
Hoffen und Bangen
»Los Leonas, such Harry«, atemlos rannten Severus und Remus hinter dem Kniesel her. Inzwischen schüttete es wie aus Eimern und der Sturm peitschte ihnen den Regen ins Gesicht. Sie konnten bereits nicht mehr hinunter an den Strand, da das Wasser längst bis an die Felsen reichte. So rannten sie immer am oberen Ende der Steilküste entlang in der Hoffnung, dass Leonas Harrys Fährte aufnahm.
Das Tier hatte sofort verstanden, was die Männer von ihm wollten. Kaum hatten sie die Tür geöffnet, lief der Kniesel los. Senkte die Nase immer wieder auf den Boden und rannte dann weiter.
Plötzlich blieb er stehen und nährte sich vorsichtig der Felskante. Remus und Severus blieben keuchend hinter ihm stehen. Vorsichtig sahen sie hinab in die Tiefe. Das Wasser stand nun bereits sehr hoch und die See war aufgewühlt.
»Dort!«, rief Severus gegen den Sturm an und zeigt nach unten. Zwei Höhleneingänge waren zu erkennen.
»Wir können unmöglich apparieren, wenn wir nicht wissen, wie es dort aussieht!«, rief Remus. Ehe Severus etwas sagen konnte, war es Leonas, der in die Tiefe sprang. Geschockt sahen die Männer das Tier kurz untertauchen, ehe es wieder an die Oberfläche kam und sich paddelnd einem der Eingänge nährte.
»Was sollen wir machen?«, fragte Remus hilflos. Severus legte seinen Umhang ab und zog die Schuhe aus. Er wusste nicht, ob der Kniesel, Harry wirklich gefunden hatte, aber es war die letzte Chance, die sie hatten. Er atmete noch einmal tief durch und sprang. Für einen Augenblick nahm ihm das kalte Wasser den Atem. Nur mit Mühe kämpfte er sich an die Oberfläche, die raue See machte das Schwimmen beschwerlich. Nachdem er sich wieder etwas gefangen hatte, setzte er Leonas nach und schwamm in die Höhle, in der, der Kniesel verschwunden war. Über ihm waren nur circa 30 Zentimeter Platz und es wurde stetig weniger.
»Harry!«, rief er, so laut er konnte. Das Rauschen und Plätschern des Wassers, das an den Wänden widerhallte, machte es schwer etwas zu hören.
»Dad!«, kam ein erstickter Schrei aus dem hinteren Teil der Höhle. Harry kämpfte um sein Leben, das war deutlich zu hören. In der Ferne konnte Severus, im schwachen Licht, Leonas ausmachen, der gerade um eine weitere Ecke schwamm. Sofort setzte Severus ihm nach. Das Wasser stieg unaufhörlich. Der Lehrer schwamm um die Ecke, an der er eben noch Leonas gesehen hatte. Er kam in eine Art Kammer und dann sah er ihn. Der Kniesel paddelte über einer Stelle und winselte herzzerreißend. Sofort tauchte Severus. Im aufgewühlten Wasser und der Dunkelheit konnte er nichts erkennen. Nach Luft schnappend kam er an die Oberfläche. Der Spalt zur Decke betrug nun höchstens noch 10 Zentimeter. Severus wusste, sein Sohn war dort unten, er musste ihn einfach finden. Ein letztes Mal mobilisierte er alle Kräfte, holte Luft und tauchte. Er tastete den Boden ab und als er schon glaubte, dem Atmereflex nachgeben zu müssen, streifte seine Hand etwas Weiches. Sofort griff Severus zu und tauchte an die Oberfläche. Harry lag blass und mit blauen Lippen in seinem Arm. Sie mussten hier raus, so schnell wie möglich. Apparieren funktionierte nicht. Die Höhle ließ das nicht zu.
»Leonas, raus hier«, schrie Severus. Der Kniesel verstand, schwamm aber nicht raus, sondern auf ihn zu. Severus glaubte, zu wissen, was das Tier wollte. Der Lehrer griff nach dem Halsband von Leonas und sofort schwamm der Kniesel los. Severus hielt den leblosen Körper seines Sohnes an sich gepresst und unterstützte gleichzeitig Leonas beim Schwimmen, indem er die Beine bewegte. Gerade, als der Wasser die Decke erreichte, tauchten Severus, mit Harry im Arm und der Kniesel im offenen Meer auf. Augenblicklich disapparierte der Lehrer mit Harry und Leonas gemeinsam. Oben auf der Klippe legte er den Jungen auf den Boden. Sofort war Remus bei ihnen und starrte geschockt auf den leblosen Körper. Severus kniete neben seinem Sohn und fühlte dessen Puls.
