
Prolog
Die dunkelgraue Kätzin fauchte. "Krallenherz, lass mich in Ruhe!" Der große, hellbraun getigerte Kater musterte sie nur höhnisch grinsend. "Du hast mir gar nichts zu sagen!"
Nebelruf duckte sich. "Was willst du?" knurrte sie. Ihre gelben Augen blitzten.
"Nichts." Provozierend schnappte er nach ihrer Schwanzspitze. "Nur sehen, wie sensibel du geworden bist. Kätzinnen sind schon wunderlich, wenn sie trächtig sind, nicht wahr?"
Nebelruf schnappte nach Luft. Empört trat sie zurück. "Lass mich jetzt in Ruhe!" Doch Krallenherz machte keinerlei Anstalten zu gehen. Stattdessen musterte er hochmütig Nebelrufs Körper.
Sein Blick glitt über ihr abgerissenes Ohr, die zahlreichen Narben und Verletzungen an ihren Flanken. Schließlich blieb er an ihrem dicken Bauch hängen.
"Wann kommen sie?" wollte er aufmerksam wissen.
"Das geht dich nichts an!" schnappte Nebelruf.
"Oh doch." Krallenherz trat an sie heran. Der muskulöse Kater überragte sie um mindestens einen Kopf, wenn nicht mehr. Seine mattgrünen Augen blitzten, als er auf sie herabsah. "Du weißt, was passiert, wenn du dich einem Kater verweigerst."
Mit einer schnellen Bewegung fuhr seine Pfote über ihren dicken Bauch. Drei dünne Kratzer prangte nun darauf.
Mit angelegten Ohren wich Nebelruf zurück. Ihr Schweif peitschte über den Boden. "In den nächsten Tagen" presste sie hervor. Die Wut verdunkelte ihre Stimme. Sie würde niemals zulassen, dass Krallenherz oder einer der anderen ihren Jungen etwas antat.
"Interessant." Krallenherz schnippte mit dem Schweif, dann verschwand er endlich.
Schwer atmend kauerte Nebelruf auf dem Boden. Ihr gesträubtes Fell legte sich nur langsam wieder an. Wie sie diesen Clan hasste! Kater unterdrückten die Kätzinnen, schon seit endloser Zeit. Wie Sklavinnen wurden sie gehalten und unterrichtet, immer zu tun, was man sagte. Wenn Tränensee uns doch bloß gewarnt hätte.
Sie erinnerte sich zu gut an die Blicke des Anführers, als sie, Echoklang, Fleckenschweif und Schillerauge ins Lager stolperten. Müde, struppig, verdreckt, hilfs- und wehrlos. Weil sie Junge gewesen waren. Junge, deren Mutter tot war.
Hirschstern hatte auf sie herabgesehen. "Ihr müsst Tränensees Töchter sein, nicht wahr?" hatte er gesagt und dabei höhnisch gegrinst. Und sie? Sie hatten ihn fassungslos angestarrt, hielten ihn für einen Gott, weil er das wusste.
Sie lachte bitter. Er hatte sie in ihr, Nebelruf, die das Fell und die Augen ihrer Mutter trug, erkannt. Die Kätzin, die in diesem Clan gelebt hatte.
Nun waren sie fort. Tränensee war tot, Schillerauge, die Heilerin, gemeinsam mit Streif und Fleckenschweif geflohen. Wohin? Das wusste nur der SternenClan. Der SternenClan. Tränensee hatte fest an ihn geglaubt, viel von ihm gesprochen. Er spendete Trost. Und den hatte Nebelruf dringend nötig.
Ächzend erhob sie sich. Selbst Echoklang, die jüngste von ihnen, war inzwischen geflohen. Trächtig. Nebelruf hatte mit ihr gehen wollen, doch kurz zuvor verletzte Dornenklaue sie so stark am Bein, dass eine weite Reise unmöglich war.
Und jetzt, in ihrem Zustand, ging gar nichts mehr. Sie dachte an Echoklang. Ob diese ihre Jungen bereits bekommen hatte?
Müde schlurfte sie zu der winzigen Baumhöhle neben dem Heilerbau. Ein Bau für werdende Mütter war nicht vorgesehen - wieso auch, wenn sich die Kater keinen Deut um sie kümmerten?
"Wie geht es dir?" fragte Honigblüte freundlich. Die goldbraune Heilerin bat sie in ihren Bau, um sie noch einmal genau zu untersuchen.
Nebelruf ließ sich auf eines der Moospolster fallen. Während Honigblüte an ihrem Bauch herumtastete, dachte sie nach.
Schillerauge hatte eine gute Wahl getroffen. Als Heilerschülerin konnte kein einziger Kater ihr etwas anhaben. Warum Hirschstern Kätzinnen erlaubte, Heiler zu werden? Das war eine uralte Geschichte, die ihr Honigblüte einmal erzählt hatte. Hirschstern hatte nämlich als Schüler irgendeine Krankheit gehabt, und als der Heiler es nicht schaffte, ihn zu heilen, schritt Honigblütes Mentorin Bärenzahn ein. Sie heilte Hirschstern, damals Hirschpfote, und seitdem hatte er einen großen Respekt vor Heilerinnen und verbot ihnen diese Tätigkeit nicht.
