Kapitel 60 ~ Luce et tenebris
Kaum tauchte der erste Stern Rom in sein bleiches Licht, setzten Aurelias Wehen ein und energische Frauenhände schoben Gaius aus ihrem Schlafzimmer. Bevor die Tür mit einem endgültigen Knall ins Schloss fiel, konnte er einen letzten Blick auf das Gesicht seiner Frau erhaschen. Obwohl ihr Körper bereits von einer weiteren Welle des Schmerzes erfasst worden war, schenkte sie ihm ein letztes, zuversichtliches Lächeln. Sie würde es schaffen. Dieser Gedanke gab ihm die Kraft auf dem Absatz kehrt zu machen und sich ruhig in sein öffentliches Empfangszimmer zurückzuziehen, welches am weitesten von ihren privaten Gemächern entfernt lag.
Doch aus Minuten wurden Stunden. Einer nach dem anderen funkelten die restlichen Sterne auf und bildeten ein leuchtendes Meer bis zum Horizont. Die Luft war klar und mild.
Das Warten und ihre ebenso grausame Freundin die Ungewissheit spielten ihm Streiche. Jegliches Zeitgefühl schwand dahin. Irgendwann tauchte Vespasian mit einer Flasche Wein auf, die keiner von ihnen beiden anrührte. Von ganzen Herzen war Gaius Vespasian für seinen Beistand dankbar, jedoch hielt ihm die Gesellschaft seines Freundes nur seine eigene Hilflosigkeit in dieser Situation vor Augen.
Manchmal meinte er Aurelias gequälte Schreie durch die dicken Mauern hören zu können und Gaius ertappte sich jedes Mal bei einem Stoßgebet an die Götter. Sie durften ihm Aurelia nicht nehmen.
Langsam verblassten die Sterne am Himmelszelt und die Dämmerung brach an. Noch immer keine neue Nachricht von Aurelia. Noch immer wartete er nervös mit Vespasian. Jeder Versuch einer Ablenkung scheiterte. Immer wieder kehrten seine Gedanken zurück zu ihr und dem Kind.
Als sich die Tür mit dem ersten Sonnenstrahl öffnete, blickten die wartenden Freunde zeitgleich erwartungsvoll zur Tür. Auf der Schwelle stand nur unbeholfen Hesiod und brachte zögerlich die Frage hervor, ob Gaius heute Bittsteller empfangen möchte. Mit ihm gelangten die hektischen Geräusche der Sklavinnen in den Raum, welche die Gebärende unterstützend durch das ganze Haus eilten. Müde fuhr sich Gaius durchs Haar.
„Lass heute niemanden ein!“, befahl er, der Freigelassene nickte mit ausdrucksloser Miene und schloss die Tür geräuschlos hinter sich. Stille senkte sich über den Raum. Während Vespasian schwieg, nahm sich Gaius ein Papyrus. Doch nachdem er eine halbe Stunde auf die gleiche Wortgruppe gestarrt hatte, ohne deren Sinn auch nur ansatzweise zu erfassen, legte er das Schriftstück zurück an seinen Platz, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und blickte aus dem Fenster. Mittlerweile war die Stadt um sie herum zu Leben erwacht. Nur die Welt seines kleinen Zimmers schien still zu stehen.
Ein leises Klopfen an der Tür zerstörte diese kleine Welt. Auf der Schwelle stand eine junge Sklavin, fast noch ein Kind. Das Gesicht gezeichnet von Müdigkeit und Nervosität. Leise bat sie ihn ihr zu folgen. Irgendetwas war mit Aurelia. Sofort sprang Gaius von seinem Stuhl auf, vergaß seine Würde und begann er zu rennen. Sein ganzes Denken wurde von ihr beherrscht.
Als Gaius ihre Gemächer betrat, wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Frauen mieden seinen Blick, niemand forderte ihn auf zu gehen oder trat auf ihn zu und lieferte ihm eine Erklärung. Da waren keine Glückwünsche, keine Freude, nur angespannte Ruhe. Mit rasendem Herzen durchquerte Gaius die vertrauten Räume, ohne diese wahrzunehmen, bis er endlich ihren Schlafbereich erreichte. In der Mitte des Raumes stand der nun leere Gebärstuhl, auf der Bettkannte saßen seine Schwestern und kümmerten sich still um Aurelia. Drusilla, die Aurelias Gestalt zum Großteil mit ihrem eigenen Körper verdeckte, hielt eine Schale mit Wasser, Agrippina wrang darüber gerade ein Tuch aus, während Julia einfach nur ihre Hand hielt. Sofort hob Julia den Blick, entdeckte Gaius und nickte ihren Schwestern zu. Agrippina legte das Tuch zurück in die Schale, welche Drusilla auf einem Beistelltisch abstellte. Als sie sich zur gleichen Zeit erhoben, raschelten ihre Gewänder leise. Eine nach der anderen verließen sie den Raum und ihre Hände, die sanft über seinen Oberarm strichen, spürte Gaius kaum. Seine ganze Aufmerksamkeit zog Aurelias müdes, blasses Gesicht auf sich. Obwohl sie furchtbar erschöpft aussah, leuchteten ihre Augen auf, als sie ihn sah.
