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Meine Beine bewegten sich fast von alleine. Sie trugen mich - neben Caspian laufend - auf direktem Wege zu Chris, der mit dem Wagen etwas weiter weg stand. Als er uns kommen hörte drehte er sich etwas zu uns, gab den Blick gleichzeitig frei auf sie. Amy. Von Knebeln, Fesseln und Augenbinde befreit sah sie zwar müde, aber erleichtert aus. Das ich im Gegensatz zu ihr allerdings wie das absolute Wrack aussah, das ich war, musste niemand noch extra erwähnen.
Ich blieb stehen, stützte mich plötzlich an meinen Knien ab, hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen. All das auf einmal war eindeutig zu viel für mich - besonders weil ich die ganze Zeit dachte sie sei tot. Alle hatten das geglaubt. Meine Emotionen nahmen Überhand, ließen sich nicht mehr zurück halten. Tränen liefen meine Wangen hinab - ein stetiger Fluss. Ich konnte weder das schluchzen zurück halten, noch verhindern das ich mich immer wieder schüttelte. Dann spürte ich eine Hand an meinem Kopf. "Mein armer Schatz." flüsterte sie, hielt mich fest während ich zusammenbrach. Sie war hier, sie war real. Sie war am Leben.
Diese starke Frau die in ihrem Leben schon mehr Leid durch machen musste als gesund war stand vor mir, legte ihre Arme um mich als wollte sie mich schützen - und hielt mich, während ich verzweifelt und am Ende all meinen Frust und jede Emotion hinaus ließ.
Sie war hier. Sie lebte.
†
Stella und Maxine wussten von alledem nichts - auf Caspian's Wunsch. Er wusste nicht wie er seiner Familie all das erklären sollte und befand, das es das beste war ihnen einfach zu zeigen was wir gefunden hatten. Er selbst und Amy halfen mir auf die Beine und in den Wagen und kurz darauf brauste Chris davon, während die lodernden Flammen weiter wüteten und alles zerstörten, was mich zerstört hatte.
Während der Fahrt hielt Amy meine Hand ganz fest, kümmerte sich gleichzeitig um die Stichverletzung. Zum Glück war sie nicht tief. Ihre Hände glitten immer wieder über meinen Körper... Es war auch für sie als wolle sie sich vergewissern das ich wirklich da war, das ihre Befreiung keine Halluzination gewesen war. Niemand im Wagen sagte etwas, doch die Erleichterung konnte man von allen Zügen ablesen.
†
Der Wagen hielt in der Einfahrt und Caspian sprang heraus. Stella und Maxine hatten unsere Rückkehr schon erwartet und kamen heraus. Ich konnte hören wie Caspian's Stimme brach und er hielt mit seinen Emotionen auch nicht hinterm Berg als er auf seine Frau zuging. "Wir... Wir haben es geschafft. Wir sind wieder vereint." murrte er und ergriff Stella's Hand. Diese sah ihn zwar mitleidig an, verstand aber im ersten Moment nicht, was genau er meinte... Bis Amy sich von mir löste, meine Hand noch einmal drückte und schließlich ebenfalls den Wagen verließ.
Ich tat es ihr gleich, blieb aber auf Distanz. Ich beobachtete das, was vor meinen Augen geschah. Stella hatte Caspian nicht aus den Augen gelassen, bekam aber mit wie sich jemand näherte. Als sie erkannte das es ihre tot geglaubte Tochter war erfüllte ein erschütternder Schrei die Luft, meine Haut überzog eine Gänsehaut.
Zu sehen wie eine verzweifelte und gebrochene Mutter ihr Kind trotz all der Dinge, die sie geglaubt hatte, in ihre Arme schloss war herzzereissend, schmerzhaft. Für alle Beteiligten.
Auch Maxine fiel in die Umarmung ein, drückte sich an ihre weiblichen Familienmitglieder und schließlich ebenso an ihren Vater, der schützend seine Arme um sie alle legte. "Das alles... Das hätten wir ohne Aurelio nie geschafft. Er hat diese Tortur beendet. Es ist vorbei. Wir sind frei, in Sicherheit." murmelte er seiner Familie entgegen.
Chris und ich - überwältigt, aber glücklich - ließen der Familie Freiraum und Zeit einander wieder zu festigen.
