Kapitel 37 ~ Garum
Voller Ungeduld musterte Ennia ihr Spiegelbild, während sie wieder einmal auf ihren Mann warten musste. Normalerweise machte ihr das Warten an sich nicht wirklich etwas aus, weil der Gedanke an die hohe Stellung ihres Mannes und die damit verbundenen Pflichten sie für die Abwesenheit ihres Mannes entschädigte. Doch an diesem Abend hatte sie ihr Selbstvertrauen verloren. An diesem Abend war sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben zu alt und nicht hübsch genug vorgekommen. Aus dem Nichts war Gaius' kleine Verlobte aufgetaucht und hatte alle anderen Frauen überstrahlt. Dabei hatte sie sich nicht einmal besondere Mühe gegeben, denn weder war sie sonderlich geschminkt gewesen noch hatte sie sich ihre Haare kunstvoll drapieren lassen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Ennia verstanden, warum man potentielle Erben des Purpurs auch Fürst der Jugend oder Fürst der Sonne nannte. Der Princeps, Gaius, war die gleißende Sonne der Macht, um die sich alles drehte. Doch seine vollkommene Verlobte, die goldene Aurelia Vespasia, war die menschliche Mondgöttin Luna in diesem System. Sie glänzte neben den Sternen am Nachthimmel, die für sie keine Konkurrenz darstellten. Ennia selbst war nur einer dieser vielen kleinen Sternen, der zwar hübsch funkelte, aber eben immer nur einer von vielen bleiben würde. Wie ungerecht die Schicksalsgöttinnen doch waren.
Nachdenklich fuhr sie über den Rand ihres wertvollen Silberpokals, den sie vor so vielen Jahren von ihrem Mann zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte. Warum brauchte er nur so lange?
Als sie sich schon ohne ihn ins Bett fallen lassen wollte, um in Somnus tröstende Arme zu gleiten, öffnete sich ihre Schlafzimmertür und ihr ziemlich erschöpft aussehender Macro stolperte ins Zimmer. Mit einem Seufzen sank er aufs Bett und schloss die Augen. Hastig erhob sich Ennia und half ihrem Mann aus seiner schweren Uniform.
Plötzlich setzte er sich ruckartig auf und ihre Gesichter prallten fast gegeneinander. Mit glühendem Blick musterte er sie.
„Siehst du irgendeinen Weg für uns aus dieser Situation einen Vorteil zu ziehen?", fragte er sie ruhig und sie schüttelte nur den Kopf. Kraftlos ließ er sich wieder zurückfallen und starrte an die Decke.
„Ich bin noch einmal alle Akten durchgegangen, welche die Geschichte dieser Frau belegen und sie sind alle echt", fuhr er frustriert fort. „Ihre Familie war vor ungefähr zwanzig Jahren auf dem Weg zum Lager ihres Vaters, als sie an der Grenze zu Germanien überfallen worden sind. Soldaten fanden später nur die Leichen ihrer Eltern. Damals machte man die Germanen für den Überfall verantwortlich und ging vermutlich davon aus, dass sie die Kleine für eines ihrer Menschenopfer mitgenommen hatten - auch wenn das so genau nicht in den Berichten steht. Jedenfalls wurde auch sie wenige Tage später für tot erklärt, obwohl ihre Leiche nie gefunden wurde"
Langsam legte sich Ennia neben ihn und beobachtete ihn beim Nachdenken. Sie liebte es, wenn er sie an der Politik teilhaben ließ.
„Unser Problem ist nicht ihre Person", warf sie ein. „Unser Problem ist, dass wir sie nicht kontrollieren können. Sie können wir nicht gegen Gaius verwenden wie Sejanus damals Julia und Aemilia Lepida gegen Gaius' ältere Brüder Nero und Drusus"
Ihr Mann schnaubte. Der Untergang der beiden ältesten Söhne des Germanicus hatte ihn abgehärtet und aufsteigen lassen. Dennoch gefielen ihm auch heute nicht die Mittel, derer sich sein Vorgänger Sejanus bedient hatte, um sie loszuwerden.
Macro und Ennia lagen noch eine ganze Zeit lang nebeneinander und flüsterten sich leise unausgereifte Pläne zu, wie sie Aurelia für ihre Sache überzeugen oder bei Gaius in Ungnade fallen lassen konnten. Doch sie drehten sich im Kreis. Sie wussten einfach zu wenig über diese Frau. Aurelia hatte Rom zu rasch wieder verlassen, als dass Ennia ihr hätte begegnen können und Macro hatte sie zum ersten Mal in Misenum gesehen. Dort war er zwar nicht blind für ihre Schönheit gewesen, doch er hatte sie nicht als wichtig eingeschätzt. Vor Tiberius hatte Gaius die Schöne kaum eines Blickes gewürdigt und Gemellus' Interesse hatte sie mit Erfolg im Keim erstickt. Wenn überhaupt hatte Macro Aurelia für Tiberius in Betracht gezogen, doch der war erkrankt und hatte sich nicht wieder erholt - wofür Gaius und Macro gesorgt hatten.
