Kapitel 68 ~ Ave atque vale, soror
Plötzlich umfingen warme Arme seinen kalten Körper und ein schmerzlich vertrauter Geruch hüllte ihn ein. Er wollte ihre Hände abschütteln und sie anschreien zu gehen. Ein weiteres Trugbild von ihr, welches seiner Fantasie entsprang, konnte er nicht ertragen. Aber er hatte keine Kraft mehr weiter gegen sich selbst zu kämpfen. Schwach und erschöpft presste er sich an sie und versuchte für einen Moment bei ihr Frieden zu finden. Sanft strichen ihre Finger über sein Haar. Langsam sickerte die Erkenntnis zu ihm durch, dass ihre Berührung, ihr Geruch und ihre Wärme zu real für die grausamen Streiche seiner Gedanken waren. Dennoch traute er seinen eigenen Sinnen noch nicht genug. Still und reglos verweilte er, aber sie blieb bei ihm und verließ ihn nicht wie die unzähligen Male zuvor.
„Bist du wirklich hier?", krächzte er heiser vom Schreien und er spürte, wie sie ihn enger an sich zog.
„Ich bin hier, mein Herz und ich gehe nie mehr fort", versprach sie sanft und seine Gedanken klärten sich. Zum ersten Mal seit Wochen konnte er sich vollkommen entspannen und glitt in einen wohltuenden, traumlosen Schlaf.
Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, war sie immer noch da. Noch immer hüllten ihn ihre Arme wie eine schützende Decke ein. Ihre Finger zeichneten unsichtbare Muster auf sein Gesicht. Regelmäßig und stark schlug ihr Herz in ihrer Brust und fasziniert lauschte er diesem Geräusch, das ihm so viel echter vorkam als sein eigener Herzschlag. Träge wie ein Schlafwandler drehte er den Kopf, sodass er sie endlich wieder betrachten konnten. Sofort hielten ihre Hände inne. In ihren Augen las er nichts als Liebe und Verständnis. Wortlos richtete er sich auf und presste haltsuchend seine Lippen auf ihre. Sobald ihr berauschender Geschmack in seinem Mund explodierte, fühlte er sich wie ein Ertrinkender, der endlich die Oberfläche durchbrach und frische Luft bekam. Plötzlich zuckte sie zusammen und er löste sich zögerlich von ihr.
„Geht es dir gut?", fragte er besorgt und ihr leises Lachen vertrieb die letzten Fetzen Dunkelheit, die seine Gedanken trübte.
„Es ist das Kind", erklärte sie sanft und als er sie besorgt musterte, wurden ihre Augen weich. „Mittlerweile stupst es nicht mehr, sondern tritt ziemlich stark zu"
Wie zum Beweis legte sie seine Hand auf ihren Bauch und als das Kind sich bewegte, verstand er, was sie ihm zu beschreiben versucht hatte. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Langsam richtete sich sein Denken auf ihre Bedürfnisse ein und er fragte sich, wie lange sie wohl schon neben ihm auf dem kalten Boden saß. War die Luft nicht viel zu heiß und stickig? Mit einem Satz sprang er auf, zog die Vorhänge zurück und stieß das Fenster auf. Der Vollmond schien bleich und grell in seine Augen, während sanfte, frische Luft an ihm vorbei ins Zimmer strich. Fragend drehte er sich zu ihr um, aber sie saß reglos wie eine Statue auf der Stelle und beobachtete ihn. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sofort war er wieder bei ihr und bot ihr seine Hand an. Ihre zarten Finger suchten bei ihm Halt, während sie sich schwerfällig erhob. Wortlos führte er sie zum Bett und zog sie mit sich auf die ordentlich drapierten Laken. Sobald ihre Köpfe das Kissen berührten, fielen ihre Augen zu und sie schliefen eng umschlungen ein.
Das neckende Kitzeln der Sonnenstrahlen weckte ihn am nächsten Morgen und erleichtert spürte er das Gewicht von Aurelias Arm auf seiner Brust. Sie war immer noch bei ihm. Vorsichtig schlüpfte er aus dem Bett, warf sich eine Tunika über und band eilig seine Sandalen. Auf der Schwelle hielt er inne und drehte sich noch einmal zu ihr um. Ihre langen Haare ergossen sich wirr über ihrem Kissen und ihr Gesicht zeigte tiefen, inneren Frieden. Sie trug noch immer ihre Kleidung vom Vortag und kein Kleid der Welt würde ihre Schwangerschaft zum aktuellen Zeitpunkt noch verbergen können. Zurückzukommen musste sie viel Kraft gekostet haben.
