Das Dojo
Eine unangenehme Stille hing über uns, während Meister Wei Shan auf seine Antwort wartete.
Kleinlaut räusperte ich mich.
"Ich bin Mi-", ich unterbrach mich selbst, "Einfach nur Mi. Und was meine Erfahrung im Erdbändigen angeht: die ist quasi nicht vorhanden."
Meister Wei Shans Augen weiteten sich überrascht und ein Hauch von Zweifel huschte über sein Gesicht.
"Bist du nicht etwas zu alt, um gar keine Erfahrung im Erdbändigen zu haben? Normalerweise sind die Schüler ohne Erfahrung zwischen 4 bis 8 Jahre alt", hinterfragte er skeptisch.
Ich schluckte und suchte nach einer Antwort, als Fohr das Wort ergriff: "Nun, sie redet nicht gerne darüber, weil es ihr etwas unangenehm ist, aber ihre Eltern haben ihr lange Zeit verboten zu bändigen. Sie meinten es wäre zu gefährlich, da ihr Vater als Kind dabei schwer verletzt wurde. Jetzt denken ihre Eltern endlich, dass sie alt genug ist. Ich hoffe, das macht Ihnen nicht zu viele Umstände."
Überrascht sah ich sie an, sie hatte wirklich ein Talent für Ausreden. Meister Wei Shan schien es ihr auch abzukaufen, denn er nickte verständnisvoll.
"Ich kann verstehen, dass deine Eltern Sorge um dich hatten. Du scheinst immerhin etwas zierlich für einen Erdbändiger. Natürlich will ich nicht voreingenommen an dein Training herangehen. Auch wenn wir von Null weg starten bist du hier in unserem Dojo in guten Händen, du wirst schon sehen."
"Was schulden wir dem Dojo für den Unterricht?", fragte Jun.
"Wir verlangen kein Geld für den Unterricht. Das Dojo lebt von seinen öffentlichen Veranstaltungen und Spenden und die hätten wir ohne unsere Schüler nicht", erklärte der Meister stolz, "Jeder soll hier die Chance haben zu lernen und ein Teil unserer Dojo-Familie zu sein."
Verblüfft sah ich auf, das hatte ich nicht erwartet.
"Komm mit hinein, dann zeige ich dir unser Dojo", fuhr Meister Wei Shan fort und wanderte Richtung Dojo.
Hastig folgte ich ihm, drehte mich aber noch kurz zu meinen Freunden um, zum Abschied winkend.
"Wir sehen uns am Abend in der Gastsätte!", rief ich ihnen zu.
"Streng dich gut an, während wir uns auf die faule Haut legen", scherzte Yong.
"Hättest du wohl gerne. Wir trainieren auch, sonst blamieren wir uns noch, wenn wir diejenigen sind, die sich nicht die Bohne verbessert haben", konterte Jun grinsed. Ich lächelte und verschwand im Dojo. Schwach konnte ich spüren, wie mir Sayos Präsenz folgte, leicht wie eine Brise.
Das Dojo war schlicht gehalten, das einzige, was die Wände zierte, waren Schriftrollen mit Bändigungstechniken. In der Trainingshalle, die halb überdacht war, übten sich mehrere Schüler aller Altersklassen im Bändigen. Während sich die Jüngeren noch etwas ungeschickter anstellten, war das Erdbändigen der älteren Schüler ein faszinierendes Schauspiel. Zwei Erwachsene, deren Haar bereits etwas ergraut war, lieferten sich in voller Konzentration einen Kampf, der Kampfkunst und Bändigen eindrucksvoll zu kombinieren schien (und nebenbei den ganzen Erdboden um sie herum verwüstete). Ein Schüler meines Alters kniete auf dem Boden und übte sich im Erdbändigen, ganz ohne Fußeinsatz. Er ließ fünf Felsen vor sich in der Luft kreisen und zielte dabei durch eine schnippende Handbewegung mit Bruchstücken auf eine Zielscheibe aus Stein. Ein Mädchen, vielleicht gerade einmal 10, bändigte dabei die Zielscheibe durch den Raum. Ein anderer Junge und ein Mädchen, die etwas älter als ich wirkten, lieferten sich einen Wettbewerb im feinstmöglichen Zerbersten von Felsen. Sie schienen uneinig über das Resultat, aber beides sah für mich gleich nach Staub aus.