†
Natürlich wollte ein Teil der Familie alles darüber erfahren, was wir durchgemacht hatten. Wie wir es geschafft hatten - trotz Falle - am Ende als Sieger aus der ganzen Sache heraus zu gehen. Caspian, der uns alle ins Haus bugsierte, lehnte sich gegen mich um mir ein Glas in die Hand zu drücken. Er überlegte, wie er es sagen sollte ohne all die Grausamkeiten zu benennen, die wir erlebt und verursacht hatten - schließlich wollte er weder seinen Töchtern, noch seiner Frau Angst machen.
Bevor er etwas sagen konnte kam jedoch Stella auf mich zu. Die ganze Zeit über, als wir geglaubt hatten Amy sei tot, hatte sie mich gemieden - nicht, weil sie mir die Schuld an allem gab, sondern eher weil es sie schmerzte an den Verlust erinnert zu werden. Dieser Bann war allerdings nun endgültig gebrochen und sie umarmte mich so herzlich, so warm, das es mir wieder die Tränen in die Augen trieb. "Ich kann dir gar nicht genug danken für das, was du für uns alle getan hast. Aber auch für dich selbst." flüsterte sie und wischte eine verlorene Träne auf meiner Wange weg. Dann ging sie zu ihrem Mann, der seine Arme um sie legte und lauschte seinen Worten und Erzählungen über das, was passiert war.
An diesem Abend verließ niemand von uns mehr das Haus.
†
Wir übernachteten in Amy's altem Zimmer, welches viele Erinnerungen weckte. Ich hatte das Bild vor Augen wie sie hier in diesem Bett lag, am Rande des Wahnsinns und auf Entzug... Versuchte es durch die Gegenwart auszutauschen und beobachtete sie, wie sie ruhig schlief. Sie musste komplett fertig sein, auf eine andere Art als ich selbst.
Mir hingegen blieb der Schlaf verwehrt. Ich stand am Fenster, sah hinaus ohne überhaupt irgend etwas wirklich wahr zu nehmen - war viel zu sehr gefangen in meinen Gedanken. Ich hatte verloren worum es sich zu Leben gelohnt hatte, war bereit mit all den Dingen und Schrecken die ich über diese Familie gebracht hatte zu sterben...
Aber war das immer noch so?
"Aurelio." hörte ich Amy's Stimme, leise und flüsternd. Es war keine Illusion, sondern real - trotzdem schwieg ich. Kurz darauf spürte ich Amy's Arme, die sich vorsichtig um meinen Brustkorb legten. Sie streichelte über den Verband den sie mir selbst angelegt hatte, presste sich dichter an mich. "Du brauchst etwas Ruhe. Komm."
"Ich wollte heute sterben." sagte ich wie aus dem nichts. "Ich hatte die ganze Zeit über geglaubt das du tot bist und wollte es auch sein. Weil ich ohne dich nicht mehr leben wollte. Und als ich dich heute Abend sah, dachte ich erst du seist eine Halluzination."
"Aber ich bin hier. Und ich lebe. Dank dir, dank Dad und Chris. Ihr habt mich gerettet. Ich bin hier, aus Fleisch und Blut. Komm, ich zeig dir etwas." gab sie zurück und zog an meiner Hand. Bis zum Bett folgte ich ihr, setzte mich an den Rand der Matratze sowie sie es wollte und schaute zu ihr auf. "Du musst nichts sagen. Sieh mich einfach an." forderte sie und begann sich langsam von ihren Kleidungsstücken zu trennen, bis sie schließlich vollkommen nackt zwischen meinen Beinen stand. Sie griff nach meiner Hand, ließ diese zwischen ihren Brüsten hinab wandern, führte mich - bis meine Hand sich selbstständig bewegte und jeden centimeter ihrer Haut berührte. Es war eine intime Geste, die ganz ohne sexuelle Gedanken auskam und so ließ ich es aus, ihren südlichen Teil zu berühren. "Spürst du die Wärme meiner Haut? Ich bin hier. Mein Herz schlägt stark und stolz - mehr als eine Halluzination es dir vorgaukeln könnte."
Amy ließ es sich nicht nehmen mich auszuziehen. Als wir schließlich vollkommen nackt waren, zog sie mich mit sich ins Bett, breitete die Decke über uns aus und kuschelte sich eng an mich. Die Wärme unserer Körper, die kräftigen Schläge unserer Herzen. Zu spüren, zu riechen das dies real war - es half mir einzuschlafen.
Und zum ersten mal seit langer Zeit war es friedlich. In mir und meinem Kopf.
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