Nach einer kleinen Ewigkeit konnte er sich von ihrem Anblick losreißen und geräuschlos begutachtete er den Schaden, den er vor zwei Tagen angerichtet hatte. Das Wohnzimmer wurde bereits von Aurelias Mädchen leise aufgeräumt. Vorsichtshalber schloss er die Tür seines privaten Arbeitszimmers ab. Die Dokumente, die er dort aufbewahrte, waren nur für Aurelias und seine Augen bestimmt. Sein Chaos würde er später beseitigen.
Vor der Tür zu seinen Gemächern fand er Suetonius und Clemens vor, letzterer konnte ihm kaum in die Augen sehen. Zunächst wollte Gaius darauf nicht weitereingehen, doch dann hielt er inne, drehte sich langsam zu Clemens um und musterte ihn abwartend. Clemens' Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab. Plötzlich hob er rückartig den Kopf und gestand leise: „Bitte verzeih mir, Gaius, dass ich deine Befehle missachtet habe. Sie war vollkommen verängstigt und hat gedroht eines der Pferde zu nehmen, wenn ich ihr nicht helfe. Ich konnte nicht riskieren, dass sie ihre Drohung in die Tat umsetzt"
Bei der Vorstellung lächelte Gaius still in sich hinein. Nichts und niemand konnte seine Frau aufhalten, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
„Mein Befehl lautete sie zu beschützen, nicht sie festzuhalten", meinte Gaius nachdenklich und seine Lippen verzogen sich zu einem feinen Lächeln. „Und genau das hast du getan, mein Freund. Sieh dich an, sogar in diesem Moment stehst du vor unserer Tür und führst deinen Befehl aus"
Clemens nickte erleichtert und Gaius machte auf dem Absatz kehrt. Eine gewaltige Aufgabe wartete auf ihn und er wusste, dass er sich ihr nur stellen konnte, weil dank Aurelia seine Gedanken endlich wieder klar waren. Für einen Moment zog er in Betracht Drusilla zu besuchen. Doch als ihm die Erinnerungen an ihr bleiches Gesicht und ihre leblosen Augen in den Sinn kamen, spürte er wie die Finsternis ihre gierigen Klauen nach ihm ausstreckte. Noch einmal würde er nicht in diesen Abgrund stürzen. Mit raschen Schritten marschierte Gaius in seine Bibliothek, schnappte sich die Schriftrollen, die er wollte und eilte in sein offizielles Arbeitszimmer, in dem Hesiod bereits auf ihn wartete.
„Ich will heute nicht gestört werden, schicke alle Besucher und Bittsteller fort", befahl Gaius, als er die Schriftrollen auf seinem Schreibtisch ablegte. „Informiere mich, sobald meine Frau wach wird"
„Soll ich sie wecken lassen, Herr?", fragte Hesiod leise und Gaius sah von seinen Schriftrollen auf.
„Nein", sagte er mit schneidender Stimme und fügte leiser hinzu: „Sie sieht aus, als hätte sie seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Sie braucht Ruhe und Schlaf"
Stundenlang vertiefte er sich in verschiedene Reden und versuchte verzweifelt die richtigen Worte für Drusilla zu finden. Ab und zu betrat Hesiod den Raum und übermittelte Agrippinas und Julias Fragen. Am liebsten hätte Gaius ihn irgendwann angeschrien, dass ihn die Farbe der Blumen und die Anzahl der Sänger nicht interessierten. Er wolle nur seine kleine Schwester zurück. Aber er blieb gelassen und war erleichtert, dass seine Schwestern in der Lage waren ihm zu helfen.
Gegen Mittag informierte Hesiod ihn, dass seine gesamte Familie eingetroffen war und die freien Gästezimmer bezogen, damit sie sich Drusillas Zug morgen anschließen konnten. Gaius nickte nur, ohne von seinen Notizen aufzublicken.