Meister Wei Shan räusperte sich kurz und alle sahen überrascht von ihrer Tätigkeit auf.
"Alle mal herhören. Als kleine Überraschung an diesem Nachmittag haben wir heute eine neue Schülerin hier: Mi.", er machte eine Geste in meine Richtung, "Sie wird bei den Einsteigern anfangen. Ich will mich nicht wiederholen, seid respektvoll."
Sein Blick ruhte mahnend auf dem Jungen und dem Mädchen, die sich eben noch über den Staub gestritten hatten.
"Sun, willst du dich um sie kümmern?", fuhr der Meister fort. Eine muskulöse Frau kam angerannt und verbeugte sich kurz vor dem Meister.
"Natürlich. Ich kümmere mich doch immer um die Anfänger", sie lächelte warm und wandte sich an mich, "Ich bin Sun, freut mich. Komm, ich bring dich zu den anderen Anfängern. Du wirst zwar mit Abstand die Älteste sein, aber keine Sorge, ich bin nicht hier um dich auszufragen."
Ich folgte Sun zu einer Gruppe Kinder, die alle damit beschäftigt waren Steine aus dem Boden in die Luft zu katapultieren.
"Ok Mi, stell dich in die Reihe und zeig mir, was du kannst. Versuch einfach, es den anderen nachzumachen."
Zögerlich stellte ich mich zu den Kindern in die Reihe. Ich würde ja gerne zeigen, was ich konnte, nur leider konnte ich nichts. Unauffällig zu den anderen schielend, versuchte ich dieselbe Haltung einzunehmen wie die anderen Schüler. Es war eine breitbeinige, angespannte Haltung, die Füße versetzt zueinander. Die Haltung imitierend atmete ich tief ein, während ich versuchte mich zu konzentrieren. Die Kinder hoben gleichzeitig ihren vorderen Fuß und stampften ihn fest in den Boden, sodass sich ein Stück Erde aus dem Boden löste und vor ihnen in der Luft schwebte.
So gut ich konnte versuchte ich es ihnen nachzumachen und stampfte mit dem Fuß gegen den Boden.
Nichts geschah.
Die Kinder nutzten nun eine energische Handbewegung, um den Erdbrocken von sich wegzustoßen, während ich regungslos daneben stand. Immerhin gab es vor mir keinen Brocken zum Bändigen.
"Das war wohl nichts", meinte Sayo telepathisch.
Sun musterte mich nachdenklich und hob vielsagend eine Augenbraue.
"Macht weiter mit den Übungen, ich bin gleich wieder da", meinte sie und kam auf mich zu. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Meister Wei Shan, der vom Rand des Feldes das Training beobachtete, zu uns hinübersah. Eine große Unsicherheit überkam mich, aber es war immerhin das erste Mal, dass ich mich im Erdbändigen versuchte. Da machte es Sinn, dass es nicht sofort klappte.
Sun stellte sich neben mich und begutachtete meine Haltung.
"Du hast wirklich gar keine Erfahrung, was?", sie stupste mich kräftig an der Schulter und brachte mich dadurch ins Schwanken.
"Du spürst sie nicht, die Erde. Mit deiner Haltung fliegst du eher davon als der Erdbrocken, den du hochstoßen willst. Es reicht nicht, nur dieselben Bewegungen zu machen wie die Anderen."
Sie korrigierte meine Haltung und deutete auf meine Beine.
"Deine Füße sind die Verbindung zur Erde, deshalb trainieren wir hier barfuß. Mit der richtigen Verbindung bist du nicht mehr so leicht umzustoßen. Fühle die Erde unter deinen Füßen. Mental darf kein Unterschied mehr zwischen dir und der Erde bestehen. Sieh euch nicht als zwei Objekte, sondern als eines. Wenn du das verstanden hast, dann bist du schon einen großen Schritt weiter. Versuch es!"