Im nächsten Moment war er bei ihr, setze sich auf die Bettkante und versuchte seine Angst zu unterdrücken. Aurelia war nicht Junia. Aurelia war so, so viel stärker. Doch ihre aufgesprungenen Lippen, die wirren Haare, die kleinen Schweißperlen auf ihrer Stirn und ihre Blässe feuerte seine Angst nur weiter an. Vorsichtig legte er ihr seinen Handrücken auf die Stirn und erschrak. Sie glühte vor Fieber. Bevor er seine Hand wegziehen konnte, schlossen sich ihre zarten Finger um seine und zogen sie auf ihre Wange.
„Es ist ein Junge“, wisperte Aurelias Stimme sanft und ihre wunderschönen Augen funkelten. „Unser wunderschöner, kleiner Junge“
Während Gaius seine Frau betrachtete, wusste er nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Aurelia schluckte und ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln.
„Die Hebamme meinte, ich habe zu viel Blut verloren“, fuhr sie fort und die Angst packte sein Herz mit ihrem stählernen Griff. „Pass gut auf ihn auf, Gaius und versprich mir, dass du ihn lieben wirst, ganz gleich was auch passiert“
Eine Träne schlüpfte aus seinem Augenwinkel und Aurelia wischte sie zärtlich fort. Fordernd streckte sie die Arme nach ihm aus und während er in den Tiefen ihrer Augen versank, vergaß er für einen Moment alles andere. Sofort schlüpfte er neben sie ins Bett und legte behutsam seine Arme um sie. Sofort entspannte sich sein Körper.
„Ich wünschte, wie hätten mehr Zeit“, murmelte Aurelia und Gaius sog begierig den Anblick ihres wunderschönen, ausgelaugten Gesichts in sich auf. Sie durfte ihn nicht verlassen.
„Bitte bleib bei mir“, flehte er sie an, doch es war zu spät. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Mit einem Schrei fuhr Gaius aus dem Schlaf hoch und für einen Moment wusste er nicht, wo er war. Verzweifelt tasteten seine Hände im Dunkeln nach ihr, aber die andere Seite des Bettes war leer und kalt. Weinend wälzte er sich auf ihren Teil des Bettes und vergrub das Gesicht in ihrem Kissen. Der daran noch haftende Geruch stieg ihm in die Nase und betörte seinen Geist. Nach einer Weile tauchte Gaius aus ihrem Kissen wieder auf. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und sein Blick fiel auf ihren Nachtisch. Neben einem halbleeren Glas lag ein aufgeschlagener Codex.
Langsam sickerte die Erkenntnis zu ihm durch, dass er einfach nur sehr, sehr schlecht geträumt hatte. Aurelia ging es gut. Erleichtert sank Gaius zurück auf ihr Kissen, nur um zugleich erneut vor Schreck aufrecht im Bett zu sitzen. Wo war sie? Um Fassung ringend rief er nach ihr. Vielleicht hatte sie keinen Schlaf gefunden und beschäftigte sich in seinem privaten Arbeitszimmer. Mit klopfendem Herzen wartete er auf eine Antwort, doch beklemmendes Schweigen umgab ihn. Voller Panik sprang er aus dem Bett, streifte sich achtlos die Tunika über, welche er am Vorabend sorgfältig auf seiner Kommode abgelegt hatte und rannte barfuß durch jedes einzelne Zimmer ihrer Gemächer. Wo er auch suchte, entdeckte er nichts als Leere, Stille und Kälte. Keuchend riss er die schwere Eingangstür auf und musterte die Wachen. Sie waren nur zu dritt. Wo zur Hölle steckte der Vierte von ihnen?