Am späten Nachmittag war er mit seiner Rede zufrieden und begann sie auswendig zu lernen. Als sich die Sonne langsam dem Horizont näherte, stand er auf und gab Hesiod zu verstehen die Schriftrollen zurück an ihren Platz zu bringen. Seine Rede hatte er verinnerlicht. Taub und blind erreichte er seine Gemächer und als er das Schlafzimmer betrat, tanzten die Strahlen der untergehenden Sonne auf Aurelias Haaren. Sie schlief noch immer. Erleichtert stellte er fest, dass die dunklen Schatten unter ihren Augen beinahe vollkommen verschwunden waren. Gerade als Gaius auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schleichen wollte, schlug sie blinzelnd die Augen auf und als sie ihn entdeckte, schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln.
„Guten Morgen", begrüßte sie ihn und unterdrückte ein Gähnen. Belustigt beobachtete er, wie sie sich langsam aufsetzte und entschied sich dagegen sie aufzuziehen. Sie sah immer noch erschöpft aus. Statt sich über sie lustig zu machen, erkundigte er sich, ob sie Hunger habe. Aurelia legte den Kopf schief, runzelte die Stirn und horchte tief in sich hinein. Dann nickte sie langsam und fragte: „Kakao kommt aus Lateinamerika, oder?"
Irritiert runzelte Gaius die Stirn. Ihre Worte ergaben keinen Sinn. Aurelia nickte nur, erhob sich schwerfällig und begann sich die Haare zu bürsten.
„Wie geht es dir?", erkundigte sie sich besorgt und musterte ihn eindringlich. Gaius zuckte mit den Achseln.
„Wie soll es mir gehen?", murmelte er mit belegter Stimme. „Ich habe nicht mehr das Gefühl zu versinken"
Mitten in der Bewegung hielten ihre Finger inne und erst jetzt bemerkte er, wie stark sie zitterte. Langsam kam er auf sie zu, nahm er ihr die Bürste aus der Hand und ließ sie sanft durch ihre zerzausten Haare gleiten. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie..."
Doch seine Stimme brach und er versuchte seine Trauer beiseite zu schieben. Morgen würde er sie in seine Rede fließen lassen, so konnte er etwas erschaffen und verursachte nicht nur Zerstörung. Zögerlich legte Aurelia ihre Arme um ihn und schmiegte sich an ihn.
„Ich bin froh, dass du hier bist", gestand er leise und sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Das Abendessen mit seiner Familie war das Stillste, dem er je beigewohnt hatte. Niemand sagte ein Wort, weil jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Agrippina hatte sich entschuldigen lassen und Julia stand mitten im dritten Gang auf und verließ wortlos den Raum. Gaius nahm den Geschmack der verschiedenen Gerichte nicht wahr. Irgendwann waren nur noch Aurelia und er im Raum. Missmutig musterte sie den Nachtisch – globuli, seine Großmutter liebte das Rezept von Cato Maior.
„In Tusculum hat mir dein Koch zu jedem Essen diese Dinger serviert", meinte Aurelia und kräuselte die Lippen. Nachdenklich nahm er sich eines der Bällchen. Aurelia seufzte nur und murmelte etwas Unverständliches.
„Lass uns zu Bett gehen", schlug Gaius nach einer Weile vor und Aurelia nickte träge. Hand in Hand verließen sie das Triclinium.
Am nächsten Morgen war Aurelia fort, als er aufwachte. Suchend setzte er sich auf und suchte mit den Augen das Zimmer ab. Auf seiner Truhe lag bereits seine schwarze Toga bereit. Antriebslos starrte er auf das dunkle Gewand. Zaghaft langsam öffnete sich die Tür und Aurelia trat leise ein. Träge hob er den Kopf und musterte sie. Ihre Haare waren noch leicht feucht von dem Bad, das sie soeben eingenommen hatte. Ihre Haut schimmerte sanft im warmen Sonnenlicht. Warum konnte es an einem Tag wie heute nicht in Strömen regnen?
Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt, wodurch ihre helle Haut und die widerspenstigen Haarsträhnen, die aus dem ricinium lugten, noch heller wirkten. Als sie sich die widerspenstigen Strähnen aus dem Gesicht strich, blitzte ihre Ehering auf. Anderen Schmuck trug sie nicht.
„Es ist Zeit, Liebster", flüsterte sie sanft und setzte sich auf die Bettkante. Seufzend schloss er die Augen und rang um Atem. Er hörte, wie Aurelia neben ihm das Gewicht verlagerte und im nächsten Moment spürte er ihre weichen Lippen an seinem Hals. Einen Augenblick genoss er ihre Nähe und Wärme, dann riss er die Augen auf und schlug die Bettdecke zurück.