»Er atmet nicht und ich spüre keinen Herzschlag«, sagte er zitternd und begann sogleich mit der Herzmassage. Remus verstand sofort, überstreckte den Hals des Kindes und gab ihm eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Leonas saß daneben und winselte leise.
Harry sah sich verwirrt um. Im ersten Moment hatte er keine Ahnung, wo er war. Der Ort war seltsam und doch friedlich. Er war in einem Garten. Rosen blühten und Wind rauschte in hohen Bäumen. Harry konnte sich keinen schöneren Ort vorstellen. Der Junge richtete sich auf und lief einen kleinen geschwungenen Pfad entlang. Plötzlich sah er in der Ferne jemanden auf sich zukommen. Es waren zwei Personen in langen weißen, leinenartigen Gewändern. Auch wenn Harry sie nie bewusst gesehen hatte, so erkannte er sie doch sofort.
»Mum? James?«, fragte er vollkommen überrascht. Die beiden Erwachsenen nickten lächelnd. Weinend warf sich Harry in die Arme seiner Mutter. Diese hielt ihn und strich ihm über das dunkle Haar.
»W-Wo bin ich? Bin ich tot?«, fragte er, nachdem er sich beruhigt hatte.
»Noch lebst du, aber es steht nicht gut um dich«, sagte Lily traurig und wischte ihrem Sohn die letzten Tränen weg. Harry sah zu James, der sich nun ebenfalls zu ihnen kniete.
»Es liegt an dir«, sagte er ruhig.
»Ich kann also hierbleiben?«, fragte Harry. Lily sah zu James und dann wieder zu ihrem Sohn.
»Du könntest, aber ist es das, was du auch wirklich willst?«, sagte sie. Harry schwieg. Er wusste nicht, was er wollte. Hier bei seiner Mutter zu sein, war das Schönste, was er sich vorstellen konnte, aber was würde aus seinem Vater? Konnte er ihn wirklich alleine lassen? Er dachte an Ron, Hermine und Remus und an seinen Großvater. Wieder liefen dem Jungen Tränen über die Wange.
»I-Ich will bei euch bleiben, aber ich kann Dad nicht alleine lassen«, schluchzte er. Lily zog ihn wieder an sich.
»Harry, mein kleiner Harry. Natürlich kannst du deinen Vater nicht alleine lassen. Er hat gerade erst gelernt, was es heißt, ein Vater zu sein. Du würdest von so vielen Menschen vermisst werden. James und ich wir sind hier und wir werden uns wieder sehen, aber erst sehr viel später«, sagte sie und küsste Harry auf die Stirn. Dieser wischte sich über die Augen.
»W-wirklich?«, fragte er.
»Natürlich«, sagte James und Lily nickte.
»Du musst mir noch einen Gefallen tun«, sagte James nun und Harry sah ihn erwartungsvoll an.
»Sag Remus, es war nicht seine Schuld und ich bin ihm und Sirius nicht böse. Ich würde mich sehr freuen, wenn sie glücklich werden«, sagte James.
»O-Okay, das mach ich«, sagte Harry nun und sah dann zu seiner Mutter.
»Wie komme ich denn zurück?«, wollte er wissen.
»Schließ die Augen und entspann dich«, sagte Lily und hielt Harry im Arm. Der Junge schloss die Augen und seine Mutter begann ein leises Lied zu singen, ein Lied, welches Harry seltsam vertraut war. Bald hörte er nur noch ein leises Rauschen und alles wurde schwarz.
»Sev? Sev, hör bitte auf...«, sagte Remus mit brüchiger Stimme. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie bereits versuchten, Harry wiederzubeleben, aber es kam ihm wie Stunden vor.
»Nein, nein ich gebe ihn nicht auf«, schrie Severus und gleichzeitig brach er auf der Brust seines Sohnes zusammen. Haltlos weinend hob er ihn hoch und drückte den leblosen, schlaffen Körper des Kindes an sich.
»Bitte, bitte Harry gib nicht auf ...«, schluchzte er. Remus liefen Tränen über die Wange und Leonas stupste Harry immer wieder mit dem Kopf an, bis Remus ihn wegzog.
»Lass uns ihn hier wegbringen«, sagte er irgendwann und strich über Harrys Rücken. Weinend schüttelte Severus den Kopf.