Vor ihnen setzte Gaius sofort eine freundliche, ruhige Miene auf und erkundigte sich, ob einer von ihnen seine Frau gesehen hatte. Der Jüngste der Prätorianer, Gnaeus Pompinius, blickte stur gerade aus, während er militärisch zackig antwortete: „Sie hatte Hunger und war auf dem Weg zur Küche. Clemens hat sie dorthin begleitet“
Dankbar nickte Gaius, schlug im Schlendertempo den Weg zur Küche ein und konnte seine Ungeduld gerade noch im Zaum halten, bis er um die nächste Ecke gebogen war. Den restlichen Weg rannte er. Schon von Weitem drang ihm ein köstlicher Geruch in die Nase, den er so noch nie zuvor gerochen hatte. Bald schon mischten sich die Klänge von brodelnden Töpfen darunter.
Durch die geöffnete Küchentür fiel helles Licht in den trüb von Fackeln beleuchteten Gang zu Clemens, der geduldig wartend mit erhobenem Schwert auf der Schwelle stand. Sobald er Gaius jedoch erkannte, senkte der Prätorianer sein Schwert, nickte verlegen und machte ihm den Weg frei. Als Gaius neben ihn trat, öffnete Clemens den Mund, doch Gaius legte ihm rasch die Hand auf den Unterarm. Was auch immer Clemens ihm sagen wollte, es musste warten. Im ersten Moment überwältigte Aurelias Anblick Gaius. Obwohl sie mit dem Rücken zu ihm stand, wusste er, dass sie lächelte. Ihr ganzer Körper strahlte vor Leben und Glück. Ihre Haare ergossen sich in einem golden schimmernden Wasserfall bis zu ihrem Hintern, die leichte Tunika umschmeichelte ihren göttinnengleichen Körper. Gerade unterhielt sie sich mit einer müde, aber zufrieden dreinblickenden Küchensklavin und rührte mit einem langen Holzlöffel in einem der Töpfe. Langsam betrat Gaius den Raum. Als die Sklavin ihn entdeckte, senkte sie rasch den Blick und wich einen Schritt zurück. Bevor Aurelia sich verwirrt zu ihm umdrehen konnte, schloss er seine Arme um sie und vergrub das Gesicht an ihrer Schulter. Ihr zarter Rücken schmiegte sich an seine Brust und ihre Hand fuhr ihm sanft durchs Haar, während Gaius einfach nur ihren Duft tief inhalierte und vollkommen genoss, sie einfach nur lebendig in seinen Armen halten zu können. Es ging ihr gut. Sie war immer noch bei ihm. Nichts anderes zählte für ihn in diesem Moment.
Vorsichtig zog sich ihre Hand aus seinen Haaren. Dann spürte er, wie sie sich erst ein Stückchen von ihm entfernte, nur um sich kurz darauf umschlossen von seinen Armen ganz zu ihm zu drehen. Fragend bohrten sich ihre meerblauen Augen in die seinen und Gaius verlor sich in ihren Tiefen. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Wange und fragte im Flüsterton, ob er geweint habe. Unfähig auch nur einen Mucks herauszubekommen, zog er sie anstelle einer Antwort nur noch enger an sich, schmiegte das Gesicht an ihren schlanken Hals und schloss die Augen. Zögerlich schlossen sich ihre Arme nun um ihn. Ihre Finger begannen langsam und beruhigend über seinen Rücken, seine Arme und seine Schultern zu wandern. Er ahnte, dass ihr kluger Geist verzweifelt nach einer Erklärung für sein Verhalten suchte und war dankbar, dass sie ihn nicht bedrängte, sondern einfach nur bei ihm war. Am liebsten würde er diesen Moment einfrieren und ewig darin leben. Was kümmerten ihn mögliche Grenzüberschreitungen germanischer Stämme am Rhein oder potenzielle Unruhen am Rande der Provinzen? Das hier, sie beide, verankerte ihn in dieser Welt und gab ihm die Kraft eine bessere Welt zu erschaffen. Für sie. Für das Kind. Für sich selbst. Ohne sie hätte er bereits die Dunkelheit in sich Willkommen geheißen und sich von ihr in den Wahnsinn treiben lassen. Denn ohne sie bestand sein Leben aus purem, dunklem, alles zerstörenden, unberechenbaren Wahnsinn.
Nach einer Weile war er wieder in der Lage zu sprechen. Langsam lockerte er seinen Griff um ihren Körper. Sein Mund wanderte nur wenige Zentimeter über ihrer nackten Haut zu ihrem Ohr und registrierte dank seiner gründlichen Ausbildung sofort ihre Reaktion auf ihn. Ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper, ihre Atmung beschleunigte sich, ihre Lippen öffneten sich leicht und ihre Pupillen weiteten sich.
