Kapitel 8 (Neu)
Vorwort
Willkommen zurück!
Nach meiner kurzen Schreibpause habe ich nun endlich das achte Kapitel mitgebracht und natürlich die Ankündigung, dass es jetzt wieder mit regelmäßigen Updates weitergeht. Ich habe mich dafür entschieden, jede Woche ein neues Kapitel hochzuladen, und das immer dienstags. Also könnt ihr wieder gespannt sein! ^^
Was das Kapitel angeht: Eigentlich hatte ich schon vor der ersten Version vor, es so oder so ähnlich zu schreiben, wie es jetzt steht. Ich entschied mich aber dagegen und für meine spontane Idee, die online war. Mit dieser Variante bin ich nun aber mehr als zufrieden und kann so fortfahren, wie ich plante.
Das alte Kapitel und die Ankündigung werden jetzt natürlich gelöscht, den Steckbrief werde ich beim nächsten Mal anfügen.
Ich hoffe, ihr habt Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße
Goldkirsche
Heimlich strecke ich meinen Hals so lang wie eine Giraffe, um auf den Nachbartisch zu spähen. Zwischen den Seiten der staatlichen Tageszeitung versteckt eine Frau die neuste Ausgabe des illegalen Klatschblatts „Die Wahre". Zwei Jahre verfolgt die Polizei schon die Druckerei, doch die Inhaber der berühmtesten illegalen Zeitung des Landes wurden bis heute nicht geschnappt.
Während ich in mein trockenes Brötchen beiße, fliegen meine Augen über die Zeilen.
Die Wahre
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13.05.1964, Montag, 107te Ausgabe 3,- *
Attentäter in Rauheim – Der Staat in Gefahr?
Gestern um 17 Uhr wurden fünf Soldaten von Terroristen der Volksbewegung „Freiheitskämpfer", die sich an die Grenze schmuggelten, erschossen. Vier der Attentäter starben im Kampf. Den fünften nahm man gefangen und – laut der Aussage eines anonymen Soldaten, der vor Ort war – richtete man ihn nur wenige Stunden später am Galgen ohne Gerichtsverfahren hin. Wir berichteten in früheren Ausgaben von den Zuständen im Ministerium und den Menschenrechtsverletzungen, die dort an Befragungsopfern vorgenommen werden. Wieso verzichtete man auf die Informationsbeschaffung? Fühlt sich der Staat von dem Anschlag zu bedroht, um ihn in der Öffentlichkeit zu verbreiten? Nicht umsonst lügt die staatliche Tageszeitung mit den Zeilen: »Noch im Kampf fielen alle fünf Terroristen.« Müssen wir bald einen neuen Krieg fürchten, der die Grausamkeiten vor dreißig Jahren übertreffen wird? Laut der Aussage mehrerer Augenzeugen verletzten die Freiheitskämpfer keine Zivilisten, weder in Kortium, noch in Rauheim. Fürchtet sich der Staat möglicherweise vor unser aller Befreiern?
Für unsere verehrte Leserschaft werden wir auch in Zukunft kein Blatt vor den Mund nehmen und ohne Furcht vor dem grausamen Militär nichts als die Wahrheit berichten. Die Autoren der Wahren
Unbewusst zupple ich meine weinrote Schärpe zurecht, fühle ich mich doch seltsam beobachtet. Liegt es an dem Hass der Menschen, mit dem ihre Augen über das Klatschblatt fliegen? Meine Hand gleitet in meine Jackentasche zu dem radikalen Flugblatt, das ich unbemerkt entsorgen muss.
Nach Erics verwerflichem Angebot heute morgen, schlief er in seinem Rausch einfach unter mir ein. In höchster Vorsicht, ihn nicht aufzuwecken, krabbelte ich von seiner Brust. Ich suchte in der Basis nach seinem Sekretär, der sich als Konstantin herausstellte. Mit meiner Hilfe brachte er seinen betrunkenen General unauffällig ins Automobil. Mir ist nicht klar, warum er mir erzählte, dass sie noch an diesem Morgen in den ersten Distrikt aufbrechen würden, doch eine sagenhafte Erleichterung lies mich aufatmen. So bald sähe ich Eric nicht wieder. Nachdem Sie die Grenze verließen, beendete ich meine Schicht bis sechs Uhr morgens, zu welcher Zeit Soldaten von der Hauptbasis ankamen, um uns abzulösen.
Da ich über den Schlaf hinweg war, entschied ich mich, einen Abstecher in die Bäckerei zu machen, um jemandes Lieblingsnascherei zu kaufen.