»Sev, er ... er ist tot, bitte lass...«, sagte Remus, als Harry wie aus dem nichts begann zu husten und zu röcheln. Sofort legte Severus seinen Sohn auf den Boden und drehte ihn auf die Seite. Der Junge spuckte sehr viel Wasser und begann rasselnd zu atmen.
»Bei Merlin, er lebt«, keuchte Severus und fühlte den schwachen Puls seines bewusstlosen Sohnes.
»Wie immer das auch möglich ist, wir müssen ihn sofort ins Warme bringen«, sagte Remus und ohne auf Severus zu achten, hob er Harry auf die Arme. Mit zitternden Knien kam auch dieser auf die Beine, griff nach Leonas' Halsband und sie disapparierten.
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Narzissa Malfoy öffnete vorsichtig die Tür zum Gästezimmer. Sonnenstrahlen fielen in den Raum. Langsam ging sie zum Fenster und öffnete es. Vögel sangen und es roch nach den letzten Rosen in diesem Sommer.
»Sev?«, flüsterte sie leise und berührte den Mann, der auf einer Matratze auf dem Boden schlief, an der Schulter. Sofort schreckte dieser hoch und setzte sich verschlafen auf.
»Zissa, was ist, ist er?«, fragte er verwirrt.
»Nein, aber es ist Zeit fürs Frühstück. Was sagst du, willst du heute bei uns unten essen?«, fragte sie sanft. Severus Blick glitt zum Bett, in welchem Harry lag und schlief, wie schon seit bald zwei Wochen.
Mithilfe der Sergos, hatten sie noch in der Nacht, einen Portschlüssel zurück nach England bekommen. Harrys Zustand war kritisch gewesen. Seine Atmung setzte hin und wieder aus und er bekam hohes Fieber. Im St. Mungos hatten die Heiler ihn sofort in einen Zauberschlaf versetzt, damit seine geschädigte Lunge heilen konnte. Ob sein Gehirn schaden genommen hatte, konnte noch niemand sagen. Nach einer Woche hatten sie Severus gestattet Harry, der sich noch immer im Koma befand, mit nach Hause zu nehmen. Keiner der Heiler wollte eine Prognose wagen, wann und ob der Junge wieder erwachen würde. Lucius und Narzissa hatten Severus gebeten, mit Harry bei ihnen zu bleiben, damit er nicht alleine war. Der Tränkemeister wich so gut wie nie von der Seite seines Sohnes und jeden Tag, an dem es Harry nicht besser ging, ging es auch Severus schlechter. Er war blass und dünn, aß kaum und sprach nur wenig. Meist war es Remus, der nun häufig im Manor war, der es schaffte, an ihn heranzukommen.
»Ich weiß nicht, ich sollte ...«, sagte Severus und richtete sich auf. Aber Narzissa schüttelte den Kopf.
»Nein Sev, Harry geht es soweit gut und auf dem Raum liegt ein Alarmzauber, wenn was sein sollte, dann bekommen wir es mit. Bitte komm«, flehte sie schon beinahe. Severus nickte.
»Gib mir zehn Minuten, um mich frisch zu machen, dann komme ich«, sagte er. Narzissa lächelte, gab ihm einen Kuss auf die Wange und verließ den Raum. Severus trat an das Bett, setzte sich und strich Harry über die Stirn. Narzissa hatte recht, soweit man es sagen konnte, ging es Harry gut. Er hatte kein Fieber mehr, seine Lunge hatte sich erholt und doch wachte er nicht auf. Seufzend beugte sich Severus herunter und küsste ihn auf die Stirn.
»Guten Morgen, Kleiner«, sagte er und wie jeden Morgen hoffte er, dass Harry die Augen aufschlagen würde, aber auch diesmal kam keine Reaktion. Niedergeschlagen erhob Severus sich und ging ins Bad.
»Willst du mit Draco vielleicht morgen in die Winkelgasse. Er braucht noch alles und in einer Woche geht die Schule wieder los«, sagte Narzissa und nahm einen Schluck Kaffee. Lucius sah vom Tagespropheten auf.
»Natürlich, aber du weiß Draco ...«, sagte er.
»Ja, ich weiß, aber er wird sicher nicht seinen Schulbesuch davon abhängig machen, ob Harry wieder aufwacht«, sagte Narzissa streng. In diesem Moment betrat Severus das Esszimmer und setzte sich auf seinen Platz.
»Guten Morgen«, sagte Lucius und goss ihm einen Kaffee ein.
»Morgen Luc, wo steckt Draco?«, wollte Severus wissen.