„Ich warte im Atrium auf dich", raunte sie. „Lass dir Zeit"
Der Stoff rasselte, ihre Schritte hallten von den Wänden, die Tür klickte leise ins Schloss. Dann war sie fort. Still und mit gesenkten Köpfen betraten seine Sklaven das Zimmer und halfen ihm in seine Toga. Mit jeder Falte, die um ihn drapiert wurde, sickerte langsam die Erkenntnis zu ihm durch, dass er sich gerade tatsächlich auf die Beerdigung seiner kleinen Schwester vorbereitete. Sie war wirklich tot. Sie würde nie wieder schamlos mit Senatoren flirten, während deren Ehefrauen danebenstanden. Sie würde ihn, Agrippina und Julia nie wieder nach draußen zerren, damit sie im Regen tanzten. Sie würde nie wieder die Augen verdrehen, wenn er sich mehr wie ihr Vater aufführte und nicht wie ihr vier Jahre älterer Bruder. Sie würde ihn nie wieder mit einer ihrer skurrilen Geschichten zum Lachen bringen. Drusilla war tot, weil er sie nicht beschützen konnte, obwohl er es seinem Vater versprochen hatte.
Wie ein Schlafwandler lief er aus den Gemächern und durch die vertrauten Gänge. Obwohl im Atrium seine ganze Familie ganz in Schwarz gehüllt versammelt war und auf ihn wartete, nahm er nur Aurelia wahr. Keine Träne rann über ihr Gesicht, dennoch strahlten ihrer Züge eine tiefe, stille Trauer aus. Fragend bot sie ihm ihre Hand an und sofort schob er seine Finger zwischen die ihren. Ihre Berührung war warm und vertraut und der Schmerz in seinem Inneren ließ ein kleines bisschen nach. Irgendwie würde er den Tag durchstehen. Mit ihr an seiner Seite.
Am Rande registrierte er die vielen Menschen, die mit trauernden Gesichtern ihren Zug beobachteten. Die meisten schlossen sich ihnen an. Die Gesänge der Klagefrauen waren so niederschmetternd, dass mit jedem Schritt seine Maske mehr und mehr zu verrutschen drohte. Agrippina schluchzte leise vor sich hin, Julia machte sich nicht einmal die Mühe ihre Gefühle im Zaum zu halten. Aurelia lief still und ruhig neben ihm her und gab ihm Halt. Ab und zu blickte er auf die Barre, auf der seine kleine Nichte und Drusilla lagen und für alle eine letzte Illusion von Leben erschufen. Zum Glück konnte Gaius nicht die Träger mit den Totenmasken seiner Ahnen sehen – er wusste auch so, dass heute zu viele Geister aus seiner Vergangenheit an einem Ort versammelt waren. Bald würde Drusilla sich zu diesen Schatten gesellen.
Auf dem Forum Romanum kam der Zug zum Stehen und Gaius holte tief Luft. Seinem Volk musste er sich allein stellen. Langsam ließ er Aurelias Hand los und erklomm die Stufen der Rostra. Vor ungefähr einem Jahr hatte er schon einmal an dieser Stelle gestanden und eine laudatio funebris auf einen verstorbenen Verwandten gehalten. Dieses Mal waren die Tränen, die ihm über die Wangen liefen, echt. In Gedanken lief Gaius die verschiedenen Räume in seinem Zuhause durch, denn er hatte jeden Bestandteil seiner Rede einem bestimmten Raum zugeteilt. In seiner Fantasie füllte Aurelia jeden dieser Räume mit Leben und Licht. Ihr sanftes Lächeln bestätigte ihn weiterzumachen. Als er die Rede auf seine Schwester beendet hatte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und es war drückend heiß. Zum Dank für seine Anteilnahme nickte er seinem Volk zu, dann verließ er die Rostra und gesellte sich wieder zu seiner Frau. Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn.
„Geht es dir gut?", erkundigte er sich besorgt und ergriff ihre Hand. Aurelia drückte beschwichtigend seine Hand und wischte sich mit ihrer anderen Hand die Tränen aus dem Gesicht. In seiner vertrauten, würdevollen Gemächlichkeit setzte sich der Zug erneut in Bewegung. Schweigend folgte ihnen die Menge aus der Stadt.