„Du bist immer noch bei mir“, wisperte er und konnte seine eigene Verblüffung nicht verbergen. Aurelia lachte leise und legte eine Hand auf ihren langsam wachsenden Bauch. Bald würde jeder ihren Umstand sehen können.
„So schnell wirst du uns auch nicht los“, murmelte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und presste ihre Lippen fordernd auf seine. Nur zu gern ließ er sich fallen und sie sorgte dafür, dass er diese grauenhafte Nacht vergaß.
„Was war so wichtig, dass du dich mitten in der Nacht in die Küche schleichen musst?“, fragte er und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Aurelia biss sich auf die Unterlippe und blickte verlegen beiseite. Sanft umfasste er ihr Gesicht und küsste sie zärtlich.
„Ich hatte Lust auf Pasta“, gestand sie und Gaius legte stirnrunzelnd den Kopf schief. Hatten nicht der gestrige zweite Gang des Abendmals aus gemästetem Huhn bestanden? Und wenn sie Huhn essen wollte, wo war dann das Huhn? Irritiert musterte Gaius einen hellen Haufen Teigfäden. Leise kichernd kramte Aurelia einen Teller heraus und stellte ihn neben einem weiteren auf der Arbeitsfläche ab. Danach richtete sie die Teigfäden gefühlvoll mit einer Mischung aus Hackfleisch und Gemüse an. Sobald sie mit ihrem Ergebnis zufrieden war, reichte sie ihm einen Teller und kramte im Besteck. Plötzlich schlug sie sich mit der Handfläche gegen die Stirn und fluchte. Die Furche auf seiner Stirn vertiefte sich vor Irritation. Verlegen blickte Aurelia über die Schulter zu ihm.
„Gabeln wurden ja noch nicht erfunden“, meinte sie, wandte sich ihrem Teller zu als wäre dies als Erklärung genug. Skeptisch nahm Gaius einer dieser Teigfäden mit spitzen Fingern von seinem Teller und beäugte sie.
„Was genau ist das?“, fragte er, ließ den Faden zurück auf seinen Teller gleiten und schaute seine Frau verwirrt an.
„Das, mein Herz“, proklarierte sie feierlich. „Kommt am ehest an ein Gericht aus meiner Zeit heran. Wir nennen es Spaghetti al Ragù oder Bolognese. Im Grunde sind Spaghetti solche Nudelteigfäden. Die Soße besteht aus Tomaten, Hackfleisch und dem Gemüse, welches sich auf deinem Teller befindet. Leider gibt es in dieser Zeit nicht alle Zutaten, aber ich hoffe, es schmeckt dir“
Mit diesen Worten begann sie vorsichtig die Fäden – Spaghetti – in kleine Nester zusammenzurollen und langsam zu essen. Mit jedem Bissen verzogen sich ihre Lippen immer mehr zu einem glücklichen Lächeln. Gaius‘ Neugier besiegte seine Skepsis und Aurelia imitierend kostete er das Gericht. Es schmeckte wirklich gut.
Als sie ihre Teller in die Spüle stellten und sich die Hände wuschen, fragte Gaius leise, weshalb es manche Zutaten in dieser Zeit nicht gab. Die ganze Zeit hatte er darüber gegrübelt, aber keine seiner Ideen machte wirklich Sinn. Aurelia wich seinem Blick aus.
„Viele Dinge wie Nahrungsmittel stammen aus Gegenden, die noch nicht erschlossen worden sind“, erklärte sie und ihr Blick schweifte nachdenklich in die Ferne. „Aber ich bin keine Ernährungshistorikerin und habe mich nie wirklich mit der Herkunft der Lebensmittel beschäftigt, die für mich alltäglich waren und dass sie nicht ursprünglich aus Europa stammen, ist mir erst aufgefallen, als sie mir nicht mehr zur Verfügung standen“
„Vermisst du deine Zeit?“, fragte er leise und er spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte. Endlich erwiderte Aurelia seinen Blick. Zögerlich trat sie zu ihm und legte ihre Hände auf seine Brust.
„Ich vermisse meine Eltern, meine Familie und meine Freunde“, gestand sie leise. „Und ja, manchmal fehlen mir normale, alltägliche Dinge wie Tomaten, Kaffee, Strom oder mein Handy. Aber noch nie hat sich etwas in meinem Leben so gut und richtig angefühlt wie hier bei dir zu sein. Hier gehöre ich her. Selbst wenn ich einen Weg finden würde zurückzukehren, so würde ich dennoch bleiben“
Sofort war ihm leichter ums Herz und glücklich schloss er seine Arme um sie. Eine Weile verharrten sie so schweigend, bis Aurelia ein kleines Gähnen entfuhr.