Ich stopfe mir den letzten Bissen in den Mund, bevor ich vom Tisch aufstehe und an den Tresen der Bäckerei laufe. Hinter der Auslage mit süßer Backware und Broten kniet eine junge Verkäuferin bei einem der Schiebeschränke, in dem lauter Teller gestapelt sind. Um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, strecke ich mich über die Kasse hinweg. Auf einmal bemerke ich eine Zeitung, die unauffällig zwischen zwei Tellern klemmt. Keine geringere Schrift, als Die Wahre.
Ich schnalze mit der Zunge. »Entschuldigung.«
Der Kopf der Dame schreckt zu mir auf. Automatisch fliegen ihre Augen zu meiner Schärpe, sodass sie hochspringt und den Schrank in einer geübten Fußbewegung zuschiebt. Mit einem Lächeln, das in ihrer Nervosität wie Zähnefletschen wirkt, tritt sie zur Kasse. »J-Ja? Wie kann ich Ihnen b-behilflich sein?«
»Wie viel kostet ein Spritzkuchen?«
Sie spielt mit der weißen Küchenschürze über ihrem roten Rock und springt von einem Fuß auf den anderen. Ihre andere Hand fummelt an dem Namensschild, auf dem: Isabella steht. Auffälliger kann sie sich nicht verhalten. »E-Eigentlich zwei Chips, aber... für Sie gebe ich ihn zum halben Preis heraus! So ein Schnuckelchen, haha«, versucht sie mir zu schmeicheln, um davon abzulenken, was ich möglicherweise sah.
»Dann zwei Stück zum Mitnehmen«, sage ich trocken. Hastig kramt sie eine Tüte hervor, in der sie die Gebäcke verschwinden lässt. Als ich nach dem Bezahlen aus der Tür trete, blicke ich noch einmal über die Schulter. »Lesen Sie das nächste Mal Ihre illegalen Schriften auf dem Tresen. Das ist weniger auffällig.«
Mit hochrotem Kopf sieht sie zu, wie ich die Bäckerei in Richtung Baracken verlasse. Eine Straße von meinem Zuhause entfernt, liegt Jakobs Haus. Als ich meine Hand zum Klopfen hebe, senke ich sie gleich wieder, weil ich darüber nachdenke, wie meine ersten Worte nach unserem Streit lauten sollen. Mein Blick wandert über die verdreckte Fassade, da rast mir der Schreck meines Lebens durch die Glieder. Jakobs Gesicht klebt am Fenster. Er zuckt genauso erschrocken zusammen, als meine Seele meinen Körper verlässt und ich armewedelnd über das Rohr hinter mir stolpere.
Schnell öffnet er die Tür. »Felix? Was machst du hier?«
Seufzend halte ich die Tüte Spritzkuchen hoch. »Bist du noch sehr sauer? Wenn ja, nehme ich die hier wieder mit.«
Wie ein braves Hündchen schnuppert er an der Tüte. »Uh, was ist da drin?«
»Wirst du niemals erfahren, wenn du mir jetzt die Freundschaft kündigst.«
»Die... Warte, was? Du warst doch sauer auf mich und nicht umgekehrt.« Der Welpenblick aus seinen großen, brauen Augen treibt mir ein Stich ins Herz.
»Ich war nie –... Entschuldige meine Schroffheit in der Umkleide. Die letzen Tage waren anstrengend...«
Als Jakobs Augen zu leuchten beginnen, kann ich beinahe sein Schwänzchen wedeln sehen. »Das heißt, du meidest mich nicht mehr? Ja? Komm rein, komm rein!«
Nachdem er mich in sein Haus zerrt, breite ich mich auf dem Bett aus. Eilig schaltete er den Gasherd ab, zieht die Schürze aus und schmeißt sich bäuchlings zu mir auf das Bett, um an den Kanten der Tüte zu zuppeln. Schmunzelnd hole ich einen der Spritzkuchen heraus, woraufhin er ein begeistertes: Uhhh!«, ausstößt.
»Hab zwei davon.« Ich führe das Gebäck an Jakobs Mund. »Probier mal.«
Er blinzelt von dem Spritzkuchen zu mir auf. Zögerlich öffnet er seine Lippen, um ein zaghaftes Stück abzubeißen, ohne dabei den penetranten Blick von mir zu nehmen. Im Kauen verfärben sich seine Wangen rot. »Ich starb fast vor Einsamkeit, weißt du das?«, murmelt er mit vollem Mund
»Das glaube ich dir sogar. Dein Bedürfnis an Aufmerksamkeit ist größer als Grausteins Schnurrbart.«
Jakob lacht, lässt sich ein zweites Mal von mir füttern. »Als ich Abstand nahm, um dich nicht weiter zu bedrängen, sprachen mich zwei unserer Kameraden an. Die sind wie Hyänen, wenn du fort bist. Sie fingen an, über dich zu lästern, aber du kannst mir glauben, die machte ich rund«, erzählt Jakob im Lachen. Es stoppt ruckartig. »War das zu... bedrängend? Wir vertrugen uns gerade erst, und...«
Ich seufze. »Du kannst mich doch gar nicht bedrängen. Unmöglich.« Mit meinem Daumen wische ich einen Krümel aus Jakobs Mundwinkel, den ich vom Finger ablecke.