Als Aurelia und er den Scheiterhaufen erreichten, wurde die Barre bereits darauf drapiert. Kurz darauf reichte ihm ein Sklave eine Fackel und Gaius trat mit klopfendem Herzen aus dem Schutz seiner Familie auf den Scheiterhaufen zu. Sein Blick fiel auf Drusillas bleiches Gesicht. Die Menschenmenge verschwand. In ihren Armen lag seine winzige Nichte, die nur wenige Minuten auf dieser Erde gelebt hatte. Mutter und Tochter sahen so friedlich aus, fast so als würden sie schlafen. Mors soror somni est, kam ihm in den Sinn. Der Tod ist des Schlafs Bruder. Sanfte Finger schlossen sich um die Fackel und wandten sie ihm bestimmt aus der Hand. Die Flammen tauchten ihr Gesicht in ein unheimliches Licht.
„Sei gegrüßt und lebe wohl, Schwester", wisperte sie mit bebender Stimme. In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie die Fackel auf den Scheiterhaufen fallen ließ und er konnte sie gerade noch rechtzeitig fortziehen, bevor die Ölsäckchen explodierten und die menschliche Hülle seiner Schwester in Flammen aufgingen. Langsam löste sich die Menge auf. Die Klagefrauen fielen in eine noch schwermütigere Ballade, während er im Kreis seiner Familie im Schatten einer alten Eiche beobachtete, wie Drusilla und ihr Kind von den Flammen verzehrt wurden. Er spürte seinen Schmerz und hieß ihn wie einen alten Freund willkommen, aber er wurde von ihm nicht überwältigt.
Als ein Sklave Marcus die Überreste seiner Frau und seiner Tochter in Form einer schmucklosen Urne in die Hände drückte, spürte Gaius, wie seine Tränen langsam versiegten. Drusilla war in das Reich der Schatten übergetreten.
Ein Monat war seit Drusillas Tod vergangen und sie fehlte. Nachts lag er oft wach und erzählte Aurelia Geschichten aus seiner Kindheit. Die Erinnerungen halfen ihm mit seiner Trauer umzugehen.
Seine Ironie verbergend ließ er seinen Blick über die versammelten Senatoren sitzen. Denn heute war der Tag gekommen, nach dem er sich vor einem Monat so sehr gesehnt hatte. Der Tag der letzten Sitzung des Senats vor der Sommerpause. Nun kam ihm Aurelias Abwesenheit wie ein böser Traum vor.
Betont würdevoll stand Gaius von seinem kurulischen Stuhl auf und hob die Hand. Sofort verstummten die versammelten Senatoren.
„Lasst uns beginnen, meine Herren", sagte er und erteilte seinem zweiten Konsul das Wort. Die Diskussion war noch nicht lange im Gange, als es im Tempel plötzlich dunkler wurde. Irritiert blickte Gaius durch die geöffneten Tore hinaus auf das Forum. In diesem Moment begann es in Strömen zu regnen. Aus der Ferne grollte Donner. Sein Blick fiel aus Vespasian, der Vespasius Pollio etwas ins Ohr flüsterte, der sich daraufhin umdrehte und das plötzliche Unwetter beobachtete. Im nächsten Moment brach das Chaos los. Alles stürmte zum Ausgang.
„Genug!", schrie Gaius und endlich kehrte wieder Stille ein. Freundlicher fügte er hinzu: „Beruhigt Euch, meine Herren. Lasst uns warten bis das Gewitter vorübergezogen ist und die Abstimmung danach fortsetzen"
Unter zustimmendem Gemurmel gingen die Senatoren zurück auf ihre Plätze und überall entflammten Gespräche. Hoffentlich ist das Gewitter bald vorüber und ich kann zurück nach Hause, dachte Gaius und massierte sich die pochenden Schläfen.
Nach einer Weile erhob er sich von seinem Stuhl und schlenderte auf den Ausgang zu. Dort war die Luft klarer und kühler. Was für eine Erleichterung nach der Schwüle der vergangenen Wochen. Fasziniert beobachtete Gaius die Blitze, die über den Himmel huschten. Schon bald verlor er jegliches Zeitgefühl.
Grell und krachend schlug ein Blitz in der Nähe seines Hauses ein und obwohl er an die alten Geschichten nur wenig glaubte, hatte er das Gefühl, dass Jupiter ihm in diesem Augenblick ein Zeichen gesandt hatte. Nur welches wusste er noch nicht.
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