Ich nickte und schloss meine Augen, um die Erde besser fühlen zu können. Sie war kühl und feucht unter meinen nackten Füßen, aber trotzdem unnachgiebig. Ruhig festigte ich meinen Stand und versuchte die Nervosität zu unterdrücken. Dann hob ich meinen Fuß und stampfte in die Erde, mit dem Ziel einen Brocken aus dem Boden zu lösen.
Ein dumpfer Ton meines aufschlagenden Fußes.
Nichts geschah.
Sun seufzte.
"Nun, deine Haltung war etwas besser, aber du scheinst noch nicht richtig eingestellt. Dazu deine Bewegungen, das Stampfen. Du machst es zu fließend. Erde ist fest und starr, so sollen auch unsere Bewegungen sein. Fühlst du dich starr und fest?"
Zögerlich schüttelte ich den Kopf.
"Ein Erdbändiger ist mental starr und unnachgiebig und so sind seine Bewegungen, auch wenn der Körper es nicht ist. Das kann vielleicht am Anfang etwas verwirrend sein. Versuch weiter dich darauf einzustellen. Ich muss nach den anderen Einsteigern schauen und komme später noch einmal vorbei, um mir deinen Fortschritt anzuschauen. Das wird schon."
Ich nickte und begab mich wieder in Ausgansstellung, um von Vorne zu beginnen, während Sun sich wieder den Kindern zuwandte.
"Also ich fand da war nicht viel Unterschied zu den Kindern", versuchte Sayo mich aufzumuntern, "Nur der Brocken hat eben gefehlt."
"Nur ist der Brocken leider das Entscheidende", flüsterte ich zurück.
Konzentriert versuchte ich es mich komplett auf die Erde einzustellen. Ich stampfte, dieses Mal weniger fließend.
Wieder geschah nichts.
So lief es auch beim nächsten Versuch und auch bei dem darauf.
Langsam verlor ich die Anzahl meiner Fehlversuche aus den Augen. Wenn doch nur wenigstens ein Kieselstein auf mein Stampfen hören würde, wäre es weniger frustrierend. Sogar Sayo war inzwischen offensichtlich aus Langeweile verschwunden, da ich ihre Anwesenheit nicht mehr spüren konnte.
Ich atmete auf, um meine Konzentration wieder zu sammeln. Ich musste mich zusammenreißen oder es würde nie klappen. Langsam schloss ich meine Augen wieder und fokussierte mich voll und ganz auf die Erde, versuchte mir innerlich vorzustellen, was ich vorhatte. Dann, als ich mich bereit fühlte, stampfte ich in den Boden. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und sah einen Brocken vor mir in der Luft schweben.
Verblüfft sah ich auf das Stück Erde und versuchte den Fokus nicht zu verlieren.
Ich spannte meine Muskeln an und imitierte die Handbewegung, die die Kinder gemacht hatten.
Der Fels blieb jedoch still an seinem Platz. Verwirrt betrachtete ich ihn, als er plötzlich in meine Richtung schoss. Von der Überraschung gepackt, schaffte ich es gerade noch so ihm leichtfüßig auszuweichen.
Neben mir lachte jemand und ich fuhr herum. Es waren die zwei Schüler, die sich vorhin den Wettstreit im Felsenzerschmettern geliefert hatten.
"Du bist wirklich ein kompletter Anfänger, was? Kannst nicht mal unterscheiden, ob du es bist, die gebändigt hat oder jemand anderes! Wenn du hier bist, um den Ruf unseres Dojos zu ruinieren, dann bist du auf gutem Weg", merkte der Junge spöttisch an.
"Du bewegst dich feige, fast wie die Luftbändiger. Ein echter Erdbändiger wäre dem Brocken nicht ausgewichen, sondern hätte ihn abgewehrt. Du wirst es nicht weit bringen. Und wenn nicht hier, dann nirgends. Ich hatte gehofft Meister Wei Shan würde scherzen, aber er ist einfach zu nett. Also müssen wir das jetzt an seiner Stelle klarstellen", ergänzte das Mädchen neben ihm naserümpfend.