Die Farbe seiner Wangen werden dunkler, bevor er schnell den Kopf wegdreht. Ich überreiche ihm den restlichen Spritzkuchen. Dann bringe ich die Tüte zu seinem Esstisch, auf dem ich ein Schneidebrett entdecke. »Habe ich dich beim Kochen gestört?«
»Ah, nicht doch!« Jakob springt auf. Dicht an meinem Rücken haltend, greift er um meine Hüfte herum zum Tisch, von dem er die Schürze schnappt. Sein Atemzug in meinem Nacken schickt Gänsehaut durch meine Glieder, sodass ich über die kribbelnde Stelle reibe. Dieser verfluchte Eric hatte meinen gesamten Körper in Alarmbereitschaft für die kleinsten Berührungen versetzt.
»Wirst du nicht hungrig, wenn ich vor dir esse? Wie wäre es mit Kohlsuppe?« Jakob räumt das Schneidebrett auf die Arbeitsfläche und den Topf vom Herd.
»Nein, danke...« Mein Nagel hält zum Knabbern her. »Der General lud mich zum Essen ein... Damit dürfte ich für ein paar Tage satt sein«, lüge ich aus dem schlechten Gewissen heraus, mich an teurem Essen gelabt zu haben, während mein bester Freund hungerte.
»Er war mit dir essen?«, hakt Jakob nach, woraufhin er schnell den Kopf schüttelt. »Verzeih mir, das ist Gewohnheit. Ich bedränge dich nicht weiter, versprochen!«
Abermals seufze ich. »Als ich in diesem schicken Restaurant saß, dachte ich die ganze Zeit an dich.«
Er schließt langsam den Schrank. »Du dachtest an mich...?«
»Nur.« Ächzend falle ich auf den Stuhl. »Ich dachte: Jakob wäre bestimmt der beste Koch der Welt, wenn man ihn ließe! Mit einem Ausbildungsplatz würde er es in den ersten Distrikt schaffen und den Staatsgeneral beköstigen!«
Ohne ein Wort zu sagen, öffnet Jakob den Mund, den er gleich wieder schließt. Dann setzt er sich mir gegenüber und stützt das Kinn auf den Händen ab. Durch seinen intensiven Blick fühle ich mich genötigt, weiterzusprechen. »Du bist jetzt schon der beste Koch... Kohlkoch.«
Weil er seinen Blick einfach nicht von mir nimmt, spiele ich sein Spiegelbild und stütze mein Kinn ebenso auf die Hände. »Warum siehst du mich so an?«
»Wie sehe ich dich denn an?«
»Als würdest du etwas von mir wollen.«
Die warme Frühlingssonne scheint durch das Fenster herein und überstrahlt sein Gesicht wie eine Flut aus hellen Farben, als er sich zu mir vor beugt. »Ich frage mich, wie die Person sein müsste, der du dein Herz schenken könntest.«
Die Farbe weicht mir aus dem Gesicht. Vor meinen inneren Augen spielen sich die widerlichen Geschehnisse der letzten Tage ab, die meinem Herzen und Körper schmerzen. Niemandem werde ich Zutritt in meine Gedanken und Gefühle gewähren. Da jedoch eine Antwort von mir verlangt wird, meine ich: »Die Person müsste wohl so sein... wie du.«
Jakobs Augen werden groß wie Murmeln, während sich die dunkle Röte in seinem Gesicht bis über beide Ohren zieht.
»Warum willst du das so plötzlich wissen? Hast du etwa eine Freundin gefunden?«
»I-Ich...«, stammelt Jakob atemlos. Seine Finger krabbeln zu meiner Hand, halten allerdings an, ohne mich zu berühren. »Du interpretierst zu viel hinein.«
Ich zucke die Schultern. Nachdem wir eine Weile über die nächtlichen Ereignisse sprechen, überkommt mich allmählich die verdrängte Müdigkeit, weshalb ich mich von meinem besten Freund verabschiede. Zu Hause heize ich den Kamin an, um das Flugblatt der Freiheitskämpfer hineinzuwerfen. Gähnend schaue ich dem brennenden Papier zu, wie es sich in Glut verwandelt, die im gesamten Kamin herumfliegt. Dann falle ich mit geschlossenen Augen aufs Bett.
