Das Vermächtnis
"Du.. bist der Avatar."
Die Worte schwebten im Raum und keiner wagte es etwas darauf zu erwidern.
Verzweifelt versuchte ich etwas zu finden, was dagegenspräche. Es konnte einfach nicht sein, nein, es durfte nicht sein! Aber ich fand nichts, außer die eine Tatsache, dass...
"...Was ist mit Zena? Ist sie nicht der Avatar? Dann... dann kann ich doch nicht auch einer sein. Ihr müsst euch irren..."
Ich senkte meinen Blick Richtung Boden in der verzweifelten Hoffnung, dass all das vielleicht doch einfach nicht stimmte. Nein, ich würde es nicht akzeptieren...
"Zena...?", fragte Sayo und stieß amüsiert einen Schwall Luft durch ihre Zähne, "Die Göre? Hör zu, Mika. Der Avatar ist die Brücke zur Geisterwelt. Sicherlich gibt es ein paar Menschen, die einen guten Draht zu Geistern haben, aber glaub mir, Zena hat nicht mal einen Hauch davon. Niemand kann so etwas besser beurteilen, als ein Geist selbst. Sie mag vieles sein, aber der Avatar sicher nicht."
Aber warum wurde sie dann zum 'Avatar'? Sie könnte von mir aus Avatar bleiben. Das mit dem schlechten Charakter würden wir schon noch geradebiegen... Sie war in ihrem Element, wollte schon immer im Mittelpunkt stehen. Ich hingegen... ich hatte nie darum gebeten Avatar zu sein. Mein Leben lang wollte ich einfach nur normal sein und dazugehören. Für die kurze Zeit, die ich jetzt schon vom Lufttempel weg war, war ich das auch. Es war ein Art der Freiheit, wie ich sie noch nie gespürt hatte... Und jetzt? Jetzt sollte das ganze nur eine Illusion gewesen sein? War ich von Anfang an dazu verdammt gewesen nicht normal zu sein? Es schmerzte.
Ich sollte der Avatar sein? Aber ich war weder verantwortungsvoll genug noch hatte ich die nötige Erfahrung... Ja, was brachte der Welt ein Avatar, der nicht mal sein eigenes Element gemeistert hatte? Da musste ein Irrtum vorliegen, ich könnte nie ein guter Avatar werden. Die ganzen Pflichten, die ich erfüllen müsste.... allein der Gedanke daran engte mich ein.
Yong sah mich besorgt an, als wüsste er genau, was gerade in meinem Kopf vor sich ging. Er kannte mich zu gut.
"Ich weiß, dass du es nicht akzeptieren willst, Mika, aber ich weiß auch, was ich gesehen habe. Als ich da stand, mit der Klinge am Hals, dachte ich es wäre vorbei. Wenigstens du solltest entkommen... Aber da kamen sie schon auf dich zugerannt. Doch dann-", er zögerte kurz, "Deine Augen... Sie begannen weiß zu leuchten. Ich erschrak, wusste zunächst nicht, was passierte. Es wurde mir erst klar, als du anfingst Feuer zu bändigen... doch schließlich, als die Kopfgeldjäger davonrannten, außer Sicht waren, da bist du einfach zusammengesackt. Mika, du...". Seine Stimme versagte.
Das war die ganze Wahrheit, jene, die ich nicht hören wollte. Ein Beweis so klar, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Aber das hätte auch nichts mehr daran geändert.
"Wieso muss ich der Avatar sein...? Warum gerade ich?", flüsterte ich. Meine Gedanken schweiften zurück zu Hiko aus meinem Traum.
Dass es mir nicht schon früher aufgefallen war... Kein Wunder, dass sie mir so bekannt vorgekommen war... Sogar ihr Name... Sayos Worte, dass sie niemand sei, den sie je kennengelernt hatte...
Ihre Ausstrahlung, die andere Leute mitriss, ihre Gutmütigkeit, die Weisheit, die sie ausstrahlte, sie war eine geborene Anführerin. Jemand, der Leuten Zuversicht schenkte, und jemand, der Verantwortung tragen konnte.
"Ich werde nie so sein können, wie sie...", murmelte ich in mich hinein. Yong setzte sich neben mich auf den Boden.
"Du redest von deinem Traum, nicht wahr? Weißt du... Egal wie sehr du versuchst dich dagegen zu wehren, du bist immer noch du. Egal ob Avatar oder nicht! Und für ein paar Leute da draußen bist du es schon Wert, deine Geschichten herumzuerzählen. Die mysteriöse Luftbändigerin, die eine Horde Fremder aus dem Gefängnis geholt hat. Da fällt nicht mal das Wort Avatar. Du bewegst Leute, Mika! Sicherlich, Avatar Hiko war eine Heldin für alle Unterdrückten. Sie war eine der ersten, die es gewagt haben sich zu wehren. Aber ihre Geschichte ist tragisch. Also glaubst du, sie würde wollen, dass du jetzt aufgibst? Mach was draus, auf deine eigene Art und Weise. Sie wär sicher mit mir einig... Sei einfach so wie du bist."
