschichte der Abenteuer, denen das Boot schon getrotzt hatte.
Auf einer Bank am Pier wartete Hang, Fohrs Vater stand daneben, wobei ich mich bemühte, letzterem keine Beachtung zu schenken.
Hang stand auf und lächelte uns zu, als sie uns kommen sah. Ich lief auf sie zu und umarmte sie zum Abschied. Über die Wochen hinweg war sie für mich fast schon zur Familie geworden.
Sie legte mir die Hand auf die Schultern und nickte mir aufmunternd zu.
"Danke, für alles!", versuchte ich meine Dankbarkeit für all die Wochen hier am Nordpol in Worte zu fassen, "Ich wüsste nicht, was wir ohne dich gemacht hätten!".
Yong hatte sich neben mich gestellt, um ebenfalls Abschied zu nehmen. Hang blickte zwischen uns beiden hin und her, ihre Augen funkelten.
"Ich bin es, die euch danken muss. Immerhin habt ihr auch so vieles für mich getan", gab Hang zurück, "Es wird recht einsam werden ohne euch, zumindest bis es soweit ist-".
"Was soweit ist?", fragte Yong, aber sie antwortete ihm nicht, sondern lächelte nur, eine Mischung aus Trauer und Freude in ihren Zügen.
Mein Blick schweifte hinüber zu Fohr, die ihrem Vater gegenüberstand.
"Vater...", murmelte sie mit einem kühlen Blick. Die Atmosphäre war deutlich angespannt, als könnte sie jederzeit explodieren.
"Fohr", erwiderte er traurig. Die darauffolgende Pause erschien mir fast wie eine Ewigkeit.
"Es tut mir leid, Fohr. Ich hätte es früher sehen sollen. Stattdessen habe ich dich selbstsüchtig hier bei mir behalten. Die Regeln des nördlichen Wasserstamms erdrücken dich, nicht wahr? Leider habe ich das jetzt erst gemerkt. Es hätte mir schon klar sein sollen, als du mich bereits als Kind Tag für Tag fragtest, ob ich dir nicht doch das Kämpfen beibringen könnte. Doch als du dann aufgabst, dachte ich, die Sache hätte sich erledigt."
Fohr senkte den Blick zu Boden.
"Doch die ganze Zeit hast du unter den Regeln dieses Stammes gelitten", fuhr ihr Vater fort, "Nun habe ich endlich eingesehen, dass es an der Zeit ist, dich gehen zulassen, damit du frei sein kannst. Aber du musst wissen, dass ich unglaublich stolz auf dich bin, meine Tochter."
Ein leichtes Lächeln zog sich über Fohrs Gesicht.
"Du hast also endlich eingesehen, dass ich kein kleines Kind mehr bin. Hat dich ja auch lange genug gedauert."
Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn fest.
"Danke, Vater", nuschelte sie in die Umarmung hinein.
"Danke, Fohr. Und keine Sorge, wir werden uns wiedersehen, das habe ich im Gefühl. Und auf mein Gefühl ist Verlass!"
Ich glaubte für einen kurzen Moment, dass seine Augen etwas feucht geworden waren, auch wenn das bei ihm nur schwer vorstellbar war.
Fohr löste sich von ihm und ging zurück zu unserer Gruppe und dem Gepäck, als ein junger Mann angerannt kam und schnaufend zu Atem kam.
"Ein Bote vom Festland ist eingetroffen. Er hat gesagt, er muss dringend mit Ihnen sprechen", wandte er sich an Fohrs Vater.
Dieser nickte nur kurz.
"Sehr wohl, lass mir noch kurz ein paar wenige Minuten, um mich von meiner Tochter zu verabschieden."
Das sah der Mann ein und wartete, während wir unser überschaubares Gepäck auf unser Boot luden und uns bereit zur Abfahrt machten. Im Nu waren die Segel gespannt, wir legten ab und winkten zum Abschied. Und schon entfernte sich der Nordpol, erst langsam, dann immer schneller.
Ich setzte mich neben Fohr, die am Ruder saß und dem immer kleiner werdenden nördlichen Wasserstamm hinterherschaute.
"Du hattest Recht, wir haben uns in deinem Vater geirrt. Er hat ein gutes Herz", bemerkte ich.
Fohr nickte: "Ja, er wusste genau, dass ich ihn hier nie einfach so zurückgelassen hätte. Letztendlich musste er mich zu meinem Glück zwingen."
Sie lächelte und eine kleine Träne kullerte über ihre Wange.
"Und jetzt hast du uns an der Backe", meinte Yong grinsend.
"So kann ich wenigstens sicher sein, dass es garantiert nicht langweilig wird. So oft wie ihr euch in Schwierigkeiten bringt."
Wir segelten weiter in Richtung Festland. Dank unserem Bändigen und glänzender Zusammenarbeit kamen wir ziemlich schnell voran. Yong blies Wind in die Segel, während Fohr und ich das Wasser am Bug entlang bändigten und Jun das Ruder übernahm.
Ab und an machten wir Pause, um uns ein wenig auszuruhen oder zu essen, immerhin war der Weg zum Festland lange und anstrengend. Doch wir waren gut ausgestattet und zuversichtlich, dass wir in die richtige Richtung steuerten.
"Da vorne! Ein Schiff der imperialen Schweine!", drang Sayos Stimme an mein Ohr, was mich überraschte, denn ich hätte sie schon längst am Festland vermutet, da sie Schiffe von Haus aus mied.
"Was machen sie hier?", fragte ich Sayo beunruhigt.
"Ich weiß nicht, scheint fast, als patrouillierten sie."
Na toll! Ein Kampf mit den Imperialen auf hoher See fehlte mir gerade noch.
"Tarnen wir uns und hoffen, dass sie uns nicht entdecken", schlug Fohr vor. Dagegen hatte erst mal niemand einen Einwand vorzubringen. Konnten wir nur hoffen, dass das ganze klappte. Wir schufen eine dicke Nebelwand um uns herum, die uns vor den Blicken der Imperialen schützen sollte und machten einen möglichst großen Bogen um diese. Still glitten wir durchs Wasser, sodass ich es kaum wagte zu atmen. Wenn ich doch nur sehen könnte, wo das imperiale Schiff war, aber die Nebelwand hatte diesen einen Nachteil, dass eben diese auch uns den Durchblick deutlich einschränkte. Wir mussten uns also auf Sayos Aussagen über den Standort verlassen, was nicht einfach war, da sie erfahrungsgemäß ein sehr schlechtes Gefühl für Entfernungen hatte.
Umso erleichterter war ich, als sie uns endlich mitteilte, dass das imperiale Schiff außer Sichtweite war.
Doch kaum hatte ich mich entspannt, hörte ich, wie Yong scharf Luft einsog.
Ein "Oh nein" schlich sich über seine Lippen, gefolgt von einer unruhigen Stille, denn wir alle folgten seinem Blick und sahen, was er sah. Zahlreiche von Ruß geschwärzte Wolken hingen über der Landzunge vor uns. Darunter das kleine Fischerdorf, oder vielmehr das, was noch davon übrig war, in seiner dunklen Silhouette und durchzogen von den unruhig flackernden Lichtern der Flammen.
Der Anblick raubte mir den Atem und ich unterdrückte ein Husten, auch wenn wir den Rauch noch lange nicht erreicht hatten. Nein, das konnte nicht sein! Wie konnte so etwas passieren?
Und noch viel wichtiger: Was war mit Pakka und Tatsu?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro