Das Begräbnis
Schon seit langem war ich nicht mehr so früh geweckt worden, wie an jenem Tag der Beerdigung. Schnell zog ich mir die Kleider, die mir Hang gegeben hatte, über. Sayo saß neben mir und sah betreten schweigend zu Boden. Sie war wohl irgendwann im Laufe der Nacht zurückgekehrt, wo sie sich auch immer herumgetrieben hatte. Gesprochen hatten wir noch nicht wirklich, was untypisch für sie war, aber die Stimmung war wohl im Allgemeinen zu bedrückend. Als ich das Zimmer verließ, warteten die anderen bereits, ihre Gesichter von Trauer gezeichnet. Sogar der Raum wirkte kahl, jetzt, da Trais Besitz fehlte. Man würde es ihn mitsamt seinem Besitz verabschieden, um böse Geister abzuwenden.
Tuyet nickte mir und Yong kurz zu und wir gingen hinaus aus dem Haus, durch die nächtlichen, fast schon beängstigend wirkenden Gassen des nördlichen Wasserstamms.
...
Wir standen auf einer Plattform am Fuße des Meeres, betreten stillschweigend. Eine Schar Leute, die sich alle von Trai verabschieden wollten hatten sich hier versammelt. Ich vernahm ein paar Schritte, die neben mir zu stehen kamen. Überrascht sah ich auf und erblickte Fohr, die mir kurz zunickte. Sie war also auch hier, mit ihrem Vater. Aus dem Augenwinkel vernahm ich eine weitere Bewegung und drehte mich schnell um. Ein kleines Boot fuhr vor, in ihm lag Trais lebloser Körper, in Leinentücher gewickelt, nur sein bleiches Gesicht schaute noch heraus, neben ihm sein Jagdspeer und andere ihm wichtige Besitztümer. Hang trat ein paar Schritte auf ihren toten Ehemann zu, ihre Hände zitterten schwach, während ihr Blick noch einmal über seine vom Mondschein beschienenen Gesichtszüge schweifte.
Fohrs Vater trat ein paar Schritte vor und räusperte sich leise.
"Als mich gestern Abend die Nachricht von Trais Tod ereilte, war ich geschockt. Er war stets ein treuer und ehrenvoller Krieger gewesen, den ich aufs Höchste respektiert habe. Umso mehr schmerzt es mich, ihn schon in noch so jungen Jahren verabschieden zu müssen. Gewiss war dies zu früh für sein Leben zu enden, doch das wird die Geister sicher nicht davon abhalten ihn sicher zu geleiten, sodass er dann Nacht für Nacht mit den Geistern unserer Ahnen am Himmel tanzen und über uns wachen kann, wie er es auch zu seinen Lebzeiten getan hat..."
Die Menge schwieg betroffen weiter, die Köpfe gesenkt, während Hang sich vor dem Boot ihres Mannes niederbeugte. Sie schloss kurz die Augen, um durchzuatmen und öffnete sie schließlich langsam wieder. Ein sanftes Lächeln zeichnete sich in ihrem Gesicht wieder und eine Träne kullerte ihre Wange hinab, tropfte ihr Kinn hinab und verschmolz mit dem Schnee unter ihren Füßen.
"Gute Reise...", flüsterte sie, traurig lächelnd, und stieß das Boot sanft fort, hinauf aufs Meer. Die Menge betrachtete das ganze still, manche weinten lautlos, andere sahen Trai nur mit betrübtem Blick hinterher.
"Bringt das geweihte Feuer!", rief ein älterer Mann, nachdem das Boot weiter hinausgetrieben war. Überrascht sah ich zu Fohr hinüber. Diese nickte nur: "Wir verabschieden die Toten nachts auf dem Meer bei Monduntergang. Der Geist des Mondes, so heißt es, nimmt bei seinem eigenen Schwinden den Geist des Verstorbenen mit sich, der Rest wandert zum Geist des Meeres, wird eins mit dem Wasser. Durch das Verbrennen steigt der eine Teil hinauf zum untergehenden Mond und der andere sinkt hinab, der Geist des Toten ist dann an nichts mehr gebunden und frei...".
Staunend über die Geschichte, blickte ich zu dem kleinen Boot hinüber.
"Ungewohnt für dich, nicht wahr? Ich habe gehört am Südpol vergräbt man die Verstorbenen...", merkte Fohrs Vater an.