Eine Woche lang kehrt Ruhe ein, die mit ihrer süßlichen Versuchung ein jedes erschöpftes Gemüt um den Finger wickeln könnte. Sie ist so scheinheilig wie eine Anakonda im Kaninchenfell. Doch nach den Tagen des puren Stresses verlangt mein Körper regelrecht nach einer Auszeit, nach einer Routine, an die ich mich klammere. Wie in gewohnten Zeiten, trete ich meinen Dienst an und lasse mich den Tag über von Jakob besäuseln. Abends schiebe ich ihn mit beiden Händen aus dem Haus, weil er sich sonst bei mir einnistet.
Abgesehen davon, dass die Soldaten an der Grenze fast verdoppelt werden, ist kaum etwas von dem Anschlag zu spüren. Die Zeitung berichtete nur ein Mal darüber und die Leute beginnen sich schnell auf allerlei Dinge zu zerstreuen. Vom General hörte ich seit dem Abend in Grausteins Büro nichts mehr. Meine Gedanken sollten so weit es geht vor ihm flüchten, stattdessen hängen sie beinahe ausschließlich bei ihm. Ich stelle mir tausend Fragen. Wer weiß, dass der Sohn des Staatsgenerals Männer bevorzugt? Wieso verschwindet er plötzlich von der Bildfläche, obwohl er mich vorher am liebsten aufgefressen hätte? Nicht, dass ich dem hinterhertrauere. Fast scheint es, als würde sich mein Leben wieder zum guten, alten Frieden wenden. Fast.
»Militärpolizei Distrikt Neun. Hauskontrolle.«
Meine Hand ruht an der Tür, die ich gerade öffnete, um zur Grenze aufzubrechen. Vor mir stehen fünf Männer mit polizeilichem Siegel, das sie berechtigt, die monatlichen Durchsuchungen der privaten Haushalte durchzuführen. Unter ihnen der blonde Polizist, der den Attentäter beim Anschlag wegen seines verletzten Stolzes zusammenschlug. An den Türen meiner Nachbarn klopfen etliche Einheiten. Sie überrennen uns jedes Mal, als wären wir feindliche Spione und keine Alten, Kranken, Kinder oder mittellose Soldaten. Ich schließe meine Augen, um sie nicht zu verdrehen.
Die regelmäßigen Hauskontrollen dienen der Überwachung der Bevölkerung, ihres Besitzes und dem Aufspüren von Schmuggelware aus dem Ausland. Weil es keine festen Zeiten gibt, kann sich niemand auf den unerwünschten Besuch einstellen und so Beweise verschwinden lassen.
»Ich habe Grenzdienst«, drängele ich.
»Wir stellen Ihnen ein Entschuldigungsschreiben aus.« Der breite Mann mit dem Abzeichen stößt mich beiseite, um in mein Haus zu treten. Seinen Schulterplatten zufolge Hauptgefreiter und Gruppenführer. Einen Fluch murmelnd, sehe ich zu, wie sich die Polizisten der Reihe nach in meinem Zuhause verteilen.
Der letzte unter ihnen – mein netter Bekannter vom Anschlag – bedenkt mich mit einem breiten Grinsen. »So sieht man sich wieder, Grenzi.«
Die Männer schwärmen in alle Ecken aus. Sie reißen den Kleiderschrank auf, krempeln die Taschen um und schütteln die Schuhe aus. In den Küchenschränken wühlen sie nach unerlaubten Lebensmitteln wie Reis aus Bjussel – dem verfeindeten Nachbarland – oder Zimt und Orangen aus Übersee. Unter dem Bett entdecken sie einen alten Karton, den sie wie gierige Aasgeier aufreißen, nur um verstaubte Fotos aus meinem Waisenhaus zu finden. Ohne Achtung vor meine Habseligkeiten hinterlassen sie ein sturmähnliches Chaos.
»Haustiere? Hund, Katze?«, fragt der Hauptgefreite nach einem beiläufigen Blick zum Geschichtsbuch in meinem Regal, das jeder Haushalt nachzuweisen hat.
»Die habe ich heute gefrühstückt«, keife ich sarkastisch, wofür ich ein böses Knurren ernte. Tiere, die nur zum Begrapschen und Beäugen gedacht sind, müssen hoch versteuert werden, darum halten die meisten sie illegal. Noch mehr Sauereien, die ich wegschaffen dürfte. Nein, danke.
