Kapitel 4 ~ Goldenes Gefängnis
Verschlafen öffnete er die Augen. Allmählich begann sein Rücken von seiner Liege zu schmerzen. Sie war nun mal zum Essen und nicht zum Schlafen gedacht. Wehmütig streifte sein Blick auf sein wunderbares, weiches Bett, auf dem das Mädchen immer noch schlief. Der Becher auf dem Stuhl, den er vorübergehend als Tisch für sie genutzt hatte, war leer. Lächelnd stand er auf und warf sich seine Tunika über. Rasch machte er sich frisch und kämmte seine Haare.
Bevor er sein Zimmer verließ, gestattete er sich noch einen letzten Blick auf die Schöne. Noch immer schlief sie friedlich. Die gutmütige Sophia hatte ihm furchtbar zugesetzt, als sie die nassen Kleider bemerkt hatte. Er hatte sogar sein eigenes Zimmer verlassen müssen, als sie der Kranken die Kleidung ausgezogen und sie in eine dünne Tunika steckte. Aber er hatte eingesehen, dass ihre nasse Kleidung das Fieber wohl nur verschlimmerte. Auch wenn er dies vor Sophia niemals freiwillig zugeben würde. Die alte Sklavin erinnerte ihn irgendwie an seine Großmutter und das behagte ihm überhaupt nicht.
Widerwillig machte er sich auf den Weg zu seinem Großonkel, der ihn auch schon zu einem seiner weiteren Vergnügungen erwartete. Wie immer setzte er seine Maske auf und sagte nur das, was sein Onkel von ihm hören wollte. Er lachte über dessen Witze, spottete, sofern es ihm sicher erschien und schmeichelte dem alten Lüstling pausenlos, aber mit dem Herzen war er nie ganz dabei. Er war ein Schauspieler, aber er war noch lange nicht diese herzlose, kalte, gebrochene Spielfigur, die sein Onkel in ihm sehen wollte.
Zur siebten Stunde des Tages durfte er sich in sein Zimmer zurückziehen, da sein Onkel nun allein mit seinen Fischlein in seinen neuen Teichen spielen wollte.
Schon während er das Zimmer betrat, bemerkte er sofort, dass etwas anders war. Sie lehnte am Fensterrand, einen aufgeschlagenen Codex in der Hand und starrte konzentriert auf die Seite, so als wollte sie die Buchstaben zwingen ihr die ganze Geschichte zu offenbaren. Als er die Tür hinter sich schloss, sah sie auf und musterte ihn. Je länger sie sich anstarrten, desto klarer wurde ihr Blick, als würde sie aus der Welt des Codex langsam aufwachen.
Ohne Hast schlenderte er auf sie zu und legte schließlich die Hand auf ihre Stirn. Obwohl sie unter seiner Berührung zusammenzuckte, stellte er erleichtert die Kälte fest. Das Fieber war endlich verschwunden.
Ihn abschätzig musternd verschränkte sie die Arme vor der Brust und zeigte auf die Wachstafel, auf der sie das letzte Mal schon ihre Fragen aufgeschrieben hatte. Er lachte auf und vom Geräusch überrascht, zuckte die Schöne vor ihm erneut zusammen. Die Arme rechts und links um ihren Körper abgestützt, näherte er sich langsam ihrem Gesicht und blickte ihr tief in die meerblauen Augen.
„Zuerst", flüsterte er verführerisch und registrierte zufrieden, dass ihr Körper beim Klang seiner Stimme erschauderte und sie sich seinem Körper unbewusst ein Stückchen näherte. „Bin ich an der Reihe. Dann beantworte ich dir all deine Fragen"
Zweifel und Verwirrung spiegelten sich kurz in ihren Augen, dann nickte sie und wich seinem Blick aus. Nur mit Mühe konnte er sich ein weiteres Lachen verkneifen. Grinsend zog er sich zurück und lehnte sich ihr gegenüber an den anderen Fenstersims.
Dann stellte er ihr seine Fragen. Leider erfuhr er nur ihren Namen, Aurelia, und ihr Alter, 24. Eine Aurelia - interessant. Er hatte gedacht diese Familie sei ausgestorben. Woher sie kam oder wie sie hierher gelangt war, würde er ihr nicht glauben können. Als sie das sagte, strahlte sie eine solch tiefe Traurigkeit aus, dass er sie am liebsten in den Arm genommen hätte. Nachdem sie ihn eine ganze Stunde stumm angestarrt hatte, gab er schließlich auf. Er brauchte ihr Vertrauen, um seine Antworten zu erhalten. Deshalb gab er ihr ein Zeichen, dass sie nun an der Reihe sei Fragen zu stellen.