Honigblütes Stimme holte sie schließlich aus ihren Gedanken. "Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht." offenbarte sie mit besorgter Miene. Nebelruf setzte sich auf. "Was ist los?"
"Die Jungen sind gesund und entwickeln sich gut." Honigblütes Ohr zuckte nervös. "Allerdings kann es sein, dass du die Geburt nicht überlebst. Es sind vier, wenn nicht sogar fünf. Dein Körper ist für sowas nicht gut vorbereitet."
"Oh" machte Nebelruf. "Das ist nicht schlimm." Ja, weil ich diesen Clan sowieso satt habe! "Wenn ich bei ihrer Geburt sterbe, bin ich wenigstens weg aus diesem Clan."
Honigblüte sah sie merkwürdig an und Nebelruf lauschte ihren Worten nach. Das klang, als wären ihr die Jungen egal. "Natürlich sind mir meine Jungen nicht egal. Aber ich muss dich um etwas bitten."
Honigblüte legte den Kopf schief. "Was ist es?"
"Versprich mir, dass, wenn ich die Geburt nicht überlebe, du ihnen die Namen gibst." Ernst sah Nebelruf ihre Freundin an. "Egal, welche Fellfarben sie haben."
Honigblüte nickte. "Hast du einen besonderen Wunsch?"
"Ja. Eins soll auf jeden fall Silberjunges heißen. Die anderen Namen sind mir egal, Hauptsache, Hirschstern benennt sie nicht."
"Ich werde dafür sorgen." Honigblüte schnurrte und Nebelruf ebenfalls. Dann stand die trächtige Kätzin auf und streckte sich ein bisschen, aber vorsichtig. Sie gähnte. "Ich geh schlafen. Bis morgen."
"Ja, schlaf gut." verabschiedete Honigblüte sie und Nebelruf verließ ihren Bau.
Die Jungen ließen Nebelruf keine Ruhe. Schmerzen durchzogen ihren Körper und hinderten sie am schlafen. Wie Wellen kamen sie, immer wieder und immer stärker. Schließlich rappelte sie sich auf und schwankte zum Heilerbau.
Honigblüte erkannte sie sofort. Schnell holte sie die notwendigsten Kräuter und ein paar Stöcke herbei und brachte die trächtige Kätzin zu einem der Moospolster.
Es dauerte nicht lange, bis die Schmerzen so stark wurden, dass Nebelruf aufschrie. Schnell biss sie in den Stock, den Honigblüte ihr hinhielt. Es linderte die Schmerzen ein wenig, und schon lag das erste Junge neben ihr.
Routiniert kümmerte Honigblüte sich um das winzige, nasse Fellbündel und leckte es gegen den Strich sauber. Dann befühlte sie den Bauch der Kätzin.
"Das war noch nicht alles." beunruhigt sah sie zu Nebelruf. Der Kopf der Kätzin lag schwach auf dem Moos, die Gesichtszüge schmerzverzerrt.
Mühevoll überstand sie die Geburt des zweiten und dritten Jungens, bis ihre Kräfte nachließen. "Ich...kann nicht...mehr!" stieß sie unter Schmerzen hervor.
Mitleidig betrachtete Honigblüte ihren Bauch. "Es sind noch zwei." sagte sie."Du schaffst das!" Sie schob Nebelruf einen neuen Stock zu. Diese biss darauf, als das vierte Junge ins Moospolster rutschte. Auch um dieses kümmerte Honigblüte sich.
"Du hast es gleich..." erschrocken hielt sie inne. Nebelrufs Körper krampfte sich zusammen, sie schrie, als das letzte Junge ihren Bauch verließ, dann sank sie auf das Moos nieder.
Honigblüte trat still zu ihr. Ein kurzer Blick auf die Kätzin und das letzte Junge genügte ihr. Beide waren tot.
"Möge der SternenClan ein Segen für euch sein." flüsterte sie ergriffen, bis ein ungeduldiges Maunzen sie aus ihren Gedanken riss.
Sie wandte sich den Jungen zu und seufzte. Die Kleinen suchten nach Milch, aber woher sollte sie sie nehmen? Fast alle Kätzinnen des Clans starben wie ihre Jungen bei der Geburt, sodass es fast nie säugende Kätzinnen gab. Und im Moment keine einzige.
Sie mischte eine Kräuterpaste zusammen, die den Hunger der Kleinen besänftigen sollte. Die vier Fellknäule verschlungen sie hastig und krochen sich dann kaum hörbar schnurrend zu Honigblüte, um sich an sie zu schmiegen.
Sie seufzte noch einmal und rollte sich dann zusammen, um die Jungen zu wärmen.
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