"Ähm... ja", murmelte ich, meine Unsicherheit überspielend, den Blick gesenkt.
Ich sah erst wieder auf, als ein Junge mit einer Schale voll Feuer angerannt kam. Verdutzt sah ich zum Feuer hinüber.
"Das ist ja weiß! Wie...?", meinte Yong verblüfft. Wie hypnotisiert starrte ich in die weißblauen Flammen, die in den Himmel hinaus züngelte, es löste tief in mir drinnen ein seltsames Gefühl aus, fast als wäre...
"Das ist kein normales Feuer... Es ist nicht mal wirklich warm", meinte Fohr, "Es ist-"
"Geister...", unterbrach ich sie geistesabwesend, "Es ist ein Geisterfeuer...". Ihre Augen geweitet sah Fohr zu mir hinüber und nickte schließlich.
"Ja, genau, das ist es..."
Der ältere Mann nahm seinen Pfeil und Bogen und tunkte die Spitze des Pfeils in die weißen Flammen. Dann nahm er den Bogen und zielte in die Richtung von Trais Boot, das nun, vor dem untergehenden Mond, weit draußen auf dem Ozean vor sich hintrieb. Der Mann ließ die Schnur seines Bogens los und der Pfeil schnellte auf Trais Boot zu. Im nu begann das Holz und Stroh in einem weißlichen Licht zu lodern und Trais Körper verschwand in einem Meer aus Flammen, die in den Himmel aufstiegen wie die Nordlichter und dort tanzten, während der Mond langsam unter dem Horizont verschwand.
Ich sah dem traurigen, aber dennoch fesselnden Schauspiel zu. Die Flammen verebbten langsam und von Trai war keine Spur mehr zu sehen, genauso wie vom Mond.
Yong legte eine Hand auf meine Schulter, woraufhin ich fragend zu ihm hinüberblickte. Er nickte zu mir hinüber, seine Augen traurig und mitfühlend zugleich.
Ich spürte wie etwas Warmes meine Wange hinunterlief und stockte.
"Oh...", murmelte ich überrascht, die Träne hastig wegstreifend. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich...
"Ist gut...", meinte Yong, traurig lächelnd, weiter nach vorne schauend. Mein Blick schweifte hinüber zu Hang, die schluchzend auf dem Boden kniete, Tuyet wich nicht von ihrer Seite, versuchte sie zu trösten, obwohl auch in ihrem eigenen Gesicht die Trauer nicht zu übersehen war.
Hang stand zitternd wieder auf und wandte sich zum Gehen, nur Meisterin Tuyet begleitete sie. Die beiden würden, als direkte Angehörige, den Rest des Tages in der Geisteroase verbringen, zu Tui und La betend. So hatte es mir Fohr erklärt, auch wenn das wieder tausend weitere Fragen in meinem Kopf aufwarf.
Mein Blick schweifte hinüber zu Sayo, die den beiden still nachsah. Sie hatte während der ganzen Beerdigung nichts gesagt, was sehr untypisch für sie war, und das machte mir Sorgen.
Die Menschenmenge um uns herum löste sich langsam auf und unsere kleine Gruppe blieb zurück. Auch Fohrs Vater war bereits gegangen, "Wieder zum Training...", wie er gemeint hatte. Stillschweigend standen wir alle dreieinhalb zusammen dort unter dem finsteren, mondlosen Himmel. Wie passend, dachte ich mir, die Sterne wirkten ebenso trostlos, zumal sie ihren Mond verloren hatten. Ähnlich müsste sich wohl Hang fühlen... Nein, immerhin konnten sich die Sterne ja sicher sein, dass der Mond wiederkommen würde... Immer noch benommen starrte ich gedankenverloren vor mich hin. Fohr sog etwas Nachtluft ein.
"Wie wär's? Bringen wir uns alle mal wieder auf andere Gedanken? Ein kleines Training hat noch nie geschadet, um den Geist leer zu bekommen... Und es hat den Nebeneffekt, dass man in der heutigen Zeit höhere Überlebenschancen hat...", meinte Fohr, etwas zögerlicher als ich es eigentlich von ihr kannte.
Yong und ich nickten gleichzeitig. Einen Versuch wäre es Wert.
...