»Irgendwo draußen im Park. Ich will nicht, dass er immer stundenlang bei Harry sitzt. Ich hoffe, du verstehst das?«, fragend sah Narzissa zu Severus, dieser nickte.
»Natürlich«, sagte er.
»Draco will nicht zurück nach Hogwarts«, sagte Lucius und Severus sah ihn überrascht an.
»Nicht ohne Harry«, fügte Narzissa an.
»Verstehe, ähm ... soll ich mit ihm reden«, fragte Severus.
»Das wäre nett. Sag, was ... also was wirst du machen?«, wollte Narzissa wissen. Severus zuckte hilflos mit den Schultern und stocherten in seinen Rühreiern.
»Dad wird meinen Unterricht für die erste Zeit übernehmen und Madame Hooch übernimmt die Slytherins. Aber ich kann nicht ewig wegbleiben, das bin ich auch den Schülern schuldig. Sollte sich an ... sollte sich an Harrys Zustand nichts ändern, dann nehme ich ihn eben mit. Am Tag kann er bei Poppy bleiben und abends hole ich ihn dann in die Wohnung«, sagte er und seine Stimme zitterte.
»Er wird aufwachen«, sagte Narzissa und Severus sah lächelnd auf.
»Ich will es glauben, aber mit jedem Tag, schwindet die Hoffnung«, sagte er. Die beiden Malfoys schwiegen. Sie wussten, dass Severus recht hatte. Niemand wusste, warum Harry noch immer schlief, niemand konnte sagen, ob er wieder erwachen würde.
»Ich geh zu Draco«, sagte Severus irgendwann und legte das Besteck beiseite.
»Ist gut und ich bleibe bei Harry«, sagte Narzissa. Sie wusste, dass Severus seinen Sohn so selten wie möglich alleine lassen wollte, damit dieser das Gefühl hatte, das immer jemand da war.
»Danke Zissa«, sagte der Lehrer und verließ den Raum.
Severus musste nicht lange suchen, bis er Draco gefunden hatte. Der Junge saß unter der alten Kastanie und las in einem Buch.
»Guten Morgen, Draco«, sagte Severus und setzte sich zu seinem Patenkind.
»Morgen Onkel Sev, ist mit Harry alles okay?«, wollte er wissen.
»Ja, alles unverändert. Sag Draco, wie geht es dir?«, wollte Severus wissen. Draco legte das Buch auf die Seite und zuckte mit den Schultern.
»Gut, denke ich.«
»Mhm ... und jetzt wirklich?«, hakte Severus nach.
»Mum und Dad haben es dir gesagt, oder?«
»Ja, aber Draco du musst zurück nach Hogwarts und ich verspreche dir, dass Harry und ich nachkommen!«, überrascht sah Draco seinen Onkel an.
»Auch, wenn er nicht aufwacht?«
»Ja, auch dann. Harry liebt die Schule, seine Freunde. Wer weiß, vielleicht hilft es ihm ja, dort zu sein.«
»Ja, kann sein. Er fehlt mir, komisch oder?«, sagte Draco.
»Wieso komisch?«
»Na ja, wir haben uns vor Beginn der Ferien nicht wirklich verstanden, aber seit er hier war, da ist alles irgendwie anders«, sagte Draco und sah in die Ferne.
»Es ist nicht komisch Draco. Ihr mögt euch, habt euch auf eine andere Art und Weise neu kennengelernt. Das er dir als Freund fehlt, ist nur verständlich«, sanft legte Severus dem Jungen einen Arm um die Schulter. Auf einmal brach alles über Draco zusammen. Er weinte und krallte sich in die Roben seines Paten. Severus hielt ihn, weinte mit ihm und versuchte trotzdem, Draco das Gefühl zu geben, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Um ihn zu beruhigen, summte Severus ein Lied, welches ihm gerade erst wieder in den Sinn kam. Er musste lächeln. Es war das Lied, welches Lily immer Harry vorgesungen hatte, wenn dieser Koliken hatte und nicht schlafen konnte. Mit einem Mal stockte er. Was wäre, wenn es das Lied wäre, dieses Lied was für Harry vielleicht eine letzte Erinnerung an seine Mutter war, dass ihm helfen könnte aufzuwachen?
»Onkel Sev? Ist alles in Ordnung?«, wollte Draco wissen und drückte sich etwas von seinem Onkel ab.
»Ja, ja ich glaube schon. Ich muss etwas versuchen. Komm mit«, sagte er, zog Draco auf die Beine und rannte mit ihm an der Hand zurück ins Haus.
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