Unsicher blickte sie auf das Buch in ihrem Schoß und murmelte dann, ob dies wirklich die Annalen des Ennius seien. Die Anspannung, welche ihr Schweigen in ihm aufgebaut hatte, löste sich auf und er lachte. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass er schon seit einer Weile nicht mehr aus ganzem Herzen gelacht hatte. Forschend musterte er sie. Was war an Aurelia so besonders, dass er bei ihr all seine Mauern so schnell fallen ließ und sie sein wahres Ich berührte.
Durch sein Lachen verunsichert zeichnete sie auf den Ledereinband seiner Ausgabe mit dem Finger unsichtbare Muster. Besänftigend legte er seine Hand auf die ihre und er hatte das Gefühl, als ob ein Blitz durch seinen Körper fuhr. Schnell zog er die Hand fort und bejahte ihre Frage. Nachdenklich schweifte ihr Blick aus dem Fenster und blieb am Horizont hängen. Er konnte sehen, wie sie Mauern zwischen ihnen errichtete. Innerlich gelobte er sich diese Mauern zum Einsturz zu bringen.
„Welches Jahr haben wir?", fragte sie ohne ihn dabei anzuschauen. Verwirrt musterte er sie. Warum konnte er in diesem Mädchen auf der einen Seite lesen wie in einem offenem Codex, aber wurde auf der anderen Seite immer wieder von ihr überrascht. Warum stellte sie ihm nur so eine Frage?
„Wir befinden uns im 22. Jahr der Herrschaft des Tiberius", antwortete er wahrheitsgemäß. Ungläubig blickte sie ihn an. Dann huschte ihr Blick von seiner weißen Tunika auf den Codex in ihren Händen und blieb schließlich an ihrer eigenen Tunika hängen. Dann vergrub sie plötzlich das Gesicht in den Händen, schüttelte den Kopf und seufzte tief. In ihrer fremden Sprache flüsterte sie leise vor sich hin, dann hob sie endlich wieder den Kopf. Die in ihren Augen schimmernden Tränen ließen sie nur noch größer und dunkelblauer erscheinen. Etwas an seinem Gesicht vertrieb ihre Zweifel und sie fasste sich langsam. Ohne ihn aus den Augen zu lassen wollte sie seinen Namen wissen. Er schenkte ihr ein galantes Lächeln und sagte: „Gaius Iulius Caesar"
Einen Moment musterte sie ihn kurz und überlegte, als müsste sie erst ihn einmal richtig einordnen. Dann fiel der Groschen.
„Caligula", hauchte sie und er musste sich zwingen bei seinem unliebsamen Spitznamen zu nicken. Ihre Augen wurden groß vor Entsetzen. Mit einem Satz war sie aus dem Bett und rannte zur Tür. Sofort folgte er ihr. An der Tür gelang es ihm Aurelia einzuholen und presste sie mit seinem Körper gegen das massive Holz. In Gedanken dankte er seinem Onkel für seinen Bauwahn. Bei einem kleineren Zimmer wäre sie schon längst auf dem Gang einem Prätorianer in die Finger geraten und was der mit ihr anstellte, wollte sich Gaius lieber nicht vorstellen.
Unwillkürlich drückte er sie fester an die Tür und sah auf sie herab. Für eine Frau war sie wirklich ungewöhnlich groß. Die Angst in ihrem Blick zerbrach etwas in ihm. Ihr Lavendelduft hüllte ihn ein wie eine warme Decke und er musste das Gewicht verlagern, um sie nicht noch weiter zu verängstigen. Er war sich nicht sicher, wie sie reagieren würde, wenn sie bemerkte, was sie in ihm auslöste.
Sanft fuhr er ihr über die Wange und wischte eine Träne fort.
„Ich werde dir nichts tun", versprach er und damit war es um sie geschehen. Mit einem Mal klammerte sie sich an ihn, verbarg das Gesicht an seiner Brust und weinte. Behutsam legte er seine Arme um sie und flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Aber wie sollte er ihr nur versprechen, dass wieder alles gut werden würde, wenn er schon für sich selbst keine Rettung mehr sah. Sein goldenes Gefängnis war auch zu dem ihren geworden. Verloren waren sie beide.
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