„Lass uns wieder ins Bett gehen“, murmelte Gaius und Aurelia nickte. Hand in Hand kehrten sie in ihre Gemächer zurück.
Ein paar Tage später schlenderte Gaius ausgeruht in sein Empfangszimmer und registrierte erleichtert, dass der Raum leer war. Seit dem kleinen Zwischenfall mit Ennia hatten Clemens und Lucius Suetonius, der zweite Prätorianerpräfekt, ein vollkommen neues Sicherheitskonzept für Aurelia und ihn entwickelt. Schmunzelnd erinnerte sich Gaius an Aurelias Gesicht, als sich Suetonius bei ihr vorgestellt hatte. Für einen einzigen Wimpernschlag war sie vollkommen sprachlos gewesen und hatte den Mann, der vor ihr stand, überrascht angeblinzelt. Gaius nahm sich vor, Aurelia heute Nacht nach dem Grund für ihre Überraschung zu fragen.
Langsam trat Gaius ans Fenster und blickte hinaus in die herrlichen Gärten, welche nach Augustus‘ Wünschen gestaltet worden waren. An manchen Tagen würde Gaius am liebsten den ganzen Palast einreißen und einen vollkommen Neun errichten, der den vorherigen in seiner Pracht in den Schatten stellte. Aber er hatte auf Capri mitansehen müssen, wie eine wunderschöne, alte, ehrwürdige Villa für eine von Tiberius‘ Geschmacklosigkeiten abgerissen worden war. Dieser Palast, das Haus des Augustus, war vielleicht schlichter als Gaius‘ Geschmack, aber er war gefüllt mit Geschichte. Vor genau diesem Fenster hatte einst der große Augustus gestanden, während sich das gleiche Atrium mit Bittstellern füllte, von denen er die Meisten in diesem Raum empfangen hatte. Wer war Gaius schon, dass er es wagte die Spuren dieses großen Mannes zu verwischen?
Das leise Knarren der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Ruhig drehte er sich um. Auf der Schwelle stand Aurelia und überflog eine Wachstafel. Seit sie ihm von den Universitäten ihrer Zeit erzählt hatte, brannte in ihm der Wunsch ein solches Zentrum der Wissenschaft in Rom zu erschaffen, welches Alexandria den Rang ablaufen würde. Jeden Morgen kam Aurelia vor seinem ersten Besucher und sie besprachen ihre Idee. Wenn sie dem Senat ein halbfertiges Konzept vorlegten, würden ihre Ideen Hirngespinste bleiben.
„Hast du dich mittlerweile für einen der möglichen Standorte der Bibliothek entschieden?“, fragte Gaius und Aurelia blickte von ihrer Wachstafel auf. Doch bevor sie antworten konnte, drängte sich ein schwer atmender, junger Sklave an ihr vorbei und fuchtelte aufgeregt mit einem Schriftstück vor Gaius‘ Gesicht herum. Gaius schluckte seinen Unmut herunter und erkundigte sich freundlich, was der Junge ihm da mitgebracht hätte.
„Es ist ein Brief von Eurem Onkel, Herr“, erklärte der Junge aufgeregt. Wahrscheinlich bildete Hesiod ihn zum Sekretär aus und fast schon tat Hesiod ihm leid. Der Junge hatte noch eine Menge zu lernen und für eine Menge Arbeit sorgen. Mit einem knappen Nicken nahm Gaius den Brief an und der Junge eilte aus dem Raum. Anscheinend hatte er diese Lektion bereits verinnerlicht. Ein Brief von Claudius war in der Tat etwas höchst Ungewöhnliches. Für gewöhnlich unterhielt er sich mit Claudius auf ihren Gastmählern. Interessiert entrollte Gaius den Brief und begann zu lesen. Fassungslos starrte er auf die ordentlich geformten Buchstaben.
„Was ist los?“, fragte Aurelia beunruhigt und trat zu ihm. Mit zitternden Händen reichte ihr Gaius den Brief seines Onkels.
„Sie haben den Termin für die erste Verhandlung des Prozesses gegen Macro angesetzt“, erklärte Gaius, während sie las. Langsam ließ Aurelia den Brief sinken und blickte mit großen Augen zu ihm auf.
„Morgen“, wisperte sie und schlang die Arme um ihn. Ab morgen würde der Senat und das Volk von Rom erkennen, wer an der Spitze des Staates stand.
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