Ich starrte Yong überrascht an. Er war eigentlich nicht der Typ, der Reden schwang.
Als ich nichts erwiderte fuhr er fort: "Und? Wie war sie so? Avatar Hiko meine ich...". Neugier blitzte in seinen Augen auf und ich musste kichern.
"Avatar Hiko...", murmelte ich, "Naja... Sie konnte schön singen! Auf den ersten Blick wirkte sie sehr elegant und diszipliniert, aber als ich mit ihr redete, da war sie sehr kameradschaftlich und offen... Ihr Lachen war seltsam!"
"Wie seltsam? Mach es nach!", er sah mich erwartungsvoll schmunzelnd an.
"Nachmachen... Ob ich das kann?"
"Bestimmt, sie war doch dein vorheriges Leben!"
Ich räusperte mich kurz und versuchte dann Hikos lautes, schallendes Gelächter nachzuahmen. Yong stimmte nach einer Weile mit ein, während Sayo uns ansah, als hätten wir sie nicht mehr alle.
"Das nenn ich eine Lache eines Avatars würdig!", meinte Yong, während er sich eine Lachträne aus den Augen rieb.
"Danke, Yong...",murmelte ich leise lächelnd. Er hatte echt Talent mich aus miesen Stimmungen herauszubringen.
"Jetzt werde nicht sentimental, OK? Glaub mir, wir kriegen das schon hin, aber darüber können wir uns später Gedanken machen. Jetzt gehen wir erst mal trainieren! Das lockert Körper und Geist!"
Er stand auf und schmiss mir grinsend meinen Stab zu, den ich gerade noch so fangen konnte. Meine Mundwinkel bewegten sich ein klein wenig nach oben. Training, was? Ja, das könnte genau das sein, was ich gerade brauchte. Ich sprang auf und murmelte ein schnelles: "Gehen wir...". Erleichterung machte sich auf Yongs Gesicht breit.
"Ich hab schon befürchtet, du würdest weiter Trübsal blasen. Aber sieht aus, als hätte ich meine Kindheitsfreundin wieder ganz zurück. Hätte auch nicht zu dir gepasst deprimiert zu sein, dazu braucht es schon mehr. So dickköpfig, wie du bist..."
Er schmunzelte zu mir herüber.
"Ich bin nicht dickköpfig!"
"Ach?", meinte er herausfordernd, während er mir einen triumphierenden Blick zuwarf.
...
"Und warum muss ich mir diese seltsamen Abfolgen merken?", fragte ich Yong, während ich einen starken Luftstrom gegen den mir gegenüber stehenden Baum schnellen ließ. Wir trainierten schon seit einigen Stunden, aber das störte mich wenig. Ja, im Gegenteil, die Ablenkung tat mir richtig gut. All die Verwirrungen und Sorgen von vorhin hatte ich in meinem Hinterkopf verstaut, sodass ich voll und ganz bei meinem Training sein konnte. Yong hatte mir ein paar Bewegungsabfolgen zum Luftbändigen vorgeführt, die ich dann nachmachen musste. Immer und immer wieder....
"Es ist eine gute Übung um die Bändigungsschritte zu verinnerlichen. Außerdem hat die ständige Wiederholung einen Effekt ähnlich einer Meditation... Ähnlich wie bei Mantras", antwortete er, wobei er seltsam betonte, wie es Mönch Saru so oft tat. Ich lachte kurz auf, dann sah ich ihn schmunzelnd an.
"Aha, ist das so...?", meinte ich scherzhaft, "Und was sind die Begleitmotive?".
"Begleitmotive? Ich? Niemals...", erwiderte er lachend. Ich sah ihn auffordernd an, denn jetzt wollte ich es erst recht wissen.
"Sei nicht so neugierig! Das erfährst du schon früh genug!"
"Wie fies!", beschwerte ich mich.
"Ich weiß, aber dann sieh es einfach als Belohnung für nach dem Training", erwiderte er scherzhaft. Schnell konzentrierte ich mich wieder auf meine Übungen. Es war erstaunlich wie viel weiter mich das Training mit Yong brachte. Die vielen Bändigungsschritte fühlten sich mittlerweile so selbstverständlich an, wie das Atmen selber. Ja, ich konnte spüren, wie das Luftbändigen mir immer vertrauter wurde, mit jeder Bewegung, jedem Lufthauch... Die Luft verstand mich, meinen Drang nach Freiheit, nach Unbeschwertheit. Aber ich wusste auch, dass ich gleichzeitig noch lang nicht mit Yong mithalten konnte, wahrscheinlich nicht mal mit Zena... Was sollte ich tun, wenn ich so unfähig war, immerhin war ich... - ich schluckte - der Avatar... Warum ich? Da war es schon wieder, mein Problem.
"Mika, du verlierst deine Konzentration...", riss mich Yong in die Gegenwart zurück. Ich sah auf und merkte, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand. Wie lange hatte ich trainiert? Es hatte sich überhaupt nicht lange angefühlt, aber die Tageszeit sagte etwas anderes. Konnte das mit der Meditationswirkung doch etwa stimmen? Fassungslos starrte ich auf meine Hände, als könnten sie mir darauf eine Antwort geben.