Damals war es ihm richtig vorgekommen auf Gaius zu setzen. Gaius war ein fähiger Staatsmann und loyal. Macro war es gewesen, der Gaius so reibungslos alle Türen zum Purpur geöffnet hatte. Er war so beschäftigt gewesen, Tiberius' umgewandeltes Testament mit der hirnverbrannten Idee des geteilten Prinzipats für ungültig erklären zu lassen, dass ihm die Tiefe der gegenseitigen Verbundenheit von Gaius und diesem Mistkerl Clemens entgangen war. Langsam dämmerte ihm, dass mehr hinter dieser Sache stecken konnte, als er angenommen hatte. Nachdenklich erwiderte er den Blick seiner treuen Frau.
„Wir müssen mehr über die Braut unseres Princeps herausfinden!", entfuhr es ihnen wie aus einem Munde.
Als Ennia einige Stunden später tief und fest in Somnus süßer Umarmung schlief, schlich sich Macro im Schutz der Dunkelheit geräuschlos aus dem Zimmer und gelangte ungesehen auf eine der Dachterrassen des Palastes. An der Balustrade wartete bereits eine kleine Gestalt auf ihn. Ihr Umhang und ihre langen Haare flatterten im nächtlichen Herbstwind. Lautlos trat er neben sie und sofort verflocht sie ihre kalten Finger mit seinen. Lächelnd musterte er ihr schönes Gesicht. Sie war die Einzige, die ihn immer bemerkte, auch wenn er sich unsichtbar machen wollte. Ennia war seine Frau, aber sein Herz hatte immer schon Agrippina gehört, die er zunächst nur aus der Ferne hatte bewundern können. Agrippina war sein Spiegelbild: Sie war klug, sie war gerissen und sie war von einem unersättlichen Ehrgeiz getrieben. Bald, wenn er alle Hindernisse beseitigt hätte, konnten sie endlich offiziell zusammen sein. Doch bis dahin musste er sich mit diesen kleinen, heimlichen, gestohlenen Momenten zufrieden geben.
Außerdem war sie gerade seine beste Hoffnung das Mysterium Aurelia zu enträtseln. Immerhin hatte sie eine Zeit lang mit Aurelia zusammen gelebt. Leise erkundigte er sich, was sie von der Verlobten ihres Bruders hielt.
„Aurelia ist nicht nur äußerlich wunderschön. Ein besseres Herz als ihres habe ich noch nie gesehen", meinte sie und zum ersten Mal seit sie das Dach betreten hatte, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. „Durch sie wird mein Bruder zu einem anderen, besseren Menschen und dir wird sicher nicht entgangen sein, dass ihre Gefühle für einander echt sind. Ihre Liebe macht sie stärker und ich habe meinen Bruder seit dem Tod unseres Vaters nicht mehr so glücklich gesehen"
Macro runzelte nachdenklich die Stirn. War es möglich, dass sich zwei Menschen so schnell ineinander verliebten? Immerhin waren sich die beiden doch erst in Misenum begegnet und nach ihrer Flucht aufs Land hatten sie sich auch nicht geschrieben. Irgendetwas war faul an dieser Sache. Außerdem hatte Macro schon die reinsten und besten Herzen in der Politik verkommen sehen. Gaius' neueste Bettgefährtin würde da auch keine Ausnahme sein - erst recht wenn er sie durch eine Heirat dauerhaft ins Zentrum der Macht platzieren würde. Hastig wechselte er das Thema auf eine Frage, die ihn schon seit ihrem letzten Treffen vor dem missglückten Attentat beschäftigte. Sein Plan war es sich von Ennia scheiden zu lassen und Agrippinas jämmerlichen Ehemann zu beseitigen - natürlich würde er auch Ennia beseitigen, wenn sie die Scheidung verweigern würde. Agrippina müsste nur noch zustimmen, dann würde er die ersten Schritte einleiten.
„Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich weiterhin meine Bedürfnisse über die aller anderen stelle?", sagte sie und ihre Stimme klang so hohl und leer, dass Macro aufhorchte und erst langsam die Bedeutung ihrer Worte verstand.
„Du weißt, was das für uns bedeutet?", fragte er sie bewegt, doch ihre Miene war genauso ausdruckslos wie ihre Stimme.
„Ja und ich bete dafür, dass wir uns im nächsten Leben wiederbegegnen und unsere Geschichte ein anderes Ende nehmen wird", erwiderte sie, entzog ihm ihre Hand, machte auf dem Absatz kehrt und schritt ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen in ihre Gemächer.
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