"Ich sehe schon, heute muss wohl sogar das Training unter der Stimmung leiden...", merkte Fohr nach einer Zeit an und sie hatte Recht. Unserer aller Gedanken waren ganz woanders, sodass wir nur langsam mit dem Training weiterkamen.
Jun hatte sich uns angeschlossen, als wir uns in der großen Trainingshalle für die Krieger über den Weg gelaufen sind. Yong schien das nur recht, denn so musste er nicht nur teilnahmslos danebenhocken, sondern konnte selbst auch etwas Trainieren. Den beiden beim Kämpfen zuzusehen war... nun ja... Vielleicht hängten sie sich da etwas zu viel rein. Feuer prallte gegen Luft und erfüllte den ganzen Saal mit einer beeindruckenden Atmosphäre. Jedenfalls schenkten die beiden sich nichts, sodass sie zum Schluss schnaufend am Boden lagen und grinsten.
"Ein guter Kampf...", meinte Jun lachend.
"Ja, da kannst du Gift drauf nehmen... aber ich habe mich ja auch ordentlich zurückgehalten!", flunkerte Yong scherzhaft.
Fohr und ich sahen von unseren Wasserbändigungsübungen auf und schmunzelten zu den beiden hinüber. Sayo, die in der Ecke saß und das ganze Schauspiel beobachtete, schüttelte nur den Kopf. Ich stockte kurz und wandte mich wieder an Fohr: "Moment! Du kennst Sayo noch gar nicht, oder?"
"Sayo? Das war doch dein Pseudonym, oder...? Warte, meinst du-?"
Ich lächelte breit zu ihr hinüber.
"Dann hoffe ich, dass du keine Angst vor Geistern hast... Sayo?"
Die Wölfin setzte ihren leicht genervten Blick auf, auch wenn sie die Vorfreude, die sich in ihren Augen widerspiegelte, nicht wirklich verbergen konnte.
Sie trottete auf uns zu und blieb direkt vor Fohr stehen, um sich direkt sichtbar zu machen. Dabei gab sie sich Mühe besonders breit und fies zu Grinsen, sie legte eben viel Wert auf den 'ersten Eindruck'.
Fohr wich erschrocken einen Schritt zurück, doch der Schock verwandelte sich bald in etwas anderes... Begeisterung? Sie ging auf Sayo zu und musterte sie eindringlich von allen Richtungen.
"Genial! Du bist ein wirklich ein Geist? Wie machst du das mit der Unsichtbarkeit? Wie alt bist du? Ich habe gehört, dass Geister wohl recht alt werden können... Und du heißt jetzt wirklich Sayo? Woher kennst du Mika? Wie ist es-?"
"Genug! Du kannst mich nur eine Frage pro Tag Fragen... Eine alte Geisterregel!", log Sayo ohne mit der Wimper zu zucken.
"Wahnsinn! Du kannst telepathisch Kommunizieren? Kann man das lernen?", Fohr stockte, "Oh... Tut mir leid... Fragen ist... eine kleine Angewohnheit...". Sie lachte ertappt.
Sayo seufzte nur kurz und schüttelte den Kopf.
"Hey, Sayo! Lang nicht gesehen? Wo hast du dich denn die ganze Zeit herumgetrieben?", grüßte Jun lächelnd, allerdings verfinsterte sich Sayos Blick sofort. Sie sah in schief an, das Thema schien ihr wohl unangenehm.
"Und, Feuerjunge? Wo hast du dich denn in der ganzen Zeit herumgetrieben? So ein wenig Hilfe wäre bei uns sicherlich recht gewesen, bei den ganzen Strapazen...", antwortete sie leicht bissig (keine Sorge, sie beißt nicht... na ja, nur auf meine Erlaubnis... immerhin habe ich sie ja gut erzogen!) mit einer Gegenfrage. Sie konnte recht unangenehm werden, wenn ihr ein Thema nicht so ganz recht war. Mir war klar, dass sie etwas verheimlichte aber ich vertraute ihr und wusste, dass sie hier sicher keine bösen Absichten hatte.
"Hey, beruhigt euch...", schritt ich ein, "Wir sollten lieber weiter trainieren!". Fohr nickte zustimmend.
"Da hast du Recht. Auch wenn ich dir das immer noch ein bisschen übelnehme, dass du mir das mit Sayo nicht gleich erzählt hast..."
Wir lachten und widmeten uns wieder dem Training.