"Ich glaube, wir sollten mal eine Pause machen. Du übst schon viel zu lange, da ist es kein Wunder, dass du mal abschweifst."
Yong klopfte neben sich auf den Boden und ich setzte mich neben ihn. Erst jetzt merkte ich, wie sich die Erschöpfung in mir breitmachte, als würde mich die Anstrengung auf einmal überrollen. Seufzend ließ ich mich nach hinten ins bunte Laub fallen. Yong lachte und stupste mich vorsichtig mit seinem Stab an: "Hey! Lebst du noch?"
"Nein...", maulte ich schwach, während ich so tat, als fiele es mir schwer die Hand zu heben. Yong sah mir amüsiert dabei zu, doch ein anderes Gefühl schien kurz in seinen Augen aufzublitzen, etwas, das ich nicht deuten konnte.
"Das hier erinnert mich an früher...", meinte er leise, "als wir immer versucht haben uns vor deinen Pflichten gegenüber dem Tempel davonzuschleichen. Du warst immer total alarmiert, dass die Nonnen herausfinden würden, dass du dich drückst. Aber so selten, wie du erwischt wurdest...". Er musste lächeln. Ja, die alten Zeiten... Aber warum hatte der Tempel mir solche Fesseln gegeben und keine normalen? Es ergab irgendwie keinen Sinn...
Yong seufzte: "Du bist wirklich eine gute Bändigerin geworden... Und das in so kurzer Zeit. Wenn das so weitergeht, muss ich bald aufpassen, dass du mich nicht einholst. Du bist hier quasi in deinem Element, wenn du verstehst, was ich meine". Er wollte mich aufmuntern...
"Ach ja, was war jetzt eigentlich der Grund dafür, dass ich die Abfolgen immer wiederholen musste?", fiel mir wieder ein. Yong schmunzelte.
"Ach das? Das soll uns etwas-", er brach ab, als sein Blick auf etwas hinter mir im Wald fiel. Ich richtete mich auf und sah, wie Sayo außer Atem auf uns zugehechtet kam.
"Sayo, was-?"
"Sie sind da, in Hiten Shi!"
"Wer ist da, Sayo?!", fragte Yong alarmiert.
"Die Imperialen Schweine! So viele! Sieht aus, als hätten sie davon Wind bekommen, dass ihr da wart und... Mika, verdammt, wir müssen hier weg! Keine Zeit für Erklärungen!"
Wie hatten die Imperialen uns so schnell gefunden, wir waren doch gerade mal einen Tag hier? Ja, ich wusste, dass auf uns anscheinend Kopfgeld aufgesetzt war, aber dass das Ganze derartige Folgen hatte, hätte ich nicht ahnen können... Hatten die Kopfgeldjäger von gestern Nacht etwa nicht dichtgehalten? Oder war es doch etwas anderes...? Ein ungutes Gefühl überkam mich, als hätte ich etwas übersehen.
Schnell schnappte ich mir meinen Gleiter und nickte Yong und Sayo entschlossen zu. Wir mussten uns beeilen, die Imperialen würden bestimmt bald anfangen die Umgebung abzusuchen. Von weither hörten wir Stimmen von Leuten, die immer näher zu kommen schienen. Wenn wir nicht geschnappt werden wollten, dann müssten wir hier weg und das schnell. Herausfinden, ob es Imperiale waren, wollten wir sicher nicht. Leise bewegten wir uns im Schutz der Bäume voran. Wir glitten unterhalb der Baumkronen entlang, was deutlich schneller und weniger anstrengend als Laufen war und zudem noch um einiges leiser. Das Ziel stand weiterhin fest: Richtung Norden. Zum einen, da wir zum Nordpol wollten, zum anderen, da uns dies von Hiten Shi wegführen würde. Manchmal hörten wir, wie die Rufe anderer Menschen durch den Wald hindurch zu uns vordrangen. Wir versuchten diese so weit wie möglich zu umgehen. Könnten wir doch nur auf Sayo reiten, aber das würde uns mit Sicherheit auffliegen lassen. Und so glitten wir weiter zwischen den Bäumen hindurch, solange, bis wir den Wald, die Stadt, die Schreie der Leute und den Tag weit hinter uns gelassen hatten und sich vor uns eine weite Landschaft aus Reisfeldern auftat. Ob wir in Sicherheit waren, konnte ich nicht sagen. Ich fühlte mich nicht sicher, nicht nach all dem, was heute passiert war, aber wenigstens der Gedanke, nicht allein zu sein, beruhigte mich. Ich war erschöpft und müde von dem Stress und der Unruhe in mir. Sayo verwandelte sich in ihre wahre Form und deutete uns ruhig auf ihren Rücken aufzusteigen.
"Ruht euch etwas aus, das habt ihr verdient, ich übernehme ab hier...".
Wir legten uns auf ihren Rücken und Sayo trottete vorsichtig los. Die sanften Schaukelbewegungen und ihr weiches Fell ließen mich bald in eine Traumwelt eintreten.
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