Kapitel 80 ~ Bellum gerere
Beinahe andächtig betrat Gaius den äußeren Ring des geheimnisumwobenen Steinkreises. Stundenlang hatte sie versucht diesen Ort für ihn in Worte zu fassen und nun stand er hier an diesem geheimnisvollen Ort, der ihm fast wie ein Traumbild erschien. Aber er war hellwach und er spürte mit jeder Faser seines Körpers die gleiche Faszination, die diese Steine in allen Zeiten auf Menschen ausgeübt haben. Seine Fingerspitzen fuhren zärtlich über die unebene Oberfläche des Steins zu seiner Rechten. Vom Sonnenlicht war er ganz warm, so als wäre der Stein lebendig.
Laut Aurelia standen die Steine bereits seit zweitausend Jahren. In seinem Leben hatte Gaius bereits viel von der ihnen bekannten Welt gesehen. Aber dieser Ort fühlte sich anders an und seine Legaten spürten die Magie dieses Ortes ebenfalls. Das konnte er in ihren nervösen Gesichtern lesen. Onkel Claudius, der auf der anderen Seite des Steins stand, fing seinen Blick auf und erkundigte sich leise, was er nun mit diesem Ort vorhabe.
Entschlossen zog Gaius seine Hand zurück und musterte die Steine prüfend. Sie hatten bereits die ersten drei Schlachten hinter sich und diese hatten seine Befürchtungen verstärkt, dass sich ihm die Insel eine ganze Weile widersetzen würde. Aber worin lag der Reiz einer Eroberung, wenn er nicht darum kämpfen musste?
„Wir könnten die Steine für die Erbauung einer Stadt benutzen", schlug Vespasian vor und bemerkte nicht den entgeisterten Blick, den er von seinem Bruder erntete. Von seinen Legaten wirkte Vespasian am ausgeglichensten. Prüfend musterte Gaius seinen Freund und ihm fielen die Worte ein, die Aurelia vor einer Ewigkeit bei der Planung des Feldzuges gereizt gemurmelt hatte: Er hat Titus den Befehl gegeben den Tempel des Salomons zu zerstören. Glaub mir, Vespasian wird nicht zimperlich sein. Bis jetzt hatte Gaius den Sinn ihrer Worte zwar nicht entschlüsseln können - denn an die Möglichkeiten und Konsequenzen eines Aufstandes der Juden in Judäa wollte er wirklich nicht denken - aber er entdeckte nun eine Seite an seinem Freund, die Aurelia schon längst kannte: Vespasians Pietas galt den römischen Göttern, für alle andere fehlte ihm der Respekt.
Unschlüssig lief Gaius an einem Stein des inneren Kreises vorbei und blieb in der Mitte der freien Fläche stehen. Mit gerunzelter Stirn beobachtete er den Stein, der in den Boden eingelassen war. Dieser Ort war wirklich auf seine bizarre und mystische Weise wunderschön. Wenn er dessen Zerstörung billigte, würde er zwar ein eindeutiges Signal an die Barbaren senden, aber zu welchem Preis? War es das wirklich wert? Wollte er von seinen Feinden gehasst werden, wenn sie ihn nicht lieben konnten? Die Antwort auf diese Fragen war eindeutig: Nein. Sie lautete bereits so, als Aurelia aus den Wellen auftauchte und sie lautete heute so, wenn er über das Schicksal von Stonehenge dachte. Nur weil er an der Spitze des mächtigsten Reiches der Welt stand und eine Invasion anführte, hatte er noch lange nicht das Recht alles Schöne von dieser Welt zu tilgen. So und nicht anders wollte er in Erinnerung bleiben.
Für einen Herzschlag schloss Gaius die Augen und nahm die Energie dieses Ortes in sich auf. Dann drehte er sich lächelnd zu seinen Legaten um und meinte schmunzelnd: „Nichts. Lasst uns ins Lager zurückkehren"
Hoch konzentriert beobachtete er die beiden Linien, die aufeinander trafen und mit einem Mal fühlte er sich seltsam unnütz. Sein Pferd scharrte ungeduldig mit den Hufen und verstärkte seine eigene innere Unruhe. Aus dem Augenwinkel registrierte er einen Reiter auf sich zukommen. Schnell wiederholte der Bote die Nachricht, die Vespasian ihm anvertraut hatte und im gleichen Moment kam Gaius in den Sinn, dass seine Strategie dieses Mal nicht aufgehen könnte. Frustriert bellte er einen Befehl, wandte sich den Kämpfenden zu und überlegte fieberhaft. Was würde sein Vater tun? Die Legion von Onkel Claudius war ungefähr einen dreistündigen Marsch hinter ihnen und Aulus Plautius war mit seinen Truppen bereits einen dreistündigen Marsch vor ihnen. Obwohl er schon mehrere Boten an beide Legaten geschickt hatte, bezweifelte er nicht nur, dass seine Nachrichten nicht zu ihnen durchkommen würden, sondern auch, ob die beiden Legionen bei dieser Übermacht an Barbaren standhalten konnte. Aber sie mussten durchhalten, bis die Verstärkung eintraf. Zusammen verfügten die beiden Flavier fast zehntausend Mann, wenn er die Auxiliartruppen nicht mitzählte – wie hatten es diese Wilden also geschafft innerhalb so kurzer Zeit ein Heer aufzustellen, dass fast dreimal so groß war.
Immerhin handelt es sich um eine offene Schlacht, in der die Truppen zusammen kämpfen können, dachte Gaius und runzelte die Stirn. Was hätte sein Vater in dieser Situation getan? Vermutlich hätte er sich nicht hinter seinen Soldaten verschanzt, warf Gaius sich bitter vor und beobachtete, wie die römische Kriegsmaschinerie versuchte den Ansturm abzuwehren. Die ersten Wellen hatten die geschleuderten Pila noch relativ gut in Schach halten können, aber eben nur für eine Zeit. Selbst die Bogen der Skythen konnten nun nur noch geringfügig die hinteren Linien der Briten ausdünnen, aber die meisten Wilden waren entweder den Römern zu nah oder außer Reichweite der Bogenschützen.
Was seine Männer brauchten, war ein neuer Motivationsschub. Nachdenklich musterte Gaius die Prätorianer zu seinen Seiten, aber sein Entschluss war gefasst. Entschlossen wandte er sich an Vespasians wartenden Boten und meinte: „Sag Legatus Vespasianus, ich erwarte ihn an meiner Seite"
Als der Bote sein Pferd eilig lenkte, nickte Suetonius Gaius zu. Mit grimmiger Miene gab Gaius seinem Pferd die Sporen und griff nach einem der Pila, die an seinem Sattel angebracht waren. Bisher hatte er nie wirklich geglaubt, dass er selbst in das Kampfgeschehen eingreifen müsste, aber sobald er das Gewicht des Speers in seiner Hand fühlte, schaltete sich sein Verstand aus und sein Instinkt übernahm.
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