...
"Was macht ihr denn hier und wer ist das?", fragte Zena mit ihrer üblichen Dominanz in der Stimme.
Wir hatten das Trainingsgebäude verlassen, wo Zena, mit Kaia im Schlepptau, allem Anschein nach auf Jun gewartet hatte.
"Ich bin Fohr und ich arbeite hier... Eine Freundin von Mika. Wir haben Yong und Jun beim Training zugeschaut!", meinte sie lächelnd und beeindruckte mich durch die Tatsache, dass sie diese Ausrede so spontan und ohne wirklich zu lügen herbeigezaubert hatte.
"Aha...", meinte Zena nur und wandte sich dann an Jun, "Wir warten hier schon recht lange, musst du wissen. Mein Training ist nämlich ausgefallen, weil diese Lehrerin anscheinend auf so einer seltsamen Trauerzeremonie war...". Sie wirkte genervt, was mich verdammt wütend machte, man wird doch wohl an der Beerdigung des eigenen Sohnes teilnehmen dürfen. Gerade wollte ich etwas erwidern, als Kaia einsprang: "Zena, würdest du an der Trauerfeier von jemandem, der dir sehr nahesteht, lieber irgendwelche Schüler trainieren?".
Zena sah zu Boden.
"Nun ja... Natürlich nicht... Aber mein Training ist wichtig... Ich bin der Avatar!", meinte sie, scheinbar etwas verunsichert. Ich merkte, wie Jun und Fohr neben mir leicht zusammenzuckten, als Zena das erwähnte.
Kaia schüttelte nur den Kopf.
"Versteh doch endlich, dass es nicht nur darum geht! Wenn du nichts dafür tust, dass die Leute dich akzeptieren, dann macht es für sie kaum Unterschied, ob du der Avatar bist oder nicht!", erklärte sie, was Zena sprachlos starren ließ. Hier waren wir wieder bei dem Problem, wie ich den Beiden denn noch erklären könnte, dass ich der Avatar war. Bei Kaia war das sicher keine Schwierigkeit, sie war ja schließlich vernünftig. Was Zena anging, hatte ich da jedoch meine Bedenken...
Wir setzten uns auf ein paar Bänke, die am Wasserkanal aufgestellt waren. Zena schien immer noch schlecht gelaunt, Sayo dafür aber war umso besser gelaunt. Sie hatte sich schmunzelnd vor meinen Füßen zu einem gigantischen, unsichtbaren Fellknäuel zusammengerollt und ihre Ohren zuckten amüsiert, während sie unseren Gesprächen lauschte.
Ich genoss es mit meinen Freunden hier zusammenzusitzen und einfach nur zusammen zu reden und zu lachen, das lenkte von den üblichen Problemen ab und davon hatten wir ja genug.
Die nächsten zwei Tage trainierte ich viel mit Fohr und wir alle versuchten etwas über jenen Vorfall mit Trai herauszufinden, wenn auch erfolglos. Nach und nach gewöhnte ich mich mehr an den neuen Wasserbändigungsstil. Das ganze schien nun deutlich vertrauter, noch lang nicht so, wie das Luftbändigen, aber immerhin. Fohr selbst hatte auch Freude daran, da sie jetzt nicht mehr alleine trainieren musste, wie sie es schon so lange getan hatte.
Alles schien wieder fast einen einigermaßen normalen Lauf zu nehmen... Nun ja, fast.
Ich war gerade auf dem Weg zurück vom Training. Jun und Yong wurden noch spontan von Fohrs Vater bei irgendwelchen neuen Übungen eingespannt. Die Gassen kannte ich bereits wie meine Westentasche, den Weg zur Unterkunft hätte ich wahrscheinlich auch Blind finden können. Gerade wollte ich vom Kanal weg in eine Seitengasse biegen, als ich hinter mir Schritte rennen hören konnte.
"Mika!", hörte ich eine Stimme und fuhr herum.
"Kaia!", grüßte ich, erstarrend, als ich ihren panischen Gesichtsausdruck sah, "Was-?".
"Gut, dass ich dich hier treffe! Es ist dringend!", meinte sie hektisch, die Hände außer Atem auf ihre Oberschenkel stützend. Fragend sah ich sie an, etwas war passiert, dass wusste ich.
"Sie... Zena. Sie haben Zena!"
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