Für einen Moment fühlte ich mich überrumpelt, doch ich fing mich schnell wieder. Normalerweise wäre ich jetzt bestimmt unsicher geworden, wäre da nicht die Tatsache, dass sie Luftnomaden als feige bezeichnet hätten. So war ich im Moment einfach nur gereizt.
"Ich bin hier um zu lernen, so wie ihr auch. Mich kriegt ihr nicht aus der Stadt, bis ich Erdbändigen kann. Wenn euch das stört, dann geht doch einfach. Ist euch mein Training wichtiger als euer eigenes? Wenn das nicht der Fall ist, dann könnt ihr mich auch einfach ignorieren. Dieser Platz ist groß genug dafür", antwortete ich kühl.
Die beiden starrten mich überrascht an, als Sun hinter ihnen auftauchte.
"Versucht ihr schon wieder, die Neulinge einzuschüchtern?", fragte sie, "Ihr seid schon so lange Schüler hier, denkt ihr nicht, dass es langsam Zeit wird, dass ihr das unterlasst? Seid ihr nicht schon erwachsen? Dann verhaltet euch auch so."
Die beiden schnaubten verärgert und kehrten an ihren Platz zurück.
Sun lächelte zu mir hinüber.
"Ignorier die beiden, sie prahlen hier viel herum, sind aber bei weitem nicht die Besten. Hast du Fortschritte gemacht?"
"Leider nicht", murmelte ich geknickt, "Ich strenge mich wirklich an, aber es klappt einfach nicht. Wenn ich mehr trainiere, vielleicht habe ich dann bald den Haken raus."
"Training ist wichtig, das gilt aber auch für Erholung", ich hatte nicht gemerkt, dass Meister Wei Shan sich zu uns gesellt hatte, "für heute hast du genug trainiert. Eine Nacht darüber zu schlafen kann manchmal Wunder wirken, damit dein Kopf wieder klar wird. Sun, ich denke du hast dein Bestes getan, aber ich denke es ist besser, wenn Mi von Jie lernt. Ich glaube, er kann ihr die Verbindung zur Erde am besten erklären. Ich könnte es auch versuchen, bin aber nicht gut im Erklären, eher im Vorführen."
Sun nickte zustimmend.
"Jie wäre sicher ein guter Lehrer, auch wenn er eigentlich noch ein Schüler ist."
Mit einer Handbewegung winkte sie den Jungen zu sich, der vorhin die Zielübungen gemacht hat.
Verdutzt blickte er auf und kam auf uns zu.
"Mi, richtig?", fragte er und ich nickte, "Man nennt mich Jie, willkommen im Dojo."
"Wir hatten gehofft du kannst ihr ab morgen etwas beibringen. Sie hat etwas Probleme dabei die Erde zu spüren", erklärte Sun mein Problem.
"Nun, ich könnte es auf jeden Fall versuchen", erwiderte der Junge gut gelaunt.
Etwas ermutigt lächelte ich und bedankte mich für das Training.
In der Gaststätte angekommen ließ ich mich erschöpft auf mein Bett fallen.
Auf Juns Frage nach dem Training antwortete ich mit einem mürrischen Brummen.
"Ich war noch nie so frustriert wegen ein paar Steinen. Ein kleiner Lufthauch und schon würden sie sich bewegen, aber das wäre wohl auch nicht Sinn und Zweck des Trainings."
"So schlimm?", fragte Jun mitfühlend. Darauf wollte ich lieber nicht antworten. Immerhin war heute mein erster Tag, da durfte ich mich doch noch dumm anstellen, oder?
Bevor ich einschlief gingen mir noch einmal Avatar Bailis Worte durch den Kopf. Er hatte mich gewarnt, dass es nicht einfach werden würde. Nur gut, dass ich nicht so leicht aufgab.
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