»Ich heiße Robin«, reißt mich der blonde Polizist unvermittelt aus meinem Grummeln. Der Haderlump lehnt faul neben der Haustür, während seine Kameraden das Haus auf den Kopf stellen.
Meine linke Augenbraue wandert hoch. »Das interessiert mich... weshalb?«
Robin beugt sich zu mir herunter, um leise zu erklären: »Weil du dir diesen Namen merken solltest, Grenzi. Wenn ich erst aufgestiegen bin, darfst du mich Sir nennen.«
»Na dann«, erwidere ich trocken, konzentriere mich lieber auf meine gebügelten Uniformen, die jetzt achtlos zu Boden flattern. Manche Leute denken wirklich, ihre Lebensgeschichte wäre die Handlung eines neues Romans.
Von meinem Desinteresse über seine spannende Laufbahn gereizt, zischt Robin: »Du bist viel zu frech für einen Grenzwärter. Das sollte man dir austreiben. Aber das übernehme ich gerne, wenn ich dein General werde.«
Ich pruste laut, wodurch die andern Polizisten zu uns spähen. »Jeder hat wohl so seine Träumerein. Manche haben Wahnvorstellungen.«
»Was bildest du dir ein?« Robins verzerrtes Gesicht zeugt von unkontrollierter Wut. »Du bist der letzte Abschaum, der Dreck unter meinen Sohlen.«
»Lassen Sie dem Dreck doch bitte einfach seinen Frieden.« Als ich mich von der Wand abstoße, zieht mich Robin am Arm zurück.
»Das wirst du bereuen«, lautet seine Drohung, bevor er beginnt, wie ein bockiges Kind unter jedem Staubkörnchen nach einem Verstoß zu suchen. Da ich allerdings ein rechtschaffener Bürger ohne Charakter oder Interessen bin, dauert es nicht lange, bis der Gruppenführer die Durchsuchung für beendet erklärt. Robin, der gerade das Feuerholz auf Herz und Nieren nach Löcher für Verstecke prüft, wirft ein Stück davon knurrend in den Kamin. Dadurch wirbelt die Asche auf und sammelt sich in weitem Ausmaß über meinen Fliesen.
Innerlich mit der Kontrolle abgeschlossen, schlendern drei der Polizisten aus meinem Haus. Der Gruppenführer holt ein Klemmbrett aus seinem Rucksack, auf dem er ein Schreiben für meine Vorgesetzten ausfüllt. Dann pfeift er Robin zu, der sich vor meinen Kamin hockte, um in der Asche herumzustochern. »Komm schon! Wir haben zwanzig weitere Häuser!«
»Warte...«, murmelt Robin. Ein drückendes Gefühl flaut in meinem Magen auf. »Hier steckt irgendwas in den Backsteinen.«
»Der Mann ist rein wie ein Brautkleid. Komm jetzt!«
Robin stützt sich auf den Knien hoch, zwischen Zeigefinger und Daumen die Ecke eines abgebrannten Flugblatts.
Mein Herz bleibt stehen.
»Ist das nicht von den Freiheitskämpfern? Sie warfen diese Zettel wie ein Regenguss über Kortium ab. Auch in Rauheim liegen die seit ein paar Tagen vermehrt an den Straßenrändern.« Auf Robins Lippen erscheint ein sadistisches Grinsen. »Es ist strengstens verboten, die aufzuheben, geschweige denn nach Hause zu bringen.«
Stirnrunzelnd nimmt ihm der Gruppenführer den Schnipsel ab, dreht ihn in alle Richtungen. Dann nickt er seinen Männern zu, die bereits aus der Tür traten. Von beiden Seiten werden meine Arme gepackt.
Ich stoße ein ungläubiges Lachen aus. Unmöglich. Das Flugblatt dürfte nach den lodernden Flammen nur noch Staub sein. Doch es verfing sich im Gemäuer des Kamins, und hätte Robin nicht voller Gier nach einer Verfehlung die Asche aufgewirbelt, wäre es beim nächsten Feuer zerfallen. Die Ziehmutter meines Waisenhauses sagte einst, dass meine roten Haare für ein blutiges Vorzeichen stehen, mit dem ein Kind für die Taten seiner Eltern verflucht werde. Aberglaube ist für mich seit ich denken kann, reine Fantasieakrobatik, doch langsam fürchte ich mich vor diesen verdammten Haaren. Alles was ich in der Absurdität tun kann, ist zu lachen.
Die Brust voller Stolz gereckt, steht Robin neben seinem Gruppenführer, der den Befehl gibt: »Führt ihn ab.«
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